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Sprachenvielfalt auf dem afrikanischen Kontinent | Afrika | bpb.de

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Sprachenvielfalt auf dem afrikanischen Kontinent

Matthias Brenzinger

/ 7 Minuten zu lesen

Wie viele Sprachen existieren auf dem afrikanischen Kontinent? Allein in den Staaten südlich der Sahara sind es zwischen 1.200 und 2.000. Viele davon sind noch unzureichend erforscht, zumal die Grenze zwischen Sprache und Dialekt oft schwierig zu ziehen ist.

Auszug aus:
Informationen zur politischen Bildung (Heft 264) - Sprachenvielfalt auf dem afrikanischen Kontinent

Einleitung

In den Staaten südlich der Sahara werden zwischen 1200 und 2000 Sprachen gesprochen. Daß hier keine präziseren Angaben möglich sind, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen sind viele der afrikanischen Sprachen noch nicht ausreichend erforscht, und zum anderen existiert das grundsätzliche Problem, daß sich die Grenzziehung zwischen Sprachen und Dialekten nicht selten als schwierig erweist, da häufig ein fließender Übergang durch Dialekte existiert, der Sprachen miteinander verbindet. Nach dem amerikanischen Sprachwissenschaftler Joseph Greenberg unterscheiden wir auf dem afrikanischen Kontinent vier Sprachfamilien: Niger-Kordofanisch, Afroasiatisch, Nilo-Saharanisch und Khoisan. Sprachen, die nicht der gleichen Familie angehören, teilen keinerlei genetische Verwandtschaft.

Ausbreitung

Die Verbreitung der Niger-Kordofanischen Sprachfamilie reicht vom äußersten Westen des Kontinents bis zum südlichsten Zipfel, und auch in den ostafrikanischen Staaten werden Sprachen dieser Familie gesprochen. Die mit Abstand größte Untergruppe dieser Sprachfamilie stellen die etwa 300 Bantu-Sprachen, die vorwiegend südlich des Äquators vorkommen und deren bekannteste Vertreterin das Swahili (auch Suaheli, Kiswahili) ist.

Die Mehrzahl der etwa 200 Sprachen der Afroasiatischen Sprachfamilie konzentrieren sich im Nordosten des Kontinents. Jedoch haben Sprachgemeinschaften dieser Sprachfamilie bereits seit acht Jahrtausenden in Auswanderungswellen auch große Teile des ostafrikanischen Raums bevölkert. Sprachen dieser Familie sind neben dem Ägyptischen und den Berber-Sprachen die semitischen Sprachen wie Arabisch, aber auch die äthiosemitischen Sprachen Äthiopiens und Eritreas wie das Amharisch. Die größte Unterfamilie des Afroasiatischen sind die etwa 120 Tschadischen Sprachen, die im Tschad, in Niger, Kamerun und vor allem Nigeria gesprochen werden. Das im Norden Nigerias und Süden Nigers gesprochene Hausa ist die bedeutendste Sprache dieser Unterfamilie. Die geographische Verbreitung der Sprachgemeinschaft der Nilo-Saharanischen Sprachfamilie reicht vom Tschad bis in den ostafrikanischen Raum hinein.

Die Khoisan-Sprachen, deren hervorstechendstes Merkmal das Vorhandensein von Schnalzen in ihrem Lautinventar ist, werden vor allem im südlichen Afrika gesprochen. Die Sprachen, die von den früher als Buschmänner bezeichneten Jägern und Sammlern des südlichen Afrika gesprochen werden und die es heute vorziehen, San genannt zu werden, gehören zu dieser Sprachfamilie.

Sprachpolitik

Im Prozeß des Nation-building, der Herausbildung nationaler Einheit, der in vielen der afrikanischen Staaten nach über 30 Jahren noch immer nicht abgeschlossen ist, wurde und wird Sprachenvielfalt von afrikanischen Politikern fast immer als Bedrohung für die Erreichung dieses Zieles gewertet. Sie sehen im Sprachenpluralismus ein Konfliktpotential, das jederzeit von separatistischen Bewegungen mobilisiert werden kann, um die Einheit des Staates zu untergraben. Meist wird hierbei nicht gesehen, daß die wenigen sprachlich homogenen afrikanischen Staaten Ruanda, Burundi und Somalia durch ihre langjährigen internen kriegerischen Konflikte nicht als Vorbilder für staatliche Einheit gelten können.

Dennoch soll nicht verschwiegen werden, daß sprachlich-ethnische Konflikte tatsächlich auch Gefahren für die Einheit der Staaten in sich bergen können. Nigeria, in dem Englisch, die dominierende Sprache in der Politik und der Wirtschaft, nur von höchstens 20 Prozent der Bevölkerung gesprochen wird, soll als Beispiel dienen. Hausa dominiert im Norden Nigerias als Verkehrssprache, als Sprache des Koran und als Sprache der Elite. Yoruba wird von etwa 18 Millionen Nigerianerinnen und Nigerianern im Südwesten des Landes gesprochen, und in dieser Region stellen Yoruba-sprachige Gemeinschaften 80 Prozent der Bevölkerung. Die Position des Igbo, der dritten Hauptsprache Nigerias, wird dadurch geschwächt, daß es nur von etwa 50 Prozent der Bevölkerung der Ostprovinz des Landes gesprochen wird.

Konflikte zwischen den Sprachgemeinschaften der drei Hauptsprachen haben in der Vergangenheit immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt und unter anderem auch den ersten Militärputsch des Landes im Jahre 1964 provoziert. Und die Spannungen zwischen diesen dominanten Ethnien halten bis heute an. Es muß jedoch auch festgestellt werden, daß nicht die Vielsprachigkeit Nigerias als Hintergrund für diese Konflikte gelten kann, da der Großteil der mehr als 400 übrigen Sprachgemeinschaften dieses Landes nicht zu den Konflikten beiträgt.

Da die offizielle Anerkennung und Verwendung von afrikanischen Sprachen als zu konfliktträchtig angesehen wurde, hat sich die Mehrzahl der afrikanischen Staaten bei der Unabhängigkeit für die von den Kolonialmächten eingeführten europäischen Sprachen als offizielle Landessprache entschieden. Nur wenige Nationen wagten es, einen eigenen Weg einzuschlagen, indem sie eine einheimische Sprache zur offiziellen Landessprache erklärten. Staaten wie Äthiopien mit Amharisch, Tansania mit Swahili und Botswana mit Tswana wählten aber diesen Weg.

Während diese sprachpolitische Entscheidung in Tansania und Botswana tatsächlich eine Stabilisierung des Staates unterstützte, löste die Dominanz der Amharen und ihrer Sprache in Äthiopien einen 30jährigen Bürgerkrieg aus, der erst mit der Unabhängigkeit Eritreas im Jahre 1993 und der Anerkennung der übrigen Landessprachen in Äthiopien ein (vorläufiges) Ende fand. Neben der politischen Negativwertung von Sprachenvielfalt gibt es auch eine solche unter ökonomischen Gesichtspunkten. Ein sprachlich heterogener Staat sei fast immer unterentwickelt, lautet eine Behauptung, die auf der Beobachtung basiert, daß die Mehrzahl der europäischen Industrienationen im wesentlichen – von der Schweiz und Belgien abgesehen – monolingual ist.

Eine eurozentrische Vorstellung von Entwicklung, nämlich die nach westlich-marktwirtschaftlichem Vorbild, die eine Einbindung in den Weltmarkt anstrebt, verlangt tatsächlich nach Anpassung der afrikanischen Staaten nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Für den Zugang zum Weltmarkt bringen afrikanische Sprachen, auch wenn sie nationenweit gesprochen werden, keine Vorteile. Dies zeigt das Beispiel "einsprachiger" Staaten wie Somalia, Burundi und Ruanda mit nur einer dominanten afrikanischen Sprache. Zur Bewältigung der modernen Kommunikationserfordernisse erscheint die Verbreitung einer europäischen Sprache in der gesamten Bevölkerung daher unabdingbar.

Sprachgebrauch im Alltag

Sowohl in den afrikanischen Städten als auch auf dem Lande ist die große Sprachenvielfalt immer ein wichtiger Faktor im alltäglichen Miteinander. Fast alle Afrikanerinnen und Afrikaner beherrschen mehrere Sprachen und setzen diese in unterschiedlichen Situationen ein. Im Kreis der Verwandten und der Dorfgemeinschaft wird in der Muttersprache kommuniziert. Auf dem Markt, wo Menschen unterschiedlicher Ethnien zusammentreffen, dient dann eine sogenannte Verkehrssprache zur Verständigung. Und bei Behördengängen oder beim Besuch einer höheren Schule werden die Sprachen der ehemaligen Kolonialmächte gefordert, nämlich Englisch, Französisch oder Portugiesisch.

Das geringste Prestige besitzen im allgemeinen die Muttersprachen der auf dem Land lebenden Volksgruppen. Verkehrssprachen oder die eingeführten europäischen Sprachen genießen ein hohes Ansehen und werden auch von der politischen und wissenschaftlichen Elite in der Öffentlichkeit verwendet.

Die Verkehrssprachen spielen auf dem afrikanischen Kontinent eine besonders große Rolle, und Swahili ist vermutlich deren wichtigste. In Tansania dominiert der Gebrauch von Swahili in fast allen gesellschaftlichen Bereichen, etwa in den Primarschulen, in den Medien, in der Verwaltung, bei öffentlichen Versammlungen oder in den Kirchen. Eine Grundentscheidung auf dem Weg zum "afrikanischen Sozialismus", den Tansania nach der Unabhängigkeit 1961 unter der Führung Julius Nyereres einschlug, war die, daß dem Swahili nicht nur nationaler sondern auch offizieller Status verliehen wurde. Mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln wurde Swahili, das schon zur deutschen Kolonialzeit institutionelle Unterstützung von Seiten der Kolonialmacht genoß, zur gemeinsamen Sprache der gesamten Bevölkerung Tansanias ausgebaut. Heute wird Swahili weit über die Grenzen Tansanias hinaus von vielen Millionen Menschen als Verkehrssprache verwendet. So sprechen etwa 70 Prozent der kenianischen Bevölkerung Swahili als Zweitsprache und auch in Uganda wird häufig Swahili gewählt, wenn Sprecherinnen und Sprecher unterschiedlicher Muttersprachen aufeinandertreffen.

Hausa ist die wichtigste Sprache im westlichen Afrika und wird von zwischen 30 und 40 Millionen Menschen beherrscht, wobei für ein Drittel von ihnen diese Sprache Zweitsprache ist. Die Ausdehnung des Hausa im westlichen Teil des afrikanischen Kontinents geht auf ihren Gebrauch als Sprache der Islamisierung zurück, die seit dem 14. Jahrhundert diesen Raum erreichte, aber auch auf die rege Handelstätigkeit der Hausa. Andere Sprachen mit überregionaler Bedeutung sind beispielsweise das Bambara, das in Mali und allen umgebenden Staaten von insgesamt etwa zehn Millionen Menschen gesprochen wird, oder auch Lingala und Sango, Sprachen, die im zentralen Afrika von mehreren Millionen Menschen als Verkehrssprache genutzt werden.

Nach einer UNESCO-Forderung von 1953 soll jedes Kind die Schulausbildung in seiner Muttersprache beginnen. In Afrika werden bisher jedoch nicht viel mehr als etwa 100 Sprachen in der Schule verwendet, also deutlich weniger als zehn Prozent. Die meisten afrikanischen Staaten sind jedoch bereits wegen der Anzahl der Sprachen nicht in der Lage, alle in den Schulen zu berücksichtigen. Staaten wie Kenia und Uganda liegen mit mehr als 30 Sprachen im mittleren Bereich, was Sprachenreichtum angeht. Nur wenige sind (annähernd) einsprachig, nämlich Lesotho, Swasiland, Burundi, Ruanda und Somalia, sieht man von den Arabisch-sprachigen Staaten im Norden Afrikas ab. Dagegen haben Kamerun mit weit mehr als 100 Sprachen, Tansania mit circa 120 und Nigeria mit mehr als 400 Sprachen eine besonders große Sprachenvielfalt. Lehrerausbildung und das Erstellen von Lehr- und Lernmaterial für die Landessprachen sind für die letztgenannten Staaten ein aufwendiges und kostspieliges Unterfangen.

Die Sprachenvielfalt auf dem afrikanischen Kontinent stellt einen unersetzlichen kulturellen Reichtum dar, der jedoch zunehmend vom Verschwinden bedroht ist. Denn immer mehr Sprachgemeinschaften, vor allem kleinere, geben ihre eigene Sprache auf, um die Sprache größerer, einflußreicherer Volksgruppen zu übernehmen. Damit geht nicht nur in Jahrtausenden gesammeltes kulturspezifisches Wissen verloren, sondern auch die Möglichkeit, die in jeder Sprache jeweils eigenen Formen des menschlichen Denkens zu erhalten.

Es wird oft behauptet, daß die Sprachenvielfalt Afrikas die Kommunikationsmöglichkeiten einschränkt und damit auch die Entwicklung des Kontinents hemmt. Jedoch hat Mehrsprachigkeit in Afrika eine lange Tradition und stellt eine Möglichkeit dar, wie auch ohne die Aufgabe der eigenen Sprache nationale und internationale Kommunikation ermöglicht werden kann. Somit ist nicht die Sprachenvielfalt auf dem afrikanischen Kontinent das Problem, sondern die immer noch zu geringe Beherrschung der europäischen Sprachen in der Bevölkerung. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger afrikanischer Staaten ist bis heute nicht in der Lage, diejenige europäische Sprache zu sprechen und zu verstehen, in der ihr Land regiert und verwaltet

Fussnoten