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Drogenhandel in Mexiko

Karl-Dieter Hoffmann

/ 8 Minuten zu lesen

Seit wenigen Jahren ist Mexiko der Hauptlieferant von illegalen Drogen in die USA. Der Machtkampf um diese Position hat viele Menschen das Leben gekostet. Denn es geht um einen Milliardenmarkt.

Angehörige der mexikanischen Marine bereiten in Mazatlan 3,5 Tonnen Kokain zur Verbrennung vor. (© AP)

Der Handel mit illegalen Suchtstoffen und kriminelle Gewalt sind untrennbar miteinander verbunden. In keinem anderen Land der Welt haben die im Zusammenhang mit dem Drogengeschäft stehenden Gewalthandlungen in der jüngsten Vergangenheit so stark zugenommen wie in Mexiko. Die meisten Todesopfer resultieren aus der Konfrontation der Händlerbanden mit den staatlichen Sicherheitskräften einerseits und den blutigen Fehden zwischen verschiedenen Drogenhandelssyndikaten andererseits. Mit mehr als 2.000 Todesfällen markiert das Jahr 2006 den bisherigen Höhepunkt der drogenhandelsbedingten Gewaltspirale.

Nur ein geringer Teil der von mexikanischen Drogenhändlern vertriebenen Suchtstoffe ist für einheimische Verbraucher bestimmt, während der größere Teil über die Grenze in die USA geschleust wird. Der Schmuggel verbotener Rauschmittel aus Mexiko in die Vereinigten Staaten ist an sich kein neues Phänomen. Relativ jüngeren Datums ist hingegen die führende Position des südlichen Nachbarlandes bei der Versorgung des weltweit wichtigsten Absatzmarktes für illegale Drogen.

So stammte der Großteil des in den USA angebotenen Marihuana lange Zeit aus mexikanischer Produktion. Weniger bedeutend waren Heroinlieferungen aus Mexiko, die nach der 1972 erfolgten Zerschlagung der so genannten French Connection (Türkei – Marseille) allerdings schnell anstiegen und 1975 nahezu 80 Prozent des Konsums in den USA deckten. Die Verdrängung des mexikanischen Angebots durch qualitativ höherwertiges Heroin aus Asien in Kombination mit auf Druck Washingtons durchgeführten Gegenmaßnahmen (Zerstörung von Opiumfeldern) ließen den Anteil Mexikos am US-Heroinmarkt in der Folgezeit deutlich schrumpfen. Mittlerweile konnten die lateinamerikanischen Anbieter den Qualitätsvorsprung des asiatischen Heroins wettmachen, sodass Mexiko heute zusammen mit Kolumbien den größten Teil der US-Nachfrage befriedigt. Hingegen spielt Marihuana aus Mexiko jenseits der Nordgrenze nur noch eine geringe Rolle, vor allem weil dort selbst inzwischen hochpotente Varianten von Pot erzeugt werden.

Eine Muster-Karriere: Aufstieg zum Drogen-Transit-Land Nr. 1

Im Zentrum des Drogenhandels in Mexiko steht allerdings mit Kokain eine Substanz, die dort selbst gar nicht produziert wird. Der Suchtstoff wird in einem mehrstufigen Produktionsverfahren aus den Blättern des in den Andenländern Peru, Bolivien und Kolumbien gedeihenden Kokastrauchs gewonnen. Kokain und dessen Derivat Crack sind seit Beginn der 1980er-Jahre die meistverkauften "harten" Drogen in den USA; laut regierungsamtlichen Schätzungen beträgt die Zahl der regelmäßigen und gelegentlichen Konsumenten 6,4 Millionen (2005). Das Endprodukt Kokain stammt weit überwiegend aus Kolumbien, wo seit Ende der 1990er-Jahre auch mehr Koka angebaut wird als in den beiden anderen Herkunftsländern des Drogenrohstoffs. Die große Distanz zwischen den Produktionsstätten und dem dominierenden Absatzmarkt bringt es mit sich, dass weitere Länder in die illegalen Vertriebsnetze eingebunden sind. In den ersten Jahren des Kokainbooms nutzten die kolumbianischen Drogenhändler vor allem Routen und Zwischenstationen in der Karibik, um ihre Ware – zumeist via Florida – in die USA zu befördern. Als die Drogenpolizei DEA, die Zollbehörde sowie die Küstenwache ihre Kontrollmaßnahmen in dieser Region massiv verstärkten und die Beschlagnahmungszahlen stiegen, veranlasste dies die Kokainbarone aus Medellín und Cali, sich nach alternativen Transportwegen umzusehen.

Die rund 3.200-Kilometer-lange Grenze zwischen Mexiko und den USA bot günstige Voraussetzungen für den Schmuggel. Weil die Grenze über große Strecken nur unzureichend bzw. allein durch natürliche Barrieren (Flüsse, Wüsten) gesichert war und zwischen den beiden Ländern ein enormes Wohlstandsgefälle besteht, haben illegale Transaktionen verschiedenster Art im Grenzgebiet eine lange Tradition. In der Prohibitionszeit fanden mexikanische Alkoholika nördlich des Rio Grande reißenden Absatz. Seit den 1950er-Jahren wurden Zehntausende in den USA gestohlene Autos über die Grenze gebracht. Wenig später begann die illegale Arbeitsmigration Richtung Norden rasant anzusteigen. In den 1970er- und 1980er-Jahren bereicherten gefälschte Markentextilien aus Mexiko und Elektrogeräte aus den USA die Palette der illegal gehandelten Güter. Als sich Mexiko im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Reformprogramms gegenüber dem Weltmarkt öffnete und 1986 dem GATT beitrat, verloren zahlreiche Schmuggler ihre Einnahmequelle. Viele von ihnen fanden bald ein neues Betätigungsfeld, weil sich just zur gleichen Zeit die kolumbianischen Drogensyndikate anschickten, einen wachsenden Teil des für den US-Markt bestimmten Kokains über Mexiko zu spedieren.

Nicht nur weil sie die bestehende kriminelle Infrastruktur sowie die Erfahrung und Ortskundigkeit der mexikanischen Schmuggler für ihre Zwecke nutzen konnten, vermochten die kolumbianischen Syndikate ihr Geschäftsrisiko spürbar zu vermindern, sondern auch weil man den neuen Partnern damit gleichzeitig den relativ gefährlichsten Abschnitt in der illegalen Handelskette übertrug, in dem der Transfer der Drogen über die US-Grenze zu bewerkstelligen ist. Gemäß der Logik der Prohibitionspolitik ist das gefährlichste Glied in der Handelskette aber auch das lukrativste. Der Großhandelspreis für Kokain liegt in den USA – je nach Marktsituation – um mindestens 12.000 bis 15.000 US-Dollar höher als in Kolumbien. Ein beträchtlicher Teil dieser Wertsteigerung fließt in die Taschen der mexikanischen Dealer. Weil diese mit viel Geschick agierten, konnten die kolumbianischen Lieferanten die auf dem Land-, See- und Luftweg nach Mexiko transportierten Kokainmengen rasch erhöhen. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass seit Mitte der 1990er-Jahre 70 bis 85 Prozent des in den USA konsumierten Kokains die mexikanische Grenze überschreiten.

Wachsende Transitmengen bedeuteten steigende Einnahmen für die mexikanischen Banden, die dadurch aber gleichzeitig ihre Verhandlungsposition gegenüber den kolumbianischen Zulieferern beträchtlich zu stärken vermochten. Dies zeigt sich etwa daran, dass sich die mexikanischen Schmuggler ihre Dienste immer weniger mit Geld, sondern durch einen gewissen Anteil an den gelieferten Kokainmengen entgelten ließen. Ein zweiter wesentlicher Grund für die Kräfteverschiebung innerhalb der kriminellen Partnerschaft war die Neustrukturierung des kolumbianischen Kokaingeschäfts infolge der Zerschlagung der beiden großen Händlerringe von Medellín und Cali. Während sich dort damals Produktion und Handel auf eine Vielzahl von verhältnismäßig kleinen Banden verteilten, zeichnete sich beim mexikanischen Kokainschmuggel eine zunehmende Konzentration auf einige wenige Organisationen (so genannte Kartelle) ab, die jeweils ein bestimmtes Gebiet entlang der Grenze zu den USA kontrollieren.

Zweifelhafte Berühmtheit erlangten die Kartelle von Tijuana, Ciudad Juárez, Sinaloa und das im Bereich des Golfs von Mexiko aktive cártel del golfo. Die Veränderungen im kolumbianischen Drogengeschäft erleichterten es den mexikanischen Dealern, sukzessive auch in die Großhandelsebene des US-Drogenmarktes vorzudringen. Die Übernahme der Kontrolle regionaler Distributionsnetze für Kokain und Heroin durch mexikanische Kriminelle wird durch die Existenz großer mexikanischer Immigrantenkolonien in zahlreichen Großstädten der USA begünstigt, die den Dealern gute Tarnmöglichkeiten bieten.

Die Ineffizienz der Gegenmaßnahmen

Die USA haben auf den wachsenden Drogenschmuggel aus Mexiko mit einer Verstärkung der Grenzsicherung und –kontrollen reagiert, wobei sich einige der Maßnahmen auch gegen den Zustrom illegaler Arbeitsimmigranten richten. So wurde das Personal der Grenzpatrouillen seit Ende der 1980er-Jahre massiv erhöht und technisch besser ausgerüstet (u.a. Nachtsichtgeräte), einige Grenzabschnitte sind mit mehreren Meter hohen Metallwänden vollkommen abgeriegelt worden, andere werden nachts mit Scheinwerfern taghell beleuchtet, um illegale Aktivitäten zu unterbinden. Auch die mexikanische Regierung hat ihre Drogenabwehrmaßnahmen systematisch ausgeweitet. Beispielsweise wurden innerhalb der Sicherheitskräfte Sondereinheiten zur Bekämpfung des Drogenhandels gebildet.

Auf den ersten Blick sieht die mexikanische Bilanz der Drogenbekämpfung recht erfolgreich aus. Die jährlichen Statistiken enthalten imposante Zahlen über das Ausmaß zerstörter Drogenpflanzungen, die Menge der beschlagnahmten Suchtstoffe und die Verhaftung von Drogenhändlern. Dies ändert indes nichts daran, dass der Zustrom von illegalen Drogen über die mexikanische Grenze in die USA unvermindert anhält. Gouverneure grenznaher US-Bundesstaaten und viele Mitglieder des Kongresses werfen daher der mexikanischen Regierung immer wieder ein ungenügendes Engagement vor, während die Regierung in Washington nur selten offene Kritik an Mexikos Drogenpolitik äußert.

Die mexikanischen Regierungen waren ihrerseits sehr darum bemüht, ein positives Bild ihrer drogenpolitischen Anstrengungen zu vermitteln. Form, Ausrichtung und/oder Zeitpunkt einiger Programme und Initiativen dienten dem vorrangigen Zweck, bestimmte Erwartungen und Forderungen der USA zu befriedigen. Die Ergreifung oder Ausschaltung von Führungsfiguren der Drogenbanden wird in Washington noch immer als großer Erfolg gefeiert, obwohl zahlreiche frühere Beispiele zeigen, dass sich dadurch am Grundproblem nichts ändert. Politischer Druck aus Washington war auch wesentlich daran beteiligt, die Rolle des mexikanischen Militärs in der Drogenbekämpfung beträchtlich auszuweiten. Die auffällige Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten des mächtigen Nachbarn erklärt sich vor allem durch die große ökonomische Abhängigkeit des Landes von den USA, die seit Inkrafttreten des NAFTA-Vertrages (1994) nochmals deutlich angestiegen ist. Der infolge der Schaffung der Freihandelszone enorm wachsende bilaterale Handelsaustausch hat andererseits den Drogenschmugglern das Geschäft leichter gemacht. Die Zahl der täglich die Grenze passierenden Trucks und Personenkraftwagen ist derart angestiegen, dass die Sicherheitskräfte nur Stichproben durchführen können.

Korruption: Schmiermittel des Drogenhandelmotors

Kriminelle Kreativität und brutale Rücksichtslosigkeit bei der Durchsetzung ihrer Interessen sind wichtige Faktoren zur Erklärung des Erfolgs von mexikanischen Drogenbanden. Dazu gesellt sich als quasi nicht zu überschätzende Einflussgröße die Korruption, die in Mexiko eine lange Tradition besitzt, durch das Drogengeschäft aber in eine neue Dimension vorgerückt ist. Die riesigen Gewinne der Kartelle werden zum Teil dafür verwendet, die Kooperation oder Duldung staatlicher Stellen oder Funktionsträger zu erkaufen. Oft wird die Unterstützung auch durch Einschüchterung und (Todes-)Drohungen erreicht. Auf das Konto der Kartelle gehen zahlreiche Morde an Politikern, Justizbeamten und Journalisten. Jahr für Jahr werden Hunderte von Polizisten entlassen, weil sie mit Drogenhändlern gemeinsame Sache gemacht haben.

Mehrfach wurden ganze Einheiten der Sicherheitskräfte aufgelöst, weil sie in Drogendelikte verstrickt waren. Der korrumpierende Einfluss der Drogenbosse reicht bis in die obersten Ränge von Politik, Polizei und Militär. 1997 wurde der Chef der mexikanischen Drogenpolizei als Komplize des Anführers des damals mächtigsten Kartells (Juárez) entlarvt; der Bruder von Präsident Salinas hat während dessen Amtszeit (1988-1994) Dutzende Millionen US-Dollar von Drogenhändlern erhalten.

Auch wenn die Gegenmaßnahmen der Regierung konsequenter durchgeführt würden, wären sie kaum in der Lage, die angestrebte Unterbindung des Drogenhandels zu bewirken, weil sie der Logik des durch die Verbotspolitik genährten lukrativen Geschäfts widersprechen. Die Attacken auf die Kartelle entscheiden aber mit darüber, welche Gruppe zu welcher Zeit in welchem Maß am Gesamtumsatz des Drogenschmuggels beteiligt ist. Die Schwächung eines Kartells durch die Festnahme seines Anführers oder mehrerer seiner Führungspersonen setzt regelmäßig blutige Auseinandersetzungen in Gang, mit der die Konkurrenz versucht, ihr Einflussgebiet auf Kosten der rivalisierenden Organisation auszuweiten bzw. deren Geschäfte gänzlich zu übernehmen. Solche Mechanismen bilden den Hintergrund der drogenhandelsbedingten Gewalteskalation der Jahre 2005 und 2006.

Solange der Verbrauch von Kokain und Heroin jenseits der Nordgrenze nicht stark zurückgeht, werden Macht und Einfluss der organisierten Drogenkriminalität in Mexiko kaum zu brechen sein.

Weitere Inhalte

Dr. (sc. pol.) Karl-Dieter Hoffmann, Jahrgang 1950, studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, promovierte anschließend bei Prof. Dr. Franz Nuscheler. Heute ist er Geschäftsführer des Zentralinstituts für Lateinamerika-Studien der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.