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Deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen: Partner und Konkurrenten

Henrik Uterwedde

/ 6 Minuten zu lesen

Zwischen Frankreich und Deutschland besteht eine enge wirtschaftliche Verflechtung aufgrund von Handel, Investitionen und einer starken Präsenz von Unternehmen aus dem jeweiligen Nachbarland. Damit ist auch eine ausgeprägte wechselseitige Abhängigkeit entstanden. In der Logik der Wirtschaftsbeziehungen heißt das: Beide Länder sind zugleich Partner und Konkurrenten. Und das (relative) wirtschaftliche Gefälle zwischen beiden Ländern führt immer wieder zu Reibungen.

EADS: "Leuchtturm" deutsch-französischer Firmenfusionen. (© dpa)

Die deutsch-französische Wirtschaftsverflechtung ist ein zentrales Feld der Beziehungen beider Länder, das zudem eine hohe Symbolkraft besitzt. Die Verflechtung ist zwar eingebettet in die europäische Wirtschafts- und Währungsunion mit ihrem gemeinsamen Binnenmarkt, der Europäische Union (EU) und der gemeinsamen Währung, aber man kann sagen, dass sich zwischen beiden Nachbarländern seit vielen Jahrzehnten eine besonders enge Wirtschaftsbeziehung herausgebildet hat. Beide Länder, deren wirtschaftliches Gewicht zusammen etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU ausmacht, können als wichtiger Kern des europäischen Wirtschaftsraumes gelten. Diese Tatsache untermauert die politische Schlüsselrolle, die beide Staaten in der europäischen Union einnehmen.

Eine enge wechselseitige Abhängigkeit

Worin äußert sich diese enge Verflechtung? Zunächst in den Handelsbeziehungen, deren Intensität sich in der Nachkriegszeit fast durchweg gesteigert hat. Seit Jahrzehnten ist Deutschland mit Abstand Handelspartner Nr. 1 für Frankreich, sowohl bei den Ein- als auch bei den Ausfuhren. Auch für die deutsche Exportwirtschaft ist Frankreich der bei weitem bedeutendste "Kunde"; nur bei den Importen haben mittlerweile die Niederlande und China Frankreich auf den dritten Platz verdrängt. 9,5 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Frankreich (die USA folgen mit 7,3 Prozent auf dem zweiten Platz); 7,9 Prozent der deutschen Wareneinfuhren kommen aus dem Nachbarland. Noch größer ist die Bedeutung Deutschlands als Handelspartner für Frankreich: 16,4 Prozent der französischen Einfuhren kommen aus Deutschland, 14,6 Prozent der französischen Exporte gehen in das Nachbarland (alle Zahlen für 2008 ).

Auch bei den Investitionen sind die Zahlen beeindruckend, wenngleich der Grad der Verflechtung nicht ganz an den der Handelsbeziehungen heranreicht. Die Firmen beider Länder investieren in hohem Maße im Nachbarland. Über 3.100 deutsche Unternehmen sind in Frankreich präsent und beschäftigen über 300.000 Arbeitnehmer (Zahlen für 2012); umgekehrt sind es über 3.700 französische Firmen mit 328.000 Beschäftigten in Deutschland (Zahlen für 2008). Die wenigen "Leuchttürme" deutsch-französischer Firmen wie etwa der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS (Airbus, europäische Trägerrakete Ariane) sind also nur die Spitze des Eisbergs.

Diese Zahlen zeigen, dass sich zwischen beiden Volkswirtschaften eine enge wechselseitige Abhängigkeit herausgebildet hat. Für die Geschäftsaussichten deutscher Unternehmen, für Arbeitsplätze und Wachstum hat die Wirtschaftsentwicklung in Frankreich eine hohe Bedeutung und umgekehrt. Mit anderen Worten: Jeder Partner hat ein fundamentales Interesse am Wohlergehen des Nachbarn. Hinter den Zahlen stehen unzählige Menschen beider Länder, die Waren exportieren oder Geld investieren und so gemeinsam die engen Wirtschaftsbeziehungen gestalten. Sie sind es, die die Handelsbeziehungen zum Nachbarn knüpfen, sie sind es, die im anderen Land Produktionsstätten aufbauen oder Kooperationen mit Partnerfirmen durchführen; sie sind es, die im Unternehmen aus dem Partnerland einen Arbeitsplatz finden.

Kein Platz für Freundschaft

Ein ICE im Londoner St. Pancras Train Station: Auch die Deutsche Bahn möchte zukünftig die Eurotunnel-Strecke nach Großbritannien bedienen. (© AP)

Bei alledem darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass Wirtschaftsbeziehungen einer anderen Logik gehorchen als die politische Kooperation zwischen Regierungen oder die kulturelle Zusammenarbeit, die von Institutionen wie dem Deutsch-Französischen Jugendwerk oder in der Deutsch-Französischen Hochschule getragen wird. In den Wirtschaftsbeziehungen sind beide Länder Partner und Konkurrenten zugleich, weil die Unternehmen im Wettbewerb miteinander stehen und die stärksten unter ihnen oft Rivalen sind, wenn es um die Führungsposition in Europa oder auf dem Weltmarkt geht. Anders ausgedrückt: Im Zeitalter des weltweiten Wettbewerbs verfolgt jede Firma ihre eigene, betriebswirtschaftliche Strategie; deutsch-französische Freundschaft kann dabei, anders als in der Politik, kein Maßstab sein. Deshalb kann es immer auch einmal zu Konflikten kommen, vor allem wenn sie von der Politik aufgegriffen werden: Man denke etwa an den Streit zwischen der Deutschen Bahn, die künftig auch die Eurotunnel-Strecke nach London bedienen will, und der französischen Bahngesellschaft SNCF, die ihr bisheriges Monopol nicht aufgeben will; oder an wiederholte Auseinandersetzungen um die Zukunft des deutsch-französisch-spanischen Luftfahrtkonzerns EADS, wenn es um die Verteilung von Führungspositionen, Standorten und Arbeitsplätzen geht.

Man sollte nicht versuchen, Unternehmen eine politische Logik der Zusammenarbeit aufzuzwingen, wenn diese ihren unternehmerischen Interessen widerspricht. Mehrfach ist versucht worden, durch deutsch-französische Fusionen die Bildung von Großkonzernen nach dem Muster von EADS zu fördern. Die Liste der Fehlschläge ist allerdings fast ebenso lang wie die der Versuche, was daran liegt, dass die betreffenden Unternehmen sich oft als Rivalen um die Führungsposition in Europa sehen und sie im eigenen Land als "strategisch" angesehen werden. Es ist wenig sinnvoll, derartige Rivalen in eine "Elefantenhochzeit" drängen zu wollen. Anders sieht es bei kleineren Unternehmen aus, bei denen Politik, Prestige oder Rivalität nur eine untergeordnete Rolle spielen: Hier gibt es zahllose Beispiele gelungener, sehr fruchtbarer Kooperation.

Ungleiche Partnerschaft?

Ein weiteres, damit verbundenes Problem ist die Frage, ob die wechselseitige Verflechtung und gegenseitige Abhängigkeit auf einem gleichgewichtigen Austausch beruht oder ob nicht ein ökonomisches Gefälle zwischen beiden Ländern vorherrscht, das zu einer ungleichen Partnerschaft führt. Hintergrund ist die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft seit langem die stärkste und – gemessen an ihren Exporten – leistungsfähigste Ökonomie in Europa ist, während Frankreich den zweiten Rang einnimmt. Aus europäischer Perspektive mögen die Unterschiede nicht besonders groß sein; in rein bilateraler Sichtweise, also im direkten deutsch-französischen Vergleich, gewinnen sie zuweilen eine Brisanz und werden zum Problem erhoben.

Für Frankreich ist es immer wichtig gewesen, sich wirtschaftlich "auf Augenhöhe" mit dem deutschen Nachbarn zu befinden. Insofern hat man in immer dann empfindlich reagiert, wenn sich vermeintliche oder tatsächliche Ungleichgewichte einstellten. So wurde mehrfach die Tatsache thematisiert, dass Deutschland im Handelsaustausch mit Frankreich oft einen hohen Exportüberschuss erzielte. Nun ergeben derartige bilaterale Handelsbilanzen wenig Sinn; entscheidend für eine Volkswirtschaft ist ihre gesamte Handels- und Zahlungsbilanz. Allerdings entsprach (und entspricht) die Schieflage im deutsch-französischen Handel auch der unterschiedlichen Wettbewerbsposition beider Länder. Deutschland zählt zu den exportstärksten Nationen der Welt, vor allem wegen seiner wettbewerbsfähigen Industrie. Frankreich hat in den vergangenen Jahren immer wieder Probleme gehabt, seine Handelsbilanz auszugleichen, was auf Strukturprobleme seiner Wirtschaft schließen lässt.

Das Wirtschaftsgefälle hat in Frankreich teils Bewunderung für die Wirtschaftskraft des Nachbarn, teils aber auch Vorbehalte und Ängste gegenüber einer deutschen "Dominanz" entstehen lassen. Immer wieder entstanden daraus auch politische Kontroversen: So kritisierte die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde 2011 das Wirtschaftsmodell Deutschlands als egoistisch, weil dieses stark von Exporten abhänge. Dem Nachbarn wurde vorgeworfen, mit einer Politik der Lohnzurückhaltung die Binnennachfrage in Deutschland zu dämpfen und damit den Handelspartnern weniger Gelegenheit zu bieten, nach Deutschland zu exportieren. Gleichzeitig verschaffe sich die deutsche Wirtschaft durch die niedrig gehaltenen Löhne einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Die Bundesregierung wies diese Vorwürfe zurück und konterte, die deutsche Exportstärke beruhe vor allem auf qualitativ hochwertigen Waren und die Lohnkosten der deutschen Industrie gehörten immer noch zu den höchsten in Europa.

Das deutsche Interesse an einen starken Partner

Diese und andere Kontroversen verweisen darauf, dass auch in der Wirtschaftskooperation eine zumindest "gefühlte" Augenhöhe, Respekt im Umgang mit dem Partner und Verständnis für dessen mögliche Ängste wichtig sind. Dies gilt besonders für die gegenwärtige Situation, in der Frankreich vor schwierigen Strukturreformen steht, mit denen seine angeschlagene Wirtschaft wieder gestärkt werden soll, während die deutsche Wirtschaft zurzeit recht solide dasteht. Dennoch besteht keinerlei Anlass für Überheblichkeit gegenüber dem Nachbarn, wie man sie nicht selten in deutschen Medien vernimmt: Noch vor zehn Jahren war es Deutschland, das als der wirtschaftlich "kranke Mann Europas" galt, weil notwendige Reformen und Strukturanpassungen zu lange verschleppt worden waren. Heute steht Frankreich vor ähnlichen Problemen, aber es kann sich wie zuvor Deutschland durch eine mutige Politik aus dieser Lage auch wieder befreien. Außerdem: Angesichts der engen Wirtschaftsverflechtung trägt der Stolz, "Nr. 1 in Europa" zu sein, nicht weit. Vielmehr muss das deutsche Interesse darauf gerichtet sein, dass die Nachbarn stark und leistungsfähig bleiben – oder wieder werden. Wie ein traditionelles afrikanisches Sprichwort sagt: "Wenn die Hütte des Nachbarn brennt, ist es auch Dein Problem".

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Henrik Uterwedde, geb. 1948, ist Stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg und Honorarprofessor an der Universität Stuttgart.