Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Vorwurf von kultureller Dominanz und Neokolonialismus | Afrika | bpb.de

Afrika Geschichte Kontinent im Umbruch Kolonialismus Chronologie deutscher Kolonien Deutschland in Afrika Staatliche Unabhängigkeit Ideen der Unabhängigkeitsbewegung Afrikas steiniger Weg Gesellschaft Multikulturelle Gesellschaften Toleranzprinzip Wandel der Gesellschaft Zuwanderung in Großstädte Die afrikanische Familie Gender und Agrarpolitik Sprachenvielfalt Sprachen und Kulturen Afrikas Religionen Kwanzaa Islam in Afrika Entwicklung der Demokratie Wirtschaft Strategien für Entwicklung Afrikas Märkte Rohstoffe für den Export Natürliche Ressourcen Industrie in Maghrebstaaten Beispiel Ägypten Reformen der Wirtschaft Anpassung der Strukturen Glossar Panafrika Afrikanische Union Regionale Integration Regionale Kooperation Glossar Herausforderungen Kampf gegen Korruption Autokratie und Demokratie Demokratie in Afrika? Kriege als Geschäft NEPAD Horn von Afrika Südafrikas Wandel Krieg in Zaire Nigerias Zukunft Kampf gegen Aids Aids in Sub-Sahara-Afrika Digitale Kluft Armut in Sub-Sahara-Afrika Ressource Wasser Afrika und Europa Afrikanisch- europäische Beziehungen Akteur EU Euro-mediterrane Partnerschaft Afrika - Europa - USA Nation Building Strukturen stabilisieren Game in Town Herausforderungen Neokolonialismus Deutsche Interessen Kultur Literatur Kunst Hip-Hop, Kwaito-Musik Theater Afrikanischer Musikmarkt Ausstellung: Gleichzeitig in Afrika Redaktion

Der Vorwurf von kultureller Dominanz und Neokolonialismus

Jacob Emmanuel Mabe

/ 5 Minuten zu lesen

Vor allem um den Vorwurf einer wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Einflussnahme auf die Länder Afrikas abzuschwächen, haben die Industriestaaten in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Netzwerken aufgebaut, meint Jacob Emmanuel Mabe. Der Philosoph und Politikwissenschaftler skizziert, wie afrikanische und westliche Experten miteinander in einen Dialog treten und ihre Erfahrungen austauschen. Ein Meinungsbeitrag zum Vorwurf des Neokolonialismus.

Tierärzte der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO) untersuchen Rinder in Ruanda auf Krankheiten. (© FAO/17593/G. Diana)

Die technologische Überlegenheit des Westens macht sich in allen Regionen der Welt bemerkbar. Auch in der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik lässt sich das westliche Übergewicht - und das besonders in Afrika - spüren. Um den Vorwurf einer wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Einflussnahme auf die Länder Afrikas abzuschwächen, haben die Industriestaaten in den vergangenen Jahrzehnten Netzwerke aufgebaut, in denen afrikanische und westliche Experten in einen Dialog treten und ihre Erfahrungen austauschen können.

Allgemein umfasst der Kulturbegriff alle von den Menschen hervorgebrachten materiellen und geistigen Werte, die für die weitere Entwicklung der Wirtschaft, der Technik, der Wissenschaft und der Kunst sowie für eine individuelle Selbstentfaltung in der Gesellschaft bestimmend sind. Afrika weist verschiedene Kulturen auf, die auch in der präkolonialen Zeit für die Sicherung des Überlebens seiner Völker entscheidend waren. Seit dem Eindringen der Europäer veränderten sich die afrikanischen Gesellschaften und Kulturen grundlegend. Insbesondere die mit der Kolonialisierung einhergehende Politik der Alphabetisierung führte zur Übernahme westlicher Werte und Denkweisen. Den Völkern Afrikas wurde dabei der Glaube vermittelt, dass ihre Sprachen und mündlichen Traditionen für die Unterentwicklung und kulturelle Rückständigkeit ihres Kontinents verantwortlich seien.

Diese negative Tendenz des Kolonialismus ging mit einer zunehmenden Deformation und bedauernswerten Degradierung der traditionellen Kulturwerte einher. Der antikoloniale Kampf, der im Panafrikanismus einsetzte und sich später in der Négritude , Ethnophilosophie und im Consciencismus von Kwame Nkrumah radikalisierte, war zwar um die Erhaltung und Bewahrung der ethischen und metaphysischen Werte der Tradition sowie um die Herausbildung einer neuen Kultur mit westlichen und afrikanischen Elementen bemüht. Aufgrund der neokolonialen Ideologie des Westens blieb das Streben nach kultureller, politischer und wirtschaftlicher Emanzipation in Afrika dennoch ein bloßes theoretisches Postulat ohne praktische Wirkung. Der Neokolonialismus äußerte sich besonders in der Politik Großbritanniens und Frankreichs. Beide Staaten entließen ihre ehemaligen Kolonien ab den 1960er Jahren zwar formal in die politische Unabhängigkeit, behielten dennoch ihre Ideologie einer kulturellen Assimilation oder Bindung bei und beuteten die Länder auch weiterhin systematisch aus.

Heute spiegelt sich die Ausrichtung afrikanischer Eliten an westliche Lebensmodelle insbesondere im Wirtschafts- und Bildungsbereich wider. Die geerbten kolonialen Bildungseinrichtungen und Wirtschaftsstrukturen stellen nach wie vor ein großes Hindernis für eine eigenständige kulturelle Entwicklung in Afrika dar. Es gibt kaum einen kulturellen Bereich, - vom Verlagswesen über die Musik, das Theater und das Kino bis hin zu den Medien und den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien -, bei dem sich westliche Einflüsse nicht bemerkbar machen. Ein Vorwurf lässt sich jedoch nicht allein gegen die Industriestaaten mit ihrer auf Dominanz ausgerichteten auswärtigen Kulturpolitik erheben. Die wissenschaftlichen und politischen Eliten Afrikas sind vorrangig selbst für die kulturelle Abhängigkeit ihrer Länder verantwortlich, zumal sie nicht nur alle kulturellen Modelle der Industriestaaten schamlos kopieren, sondern sich ständig von europäisch-westlichen Ideen und Theorien inspirieren oder beeinflussen lassen.

Es gibt jedoch durchaus eine intellektuelle Debatte um die Erhaltung afrikanischer Werte und innerhalb der Eliten steht nicht jeder der westlichen Dominanz gleichgültig gegenüber. Die so genannten Optimisten sehen keine andere Alternative für die Entwicklung Afrikas, als sich in das westliche System durch Aneignung von dessen Werten einzubinden. Die Optimisten sind daher ebenso dem Neokolonialismus wie der Globalisierung passiv unterworfen.

Kann Afrika sich eigenständig entwickeln - ohne Hilfe westlicher Ideologien? (© FAO/18296/P. Cenini)

Die Pessimisten kritisieren dagegen den Kolonialismus und Neokolonialismus in allen seinen Formen und lehnen eine Anpassung an das westliche Wertesystem kompromisslos und entschieden ab. Sie misstrauen zunächst einmal den meisten kulturellen Ideen und Modellen aus Europa. Die Pessimisten sind der Überzeugung, dass die Europäer den afrikanischen Kontinent bewusst in die kulturelle, politische und ökonomische Krise getrieben haben, um seine Eliten geistig und finanziell von sich abhängig zu machen und um sie dauerhaft manipulieren zu können. Den Neokolonialismus bezeichnen die Pessimisten als eine reine expansionistische, auf Profitgier, Selbstsucht und skrupelloser Ausbeutung beruhende Ideologie, die nur die Sicherung des Wohlstands der reichen Industrieländer auf Kosten der schwachen Staaten zum Ziel hat. Eine eigenständige Entwicklung Afrikas ist aus Sicht der Pessimisten nur durch eine Distanzierung von westlichen Ideologien bei einer gleichzeitigen Rückbesinnung auf traditionelle afrikanische Werte möglich.

Welche Denkmodelle können ökonomischen Fortschritt positiv fördern? Arbeiter einer Hammerschmiede in Sambia wird in Betriebswirtschaft angelernt. (© FAO/17868/A. Conti)

Eine dritte Kategorie von Eliten bilden die Neutralisten, auch Neooptimisten genannt, die sich weder gegen die Assoziation mit dem Westen noch für die Dissoziation Afrikas von ihm aussprechen. Entscheidend für Afrika ist aus der Sicht der Neutralisten nicht die Frage nach der Herkunft eines Denkmodells, sondern vielmehr ob sich dieses Modell eignet, den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt der Länder Afrikas positiv zu fördern. Die Neutralisten warnen deshalb vor politischen Kompromissen und dogmatischen Positionierungen in Afrika, die zu unnötigen Stagnationen oder Zeitverlusten führen können.

Die atemberaubend rapiden Veränderungen in der Welt bringen nicht nur die Grundeinstellungen der westlichen Völker ins Wanken, sondern stellen die Afrikaner vor die Aufgabe, eigene Kulturmärkte in der Kunst, der Musik, des Theaters, des Kinos, der Medien etc. zu entwickeln, mit denen sie sich in der Welt und damit im interkulturellen Dialog präsent machen können. Von der Entstehung einer derart von wirtschaftlichen Kriterien geprägten Kultur wird die Fähigkeit Afrikas abhängen, auf gleicher Augenhöhe mit den Völkern des Westens zu stehen. Das Selbstbild Afrikas und seine positive Wahrnehmung in den Industrieländern wird aber die Gestaltung der internationalen Beziehungen auch in Zukunft entscheidend mitbestimmen.

Weitere Positionen im Dossier Interner Link: Postkolonialismus

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Philosophie der Négritude plädiert für eine Rückbesinnung auf die kulturellen und gesellschaftlichen Werte der in Afrika und in der Diaspora lebenden Afrikaner in Abgrenzung zur europäischen Kultur. Sie wurde von dem afrokaribischen Schriftsteller und Politiker Aimé Césaire (*1913) sowie von dem senegalesischen Präsidenten und Dichter Léopold Sédar Senghor (1906-2001) und dem guayanischen Schriftsteller Léon-Gontran Damas (1912-1978) in den 1930er Jahren entwickelt und als kulturelle Selbstbehauptung gegenüber den Kolonialmächten, vor allem Frankreichs, verstanden. (A. Fiehn)

  2. Die Ethnophilosophie geht auf das Werk 'Bantu-Philosophie' (1949) des belgischen Missionars Placide Tempels zurück, welcher die Sprachen, Sprichwörter, Mythen und Brauchtümer afrikanischer Völker auf traditionelle Weltanschauungen hin untersuchte. Afrikanische Philosophen setzten hier an in ihrem Bestreben, aus afrikanischen Denk- und Handlungsmustern eine gemeinschaftliche 'afrikanische' Philosophie des jeweiligen Volkes herzuleiten. (A. Fiehn)

  3. Der ghanaische Staatspräsident Ghanas Kwame Nkrumah (1957-1966) schuf mit dem Consciencismus eine politische Philosophie der Dekolonisierung Afrikas, die das Bewusstsein einer neuen kulturellen Identität in ihren Mittelpunkt rückte. Er befürwortete darin ein auf die afrikanischen Gegebenheiten angepasstes sozialistisches Gesellschaftssystem als Kontinuität zum 'Kommunalismus' des traditionellen, vorkolonialen Afrikas und war gleichzeitig ein Verfechter des Panafrikanismus ("Afrika must unite"). (A. Fiehn)

PD Dr. Dr. Jacob Emmanuel Mabe promovierte 1992 in Politikwissenschaft in Augsburg und 1995 in Philosophie in München. Er lehrte in Frankfurt am Main, Aachen sowie in Berlin. Seit seiner Habilitation 2004 ist er Privatdozent für interkulturelle Philosophie an der technischen Universität Berlin. Veröffentlichungen: u.a. Hrsg.: "Das Afrika-Lexikon".