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Hurrikan Mitch in Honduras | Lateinamerika | bpb.de

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Hurrikan Mitch in Honduras

Gudrun Moßbrucker Harald Moßbrucker Gudrun und Harald Moßbrucker

/ 7 Minuten zu lesen

Hurrikan Mitch hat 1998 in Honduras tiefe Spuren hinterlassen. Es starben mehr als 5.600 Menschen, über 8.000 gelten immer noch als vermisst, 12.000 wurden verletzt. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Umweltkatastrophe sind bis heute zu spüren.

Soldaten helfen im September 2000 beim Aufräumen in Tegucigalpa, nachdem Tropensturm Keith die Notunterkünfte der Bewohner, die nach dem verheerenden Hurrikan Mitch 1998 errichtet wurden, zerstört hat. (© AP)

Ende Oktober 1998 traf der Hurrikan Mitch, der als einer der schwersten Wirbelstürme der letzten 200 Jahre gilt, mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 280 Stundenkilometern und schweren Regenwolken Honduras und seine Nachbarländer Nicaragua, El Salvador, Belize und Guatemala. Honduras' schwierige wirtschaftliche und soziale Situation wurde einer extremen Belastung ausgesetzt, die bis heute nicht vollkommen überwunden ist. Es starben mindestens 5.657 Menschen, 8.058 gelten immer noch als vermisst, 12.272 wurden verletzt. Fast anderthalb Millionen der 6,2 Millionen Honduraner waren direkt von der Katastrophe betroffen und Zehntausende wurden obdachlos.

Trotz der enormen Hilfsleistungen, die bald von vielen Seiten in die Region flossen, sind die Nachwirkungen des Hurrikans noch immer zu spüren; der wirtschaftliche Schaden wird auf 3,8 Milliarden US-Dollar geschätzt. Allerdings zeigen die ökonomischen Daten der jüngsten Jahre, dass Honduras und seine Wirtschaft dabei sind, sich von den Folgen des Wirbelsturms zu erholen. Besonders die beiden wichtigsten Exportgüter des Landes, Kaffee und Bananen, deren Anbauflächen im Laufe der durch Mitch verursachten Überschwemmungen zu 70 Prozent zerstört worden waren, werden heute wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Katastrophe produziert. Ohne die internationalen Hilfsgelder wäre es Honduras erheblich schwerer gefallen, die Auswirkungen des Sturms auszugleichen und das Land wieder aufzubauen.

Von der Außenwelt abgeschnitten

Die Menschen auf den vor Honduras gelegenen Inseln Roatán, Utila und Guanaja warten am Montag, den 26. Oktober 1998 auf den Mitch getauften Hurrikan, der in die höchstmögliche Kategorie Fünf eingestuft wird. 1974 hatte Hurrikan Fifi große Zerstörungen und 8.000 Tote mit sich gebracht – bei einer Wind-Kategorie von zwei. Die idyllischen Karibik-Inseln mit ihrer ganz speziellen Bevölkerungsmischung aus schwarzen Garífunas mit ihrer eigenen Sprache, schwarzen Engländern, die altertümliches Englisch sprechen und spanischsprachigen Festland-Hondureños sind ein beliebtes Touristenziel.

Der angekündigte Sturm weist nicht nur sehr starke Winde mit Windextremen von 320 Stundenkilometern auf, er bringt nicht nur große Regenmengen mit sich, sondern er dreht sich mehr als drei Tage lang stationär zwischen der Nordküste des honduranischen Festlands bei Trujillo und der Insel Guanaja. Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte, und auf Guanaja werden große Teile der Korallenriffe, der Mangroven und der Kiefernwälder, die meisten Hafenanlagen, Schiffe, Landstege und Häuser zerstört, es bestehen keine Telefonverbindungen mehr, nur gelegentlich gelangen per Funk Nachrichten über die Lage von dort an die Außenwelt. Roatán, Utila und Trujillo auf dem Festland leiden ebenfalls unter dem Sturm, kommen aber einigermaßen glimpflich davon, da sie nicht direkt auf seinem Weg liegen.

Von den Inseln aus bewegt sich der Wirbelsturm nicht wie vorhergesagt nördlich Richtung Mexiko weiter, sondern er dreht südwestlich auf die honduranische Küste. Die Menschen flüchten sich auf die Dächer der Häuser, die noch aus dem Wasser herausragen. Durch den Regen ist es kalt, und viele haben nichts zu essen und können nicht fliehen. In San Pedro Sula, der zweitgrößten Stadt und dem industriellen Zentrum des Landes, 60 Kilometer landeinwärts von der Karibikküste gelegen, bereiten sich die Bewohner auf die baldige Ankunft des Sturms vor, aber eigentlich rechnet man hier, im Inland, nicht mit größeren Schäden. Die Geschäfte werden geschlossen, Rollläden heruntergelassen, Schaufenster vernagelt, Hamsterkäufe für hurrikantaugliche Waren – Wasserflaschen, Kerzen, Batterien, Taschenlampen, Benzin, Kerosin, haltbare Lebensmittel - nehmen zu. Es regnet pausenlos. Immer mehr Brücken werden von den angeschwollenen Flüssen weggerissen, die Straßen sind unpassierbar für Rettungskräfte und Flüchtende.

In der Hauptstadt Tegucigalpa, im Bergland und weit im Inland gelegen, bereiten sich Regierungsstellen, Zivilschutz und internationale Hilfsorganisationen darauf vor, Hilfe an die Küste und auf die Inseln zu schicken. Viele der Helfer kommen nicht weit, da entscheidende Brücken an der Hauptstraße zur Küste schon weggerissen worden sind. Niemand ahnt, dass der Hurrikan abdrehen und sehr lange über dem Festland bleiben wird. Zwar schwächt sich Mitch über dem Festland zum tropischen Sturm ab, führt aber immer noch gewaltige Wassermengen mit sich, die er in den folgenden fünf Tagen abregnet. Täglich gehen etwa 600 Millimeter Regen nieder (1 Millimeter entspricht einem Liter Wasser auf einem Quadratmeter), die Bäche und Flüsse schwellen immer mehr an, bis so viel Wasser die Hänge hinab kommt, dass gigantische Bäume, ganze Häuser, Felsbrocken, Hänge, Brücken und Straßen, Autos und Menschen mitgerissen werden. Viele Familien warten bis zum letzten Moment, in der Hoffnung, dass der Fluss das Haus stehen lassen würde. Andere fliehen zu Verwandten, die höher am Hang, weg vom Wasser, wohnen, um dort schließlich doch von den Wassermassen eingeholt zu werden. An vielen Stellen wird die Landschaft dauerhaft verändert.

Die Lage spitzt sich zu

Die Region besteht zum großen Teil aus steilen, bewaldeten oder aber erodierten Bergen. In der Trockenzeit Anfang 1998 war sie von einer Hitzewelle heimgesucht worden, in deren Folge überall Waldbrände loderten - oft durch Brandstiftung - die Teile der schon vorher immer spärlicher werdenden Wälder zerstörten. Bald kommen keine Lebensmittel-, Gas- und Benzinlieferungen mehr durch, und die Menschen beginnen, Vorräte zu hamstern. In der Nacht vom 29. zum 30. Oktober werden um Tegucigalpa die ersten Brücken weggeschwemmt, Straßen und Häuser beschädigt, und die Regierung fordert die arbeitende Bevölkerung auf, bis 12 Uhr Mittags die Arbeitsplätze zu verlassen, um ihre Familien und Besitztümer in Sicherheit zu bringen. Schon am Vormittag sind dann die meisten Straßenverbindungen nicht mehr befahrbar, fast alle Brücken weggerissen, die elektrische- und die Wasserversorgung brechen zusammen. Ein am Hang gebauter Stadtteil gleitet in die Fluten, weil die voll gesogene Erde nicht mehr hält und ins Rutschen kommt. Die Straßen im Zentrum sind voller Wasser und Schlamm, überall liegen Mauerteile, Bäume und Autos wild durcheinander. Kleine Bäche werden zu reißenden Strömen, keine Brücke steht mehr.

Der Río Choluteca, der die Hauptstadt in die Zwillingsstädte Tegucigalpa und Comayaguela teilt, reißt eine breite Schneise; wo vorher mehrstöckige Büro- und Warenhäuser lagen, tobt jetzt der Fluss. Als verspätet eine Talsperre geöffnet werden muss, rast zusätzlich eine zerstörerische Flutwelle durch die Stadt. Tegucigalpas Bürgermeister Cesar Castellanos, kommt bei einem Helikopter-Absturz ums Leben, während er Schäden inspiziert. Die Nachricht vom Tod des beliebten Hoffnungsträgers, der als kommender Präsidentschaftskandidat gilt, entsetzt viele Menschen zutiefst. Erste Fernsehbilder aus Guanaja zeigen, dass auf der Insel kaum etwas stehen geblieben ist. Auch die Region bis zur Pazifikküste am Golfo de Fonseca wird schrecklich in Mitleidenschaft gezogen.

Nach einigen Tagen laufen internationale Hilfsmaßnahmen an, die USA, Europa, Japan, etliche Nachbarländer und Hilfsorganisationen sagen ihre finanzielle Unterstützung zu. Um Plünderungen und Gewalttätigkeiten zu unterbinden, wird eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Alle hoffen, dass der Regen nicht mehr zunimmt. Unter der jetzt wieder ab und zu scheinenden Sonne beginnen die Menschen langsam mit dem Wiederaufbau: Wasser und Lebensmittel werden organisiert, zerstörte Wassersysteme provisorisch repariert, der Schlamm wird weggeschaufelt und das Leben in behelfsmäßigen Hütten, Zelten oder Lagern irgendwie organisiert; Bagger legen Rohre und schieben befahrbare Furten durch die immer noch hohen Flüsse, die Toten werden begraben oder verbrannt, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. In vielen Regionen ist die Ernte zerstört, Hungersnöte werden befürchtet, manche Gegenden sind wochenlang ohne jeden Kontakt zur Außenwelt.

Das Ausmaß der Katastrophe

Viele der Betroffenen gehören zu den rund 50 Prozent der Bevölkerung, die am Rande oder unter der Armutsgrenze leben. Plantagenarbeiter, illegale Siedler und Bewohner von Armenvierteln, die in Häusern aus Holz, Blech und Karton an den Berghängen und Flussufern leben, werden von den Wassermassen und Bergrutschen mitgerissen und verlieren oft ihre ganze Habe, Kleidung, Decken, Vorräte. Den staatlichen Behörden mangelt es an Evakuierungsplänen und Transportmitteln, um die Menschen in Sicherheit zu bringen. Produktionsausfälle verursachen 1,8 Milliarden US-Dollar Verluste, Bananenplantagen im Wert von 850 Millionen US-Dollar, 80.000 Tonnen Kaffee, 70 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge, 60 Prozent des Straßennetzes, der Strom- und Telefonanlagen, 189 Brücken und etwa 1.750 Wassersysteme werden zerstört.

Jahrelanger Raubbau an der Natur verstärkt die Katastrophe: Wälder werden in Honduras an vielen Orten abgeholzt, um Platz für Plantagen und Rinderhaciendas zu schaffen, Brandstiftung ist ein weit verbreitetes Phänomen. Ein großer Teil der Bergrutsche und Schlammlawinen hätte durch Aufforstung und Brandschutz vermieden werden können; die Böden sind so geschädigt, dass sie die Regenmassen nicht halten können.

Hurrikan Mitch hat in Honduras tiefe Spuren hinterlassen. Einerseits sind nach einigen Jahren viele Straßenverbindungen besser ausgebaut als vorher, die Bevölkerung großer Gebiete hat neue Häuser, Trink- und Abwassersysteme, neue Schulgebäude, Straßen, Märkte. Die Wirtschaft hat sich gut erholt und steht heute in mancher Hinsicht besser da als vor der Katastrophe. Aber die von der Regierung angekündigte Wende zum Positiven ist ausgeblieben.

Viele schwer geschädigte Familien und Personen haben sich bis heute nicht wirklich erholt, und allenthalben herrscht die Auffassung, dass es heute eher schlimmer ist als vor dem Hurrikan. In sozialer Hinsicht hat Mitch – abgesehen von einer temporären Solidaritätswelle in der Bevölkerung – wenig Positives hervorgerufen. Die Abholzung und das Abbrennen der Wälder gehen weiter wie zuvor, Aufforstungsmaßnahmen werden viel zu wenig durchgeführt. In Bezug auf Transparenz, gute Regierung, Korruptionsbekämpfung, Dezentralisierung und ökologische und soziale Probleme hat es kaum eine Besserung gegeben. Die rechtzeitigen Evakuierungsmaßnahmen vor der Ankunft von Hurrikan Felix im September 2007 waren allerdings ein gutes Zeichen, da es trotz großflächiger Überschwemmungen und Sachschäden an der Küste und im Inland relativ wenige Tote gab. Honduras Weg zu einer gerechteren Gesellschaft wird noch lang sein, und es bleibt zu hoffen, dass die Antwort auf die nächsten Katastrophen überzeugender ausfallen wird als bei Mitch.

Weitere Inhalte

Dr. Gudrun Moßbrucker, Jahrgang 1960, Studium der Altamerikanistik und Ethnologie in Bonn und Berlin, Doktorarbeit (1998) über Geschichte und Kulturwandel der Maya in Kantunil Kin, Quintana Roo. Sie arbeitete von 1996 bis Ende 1998 in Honduras und organisierte private Hilfsmaßnahmen für Opfer des Hurrikans Mitch. Sie lebt heute in Peru.

Dr. Harald Moßbrucker, Jahrgang 1957, Studium der Altamerikanistik und Philosophie in Berlin, Doktorarbeit über Dorfstruktur und rural-urbane Migration in Peru (1990). Lehrtätigkeiten in Berlin und Freiburg zwischen 1986 und 1994. Seit 1994 freier Berater für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen ländliche Entwicklung, Umweltschutz und Katastrophenvorsorge. Er lebt in Peru.