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Zwischen Machismo, Krieg und Quote | Lateinamerika | bpb.de

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Zwischen Machismo, Krieg und Quote Zur Situation der Frauen in Kolumbien

Eva Karnofsky

/ 6 Minuten zu lesen

Mangelnde Bildung, fehlende Anerkennung, aber auch sexueller Missbrauch treiben viele Kolumbianerinnen in den gewalttätigen Protest. Sie kämpfen als Guerilla-Mitglieder für mehr Rechte in einer männerdominierten Gesellschaft – ohne Aussicht auf Erfolg.

Soldaten der linksgerichteten Guerilla FARC bei einer Truppenparade in San Vincente del Caguan. (FARC = Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens / Volksarmee) (© AP)

Ein abgelegenes Dorf irgendwo in Kolumbien. Ein Rebellentrupp hält Einzug, an der Spitze eine junge Frau. Wie die Männer, trägt sie einen olivgrünen Kampfanzug und Gummistiefel, das Gewehr hängt locker über der Schulter. Die Kämpfer ihrer Einheit gehorchen ihr, und sämtliche Dorfbewohner zollen ihr Respekt. Als die Truppe den Weiler nach ein paar Tagen wieder verlässt, zieht die siebzehnjährige Sandra mit. Für sie ist die Guerilla die einzige Chance, der Macht der Männer zu entkommen, nicht länger nur deren Objekt zu sein. Zuhause befiehlt der Vater, später dann der Ehemann, den die Familie bereits für sie ausgesucht hat. Sandras Lebensweg stand seit ihrer Geburt fest: Wie alle Mädchen im Dorf wird sie viele Kinder bekommen, den Haushalt führen und auf dem Feld arbeiten.

Nicht einmal jede dritte Frau auf dem Lande geht einer Erwerbstätigkeit nach, nicht nur, weil Väter und Ehemänner dies nicht wollen. In abgelegenen Gegenden gibt es keine Arbeit, und oft fehlt es den Frauen auch an der nötigen Bildung. Einzig Uniform und Gewehr verleihen ihnen die Macht, sich künftig ebenfalls Respekt zu verschaffen. Knapp ein Drittel der rund 17.000 kolumbianischen Rebellen sind Frauen, in ihrer Mehrzahl stammen sie aus armen Bauernfamilien. In der Guerilla lassen sie nicht nur den Machismo ihrer Dörfer ein Stück weit hinter sich, sie lernen auch lesen und schreiben und erhalten einen bescheidenen Sold. Und sie leben in der Hoffnung, mit der Waffe in der Hand etwas verändern zu können an den ungerechten Strukturen ihres Landes. Zumindest trichtern ihre – in der Mehrzahl männlichen - Chefs ihnen das ein. In Wahrheit erweisen sie jedoch ihren Geschlechtsgenossinnen einen Bärendienst. An die physischen Strapazen der endlosen Märsche durch die Berge sind Bauernmädchen wie Sandra gewöhnt, und auch die Gewalt, für die sie sich entschieden haben, als sie die Uniform überstreiften, ist ihnen meist nicht fremd. "60 Prozent der kolumbianischen Guerilleros wurden in ihrer Kindheit misshandelt", so die Erfahrung der Psychiaterin Isabel Cuadros, die für eine Nichtregierungsorganisation jugendliche Opfer familiärer Gewalt therapiert. Es trifft vorrangig Mädchen: Von den knapp 12.000 angezeigten Fällen von Kindesmisshandlung im Jahr 2001 wurden knapp Zweidrittel an Mädchen begangen. Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. Meist legen Väter, Stiefväter oder ältere Brüder Hand an, und die Mütter wehren sich nicht, weil sie akzeptiert haben, dass Frauen und Kinder für den Mann nur Objekte sind. Viele haben auch Angst, der schlagende Ernährer könnte sie verlassen oder ins Gefängnis kommen. Mit sexueller Gewalt verhält es sich nicht anders, nur jede 20. Tat wird angezeigt. Nach Hochrechnungen der kolumbianischen Wohlfahrtsbehörde werden jährlich 250.000 Menschen Opfer eines Sexualverbrechens, 85 Prozent sind weiblich, 71 Prozent nicht einmal 15 Jahre alt. So manches Bauernmädchen mögen die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) oder das Nationale Befreiungsheer (ELN) über die Jahre vor einem machistischen oder gewalttätigen Vater oder Ehemann bewahrt haben, doch der seit 1964 schwelende Guerillakrieg hat dazu beigetragen, die Situation vieler Frauen in der kolumbianischen Gesellschaft zu verschlechtern, weil er dafür sorgt, dass sich die Schraube der Gewalt immer weiter dreht. Die angesehene kolumbianische Juristenkommission hat herausgefunden, dass sämtliche am Bürgerkrieg beteiligten Parteien - ganz gleich, ob linke Guerillaorganisationen, ultrarechte paramilitärische Gruppen, die die Rebellen bekämpfen, oder reguläre Streitkräfte - sexuelle Gewalttaten an Frauen begehen. Vergewaltigungen gehören zur Strategie, die Menschen auf dem Lande einzuschüchtern. In zwei von zehn Fällen sind ungewollte Schwangerschaften die Folge.

Jeden Tag stirbt eine Frau in diesem Krieg, und viele Frauen werden von Guerilla oder Paramilitärs entführt, um sie gegen Lösegeld zur Aufbesserung der Kriegskasse freizupressen. Die ehemalige grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt ist bereits seit Februar 2002 Gefangene der FARC. Ihre Mutter Yolanda Pulecio hat, wie so viele Mütter oder Frauen der Tausenden von Entführten der vergangenen Jahre, alle Hebel für ihre Freilassung in Bewegung gesetzt, doch bislang vergebens. Die Guerilla will die Politikerin gegen inhaftierte Kampfgenossen austauschen, aber die Regierung lässt sich nicht erpressen. Der Bürgerkrieg vertreibt zudem viele Familien von ihren Parzellen und beraubt sie ihrer Lebensgrundlage. Seit 1985 verloren 3,5 Millionen Menschen ihr Land und all ihr Hab und Gut, Dreiviertel von ihnen Frauen und Kinder. Ihnen bleibt nur, in die nächste Stadt zu fliehen, wo sie nicht selten zunächst unter löchrigen Zeltplanen hausen müssen, der Hitze und dem Regen ausgesetzt, unter prekären hygienischen Bedingungen, oftmals angewiesen auf Lebensmittelspenden karitativer Organisationen.

Für durch den Krieg vertriebene Frauen ist es besonders schwer, eine Arbeit zu finden. Eine Untersuchung ergab, dass unter vertriebenen, alleinerziehenden Müttern die Arbeitslosigkeit bei gut 33 Prozent liegt. Und viele Frauen, die vor ihrer Vertreibung einer Arbeit nachgegangen sind, müssen sich nach ihrer Flucht in die Stadt mit einer minderwertigeren, schlechter bezahlten Stelle abfinden. Dabei haben es Frauen zumindest in den großen Städten leichter, eine Arbeit zu finden. Zwar verdienen sie auch dort im Schnitt 75 Prozent weniger als Männer, weil sie in untergeordneten Positionen beschäftigt sind oder Schwarzarbeit leisten, doch in den urbanen Zentren sind Frauen aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken, sie machen dort knapp 45 Prozent der Werktätigen aus. Allerdings, so eine Studie des World Economic Forum, sind sie vor allem in "typisch weiblichen" Bereichen tätig – im Erziehungswesen, in der Krankenpflege oder in der Kommunalverwaltung. Als Medizinerinnen, Ingenieurinnen oder Anwältinnen sind ihre Aufstiegschancen immer noch geringer als die ihrer männlichen Kollegen. Lediglich zwei Prozent der Großunternehmen des Landes werden von einer Frau geleitet.

Im Bankensektor allerdings, so Monica Aparicio, ist man bereits an weibliche Chefs gewöhnt. Sie selbst hat es im Laufe ihres Berufslebens nie als Nachteil empfunden, eine Frau zu sein. Die Mutter von drei Kindern hatte Führungspositionen bei der Zentralbank inne und stand für einige Jahre an der Spitze einer spanisch-kolumbianischen Bank mit 8.000 Mitarbeitern, um dann eine Führungsposition ihres Konsortiums im Ausland zu übernehmen. Auch der kolumbianischen Bankenvereinigung steht eine Frau vor, und Bankfilialleiterinnen sind selbst in der Provinz längst nicht mehr ungewöhnlich, auch wenn im Bankgewerbe mehr Männer als Frauen beschäftigt sind. Getreu den Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen bemüht sich nun auch die Politik verstärkt um Geschlechtergleichstellung in der Gesellschaft. Zwar gelang einzelnen Frauen auch schon zuvor der Aufstieg in hohe Ämter, wie etwa der ehemaligen Außenministerin María Emma Mejía, doch sie blieben die Ausnahme, bis 2002 per Gesetz eine Quote von 30 Prozent für Frauen in öffentlichen Führungspositionen festgeschrieben wurde. Heute sind zumindest vier von 13 Ministern weiblich, und dem Repräsentantenhaus steht eine Frau vor, auch wenn immer noch lediglich knapp 12 Prozent der Abgeordneten Frauen sind. Eine direkt dem Präsidenten unterstellte Frauenbeauftragte soll dazu beitragen, Hindernisse der Geschlechtergleichstellung aus dem Weg zu räumen, etwa in den Medien dafür werben, Kandidatinnen für ein öffentliches Amt ebenso viel Platz in der Berichterstattung einzuräumen wie den männlichen Mitbewerbern. Auch deutsche Institutionen wie die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützen die Frauenbeauftragte, zum Beispiel mit Workshops für Kandidatinnen für Bürgermeister- und Stadtverordnetenposten, vor allem in abgelegenen Regionen. Dort gilt es nicht nur, die Bewerberinnen für ihre künftigen Ämter fit zu machen: Vor allem müssen Männer, für die Frauen bislang nur Objekte waren, davon überzeugt werden, dass diese durchaus in der Lage sind, den Posten einer Bürgermeisterin auszufüllen. Irgendwann werden die Männer dann vielleicht auch begreifen, dass ihre Töchter ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben.

Links:

Eva Karnofsky: Familiäre Gewalt und Kindesmissbrauch in Kolumbien, in: Brennpunkt Lateinamerika v. 28.02.2005. Externer Link: (PDF)

Laura Rangel Fonseca: Unter der Lupe. Der Gleichstellungsplan von Bogotá, Externer Link: in: ILA-Info 297

Externer Link: Dominique Schärer: Weibliche Körper als Kriegsterritorium, in: Amnestie! November 2004, herausgegeben von der Schweizer Sektion von Amnesty International.

Spanischer Link mit ausführlichem Zahlenmaterial:

Externer Link: Situación de las mujeres en Colombia. Informe de UNIFEM de septiembre 2005.

Literatur - Romane zum Thema Frauen und Gewalt in Kolumbien:

Raul Zelik: La Negra. Hamburg 1999.

Jorge Franco: Die Scherenfrau. Zürich 2004.

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Eva Karnofsky, 1955 in Wesel geboren, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie leitete u.a. die Lateinamerikaprogramme der Deutschen Welle und lebte zehn Jahre als Lateinamerika-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Buenos Aires. Seit 2003 arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin in Bad Honnef.