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Einführung: Die USA sind anders | USA | bpb.de

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Einführung: Die USA sind anders

Prof. Dr. Peter Lösche Peter Lösche

/ 6 Minuten zu lesen

Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der unbegrenzten Widersprüche; einzig verbliebene Supermacht nach Ende des Ost-West-Konflikts; Speerspitze des Imperialismus und Hort von Demokratie und Freiheit. Urteile und Vorurteile, Klischees und Stereotype prägen häufig unser Bild von den Vereinigten Staaten.

Die Freiheitsstatue in New York ist ein Symbol der Vereinigten Staaten von Amerika. (© AP)

Es fällt Außenstehenden mitunter schwer, dieses Land zu begreifen, seine Kultur, seine Gesellschaft und auch sein politisches System. Das beginnt manchmal schon mit der irrigen Annahme, die USA seien, da im 18. und 19. Jahrhundert ganz überwiegend von Europäerinnen und Europäern besiedelt, nichts anderes als die Verlängerung Europas über den Atlantik, gleichsam die westliche Ausdehnung Großbritanniens.

Wir erwarten Bekanntes und gehen nicht auf jene Distanz, die zum Verstehen notwendig ist. Dies ist bereits der Ausgangspunkt vieler Missverständnisse. Wer die Vereinigten Staaten tatsächlich begreifen will, sollte sie zunächst als fremdes Land analysieren und versuchen, sie von innen heraus zu verstehen, nicht allein in der Rolle, in der sie uns immer wieder begegnen, nämlich als Weltmacht im internationalen System.

Die USA unterscheiden sich fundamental von Deutschland und anderen europäischen Ländern. Um die Besonderheiten amerikanischer Politik und Gesellschaft kenntlich zu machen, werden im folgenden drei analytische Kategorien benutzt, die aus dem Vergleich Deutschlands bzw. Westeuropas mit den Vereinigten Staaten gewonnen worden sind.

Gesellschaftliche Segmentierung

Während die Gesellschaften Westeuropas - einschließlich Deutschlands - durch vergleichsweise zusammenhängende, übersichtliche Klassen- und Schichtenstrukturen gekennzeichnet sind, die sich in vielen Lebensbereichen - wie dem Bildungssystem - niederschlagen, ist die US-amerikanische charakterisiert durch Segmentierung im Sinne von vielfältiger, unzusammenhängend erscheinender, unübersichtlicher Zergliederung. Diese Segmentierung verlief als naturwüchsiger, unbewusster, prinzipiell ungesteuerter und bis in die Gegenwart andauernder Prozess in Geschichte und Gesellschaft, der jeweils erst im Nachhinein deutlich wird.

Zur Segmentierung haben verschiedene Faktoren beigetragen: die zeitlich je unterschiedliche Einwanderung verschiedenster ethnischer Gruppen und die damit verbundene Besiedlung des Landes, der Regionalismus und der Lokalismus. Konkret: Provinzialismus und Lokalpatriotismus in den USA wurzeln in den Nachbarschaften und Stadtvierteln, als seien diese selbstständige kleine Inseln. Auf diesen Nachbarschaftsinseln leben häufig Menschen gleicher ethnischer Herkunft, die sich in punkto Einkommen, Sozialprestige, Kirchenzugehörigkeit, Schulbildung, Ausbildungsweg ihrer Kinder und Wohnverhältnisse weitgehend annähern. Dies sind Inseln der Gleichheit und Glückseligkeit (oder - in sozial benachteiligten Wohnvierteln - eher Inseln der Unglückseligkeit), auf denen der amerikanische Traum geträumt werden kann und deren Bewohnerinnen und Bewohner ähnliche Werte, Einstellungen und Überzeugungen haben.

Die Segmentierung der US-amerikanischen Gesellschaft lässt ein Solidaritätsgefühl, das mehrere Klassen und Schichten, verschiedene ethnische Gruppen und alle Landesteile vereint, nur schwer entstehen. Sie enthält immer auch ein Element der Entsolidarisierung. Gesellschaftliche Segmentierung meint also die schichten- und klassenmäßige, geografisch-räumliche, ethnische, kulturelle und religiöse Aufgliederung der US-Gesellschaft, die im Grad ihrer Aufteilung und Abschottung der einzelnen Teile gegeneinander bei weitem das übertrifft, was in Deutschland und Westeuropa gewohnt ist. Damit wird das Klischee relativiert, die US-amerikanische Nation sei ein riesengroßer Schmelztiegel, in dem nationale, sprachliche, kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen den Einwanderern eingeschmolzen würden. In Wirklichkeit gleicht die US-amerikanische Nation einem bunten Flickenteppich, in dem die einzelnen Bestandteile sehr wohl erkennbar bleiben.

Politische Fragmentierung

Die segmentierte Struktur der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten widerspiegelt sich in der Gestaltung ihrer politischen Einrichtungen und Verfahrensweisen. Die politische Fragmentierung ist von den Gründungsvätern in Abgrenzung gegen den europäischen absolutistischen Staat des ausgehenden 18. Jahrhunderts bewusst angestrebt worden und blieb aufgrund der fundamentalen Skepsis der US-Bevölkerung gegen jede Art von Machtanhäufung bis heute erhalten.

Zweck US-amerikanischer Verfassungsregelungen und auch gezielter politischer Praxis ist die Machtaufteilung. In diesen Zusammenhang gehört das, was als System der checks and balances (Machtkontrolle und Machtausbalancierung) bezeichnet wird, nämlich ein System prinzipieller Gewaltenteilung und nur punktueller Gewaltenverschränkung. Die relative Schwäche des Zentralstaates und die Konkurrenz, ja Anarchie zwischen unzähligen Ämtern und Institutionen, die sich in ihren Kompetenzen zum Teil überschneiden, sind ganz bewusst gewollt.

Dies widerspricht gängigen europäischen Vorstellungen von der Allmacht des US-Präsidenten. Im Vergleich zum britischen Premierminister, selbst im Vergleich zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ist die Stellung des Mannes im Weißen Haus weitaus angreifbarer. Er hat beispielsweise im Kongress in der Regel keine Mehrheit und wird von diesem, von den Gerichten, von der Presse sowie selbst von den eigenen Regierungsbehörden in seinem Spielraum erheblich eingeengt, ja kontrolliert. Politische Fragmentierung und das System der checks and balances tauchen in der folgenden Darstellung als immer wiederkehrende Prinzipien auf.

"Amerikanische Ideologie"

Angesichts fragmentierter US-amerikanischer Politik und gesellschaftlicher Segmentierung stellt sich die Frage, wodurch die Vereinigten Staaten und ihre Bevölkerung als Nation überhaupt zusammengehalten werden. Tatsächlich gibt es einen Bedarf an Integration, der durch die "amerikanische Ideologie" gedeckt wird. Zu ihr gehört der Traum vom sozialen Aufstieg "vom Tellerwäscher zum Millionär", verbunden mit der Verehrung der Gründungsväter, Abraham Lincolns und der Verfassung. Aber auch Symbole und Rituale, nationale Denkmäler und die Verpflichtung auf die Nationalflagge fügen sich zu einem besonderen Gemisch aus Politik, Religion und Moralismus. Diese Integrationsideologie verklammert und überwölbt soziale Schichten und Klassen sowie Gruppen, die ansonsten nach unterschiedlichsten ethnischen, kulturellen und religiösen Merkmalen voneinander geschieden wären. Die "amerikanische Ideologie" bildet somit ein Gegengewicht zur politischen Fragmentierung und gesellschaftlichen Segmentierung.

Trauma 11. September 2001

Schwer nachvollziehbar für Außenstehende ist auch das Ausmaß, in dem die Terrorangriffe islamistischer Fundamentalisten auf New York und Washington am 11. September 2001 die ganze Nation traumatisierten. Die Angriffe und ihre Folgen beeinflussen nach wie vor erheblich das innen- und außenpolitische Verhalten und Handeln des Landes und wurden als historischer Wendepunkt erlebt und erlitten. Wie der Yale-Historiker Immanuel Wallerstein schrieb, hatte die Nation wenigstens zwei Schocks zu verarbeiten: Die Annahme, die USA seien prinzipiell unverwundbar, hoch entwickelte Technologie könne einen Selbstschutz bilden, erwies sich als Illusion. Die Nation musste entgegen ihrer tief verwurzelten Überzeugung realisieren, dass es auf der Welt Menschen gibt, die dem internationalen Handeln der USA und seinen demokratisch-freiheitlichen Motiven jegliche Glaubwürdigkeit absprechen.

US-amerikanisches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein wurden am 11. September 2001 in ihrem Kern getroffen. Hatten doch seit dem amerikanisch-britischen Krieg (1812-1814), als die Briten für zwei Tage Washington besetzten und das Weiße Haus, das Kapitol sowie andere Gebäude niederbrannten, keine ausländischen Truppen auf US-amerikanischem Boden gestanden. Wie tief die Verletzung war, erwiesen der nachfolgend aufschäumende Patriotismus und die Bereitschaft, dem Terrorismus den Krieg zu erklären, Milliardensummen in die Aufrüstung zu investieren und traditionell geheiligte Bürger- und Menschenrechte einzuschränken.

Mit dem World Trade Center in New York, dem Pentagon bei Washington und (offensichtlich angezielt von der in Pennsylvania niedergegangenen Maschine) dem Weißen Haus oder dem Kapitol wurden Symbole des amerikanischen Selbstbewusstseins, der "amerikanischen Ideologie" angepeilt: New Yorks Twin Towers, in denen sich das World Trade Center befand, als Sinnbild ökonomischer und politischer US-Weltherrschaft, technischen Fortschritts und der Globalisierung, damit auch Symbol für idealistischen Überschuss in der US-amerikanischen Außenpolitik, für Sendungsbewusstsein und Missionarismus; Weißes Haus und Kapitol, jene Gebäude, die Demokratie, Freiheit und Volksherrschaft repräsentieren, aber auch von der Stabilität eines politischen Systems künden, das seit über 225 Jahren Vorbild für andere Völker ist.

Der nach dem Ende des Kalten Krieges einzig verbliebenen Weltmacht sollte mit den Anschlägen gezeigt werden, dass sie nicht allein die Ereignisse des Weltgeschehens bestimmen kann, sondern sich - auch unter Einschränkung bestimmter Freiheitsrechte und demokratischer Prinzipien - der Agenda der Terroristen anpassen muss.

In Reaktion darauf beschworen die US-Amerikaner die Werte und Prinzipien der eigenen Gesellschaft und ihres politischen Systems, und sie zeigten einen Patriotismus, wie er in Europa kaum noch vorhanden ist. Die Bevölkerung scharte sich um den Präsidenten, die Personifizierung amerikanischer Macht und amerikanischen Selbstbewusstseins. Der Krieg gegen die Taliban in Afghanistan, auch der gegen den Irak, dessen Führer Saddam Hussein von der Mehrheit der US-Bevölkerung als Terrorist angesehen wurde, können auch als Versuche gewertet werden, wieder selbst die Tagesordnung der Weltpolitik zu bestimmen und im Innern Selbstgewissheit und Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Die von den Terroristen geschlagene Wunde beginnt allmählich zu vernarben, es gibt eine Chance, Schock und Trauma zu verarbeiten. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass im Präsidentschaftswahlkampf 2004 nicht mehr allein der Krieg gegen den Terror, sondern auch Themen wie die wirtschaftliche Entwicklung und das Gesundheitssystem zunehmend wichtiger wurden. Doch eine Analyse der Vereinigten Staaten und ihres politischen Systems im Jahr 2004 muss berücksichtigen, dass die USA unter der George W. Bush-Administration in den Jahren 2001 bis 2004 ein Land unter Schock waren.

Fussnoten

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Prof. em. Dr. Peter Lösche, lehrte am Seminar für Politikwissenschaften der Georg-August-Universität in Göttingen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Gesellschaft der USA, Parteien und Verbände sowie Parteien- und Wahlkampffinanzierung.