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Analyse: Die Lage der Opposition in Polen

Janusz A. Majcherek

/ 16 Minuten zu lesen

Die starke Stellung der regierenden PiS-Partei in Polen wird auch durch die Zersplitterung der Opposition gestützt. Trotz der jüngsten politischen Umbrüche steht eine verstärkte Zusammenarbeit der großen Oppositionsparteien auf der Kippe. Werden sie ihren Protest gegen die Regierung in Zukunft vereinen?

Abgeordnete der parlamentarischen Opposition protestieren Ende 2016 im polnischen Parlament mit einem Banner für die Freiheit der Medien. (© picture alliance/ NurPhoto)

Zusammenfassung

Die von Jarosław Kaczyński geführte Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) erhielt bei den Parlamentswahlen im Herbst 2015 die Mehrheit der Mandate im Sejm, obwohl sie nur gut 37 Prozent der Wählerstimmen erzielte. Der Grund dafür war nicht nur die Wahlordnung, die die stärkste politische Formation begünstigt, sondern auch die Verteilung der Stimmen auf die Konkurrenten von PiS. Die Uneinigkeit der großen Oppositionsparteien besteht fort, so dass unverändert PiS die stärkste Kraft auf der politischen Bühne bleibt, obwohl die Mehrheit der befragten Polen derzeit nicht PiS wählen würde. Allerdings veranlassen die immer rigideren Maßnahmen der Regierung gegenüber den unabhängigen Institutionen des demokratischen Rechtsstaates die wichtigsten Oppositionsparteien, zu dessen Verteidigung gemeinsam aufzutreten. Die Perspektiven für den Umfang und die Stabilität der Zusammenarbeit und deren Erfolgsaussichten bleiben jedoch offen.

Auf der Seite der Opposition bleibt die stärkste und einflussreichste Kraft die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), die in den vorangegangenen zwei Legislaturperioden (acht Jahre) der größere Partner der Regierungskoalition gewesen war. In den Parlamentswahlen erhielt sie knapp 25 Prozent der Stimmen, was 138 von 460 Mandaten im Sejm bedeutet; PiS hat 235 Sitze. Der Hauptgrund für die Niederlage der PO und den Verlust der Regierungsverantwortung war, dass die Bürger infolge ihrer – für polnische Verhältnisse – langen Regierungszeit gelangweilt und ungeduldig waren sowie dass Ende der zweiten Wahlperiode Audioaufnahmen von privaten Gesprächen wichtiger PO-Politiker auftauchten, die sie unbefangen bei Restaurantbesuchen geführt hatten und die das nicht gerade ehrenwerte Hinterzimmer der Politik der PO bloßlegten. Aber als ein Problem erwies sich auch einer ihrer größten Erfolge: Der Aufstieg des Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Donald Tusk zum Präsidenten des Europäischen Rates bedeutete eine Schwächung der von ihm zurückgelassenen Partei. Seine Nachfolgerin für das Jahr bis zu den Wahlen wurde die frühere Gesundheitsministerin seines Kabinetts und anschließend Parlamentsvorsitzende Ewa Kopacz, der es in der kurzen Zeit weder gelang, sich eine starke Position aufzubauen, noch ein solches starkes Charisma zu entwickeln, wie es ihr Vorgänger hatte. Nach den verlorenen Parlamentswahlen trat sie zurück (obgleich sie in ihrem Wahlkreis ein sehr gutes Ergebnis erzielt hatte) und Parteivorsitzender der PO wurde Grzegorz Schetyna. Er ist ein langjähriger PO-Akteur aus Niederschlesien (Dolny Śląsk), der in der Vergangenheit viele parlamentarische Ämter und Regierungsämter ausgeübt hat, darunter das Amt des Parlamentspräsidenten, des Innen- sowie des Außenministers. Er ist also sehr erfahren und, was wichtig ist, er befand sich nicht unter denjenigen, deren Restaurantgespräche aufgenommen worden waren. Hinzu kommt, dass seine Biographie auch nicht mit anderen kompromittierenden Ereignissen belastet ist. Ganz im Gegenteil: Er gehörte in den 1980er Jahren zur antikommunistischen Opposition in der Volksrepublik Polen.

Die stärkste Kraft der Opposition in der Defensive

Die politische Erfahrenheit gereicht ihm und der von ihm geführten Partei allerdings nicht zum Vorteil, denn von dieser wird ein frisches, zukunftsweisendes Programm erwartet sowie eine aufgepeppte Präsentation. Dafür spricht die in der öffentlichen Debatte herrschende Überzeugung, dass mit den verlorenen Wahlen auch das bisherige politische Projekt der PO, ihre Strategie und ihr Image von den Wählern abgewählt worden sind. Ein eventueller Verlust der Regierungsmacht von PiS würde daher auch nicht bedeuten, dass die PO an ihren alten Status würde anknüpfen können, als sie selbst die Regierung stellte, vielmehr muss sich die PO "neu erfinden". Allerdings wird bezweifelt, ob die PO dazu in der Lage ist – unter der Führung eines politischen Veteranen, der geschickt darin ist, die Fäden hinter den Kulissen zu ziehen und sich gut darin auskennt, wie der Saat funktioniert, der aber kein persönliches Charisma, keine visionären Ideen und nicht die Gabe hat, die Massen mitzureißen. Es überwiegen die Kommentare, dass die PO unter Schetynas Führung vorerst kein neues, interessantes und die Wähler überzeugendes ideelles, programmatisches und personelles Angebot hervorbringen wird.

In ihrer zweiten Regierungsperiode hat die PO, vor allem inspiriert von Tusk, eine zunehmend pragmatische und ideologiefreie Haltung und Strategie angenommen; unterdessen attackierten Jarosław Kaczyński und seine politischen Verbündeten die Regierung mit immer heftigeren emotionalisierenden ideologischen Schlagworten und Versprechungen vor allem nationalen und religiösen bzw. sozialen Inhalts. Auf diese Weise riefen sie unter ihren Anhängern Begeisterung hervor, sie gewannen neue Sympathisanten und konnten letztlich die Parlamentswahlen gewinnen. Die PO steht vor dem Dilemma, ob sie sich gleichermaßen heiße und mitreißende ideologische Floskeln ausdenken soll, um mit den nationalkatholischen rivalisieren zu können (liberale Floskeln jedoch haben ein solches Potential gewöhnlich nicht), oder ob sie versuchen soll, Überzeugungsarbeit für ihren bisherigen Pragmatismus als Wert an sich zu leisten, der sich als besonders wertvoll im Vergleich zu der aggressiven und in vielen Bereichen destruktiven ideologischen Offensive der PiS erweisen könnte. Es geht also auch darum, ob an die Emotionen oder an den Verstand der potentiellen Wähler appelliert werden soll. Schetyna eignet sich für die ruhige und sachliche Überzeugungsarbeit, aber nicht dafür, Emotionen zu wecken.

Die politischen Erfahrungen und die langjährige Regierungspraxis richten sich nun sogar dann gegen die PO, wenn sie neue und interessante Vorschläge macht. Dann kommen unweigerlich Fragen, warum sie diese denn nicht während ihrer Regierungszeit umgesetzt habe, und es wird bezweifelt, ob sie bereit und in der Lage sei, sie zu realisieren, da sie doch früher nichts dergleichen in die Wege geleitet habe, als sie in der Regierungsverantwortung über die entsprechenden Instrumente verfügte. Hinzu kommt, dass die PO, wie die gesamte Opposition, in der Defensive steckt, da die PiS mit ihrer absoluten Parlamentsmehrheit und ihrem zu Diensten stehenden Staatspräsidenten im Rücken ständig mit neuen Initiativen und Angriffen auf die demokratischen Institutionen überrascht, so dass diese vor dem Untergang oder der Abhängigkeit verteidigt werden müssen. Die PO spielt die Rolle deren Hauptverteidigers, was ihr gezwungenermaßen eine defensive Strategie auferlegt und ihr erschwert, die strategische Initiative zu ergreifen und in die politischen Offensive zu gehen. Auch wenn die PO in Meinungsumfragen noch nicht wieder die Unterstützung erhält, die sie bei den Wahlen bekam – danach war sie in den Umfragen abgestürzt –, so gewinnt sie sie jetzt wieder mühsam Boden und stärkt ihre Rolle als wichtigste Oppositionspartei. Das zeigt, dass sie einen immer größeren Teil der in den vergangenen Monaten verlorenen Wählerschaft davon überzeugt, dass sie die wichtigste Kraft und kompetent ist, sich den Exzessen von PiS entgegenzustellen sowie die gesamte Opposition anzuführen.

Um ihre dominierende Rolle aufseiten der Opposition zu unterstreichen sowie ihre Fähigkeit und Bereitschaft, in der Zukunft wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen, hat die PO ein "Schattenkabinett" aufgestellt, dessen Mitglieder die aktuelle Politik ihres jeweiligen Counterparts in der Regierung beobachten und kommentieren und diese in der Zukunft ersetzen sollen. Diese Initiative, die nicht zur politischen Tradition Polens gehört, trat jedoch kaum in Erscheinung und führte dementsprechend nicht zur erwarteten Verbesserung des Image der PO. Die Zusammensetzung und Tätigkeit dieser alternativen Regierung sind der breiteren öffentlichen Meinung kaum bekannt und haben keinen Einfluss auf deren politische Präferenzen.

In der PO und anderen oppositionellen Kreisen werden gewisse Hoffnungen auf Donald Tusk gesetzt. Sein Wechsel auf den Posten des EU-Ratspräsidenten hat die Partei geschwächt, aber seine Rückkehr von einem so prestigeträchtigen Amt, mit dem Image, eine der wichtigsten Personen der europäischen Politik gewesen und Freund der wichtigsten europäischen Politiker zu sein, könnte nicht nur die Partei stärken, sondern die gesamte Opposition. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn Tusk im März (gegen den Willen der polnischen Regierung bzw. ohne deren Unterstützung) die Verlängerung seines Mandats als EU-Ratspräsident für die kommenden zweieinhalb Jahre erhalten würde. Dann würde er vor den kommenden Parlamentswahlen im Jahr 2019 und den Präsidentenwahlen 2020 nach Polen zurückkehren. In dieser Kalkulation würde er dann an der Spitze der gesamten Opposition stehen und ihr Kandidat für das Amt des Präsidenten werden, der direkt vom Volk gewählt wird. Kaczyński versucht jetzt bereits, Tusk zu diskreditieren, und droht ihm sogar mit Strafverfolgung, aber die Absage der Regierung, Tusk bei seinen Bemühungen um eine zweite Amtszeit zu unterstützen, hat bei einem beträchtlichen Teil der polnischen Gesellschaft einen schlechten Geschmack hinterlassen. Entsprechend werden die Angriffe von PiS-Politikern auf Tusk als Ausdruck von Angst vor ihm als künftigem Oppositionsführer interpretiert. Tusk zu unterstützen würde für Kaczyński und die PiS die Stärkung seiner Position bedeuten, Tusk nicht zu unterstützen würde das Missbehagen der öffentlichen Meinung in Polen hervorrufen. Dies ist für die regierende Equipe und ihren informellen Chef ein ernstes Dilemma.

Ein neuer liberaler Akteur im Parlament

Die PO verlor die Parlamentswahlen 2015 nicht nur gegen die PiS, sondern auch gegen eine vollkommen neue liberale Formation, die einige Monate vor den Wahlen von dem Ökonomen und Finanzexperten Ryszard Petru gegründet worden war. Trotz seines relativ jungen Alters (45 Jahre) und seines Debüts in der Rolle des politischen Akteurs hatte er bereits vielfältige Erfahrungen auf wichtigen und prestigeträchtigen Wirtschafts- und Finanzposten gesammelt sowie im Umkreis von Leszek Balcerowicz, dem Schöpfer der polnischen Wirtschaftstransformation. Petru hatte die PO gegen Ende ihrer Regierungszeit immer stärker kritisiert und ihr vorgeworfen, die liberalen Ideale aufzugeben und eine links-soziale Drehung zu vollziehen. Diese Kritik war nur teilweise berechtigt, denn die von Ministerpräsident Tusk und seiner mitregierenden PO (gegen den Widerstand von Grzegorz Schetyna) durchgeführte Revision einiger liberaler Grundsätze erfolgte nicht so sehr aus einer ideellen Umwertung, sondern vielmehr aus der Notwendigkeit, pragmatisch auf die globale Wirtschaftskrise reagieren zu müssen, unter deren Bedingungen die PO regierte und vor deren Folgen sie Polen schützen wollte. Dies tat sie allerdings um den Preis einer steigenden Verschuldung, der Schwächung der polnischen Währung, der Übernahme eines Teils der privaten Rentenfonds, der erweiterten Einmischung staatlicher Institutionen in die Wirtschaft sowie um den Preis von Steuererhöhungen. All dies gefiel den liberalen Ökonomen, Politikern und Wählern nicht, was die von Petru ins Leben gerufene Partei Die Moderne (Nowoczesna) zum Ausdruck brachte.

Bei den Parlamentswahlen erhielt Die Moderne 7,5 Prozent und 28 Mandate im Sejm. Nach den Wahlen stiegen rasch ihre Popularitätswerte; in Meinungsumfragen verzeichnete sie bald knapp 20 Prozent und ließ die PO hinter sich, wobei sie Zuspruch von vielen PO-Aktivisten und -Mitgliedern erhielt. Dies war eine Reaktion auf ihre Neuartigkeit und Frische, aber auch eine Folge der außergewöhnlichen Aktivität einer sympathischen und energiegeladenen Gruppe junger Frauen, die den engen Kreis um Ryszard Petru bilden. Die ganze Formation begann man als modernere, sympathischere und energischere Version der PO wahrzunehmen und es wurde ihr das Potential zugesprochen, dass sie die PO auf der politischen Bühne ersetzen und die Rolle des Oppositionsführers übernehmen könne – wozu sich Petru persönlich bereits anschickte.

Die Vitalität und der Effekt der Neuartigkeit der neuen Formation und ihrer Akteure und Akteurinnen begann allerdings im Laufe des Jahres 2016 schwächer zu werden und Die Moderne wurde von der aggressiven PiS in die Defensive gedrängt – ähnlich wie die PO, die im Parlament um einiges stärker vertreten ist. Während sich Die Moderne den Exzessen der PiS entgegenstellt, kann sie wiederum nicht allzu eng mit der PO zusammenarbeiten, denn sie war ja aus der Kritik und dem Protest gegenüber der PO hervorgegangen. Dies versetzt sie in eine unbequeme Lage, in der sie sich nicht immer gut orientiert und noch immer ihren Platz sucht.

Vielleicht aber wurde der Modernen am meisten Ärger durch ihren Chef selbst zugefügt, der um die Jahreswende 2016/17 in Portugal auf einem Trip mit einer Parteikollegin erwischt wurde. Hier geht es nicht nur um den moralischen Aspekt, dass der verheiratete Petru einige Tage privat mit einer geschiedenen Abgeordneten verbrachte. Politisch kompromittierender war, dass die Eskapade mit dem Höhepunkt des Protestes zusammenfiel, den Abgeordnete der Modernen und der PO im Sejm gegen PiS und ihr Vorgehen gegen die Opposition gestartet hatten. PiS hatte unter einem fadenscheinigen Vorwand einen Abgeordneten der Opposition von der Parlamentssitzung ausgeschlossen, woraufhin die mehrwöchige Besetzung des Sejm durch Oppositionsabgeordnete über Neujahr folgte. Die eigene Partei in einem solchen Moment für ein privates Vergnügen allein zu lassen, kratzte am Image Petrus und der von ihm geführten Gruppierung, was in den Meinungsumfragen deutlich sichtbar wurde.

Der Spagat zwischen Zusammenarbeit und Konkurrenz

Die beiden wichtigsten Oppositionsparteien haben ein liberales Profil, was sie dazu verurteilt, um dieselbe Wählerschaft zu kämpfen. Untersuchungen zeigen, dass die sich nicht verändert und um die 30 Prozent beträgt. Das bedeutet, dass die eine Partei auf Kosten der anderen stärker wird und eben nicht dadurch, dass andere, neue Wähler gewonnen werden (was der PO in der Zeit ihrer größten Erfolge gelang, als sie eine Unterstützung von über 40 Prozent erhielt). Beide Parteien agieren defensiv und widersetzen sich den zunehmend autoritären Regierungsmethoden von PiS, indem sie die von der regierenden Partei attackierten und übernommenen Institutionen zu verteidigen suchen. Dies würde eine engere Zusammenarbeit in diesem Kampf nahelegen, doch es ist nicht klar, wie eine solche von den Anhängern, insbesondere denen der Modernen aufgenommen werden würde. Die hatten die PO mehrheitlich aus Enttäuschung verlassen und wären wohl nicht damit einverstanden, wenn ihnen eine erneute, wenn auch indirekte Unterstützung der PO abgenötigt würde, beispielsweise in Form gemeinsamer Wahllisten. Die treuen PO-Wähler wiederum betrachten Die Moderne und ihre Anhänger als Spalter und Abtrünnige, was insgesamt das beiderseitige Misstrauen verstärkt.

PiS ist eine populistische Partei, was den beiden wichtigsten liberalen Parteien erschwert, mit ihr zu rivalisieren. Als Liberale können sie die Versprechungen von PiS in der Sozialpolitik nicht überbieten, ohne ihren ideellen Überzeugungen untreu zu werden, und sie wären in einer solchen Rolle auch unglaubwürdig. Da sie nicht in der Lage sind, mehr als PiS zu versprechen, müssen sie ein anderes Angebot kreieren, um unentschiedene Wähler zu überzeugen; die Wähler, die PiS entschieden unterstützen, sind zurzeit ohnehin nicht zu gewinnen. Ein solches Angebot haben sie aber bisher nicht gefunden und nicht vorgestellt. Unterdessen findet die soziale Demagogie von PiS weiterhin bei den Wählern Gehör und begründet ihre Überlegenheit.

Die kommenden Selbstverwaltungswahlen (Herbst 2018) werden über die Posten auf der Ebene der lokalen Selbstverwaltung entscheiden. Die Moderne schlägt vor, dass sie und die PO eigene Kandidatenlisten für die Gemeinde- und Kreisräte und die Woiwodschaftslandtage (sejmik) aufstellen, und stellt die Möglichkeit einer späteren Koalition in Aussicht. Beide sollten sich aber zu gegenseitiger Unterstützung ihrer Kandidaten für das Amt der Woiwoden, Bürgermeister und Stadtpräsidenten verpflichten, die zum zweiten Wahlgang zugelassen werden (da diese Posten direkt gewählt werden und die Hälfte der abgegebenen Stimmen erforderlich ist, sind häufig zwei Wahlgänge notwendig). Die Wahlen auf der Selbstverwaltungsebene, die allerdings erst in anderthalb Jahren stattfinden werden, werden ein wichtiger Test für die Stärke und den Einfluss der beiden Oppositionsparteien sein, insbesondere für Die Moderne, die zum ersten Mal an ihnen teilnehmen wird und aus diesem Grunde selbstständig agieren will. Von den Wahlergebnissen wird das Kräfteverhältnis aufseiten der Opposition abhängen und also auch die Bedingungen für eine eventuelle Zusammenarbeit in der Zukunft. Von größter Bedeutung, auch als Mobilisierungsmoment, werden die Ergebnisse des Wettbewerbs um die Ämter der Stadtpräsidenten in den Großstädten sein, in denen PiS wenige Anhänger hat, so dass die Opposition hier die größtmöglichen Chancen hat, sowie um die Mandate in den Woiwodschaftslandtagen. Ähnlich dem Sejm, stützt sich deren Sitzverteilung auf Parteilisten und nicht auf die Listen lokaler Wahlkomitees.

Auf dem Land wiederum nahm die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) bisher eine starke Position ein, die sich dezidiert an die Bauern richtet. Sie wird eine Schlacht um die ländliche Wählerschaft ausfechten, die ihr in den Parlamentswahlen von PiS abspenstig gemacht wurde. Dies hätte beinah zum Zerfall der PSL im Sejm geführt: Sie überschritt die 5-Prozent-Hürde um 0,13 Prozent und stellt die kleinste Fraktion. Wenn die PSL imstande wäre, ihre frühere Position in der Provinz zumindest teilweise auf Kosten von PiS wiederaufzubauen, würde sie indirekt die gesamte Opposition stärken.

Eine solche Chance hat die Linke, die sich in einer tiefen Krise und nur außerhalb des Parlaments befindet, nicht. Dazu hatten ihr Zerfall und insbesondere die neue Partei Gemeinsam (Razem) beigetragen, die entgegen ihrem Namen allein handelt und alle anderen Gruppierungen von einer radikal linken Position aus kritisiert und bekämpft. In den Kreisen der großstädtischen gebildeten Jugend und meinungsbildender linker Intellektueller erfuhr sie eine gewisse Unterstützung, doch diese reichte nicht aus, um die 5-Prozent-Hürde zum Eintritt ins Parlament zu überspringen. Allerdings entzog sie der traditionellen Linken recht viele Stimmen, die wiederum den taktischen Fehler beging, eine Wahlkoalition mit Randparteien einzugehen. Die 8-Prozent-Hürde, die für solche Zusammenschlüsse gilt, verfehlte sie knapp. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Partei Gemeinsam dem Wahlbündnis die Stimmen abgenommen hat – im Ergebnis sind jedenfalls beide nicht ins Parlament eingezogen, trotz der addierten Unterstützung von über elf Prozent. In gewisser Weise trug dies dazu bei, dass PiS die absolute Mehrheit im Parlament erhielt, denn die Mandate, die unbesetzt bleiben, weil eine Partei nicht in das Parlament einzieht, werden proportional auf diejenigen aufgeteilt, die im Sejm sind. Das stärkt die ohnehin größte Partei, in diesem Falle PiS.

Eine Bürgerbewegung am Scheideweg

Die aggressive Politik der regierenden PiS, die häufig in Form von Angriffen auf demokratische und zivilgesellschaftliche Institutionen abläuft, weckte Reaktionen beunruhigter Milieus außerhalb der Politik. Auf Initiative eines Aktivisten der früheren antikommunistischen Opposition entstand eine Bürgerbewegung, die sich den Namen Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji – KOD) gab – nach dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników– KOR), der ersten offen agierenden antikommunistischen Organisation in den 1970er Jahren. KOD gelang es, hunderttausende Bürger zu mobilisieren und bei Demonstrationen gegen Verletzungen der rechtsstaatlichen Standards auf die Straße zu bringen. Nach der Anfangsphase wachsender Unterstützung und Aktivitäten der Teilnehmer und Sympathisanten erlischt der Enthusiasmus nun allerdings. Dazu trugen auch Tatsachen bei, die einen Schatten auf den Anführer der Bewegung, Mateusz Kijowski, werfen, dessen Charisma und persönliches Engagement ihn auf diese Position gehoben hatten. Es stellte sich heraus, dass er seiner geschiedenen Ehefrau nicht die gerichtlich zuerkannten Alimente für die gemeinsamen Kinder gezahlt hat, was er damit erklärte, dass er wegen des Verlustes einer lukrativen Beschäftigung finanziell nicht dazu in der Lage war. Noch kompromittierender erwies sich für ihn die Entdeckung, dass er von den Spenden für KOD regelmäßig recht hohe Beträge für IT-Dienste zugunsten der Bewegung (er ist Informatiker von Beruf) auf ein Geschäftskonto seiner zweiten Ehefrau überwiesen hat. Die Enthüllung dieser Tatsachen löste KOD-intern eine große Krise aus und schädigte den Ruf der Bewegung. Aktuell finden die Wahlen der regionalen Anführer der Bewegung statt, die im März mit der Wahl des Landesvorsitzenden gekrönt werden. Wenn dies Kijowski wird, der die Wahlen zum Vorsitzenden der Region Masowien (Mazowsze) gewonnen hat, ist ein Aufruhr eines Teils der Aktivisten und ein Konflikt zwischen den Anhängern und den Gegnern von Kijowski sehr wahrscheinlich und sogar das Auseinanderbrechen von KOD nicht ausgeschlossen.

Ungewiss ist die Zukunft von KOD auch mit Blick auf seine unbekannte Rolle in politischen Prozessen, insbesondere bei Wahlen. Manche Akteure sind dafür, den strikt zivilgesellschaftlichen und sozialen Charakter der Aktivitäten der Bewegung zu bewahren. Die Bewegung soll demnach als Wächter der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Spielregeln im politischen Betrieb fungieren, ungeachtet dessen, wer aktuell die Regierung stellt, und ohne sich in rein politische Prozesse einzubringen. Andere schlagen vor, unverhohlen einen Anti-PiS-Kurs einzunehmen und die Kandidaten derjenigen demokratischen und antiautoritären Parteien bei den Wahlen zu unterstützen, die in der Lage sein könnten, PiS von der Regierungsmacht abzulösen. Des Weiteren tauchen Spekulationen über die Umwandlung der Bürgerbewegung in eine politische Partei auf, die eigene Wahllisten aufstellen und unmittelbar am Kampf um die Macht teilnehmen würde, und zwar wenigstens mit dem Ziel, autoritäre Gruppierungen aus der Regierungsmacht zu verdrängen, konkret hieße das PiS.

Die bisher größten zivilgesellschaftlichen Proteste hatten die Vorschläge zur Verschärfung des Anti-Abtreibungsgesetzes hervorgerufen, die in der Praxis ein vollständiges Abtreibungsverbot bedeutet hätten. Formal war der Gesetzesentwurf nicht von der PiS, sondern von pro life-Organisationen eingebracht worden. Die Massenproteste der Frauen (sogenannte schwarze Märsche oder Regenschirmmärsche, da es am Tag des größten Protestes regnete und auf den Fotos unzählige Damenregenschirme zu sehen waren) wurden nicht mit einer konkreten Organisation assoziiert und es ist unklar, ob und wie sie konkrete Organisationen unterstützen werden. Im Allgemeinen wurden die Proteste jedoch als Erfolg bewertet, denn PiS zog die Gesetzesentwürfe gegen Abtreibung aus dem Gesetzgebungsprozess zurück, was Möglichkeiten und Arten andeutet, das Vorgehen von PiS mit Hilfe gesellschaftlicher Proteste aufzuhalten.

Junge Menschen und der politische Rand

Es wird jedoch immer schwieriger, zum Protest zu motivieren. Das grundlegende Problem von KOD ist – ähnlich wie das der gesamten gemäßigten Opposition – das verschwindend geringe Engagement der Jugend. Politisch und zivilgesellschaftlich aktiv werden vor allem reife Menschen, insbesondere die, die noch Erinnerungen an das autoritäre System haben und einen Rückfall fürchten, dieses Mal allerdings mit einem deutlich antikommunistischen Anstrich. Die jungen Polen kennen und verstehen das Wesen autoritärer Herrschaft nicht und sehen in ihr keine Gefahr. Sie vergleichen Polen nach 1989 nicht mit dem vor 1989, das sie aus eigener Anschauung nicht kennen können, sondern mit den westeuropäischen Staaten der Gegenwart. Also nehmen sie statt der imponierenden Entwicklung und den unbestrittenen Errungenschaften die Distanz wahr, die ihr Land von den reicheren Ländern trennt, und erwarten eine rasche Verringerung des Abstandes, und sei es auch unter Anwendung von nicht vollkommen rechtsstaatlichen Methoden. Darüber hinaus nehmen in der jüngsten Generation, die ohnehin für radikale Ideologien zugänglicher ist, Einflüsse der extremen Rechten zu, die eine Anti-System-Haltung einnimmt, mit antidemokratischen, antiliberalen und antieuropäischen Tendenzen, unterfüttert mit einer Anti-Immigrations-Stimmung. Vor diesem Hintergrund kommt es zu einer zunehmenden Anzahl von aggressiven Übergriffen gegenüber Fremden, insbesondere gegenüber Menschen aus dem Nahen Osten, von denen es in Polen nicht einmal viele gibt.

Die politische Position von Gruppierungen des extrem rechten Flügels ist jedoch marginal, keine von ihnen nähert sich in Meinungsumfragen der 5-Prozent-Hürde, das heißt keine hat die Perspektive, ins Parlament einzuziehen. Die politische Opposition in Polen gründet sich auf gemäßigte und liberale Gruppierungen, doch ihre Position ist immer noch nicht stark genug, um der regierenden nationalkonservativen populistischen Rechten gefährlich zu werden. Folglich ist ihre Fähigkeit, sich deren Programm entgegenzustellen, begrenzt, so dass die Gefahr vonseiten eines populistischen Autoritarismus in Polen weiterhin hoch bleibt.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Dr. hab. Janusz A. Majcherek ist Professor am Institut für Philosophie und Soziologie der Pädagogischen Universität in Krakau (Uniwersytet Pedagogiczny, Kraków). Er kommentiert politische und gesellschaftliche Ereignisse und Entwicklungen u. a. in der "Gazeta Wyborcza", im "Przegląd Polityczny" und in dem deutsch-polnischen Magazin "Dialog".