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Kapitalismus in der Krise | USA | bpb.de

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Kapitalismus in der Krise Die Finanzkrise der USA und ihre globalen Auswirkungen

Alexandra Endres

/ 5 Minuten zu lesen

Stetig wachsender Reichtum für alle: Mit der US-Finanzkrise zerplatzte dieser amerikanische Traum wie eine Seifenblase. Lange haben die USA über ihre Verhältnisse gelebt und so die weltweite Wirtschaft in Schwung gehalten. Jetzt bröckeln die Fundamente des Kapitalismus, der seit Jahrzehnten die Ökonomien der westlichen Welt geprägt hatte. Und das Vertrauen ist dahin: Die USA könnten ihre Rolle als wirtschaftliche Weltmacht verlieren.

Verkehr passiert das Morgan Stanley Hauptquartier in New York. (© AP)

"Es ist wie mit vielen Alpträumen", schrieb der britische "Economist" Ende September 2008. "Dieser fühlt sich an, als würde er niemals enden." Der Alptraum war die von den USA ausgehende Finanzkrise, die zu diesem Zeitpunkt einen neuen Höhepunkt erreichte. Sie schien die ganze Welt in ihren Strudel zu ziehen. Das traditionsreiche Finanzinstitut Lehman Brothers war in den Konkurs gerutscht, ohne dass jemand zur Rettung eilte. Konkurrentin Merrill Lynch wurde von der Bank of America geschluckt, der Versicherungsriese American International Group (AIG) zwangsverstaatlicht. Auch Goldman Sachs und Morgan Stanley, die beiden einzigen an der Wall Street verbliebenen großen Investmentbanken, steckten in Schwierigkeiten – obwohl ihre Geschäfte eigentlich trotz der Krise relativ gut liefen. Doch die Aktionäre der Geldhäuser interessierte das nicht mehr. Sie hatten nur noch Angst um ihr Geld.

"Tsunami" auf den Finanzmärkten

Der durch die Lehman-Pleite ausgelöste erneute Schock versetzte die Finanzmärkte rund um den Erdball in Schrecken. "Der Tsunami rollt weiter", sagte der französische Regierungsberater Jacques Attali im Gespräch mit der Tageszeitung "Le Figaro". "Er trifft die Küsten in unterschiedlichen Momenten." In Großbritannien überlebte die Hypothekenbank Halifax Bank of Scotland (HBOS) nur, weil sie von einer weiteren großen Bank gekauft wurde, der Lloyds TSB. In Deutschland fürchteten die Landesbanken nach dem Debakel der Lehman-Bank um mehr als eine Milliarde Euro.

Weltweit stürzten die Aktienkurse auf Rekord-Tiefstände, ob in Deutschland, den USA, Brasilien oder Südkorea. Lieber als in Aktien steckten die Anleger ihr Kapital in Gold. In Deutschland meldeten Sparkassen, sie könnten die Nachfrage nach dem krisenfesten Edelmetall kaum noch bedienen. An der Moskauer Börse war die Panik so groß, dass der Aktienhandel tagelang ausgesetzt werden musste. Die Banken liehen sich gegenseitig praktisch kein Geld mehr. Um den völligen Kollaps zu verhindern, pumpten die großen Notenbanken der Welt tagelang insgesamt dreistellige Milliardenbeträge ins System. Nur die Nachricht, dass die US-Regierung erwog, faule Kredite der US-Banken künftig zu übernehmen, konnte die Aktienmärkte am Ende dieser schwarzen Woche beruhigen - vorübergehend, denn im Oktober spitzte sich die Krise noch weiter zu. Mit Macht stemmten sich Regierungen und Notenbanken dagegen, senkten die Zinsen, stellten Hilfen in Milliardenhöhe bereit. Es schien kaum zu helfen.

Leben auf Pump

Das gegenseitige Vertrauen war dahin. Mit ihm bröckelten die Grundfeste eines von den Finanzmärkten gestalteten Kapitalismus, der seit Jahrzehnten die Wirtschaft der westlichen Welt geprägt hatte. Lange schon hatten die USA über ihre Verhältnisse gelebt und damit die globale Wirtschaft in Schwung gehalten. Weil praktisch jeder Kredite erhielt, um ein eigenes Haus zu finanzieren, und der Wert der Immobilien in einem völlig überdrehten Markt ständig stieg, glaubten die Amerikaner sich reich. Sie gaben mit vollen Händen aus, was sie gar nicht besaßen, und machten so jene wohlhabend, die ihnen die gewünschten Waren und Dienstleistungen lieferten. Davon profitierten auch deutsche Firmen, ihre Anteilseigner und Angestellten. Die hohen Gewinne, die im Finanzsektor erzielt und anderswo investiert oder ausgegeben wurden, verliehen der Wirtschaft zusätzlichen Schwung. Vor allem globale Finanzzentren wie New York oder London boomten.

Ende des amerikanischen Traums

2007 platzte der amerikanische Traum vom immerfort wachsenden Reichtum für alle wie eine Seifenblase. Seit mehr als einem Jahr breitete sich die Krise in immer neuen Wellen über den Erdball aus. Niemand kann sagen, wen der Tsunami nun als nächstes treffen wird und in welcher Form. Doch eins scheint sicher: Wenn er endlich abebbt, wird vieles nicht mehr so sein wie zuvor. Die gute Nachricht zuerst: Vielleicht bedeutet die Krise auch das Ende der Gier. Banken und Investoren werden es jedenfalls schwer haben, ihre in der Vergangenheit völlig überhöhten Renditeerwartungen in Zukunft aufrechtzuerhalten. Dass ihr Handeln stärker reguliert werden muss, gilt als ausgemacht. Bankenpleiten und Milliardenverluste werden den gesamten Finanzsektor schrumpfen lassen, sagen Beobachter voraus. Das ist die schlechte Nachricht, denn damit geht den westlichen Volkswirtschaften eine wesentliche Branche und zentrale Antriebskraft verloren. Schließlich versorgt die Finanzbranche generell Unternehmen, Staat und Privathaushalte mit Geld und hält so das Räderwerk der Ökonomien in Gang. "Es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen", sagte ein New Yorker Investmentbanker in der September-Krise. Die USA könnten ihre Rolle als ökonomische Weltmacht verlieren.

Aufschwung in Deutschland am Ende

Bislang hat die Riesenwelle schon Zehntausende Jobs vernichtet. Weil vor allem die sehr gut verdienenden Banker ihre Arbeit verloren, bangen nun auch jene um ihre Einnahmequelle, die sie mit Luxuswaren oder Dienstleistungen versorgten. Noch schlimmer vielleicht ist: Die Ersparnisse vieler US-Normalbürger sind unwiederbringlich verloren, egal ob sie in Aktien oder Immobilien steckten. Wer aber kaum noch etwas besitzt, muss sparen. So rutschen die USA in eine Rezession – und sie könnten viele andere Länder mit in die Tiefe reißen.

Auch im exportabhängigen Deutschland ist der Aufschwung damit am Ende. Zwar scheint das deutsche Bankensystem nicht in Gefahr, obwohl die Krise manchen Geldinstituten hohe Verluste bescherte und einigen die Eigenständigkeit kostete. Weil die deutschen Banken als Universalbanken weniger stark spezialisiert sind als die US-Investmentbanken, stehen sie auf mehreren Beinen und gelten deshalb als stabiler. Auch gab es hierzulande keine Immobilienblase wie in den USA, Großbritannien und Spanien. Doch ein Großteil der deutschen Ausfuhren geht in diese drei Länder. Fallen die Absatzmärkte dort weg, kommt die Wirtschaft hierzulande nicht ungeschoren davon. Zusätzlich dürften Kredite teurer werden, was Investitionen erschwert. Die deutschen Verbraucher schließlich, seit Jahren knapp bei Kasse und neuerdings zusätzlich belastet durch die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise, müssen ihr Geld ebenfalls zusammenhalten. Sie können der Ökonomie keinen neuen Schub versetzen.

Konsequenzen auf US-Präsidentschaftswahlkampf

Wie Deutschland hängen viele Länder an den Entwicklungen in den USA. Doch zu hoffen, mit der Zusage der US-Regierung, für die Banken in die Bresche zu springen, sei die Krise besiegt, wäre illusorisch. Niemand weiß zur Zeit, wann die nächste Tsunami-Welle rollt und wie hoch der Schaden am Ende sein wird. Auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf wird sie ihre Wirkung entfalten: John McCain, der Kandidat der Republikaner, gilt als Mann der freien Märkte. Als Senator half er, die Bestimmungen der Finanzaufsicht zu lockern. Jetzt könnte sein demokratischer Widersacher Barack Obama davon profitieren.

Fussnoten

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Alexandra Endres arbeitet seit 2006 als Wirtschaftsredakteurin bei Zeit Online. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Berichterstattung über Energie-, Rohstoff- und Finanzmärkte. Zuvor erforschte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln Formen des Technologietransfers in Mexiko am Beispiel der Automobilindustrie.