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Dokument 2.2: Konstantin Wuckert über das Alltags- und Berufsleben der Deutschen in Zentralasien und Beziehungen zu der einheimischen Bevölkerung, Juni 1976 | Russlanddeutsche | bpb.de

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Dokument 2.2: Konstantin Wuckert über das Alltags- und Berufsleben der Deutschen in Zentralasien und Beziehungen zu der einheimischen Bevölkerung, Juni 1976

/ 11 Minuten zu lesen

[…]
Ich kann nicht umhin, die Frage nach den Beziehungen zwischen den sich "eingewurzelten" Deutschen und der einheimischen (indigenen) Bevölkerung in Mittelasien und Kasachstan anzusprechen. Das ist ein schwieriges Thema. [...] Bei Gott will ich die Völker unseres Landes nicht entzweien. Ich möchte das kasachische Volk nicht diffamieren, ich möchte die Freundschaft meiner wundervollen kasachischen Freunde nicht verlieren. Ich zeigte einem meiner guten Freunde den Entwurf dieser Notizen und war schockiert über seine Reaktion auf meine Überlegungen über die Beziehung zwischen den Deutschen und Kasachen. Er flehte mich an, diese Frage nicht zu thematisieren. "Gott bewahre", sagte er, "dass deine Aussagen öffentlich bekannt werden: die Kasachen werden uns, den Deutschen, das Leben zu Hölle machen. Wir müssen auch weiterhin mit Kasachen leben." Mein Freund gehört nicht zu jenen mit einer unbewussten und krankhaften Angst vor allen Kreaturen, die unter unseren Deutschen nicht ungewöhnlich sind. Er ist ein Mann des Mutes und bewies es durch Taten. Aber er sah verängstigt aus und mir wurde traurig und bitter wegen meiner Deutschen.

Was für eine bedauerliche Stellung haben die Deutschen in der großen Völkerfamilie der UdSSR! Ist es nicht beschämend für ein Volk, das demütig beleidigende und verletzende Verunglimpfung über sich ergehen lassen musste und sich nicht traut, anderen auf ihre Mängel hinzuweisen? Ich denke, dass der beste Teil des kasachischen Volkes reif genug ist, unangenehme Wahrheiten zu hören und dabei dem niederen Gefühl der Rachsucht nicht nachzugeben. Ich verbeuge mich vor dem großen Franzosen Romain ROLLAN. Vor dem Ersten Weltkrieg hasste er die Deutschen für die Siegerüberheblichkeit. Nach dem Krieg stellte er erschreckend fest, dass die Rollen nun vertauscht wurden: seine verehrten Franzosen verhielten sich in gleicher Weise wie damals die Deutschen, und er verspürte Hass gegen seine Franzosen. Er verließ demonstrativ Frankreich und ließ sich in der Schweiz nieder, wo sich diese beiden großen europäischen Völker gelernt hatten, sich gegenseitig zu respektierten. […]

Unsere Deutschen hegen tiefe Gefühle der Dankbarkeit gegenüber des kasachischen Volkes für ihre barmherzige Hilfe für die bettelarmen und vor Hunger sterbenden ausgesiedelten Deutschen. Kasachen teilten mitunter das letzte Stück Brot mit ihnen. In den letzten Jahren sind, zumeist in der deutschen Presse, literarische Werke erschienen, die erzählen, wie die Kasachen deutsche Kinder vor dem Verhungern retteten, sie adoptierten und kinderreichen deutschen Familien halfen. Zu diesem Thema gibt es auch einen Film. Die Aufgabe solcher Werke ist klar: sie sollen der Bewegung der Deutschen für Selbstbestimmung oder für Ausreise entgegenwirken. Es ist nicht gut, so die Botschaft, gute Leute zu verlassen. Die Autoren dieser Werke beleuchten übrigens unfreiwillig den ganzen Schrecken der Situation der zwangsausgesiedelten Deutschen aus den vergangenen Zeiten. Immerhin, es stimmt, dass die Kasachen Großzügigkeit und Wohlwollen zeigten. Wir Deutschen treffen unter den Kasachen nicht diesen ungezügelten, erbitterten Hass, der uns von den Russen oft entgegengebracht wird, und wenn die Kasachen solche abgedroschenen Diffamierungen wie "Faschist, Fritz" usw. benutzen, dann ist dies eher ein Nachplappern als Hass. Kasachen und Deutsche leben nachbarschaftlich überwiegend friedlich, Skandale sind selten. Aber Skandale und Missverständnisse passieren dennoch. Und da fängt für den Deutschen das Unheil an.

Die Sowjetregierung tut viel, um die Rückständigkeit der Völker der ehemaligen Randgebiete Russland [i.S. des Russischen Reiches] zu überwinden und die konservative Stammes- und Feudalpsychologie, die diese Völker aus der Vergangenheit geerbt haben, zu überwinden. Führungspositionen werden nachdrücklich mit nationalen Kadern besetzt. Aber das Problem ist, dass viele, sehr viele Amtspersonen, die über Schicksale von Menschen entscheiden, sich noch nicht von der Stammes- und Feudalpsychologie befreit haben und diejenige größeren Befugnisse missbrauchen, die ihnen gegeben sind.

Darunter leiden auch andere Nationalitäten, aber besonders schlimm ergeht es für die Deutschen. Selbst die Kasachen leiden bisweilen darunter, d.h. von den Überresten der Vergangenheit, so wird zum Beispiel in der Presse oft Materialien über solche Überbleibsel [der alten Zeit, d.h. vor 1917] wie das Zahlen von Brautgeld, das Stehlen von Mädchen, das Zwingen der Mädchen zum Heiraten usw. veröffentlicht. Aber von einer Seite dieses Phänomens wird nicht gesprochen: über den lokalen Nationalismus, Vetternwirtschaft, weit verbreitete Dienstversäumnisse zugunsten von Verwandten und Bekannten, gegenseitige Unterstützung und Heraushelfen in jeder Situation, und das im vollen Bewusstsein, dass sie rechtswidrige Sachen verfechten. Kasachen ist das Bewusstsein der gegenseitigen Hilfe sehr eigen, dabei gehen sie oft ein großes persönliches Risiko ein, handeln mutig und verwegen. Im Allgemeinen ist dies ja eine positive Eigenschaft, und die Kasachen unterscheiden sich in dieser Hinsicht vorteilhaft von den Deutschen, denen die Nöte ihrer Nachbarn [i.S. Landsleute] gleichgültig sind, die sich sogar darüber freuen. Schlimm ist allerding daran die Tatsache, dass die Kasachen ihren Landsleuten auch dann helfen, wenn diese Verbrechen begehen, und unterdrücken andere Nationalitäten, insbesondere die Deutschen. Jeder weiß davon und in privaten Gesprächen wird all dies anerkannt, auch von Seiten der Kasachen selbst. Aber offen darüber zu reden, Dinge mit ihrem richtigen Namen zu nennen, ist nicht üblich. Niemand will den Teufel am Schwanz packen.

Ab und zu berichten die Zeitungen darüber. Dabei bleibt vieles unausgesprochen und der Leser ist nur auf eigene Vermutungen angewiesen. Die Nationalität der kritisierten Personen bleibt oft unerwähnt, aber der Leser kann anhand des Nachnamens und der Umstände des Falles einiges erraten. [...] Ich möchte dabei auf einige erschienene Zeitungsbeiträge hinweisen.

Da ist ein Artikel aus der "Komsomolskaja Prawda" vom 12. Februar 1975 unter dem Titel "Das Haus brannte". Wegen der kriminellen Gedankenlosigkeit eines bestimmten Bürgers (nach dem Nachnamen urteilend ein Kasache) sterben zwei Menschen und sieben werden schwer verletzt. Aber die Staatsanwaltschaft hat nichts Strafbares darin gefunden und "die Untersuchung eingestellt". [...]

In der Zeitung "Kasachstanskaja Prawda" vom 15. Mai 1975 sind Antworten der zuständigen Amtspersonen auf den Artikel "Der Tschiilijer Vorfall"(erschien in der Zeitung am 4. Januar 1975) veröffentlicht. Erstaunliche Dinge duldet das Papier. Ich habe den Ursprungsartikel nicht gelesen, aber durch Geständnisse dieser Personen lässt sich folgendes Bild vorstellen: Der Förster M.I. SHINKIN [dem Nachnamen nach ein Russe] hat eine Gruppe von Wilderern festgenommen – von Nachnamen her alle Kasachen – und reichte die Angelegenheit an das Gericht weiter. Aber die Kumpels der Wilderer im Tschiilijer Rayonsabteilung für Innere Angelegenheiten (Miliz) des Gebiets Ksyl-Orda, in der Staatsanwaltschaft und im Gericht (nach den Nachnamen zu urteilen sind sie alle Kasachen), haben ihre Amtsstellung missbraucht. Die Wilderer wurden reingewaschen, dem Förster SHINKIN ein fabriziertes Gerichtsverfahren angehängt und ihm wissentlich ein ungerechtes Urteil ausgesprochen.

Der Ermittler, Gen[osse] ALSHANOW, seine offizielle Amtsposition missbrauchend, stahl aus dem Safe von M.I. SHINKIN die Akten bezüglich der Wilderei der Freunde ALSHANOWS mit dem Ziel, sie vor einer Verantwortung vor dem Gesetz zu befreien. Diese Beamten begannen ein Verbrechen nach mindestens vier Artikeln des Strafgesetzbuches der Kasachischen SSR: Artikeln 142, 176, 189 und 191, für die das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorsieht. Und just der stellvertretende Staatsanwalt des Kasachischen SSR, N. MANAJEW, dessen Aufgabe die Kontrolle über die strikte Einhaltung eines der Grundprinzipien des Rechts – die Unabwendbarkeit der Strafe entsprechend der Schwere des Verbrechens – ist, informiert mit einer entwaffnenden Direktheit die Leser von "Kasachstanskaja Prawda" darüber, dass dieser Gruppe von Personen administrative (sic!) Maßregelungen verhängt wurden: strenge Verwarnungen und Verweise.

Die Erfahrung zeigt, dass solche Maßregelungen wenig Einfluss auf die Amtsstellung und Karriere solcher Menschen haben. [...] Über den Richter, der dieses skandalöse Urteil fällte, wurde überhaupt nichts berichtet. Und diese Leute werden auch weiterhin sich so ähnlich verhalten, weil sie gewonnen haben. Die Zeitung "Kasachstanskaja Prawda" ist damit durchaus zufrieden. Man braucht ganz wenig Phantasie zu haben, um sich vorzustellen, was dem "eingewurzelten" Deutschen passieren könnte, wenn er sich unter diesen Umständen in eine Konfliktsituation mit einem Vertreter der Titularbevölkerung geraten würde.

Hierzu möchte ich einige Vorfälle schildern. In der Zeitung "Neues Leben", in den Jahren 1972–1973 (ich habe leider das Jahr und die Ausgabenummer der Zeitung vergessen) hat der Eigenkorrespondent der Zeitung in der Stadt Alma-Ata, Georg RAU, einen Beitrag veröffentlicht, unter dem Titel, soweit ich mich erinnern kann, "Am helllichten Tag sich verirrt" . Es handelte sich darum, dass eine Person seine Kuh verloren hat (nach dem Nachnamen zu urteilen, ist der Besitzer der Kuh ein Deutscher). Er wandte sich um Hilfe an die Miliz (die meisten Milizbeamten sind der Nationalität nach Kasachen). Ihm wurde nicht geholfen. Dann begann er nach seiner eigenen Kuh selbst zu suchen. Er fand heraus, wo seine Kuh war und wer sie gestohlen hatte (den Nachnamen nach Kasachen). Der Mann wandte sich an die entsprechende Behörde (dort sind auch alle Kasachen) und nach der normalen menschlichen Logik begann er zu warten, dass die Kuh ihm zurückgegeben wird, und die Diebe bestraft werden. Aber nichts dergleichen passierte – die Dieben melkten ruhig weiter seine Kuh. Und nun spricht Georg RAU mit dem Staatsanwalt (dem Nachnamen ein Kasache). Der Staatsanwalt wirkt ehrlich empört: "Wie kann man einen Menschen lediglich wegen einer gestohlenen Kuh vor Gericht stellen?!" Zu beachten sei, dass die Zeitung "Neues Leben" solche Artikel äußerst widerwillig druckt, und wenn es trotzdem dazu kommt, so versucht sie die tatsächlichen Ausmaße und die Schärfe der Konflikte zu vertuschen. […]

Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt der Beziehung zwischen den "verwurzelten" Deutschen und der Titularbevölkerung hinweisen. Richter SCHASHIROW hat mir nicht nur mit sieben Tagen Haft und mit einer Strafsache gedroht. Er zeigte mir eine von sechs Bürgern unterschriebene Akte, in der das Vorkommnis mit BURBAJEWA unglaublich falsch dargestellt war. Bei den Nachnamen der Unterschriebenen war es klar, dass sie alle Kasachen waren. Aber ich wusste sicher, dass zu dieser Zeit kein einziger Kasache in der Nähe des Vorfalls gewesen war. Diese Menschen haben ohne zu zögern oder zu grübeln, ohne Angst vor Konsequenzen, Meineid begangen. Ich habe meine Frau gebeten, echte Zeugen zu finden. Ich war mir während des Vorfalls sehr wohl sicher, dass eine benachbarte deutsche Familie den ganzen Vorfall von ihrem Hof aus beobachtete. Aber meine Nachbarn weigerten sich entschieden, eine Aussage zu tätigen und erklärten, dass sie nichts gesehen haben. Die entwürdige, gemeine, schändliche Angst lähmt das Gewissen der Menschen. In Konflikt mit Kasachen geraten? Wer weiß, wo das enden wird. Besser von solchen Dingen sich fernhalten. Möge lieber der Nachbarn im Gefängnis verrotten.

Richter SCHASHIROW wusste ganz genau, dass die Menschen falsche Zeugnisse abgelegten haben, er kennt seine [Lands]leute. Deshalb hat er die Sache nicht weiter vorangetrieben und beschränkte sich auf meine Demütigung. [...] Nun, was wäre passiert, falls die verwandtschaftlichen Gefühle des Richters SCHASHIROW die Oberhand gewännen und er es ernsthaft vorgehabt hätte, mich ins Gefängnis zu bringen? Und nach unseren Verhältnissen ist so eine Situation durchaus möglich. Ganz bestimmt hätte man mich für nichts und wieder nichts eingekerkert. [...]

Es ist nicht ganz klar, warum die "Fehler der Geschichte" gegen Tschetschenen, Karatschajen, Kalmücken korrigiert werden könnten und gegen die Deutschen nicht? Diese Völker hätten es wesentlich leichter, sich hier zu "verwurzeln", da sie der Kultur, Traditionen, Psychologie und Religion nach […] es wesentlich näher den Völkern des Mitteasiens und Kasachstans sind. Bei den Deutschen ist die Lage ganz anders, unvergleichbar mit der Situation der anderen, einst repressierten Völker, die nicht durch den Fluch verdammt sind, aus dem Land zu stammen, mit dem die Völker der UdSSR einen beschwerlichen, grausamen Kampf zu führen hatten. Ich kenne keinen einzigen Fall, dass es versucht wurde, die Frau, Schwester, Tochter, Mutter eines Tschetschenen zu entehren. Solche Liebhaber wussten ganz genau, dass solche Späße ihnen den Kopf kosten würde. Ein Tschetschene würde in solchen Fällen keinen Schutz durch das Gesetz suchen, er hätte die Gerechtigkeit mit seinen eigenen Händen ausgeübt. Die Tschetschenen wussten ganz genau, dass das Gesetz sehr schlecht schützt, das zeigte ihnen die Erfahrungen der Deutschen, die sich nur dem Gesetz vertrauten, aber sehr selten davon Schutz bekamen. Viele Tschetschenen begannen selbst, die Deutschen zu traktieren, nachdem sie ihre Hilflosigkeit erkannt haben.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Regierung ihre deutschen Bürger ausschließlich als Arbeitskraft betrachtet und keinesfalls an ihre menschlichen Bedürfnisse denkt […], dann sieht die Tätigkeit oder besser gesagt die Untätigkeit der Regierung logisch, konsequent und vernünftig aus. Wo sonst findet man so ein bequemes Völkchen? In Sibirien, Mittelasien und Kasachstan sind Arbeitshände sehr begehrt. Dieses unermüdlich rackernde und schuftende Völkchen, fleißig und gründlich – vielleicht die einzig verbliebenen positiven Züge des deutschen Nationalcharakters – befindet sich genau dort, wo es gebraucht wird. Würde man dort diese unruhigen Tschetschenen belassen, die für sich selbst einstehen können und die sich nicht für trudodni zur Arbeit zwingen lassen, bekommt man nur viel Ärger und Unruhe. Es ist viel einfacher mit den Deutschen, diesen Arbeitspferden, die mit allem zufrieden sind, die sich jegliche Erniedrigung und Beleidigung demütig gefallen lassen.

[...]
Erst in den letzten Jahren ist der Prozess der Wiederbelebung des nationalen Selbstbewusstseins zu beobachten. Das äußerte sich unter anderem in der Bewegung der deutschen Bürgern, zunächst für die Wiederherstellung der ASSR der Wolgadeutschen, und – sobald es offensichtlich wurde, dass die Regierung dies nicht tun wird – für das Recht auf Emigration. Für mich war es eine angenehme Überraschung – ich hatte eine sehr schlechte Meinung von den Meinen [d.h. von den Landsleuten]. […]

[Konstantin Wuckert, KasSSR, Gebiet Dschambul,
Rayon Tschu, Ortschaft Nowotroizkoje, 1976]

Fussnoten

Fußnoten

  1. Quelle: Archiv Samizdata Nr. 2811-b. Radio Svoboda. Vyp. № 16/78. München 3. Mai 1978, S. 6-54. Ein Hinweis auf das Dokument in der Datensammlung Published Samizdat collection at Open Society Archives (OSA): Externer Link: http://catalog.osaarchivum.org/catalog/lvd89mDG Das Originaldokument wird hier stark verkürzt wiedergegeben.

  2. Anspielung auf die Worte des Staatsoberhaupts Mikojan während des Treffens mit den deutschen Abgeordneten, dass die deutsche Bevölkerung bereit in den Verbannungsgebieten "fest ansässig" oder sich "verwurzelt" hat und deshalb keine Notwendigkeit der Neugründung der Autonomie bestünde.

  3. "Komsomolskaja Prawda" (Wahrheit des Komsomol) war das zentrale Presseorgan des kommunistischen Jugendverbandes (Komsomol) und erschien in Moskau.

  4. "Kasachstanskaja Prawda" (Kasachstaner Wahrheit) war das zentrale Presseorgan in der Unionsrepublik Kasachstan und erschien in der Hauptstadt Alma-Ata.

  5. Rückübersetzung aus dem Russischen, da der Originalartikel nicht vorliegt.

  6. Miliz war in der UdSSR die Bezeichnung für die Polizei.

  7. K. Wuckert hatte mal einen Streit mit der kasachischen Nachbarin, einer gewissen Burbajewa gehabt, die eine Verwandte des besagten Richters war, und musste schlussendlich sieben Tage in Haft verbringen.

  8. Tschetschenen und Karatschajer wurden 1943/44 mehrheitlich nach Kasachstan und Kirgisien umgesiedelt, die Kalmücken nach Sibirien. Die ersten beiden Völker sind mehrheitlich Muslime, die Kalmücken allerdings Buddhisten, siehe hierzu u.a.: Johanna Julia Atzmannstorfer: Die Deportationen der Karatschaier, Tschetschenen, Inguschen und Balkaren 1943/44. Diplomarbeit, Universität Wien, 2009, Online: Externer Link: http://othes.univie.ac.at/5156/

  9. Trudodenj sing., trudodni pl. – russ. Tagewerk(e), eine Verrechnungseinheit, wurde Anfang der 1930er Jahre für die Abgeltung der geleisteten Arbeit der Kolchosbauern eingeführt und bis Ende der 1950er Jahre wirksam. Im russischen Sprachgebrauch ein Synonym für eine fron- bzw. entgeltlose Arbeit.