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Irreguläre Migration | Marokko | bpb.de

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Irreguläre Migration

Hein de Haas

/ 4 Minuten zu lesen

Bis Italien und Spanien 1990 und 1991 die Visumspflicht einführten, konnten Marokkaner einfach als Touristen einreisen; viele überschritten ihre Aufenthaltsgenehmigung und waren somit faktisch ohne gültige Papiere.

Wie in den Staaten Nord- und Westeuropas hat auch hier die Einführung der Visumspflicht zu wachsender irregulärer Zuwanderung geführt. Die langen Küstenlinien Spaniens und Italiens bieten einen vergleichsweise einfachen Zugang für illegale Einreise. Und die Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften hält in Europa, besonders in der im südlichen Europa und dort vor allem in Italien relativ weit verbreiteten Schattenwirtschaft nach wie vor an.

Seit den späten 1980er Jahren waren die italienische und die spanische Regierung mehrmals gezwungen, in aufeinander folgenden Legalisierungen insgesamt 200.000 marokkanischen Migranten einen legalen Aufenthaltsstatus zu verleihen. Italien und insbesondere Spanien haben Frankreich als primäres Ziel für Arbeitsmigration aus Marokko abgelöst. Zwischen 1980 und 2004 ist die marokkanische Bevölkerung in Spanien und Italien von zusammen 20.000 auf 550.000 geschossen.

Während eine erhebliche Zahl von Marokkanern in den letzten Jahrzehnten irregulär nach Europa eingewandert ist, nimmt die Zahl der Migranten aus Gebieten südlich der Sahara, die – regulär oder irregulär – nach und über Marokko reisen, zu. Die meisten irregulär Zuwandernden kommen von Algerien über die Grenze östlich von Oujda, nachdem sie zuvor in der Regel durch Niger die Sahara überquert haben. In Marokko angelangt, versuchen sie, über das Meer nach Europa oder aber in die spanischen Städte Ceuta und Melilla an der marokkanischen Nordküste zu gelangen, in dem sie die hohen Grenzzäune erklettern, die diese Exklaven von Marokko trennen. Bei einem Massensturm auf die Grenzanlagen in Ceuta im September 2005 starben mindestens fünf Menschen, mehr als 40 weitere wurden verletzt. Ein erheblicher Teil der Migranten, deren Versuch, nach Europa zu gelangen, scheitert oder die diesen Schritt dann doch nicht wagen, lässt sich lieber längerfristig in Marokko nieder, als in ihre instabileren und wesentlich ärmeren Heimatländer zurückzukehren. Obgleich sie keinen legalen Aufenthaltsstatus besitzen und daher leicht Opfer von Ausbeutung werden können, finden sie zuweilen Jobs in speziellen Nischen der Schattenwirtschaft, im Tourismus, im Kleinhandel, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.

Auch wenn dieses Phänomen noch neu ist, ist es dringend notwendig, Vorstellungen von einer riesigen Flut afrikanischer Einwanderer, die den Maghreb und Europa zu überschwemmen droht, entgegenzuwirken. Die Zahl der Migranten von südlich der Sahara ist noch immer recht niedrig im Vergleich zu der beträchtlichen Größe der marokkanischen Auswandererbevölkerung. Jedes Jahr versuchen schätzungsweise nicht mehr als ein paar zehntausend Migranten aus Subsahara-Staaten illegal nach Europa einzureisen, während die Zahl der Migranten und Flüchtlinge aus dieser Region, die sich irregulär in Marokko aufhält, wesentlich höher geschätzt wird. Irreguläre Migranten aus Subsahara-Staaten sehen sich massiver Fremdenfeindlichkeit und aggressiven marokkanischen und spanischen Polizei- und Grenzschutzbehörden ausgesetzt. Da die wenigsten einen legalen Aufenthaltsstatus besitzen, droht ihnen soziale und wirtschaftliche Marginalisierung.

Seit Mitte der 1990er Jahre steht Marokko unter zunehmendem Druck aus EU-Ländern, die eine restriktivere Zuwanderungspolitik und verstärkte Grenzkontrollen fordern. Im Jahr 2003 wurden neue Zuwanderungsgesetze verabschiedet, die strenge Strafen bei (Beihilfe zu) irregulärer Zuwanderung und Menschenschmuggel vorsehen. Kritiker sehen in diesen Gesetzen, die irreguläre Migranten kriminalisieren, eine Unterwerfung Marokkos – und Tunesiens – unter den Druck der EU, für Europa die Rolle der "Grenzpolizei" zu übernehmen. Auch wenn sich das neue marokkanische Gesetz auf einschlägige internationale Konventionen bezieht und dem Namen nach eine Verbesserung zu sein scheint, werden die Rechte der Flüchtlinge und Migranten in der Praxis oftmals ignoriert. Marokko steht ferner unter dem Druck, strengere Zuwanderungs- und Visumsregelungen für Afrikaner aus Subsahara-Staaten einzuführen. Marokkanische Polizeikräfte führen regelmäßig Razzien in von Migranten dominierten Vierteln durch und deportieren irreguläre Migranten zur algerischen Grenze, wo diese ihrem Schicksal überlassen werden.

Um Zuzüge aus Marokko einzudämmen, versucht die EU auch, die Entwicklung Marokkos anzukurbeln. Im Jahr 1996 unterzeichnete Marokko das Europa-Mittelmeer-Abkommen mit der EU, Marokkos wichtigstem Handelspartner. Dieses sieht die Einrichtung einer Freihandelszone im Jahr 2010 vor. Unterstützung von Seiten der EU bei der Umwandlung seiner Wirtschaft erhält Marokko vor allem durch das MEDA-Programm (Mésures d'Accompagnement: begleitende Maßnahmen), das auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit abzielt, indem der private Sektor ausgebaut und good governance, das Konzept einer verantwortungsbewussten Regierungsführung gefördert wird. Ein wesentlicher Teil der finanziellen Mittel im MEDA-Programm ist für Maßnahmen zur Zuwanderungsbegrenzung vorgesehen. Die EU betont verstärkt die Zusammenarbeit mit den Maghreb-Staaten in Fragen der Grenzkontrollen und der Wiederzulassung.

All diese Maßnahmen konnten jedoch bislang nur wenig zur Eindämmung der Zuwanderung beitragen. Intensivere Grenzkontrollen haben zu einer Zunahme von irregulärer Migration und einer raschen Veränderung von Zuwanderungsrouten geführt. Eher haben Risiken, Kosten und das Leid der betroffenen Migranten zugenommen, als dass die Zuwanderung vermindert worden wäre. Kurzum, Maßnahmen, die "illegale Zuwanderung bekämpfen" sollen, scheinen zum Scheitern verurteilt, da sie zu den Ursachen des Phänomens gehören, das sie zu bekämpfen vorgeben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Sandell (2006).

  2. Siehe Alioua (2005).

  3. Siehe Belguendouz (2005).

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