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San Salvador: Stadtteilsanierung gegen Jugendgewalt

Joanna Kotowski

/ 5 Minuten zu lesen

Los Manantiales gehört zu den ärmsten Vierteln in San Salvador. Hohe Arbeitslosigkeit, frustrierende Armut. Seit vier Jahren läuft hier ein öffentliches Sanierungsprojekt. Mit erstaunlichem Erfolg.

Mesones - verfallene innerstädtische Häuser des Mittelstands. (© Joanna Kotowski)

Seit den Sechzigerjahren erlebt El Salvador eine rapide Urbanisierung. Am Anfang des 21. Jahrhunderts leben zwei Drittel der sieben Millionen Einwohner in Städten. Dabei konzentriert sich die Bevölkerung in den südlichen und südwestlichen Regionen sowie in der metropolitanen Zone um die Hauptstadt San Salvador.

Die 13 Gemeinden, die zusammen die AMSS ("Area Metropolitana de San Salvador") bilden, vereinigen 30 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mehr als ein Drittel der Bewohner dieses Großraums San Salvador lebt in informellen und halblegalen Wohnlösungen. Drei Siedlungstypen sind auf dem unkontrollierten Wohnungsmarkt vorzufinden:

  • 1.Mesones: Verfallene innerstädtische Innenhofhäuser des Mittelstandes, inzwischen in Ein-Raum-Wohnungen aufgeteilt, mit ungenügender Wasserversorgung und unzureichenden Sanitäreinrichtungen, aber oft mit Stromanbindung und einer minimalen Müllentsorgung.

  • 2.Tugurios, comunidades oder Marginalsiedlungen: improvisierte und informelle Siedlungen, entweder innerhalb der Stadt oder am Stadtrand in normalerweise nicht für Besiedlung freigegebenen Zonen (Flusseinschnitte, Brachflächen, Bahngleise). Sie zeichnen sich durch gar keine oder nur unzureichende Infrastrukturversorgung und provisorische Bauweise aus (Abfallmaterialien, Wellblech), die nach und nach verbessert wird.

  • 3.Lotificaciones / Colonias: Aufteilung und halblegaler Verkauf von ehemals landwirtschaftlich genutzten stadtnahen Flächen, die von den Siedlern in Selbsthilfe bebaut werden. Die Bauweise ist einfach aber meist etwas besser als die der Tugurios. Wer sich den Kauf eines Grundstücks leisten kann, gehört nicht zu den ganz Armen. Die Infrastruktur ist auch hier meist unzureichend.

Die informelle Siedlung Los Manantiales

Los Manantiales ist so eine typische Armen-Siedlung in der Hauptstadt San Salvador. Sie liegt unweit vom alten Stadtzentrum, dem innerstädtischen Slum, und nahe am zentralen Großmarkt und Busbahnhof. Der Stadtteil hat im Süden eine natürliche Wassergrenze, den Río Acelhuate, der ihn vom steil ansteigenden Nachbargebiet trennt. Im Norden wird er von der Durchfahrtsstraße Bulevar Venezuela begrenzt. Die ohnehin schwierige Integration in die Gesamtstadt wird damit umso mehr erschwert.

Die Bezeichnung "Los Manantiales" geht auf die vielen Quellen zurück, die sich in der Zone befinden. Die ersten Siedler kamen bereits in den Vierzigerjahren und errichteten hier ihre provisorischen Hütten. Viele von ihnen nutzten die Quellen nicht nur zur Wasserversorgung, sondern auch zur Einkommenssicherung. Es entstanden die ersten Wäschereien und Bäckereien. Nach und nach verdichtete sich das Gebiet. Vertriebene und Flüchtlinge siedelten sich hier an - aus Erdbeben- und Überschwemmungsgebieten oder aus gefährdeten Zonen, in denen bewaffnete Konflikte herrschten. Familien kamen, die nach einem besseren Auskommen in der Stadt suchten. Ihre Kinder, Verwandten oder ehemaligen Nachbarn zogen nach. Anfang 2000 hat das Gebiet keine Müllentsorgung, die Hälfte der Bewohner haben keinen Abwasseranschluss, und rund 40 Prozent leben in provisorischen Behausungen. Wegen der umliegenden Quellen ist die Trinkwasserversorgung kein zwingendes Problem, aber die Qualität des Wassers ist schlecht, und es muss in Kanistern geschleppt werden.

Heute beherbergt Los Manantiales rund 1.500 Familien, etwa 7.500 Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen (55 Prozent) ist jünger als 25 Jahre. Die durchschnittliche Familie hat 4,9 Personen, aber viele Haushalte haben zehn Mitglieder und mehr. Die soziale und wirtschaftliche Situation der meisten Familien ist sehr prekär. Mehr als die Hälfte der Haushaltsvorstände sind Frauen, die mit Familienpflichten, Einkommensbeschaffung und dem Kampf um Wohnraum und Wohnumfeld­verbesserung überfordert sind.

Viele Jugendliche treiben sich herum, manche suchen Anschluss an die beiden Jugendbanden, die sich einzelne Häuserblocks untereinander aufgeteilt haben. Es sind nicht wirklich Straßengangs, die ihre Umgebung terrorisieren, sondern eher kleine, aggressive, häufig alkoholisierte Gruppen, die tagsüber herumlungern und sich nachts blutige Kämpfe mit ihren Rivalen liefern.

Stadtteilsanierung als Chance der Integration

Nachbarschaftliche Gemeinschaftshilfe ist als Teil des Sanierungskonzeptes von FUNDASAL zu verstehen. (Bild: Joana Kotowski)

Die Stadtteilsanierung wird als sozialer Prozess begriffen. Die Bewohner wurden im Vorfeld über das Vorgehen informiert und darauf vorbereitet, dass viele der Infrastrukturmaßnahmen in Gemeinschaftshilfe durchgeführt werden. Schwierige Arbeiten wie Uferbefestigung, Verlegung von Stromleitungen, Bau von Stützmauern, Betonieren von Abwasserkanälen werden zwar von spezialisierten Handwerkern oder Fachfirmen übernommen. Das Ausheben von Gräben für Wasser- und Abwasserleitungen, das Mauern von Revisionsschächten, das Zementieren von Fußwegen, ja mitunter auch das Betonieren von Bordsteinen und das Anlegen von Treppen führen die Bewohner in organisierten Gruppen und unter Anleitung von Meistern und Facharbeitern selbst durch – und in Begleitung von Sozialarbeiterinnen. Gemeinschaftshilfe ist als Teil des Sanierungskonzeptes von FUNDASAL zu verstehen. Einerseits wird erwartet, dass sich die Bewohner der Erhaltung ihres Wohnumfeldes eher verpflichtet fühlen. Andererseits sollen Nachbarschaftsstrukturen gestärkt und Konflikte abgebaut werden.

QuellentextFUNDASAL

Seit 2003 ist Los Manantiales Teil eines Programms zur Stadtteilsanierung. Es wird von FUNDASAL (Fundación Salvadoreña de Desarrollo y Vivienda Mínima – Salvadorianische Stiftung für Entwicklung und Niedrigkostenwohnungsbau) durchgeführt und mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) finanziert. Das Vorhaben verfolgt einen integrierten Ansatz. Es geht zum einen um die Aufwertung der vorhandenen und um die Einführung neuer Infrastruktur in den Bereichen Wasser, Abwasser, Strom oder Müllentsorgung. Zum anderen hilft es den Bewohnern, einen Grundstückstitel zu erlangen, stellt einen Kreditfonds für Wohnungsbau und -verbesserung zur Verfügung, unterstützt zudem die Selbst­managementkapazitäten der Bewohnerorganisationen, fördert Jugendinitiativen und kanalisiert Kleinkredite für Beschäftigungsförderung.

Konfliktmanagement, Selbstorganisation und Stärkung von Lebenskompetenzen sind auch wichtige Themen der Jugendarbeit. So lernen Jugendliche, die Probleme ihres Stadtteils selbst herauszufinden. Sie entwickeln eigene Lösungen und nehmen selbstverständlich auch an den physisch anstrengenden Arbeiten teil. Einige von ihnen sympathisierten früher mit den Jugendbanden oder sind sogar noch Mitglied einer Mara. Auch Frauen sind eine zentrale Zielgruppe für das Vorhaben. Während früher in Bewohnerorganisationen vor allem die Männer das Sagen hatten, werden dort zunehmend Frauen zu Sprecherinnen gewählt. Viele der Gemeinschaftshilfe­gruppen werden mittlerweile von ihnen geleitet.

Der neu errichtete Sportplatz hilft, das negative Image des Viertels abzubauen. (Bild: Joana Kotowski)

Das langfristige Ziel der Stadtteilsanierung besteht darin, das Wohngebiet zu einem integralen Bestandteil der Gesamtstadt werden zu lassen. Anfang 2005 sind nicht nur die vom Projekt vorgenommenen Investitionen im öffentlichen Raum sichtbar, sondern auch die privaten Investitionen in die Wohnungsverbesserung: Mehr als 80 Prozent der Häuser haben bereits Wände aus Ziegeln oder Betonsteinen. Die provisorischen Bauweisen verschwinden allmählich. Der einst verlassene und von der Stadt vergessene Stadtteil wird zunehmend Mittelpunkt lokaler Aktivitäten und zieht Junge wie Alte aus den Nachbargebieten an. In dem vom Projekt sanierten Stadtteilzentrum finden Sport- und Musikveranstaltungen statt, der neu errichtete Sportplatz hilft, das negative Image des Viertels abzubauen.

Die vielfältigen Aktivitäten tragen auch dazu bei, dass das Gewaltniveau abnimmt. Während noch vor fünf Jahren die Bewohner die Zone als extrem unsicher einschätzten, bezeichnen die meisten sie heutzutage als relativ sicher. Dennoch gibt es in Los Manantiales nach wie vor unsichere Bereiche im öffentlichen Raum, die Präsenz der Maras, aber auch Nachbarschaftskonflikte und Gewalt innerhalb der Familien.

Stadtteilsanierungsvorhaben haben gewiss ihre Grenzen, wenn es um die Bekämpfung von bestehenden Gewaltstrukturen geht. Interventionen zur Verbesserung von technischer und sozialer Infrastruktur haben zwar einen präventiven Charakter und können durch Maßnahmen wie Sozialarbeit und Jugendförderung verstärkt werden. Sie werden aber kaum organisierte Kriminalität beheben oder eine bestehende Gewaltkultur vollkommen aufbrechen. Sie können kaum Makrostrukturen beeinflussen - wie ökonomische Ungleichheit, politische und rechtliche Rahmenbedingungen oder die vermutete Korruption unter Polizeikräften.

Literatur

Imparato, Ivo; Ruster, Jeff: Slum Upgrading and Participation. Lessons from Latin America. The World Bank, Washington 2003

Kotowski, Joanna: Wege aus der selbstgeregelten Marginalisierung – Informelles Wohnen und Stadtteilsanierung in San Salvador. In: Schüßler, Achim (Hg.): von unten – von oben. Darmstadt 2005(a)

Schüßler, Achim (Hg.): von unten – von oben. Lebensräume zwischen Planung und Selbstregelung. Archimed-Verlag Darmstadt, 2005

Sojo, Carlos (ed.): Desarrollo Social en América Latina: Temas y desafíos para las políticas públicas. FLACSO-Banco Mundial, Washington 2002

Links:

Externer Link: Slumrehabilitierung

Externer Link: bmz.de

Externer Link: fundasal.org

Externer Link: kfw-entwicklungsbank.de

Weitere Inhalte

Joanna Kotowski, geboren 1955 in Szczecin (Polen), seit 1967 in Deutschland, hat Architektur (mit Nebenfächern Soziologie, politische Ökonomie und Stadtentwicklung) an der TH Darmstadt studiert und ist seit 1982 beruflich in unterschiedlichen Entwicklungsländern in Lateinamerika, Afrika und Asien tätig. Seit 1988 ist sie Geschäftspartnerin und Teilhaberin der Consultingfirma SUM (Settlements and Urban Management) Consult in Wiesbaden, die Beratungsaufträge fü Organisationen der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit durchführt.