Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Die polnische Jugend und ihr Verhältnis zur Politik. Zwischen Abneigung und der Suche nach neuen Ideen und Ausdrucksformen | bpb.de

Analyse: Die polnische Jugend und ihr Verhältnis zur Politik. Zwischen Abneigung und der Suche nach neuen Ideen und Ausdrucksformen

Prof. Dr. Tomasz Szlendak

/ 24 Minuten zu lesen

An den Massenprotesten gegen die geplante Jusitzreform war maßgeblich auch die polnische Jugend beteiligt. Doch ist es vielleicht zu voreilig, um von einem neuen Aktivismus unter Jugendlichen zu sprechen? Über ihre Einstellungen und Ansichten zu Regierung, Politik und Populismus.

Polens Jugend zeigt gegenwärtig wenig Interesse an politischen Angelegenheiten oder lehnt das politische System sogar grundsätzlich ab. (© picture-alliance, NurPhoto)

Zusammenfassung

Das Interesse und Engagement junger Polinnen und Polen für politische Angelegenheiten zeichnet sich gegenwärtig generell durch Abneigung aus – gegenüber dem Wahlsystem, den Politikern, bei denen unabhängig von der politischen Richtung fast ausnahmslos Negatives wahrgenommen wird, und der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die zurzeit in Polen die Regierungsverantwortung hat. Die Abneigung manifestiert sich bei den einen als völlige, manchmal zielgerichtete Passivität, bei anderen, die weit von dem Profil des durchschnittlichen PiS-Wählers entfernt sind, in Form von massenhaften Straßenprotesten. Die Frage sollte daher nicht lauten, ob sich die jungen Menschen für Politik interessieren, sondern welche jungen Menschen und für welche Art von Politik. Die Einteilung in gesellschaftliche Schichten verfestigt sich in Polen auch unter Schülern und jungen Erwachsenen, was in ihren politischen Einstellungen und Praktiken deutlich wird.

Das Interesse der polnischen Jugend an Politik wuchs eindeutig im Zusammenhang mit den Massenprotesten, die sich gegen drei Gesetze richteten, die die Rechtsordnung in Polen maßgeblich verändern (siehe Externer Link: Polen-Analysen Nr. 204). Die Proteste fanden mitten in den Sommerferien statt und ihr Ausmaß überraschte wohl alle – Publizisten, Kommentatoren, Wissenschaftler und die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) selbst. Publizisten, die Antipathien gegenüber der PiS hegen, wiesen darauf hin, dass es die Jugend war, die in Massen auf die Straße ging, um die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu verteidigen. Harte Daten sind zurzeit noch nicht verfügbar, aber auf der Grundlage vieler vorläufiger Analysen und Daten sowie Beobachtungen lässt sich feststellen, dass tatsächlich eine enorme Anzahl junger Menschen für die Verteidigung der Unabhängigkeit der Gerichte demonstrierte. Interessant und wichtig ist hierbei, dass vor allem Gymnasiasten und Studenten im Alter zwischen 18 und 24 Jahren protestierten. Es war ein recht ungewöhnlicher Anblick, denn die Straßen wurden von sehr jungen Menschen und von solchen im Alter ihrer Eltern und Großeltern, der Altersgruppe 50 +, dominiert. Deutlich weniger aktiv war die Generation der 30- bis 40-Jährigen.

Es stellt sich die Frage, wie sich folgende zwei Tatsachen miteinander in Einklang bringen lassen: einerseits die Abneigung der jungen Menschen gegenüber dem politischen System, ihr generelles Desinteresse an politischen Angelegenheiten und der Rückzug aus den demokratischen Prozeduren wie zum Beispiel Wahlen und andererseits die Massenproteste auf der Straße wie bei den Demonstrationen gegen die von PiS initiierten Gesetze zur Reform des Gerichtswesens während der Sommerferien.

Schlüsselbegriffe sind hier die soziale Schicht und das kulturelle Kapital, denn auf die Straße strömten nicht alle, sondern nur bestimmte junge Menschen. Berücksichtigt man die bisherigen Untersuchungen zu dieser Altersgruppe, lässt sich diese Spezifik beschreiben. Je niedriger das kulturelle Kapital der Polinnen und Polen ist, wie es die Soziologen nennen, desto geringer ist das Interesse an der Politik und am gesellschaftlichen Leben auf der Makroebene. Und umgekehrt – desto häufiger die Einstellung "Politik interessiert mich überhaupt nicht". Da es zu den stärksten Protesten in den großen Städten kam, haben wir es weniger mit einem Aufruhr einer Generation als dem einer Gesellschaftsschicht zu tun. Auf die Straße gingen Vertreter der gut situierten großstädtischen Mittelschicht bzw. des sogenannten neuen Bürgertums. Ein beträchtlicher Teil der Jugend war bei den Protesten nicht präsent. Über die Hälfte der Menschen in dieser Altersgruppe interessiert während der Ferien allein das Bad im See oder das Bier im Kreis von Freunden. Die Schlussfolgerung, die sich aufdrängt, ist, dass das politische Engagement der jungen Menschen mit ihrem kulturellen Kapital verknüpft ist oder anders gesagt mit der sozialen Schicht, der der Betreffende angehört. Die jungen Großstädter machen sich auf, wohingegen es den nicht gebildeten jungen Einwohnern der Kleinstädte und Dörfer in hohem Maße einerlei ist, wer regiert.

Die große Partei "Schwer zu sagen"

Wenn die Politiker im Wahlkampf unpräzise Einstellungen vertreten würden, die wahllos verschiedenen ideologischen Traditionen entnommen und chaotisch in irgendein hybrides politisches Programm zusammengefasst wären, könnten sie auf die Unterstützung der jungen Menschen bauen. Diese kleine Spöttelei meinerseits sei erlaubt – betrachtet man jedoch die politischen Ansichten, die die jungen Polen kundtun, dann überwiegt bei diesen deutlich die Haltung des "schwer zu sagen". In den aktuellen, im Jahr 2016 von dem renommierten Zentrum zur Erforschung der Gesellschaftlichen Meinung (Centrum Badania Opinii Społecznej – CBOS) durchgeführten Befragungen haben auf die Frage, ob sie eine rechte, eine linke oder eine gemäßigte Einstellung haben, 64 Prozent der Schüler "schwer zu sagen" angegeben. Eine linke Einstellung gaben knapp 8 Prozent an, eine gemäßigte ebenso viele und zu einer rechten Einstellung bekannten sich 20 Prozent (vor allem Jungen). Zum Vergleich: Nicht präzisierte politische Ansichten haben weniger als die Hälfte der erwachsenen Polen – und zwar 29 Prozent. Wichtig ist dabei: Je geringer das kulturelle Kapital eines jungen Menschen ist und je niedriger die gesellschaftliche Schicht angesiedelt ist, der er angehört, desto vager sind seine politischen Einstellungen, wenn er überhaupt welche hat. 77 Prozent der Schüler von Berufsgrundschulen haben keine ausgeprägten politischen Ansichten und Politik interessiert sie eigentlich überhaupt nicht. Gleichzeitig ist aber auch zu bedenken, dass die Unentschiedenheit der jungen Menschen auch dadurch bedingt sein kann, dass die Einteilung in links, rechts und Mitte überholt ist und zu der heutigen politischen Realität nicht passt. Die jungen Menschen finden sich darin nicht recht wieder, aber in den Meinungsumfragen wird diese Einteilung immer noch bemüht.

In den Gymnasien sind 19 Prozent der Befragten nicht an Politik interessiert, in den Berufsgrundschulen sind es dagegen 33 Prozent. Entgegen der in Polen verbreiteten Ansicht ist unter den Schülern mit dem geringsten kulturellen Kapital keineswegs ein Anstieg radikaler rechter Einstellungen zu verzeichnen. Interessanterweise nehmen sie in der unteren Mittelschicht zu, beispielsweise unter den Schülern der Technischen Oberschulen (von 11 Prozent im Jahr 2013 auf 23 Prozent im Jahr 2016).

Auch wenn der junge polnische Wähler keine Ansichten hat, so hat er doch seine Antipathien – er hat verschiedene Ängste, und zwar vor allem eingebildete. Es verbreiten sich autoritäre Einstellungen sowie die Abneigung gegenüber den in Polen nicht vorhandenen Flüchtlingen. Anstelle von Meinungen wirft die Regierung von Zeit zu Zeit hasserfüllt präparierte Feindbilder auf den Markt, zum Beispiel Flüchtlinge, Befürworter des gender und aktuell auch die Deutschen, von denen Reparationszahlungen für die Verluste infolge des Zweiten Weltkriegs gefordert werden. So sehr sich die Polen allerdings tatsächlich vor muslimischen Flüchtlingen fürchten und sich über den Mainstream der "Linksradikalen", die von regierungsnahen Medien als Sonderlinge dargestellt werden, lustig machen, so sehr ähnelt die antideutsche Rhetorik, die gegenwärtig von verschiedenen Medienvertretungen der PiS-Regierung verbreitet wird, dem Werfen von Styroporkugeln auf ein Blechdach. Sie fügen dem Metall keinen Schaden zu. Die Polen schätzen und mögen die Deutschen. Nach den aktuellen Daten von CBOS bekunden 46 Prozent der polnischen Befragten ihre Sympathie gegenüber den Deutschen, Antipathie dagegen 22 Prozent. Die Untersuchungen des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP) im Jahr 2016 wiederum ergaben, dass die Deutschen nach Meinung der Polen den ersten Platz unter den Nationen einnehmen, mit denen die Polen zusammenarbeiten sollten.

Ein Reh mit Stuhl und die politisch aktive Jugend

Eine Folge des fehlenden Interesses der Jugend an der Politik ist, dass sie nicht an den demokratischen Wahlen teilnimmt. Interessant ist allerdings, dass auch die jungen Menschen nicht zur Wahl gehen, die ein großes Interesse an politischen Angelegenheiten bekunden. Zudem kommt es immer häufiger vor, dass aktive junge Menschen wählen gehen, aber absichtlich ungültige Stimmzettel abgeben. Dies ist eine Form, die eigene Entrüstung zum Ausdruck zu bringen sowie das Unvermögen, unter den kompromittierten politischen Optionen und den immer gleichen Politikern, die für ihre Ziele eine hohe Konfliktbereitschaft an den Tag legen, eine Wahl zu treffen. Die Soziologin Krystyna Szafraniec hat darauf hingewiesen, dass junge Nutzer von Internetforen bereits im Jahr 2011 zum Beispiel als "janfranek" schrieben, dass "man zur Wahl gehen muss, um eine ungültige Stimme abzugeben, z. B. den Wahlzettel durchstreichen und darauf schreiben, dass man Jurek Owsiak oder Doda [Personen der Unterhaltungskultur, d. Übers.] o. ä. wählen möchte". Andere riefen dazu auf, gemeinsam den Parteien "die Wahlen zu verpfuschen", Parteien, die ihrer Meinung nach die gesellschaftlichen Konflikte im eigenen Interesse anstacheln. Solche Handlungen sollten, sofern sie massenhaftes Ausmaß annehmen, den politisch Verantwortlichen Probleme bewusst machen, deren Ursache sie selbst sind. Szafraniec stellte nach der Analyse der Wahlaktivität der Jugend bei den Parlamentswahlen 2011 fest, dass sich die Enttäuschung über Regierungen bei jungen Menschen leicht in das Gefühl verwandelt, dass der Wahlakt und die Aktivitäten der Bürger sinnlos seien. Im Ergebnis boykottieren sie die Wahlen, die ihrer Meinung nach bedeutungslos sind, weil ohnehin immer dieselben regieren.

Infolge der zunehmenden Verbreitung ähnlicher Einstellungen kam es im ersten Wahlgang der Präsidentenwahlen im Jahr 2015 mit 48,96 Prozent zur niedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte dieser Wahlen. CBOS befragte diejenigen, die nicht wählen gegangen waren, um die Gründe für ihre Abwesenheit zu eruieren. Ein Fünftel gab an, dass es keinen angemessenen Kandidaten gegeben habe. Andere Gründe, nicht an den Präsidentenwahlen teilzunehmen, waren fehlendes politisches Interesse (16 Prozent), die Überzeugung, die Wahlen seien sinnlos (15 Prozent), sowie die fehlende Überzeugung, dass die abgegebene Stimme von Bedeutung sei (11 Prozent). Jeder zehnte Befragte nahm als Zeichen des Protestes absichtlich nicht an den Wahlen teil.

Die herkömmliche Beteiligung an der institutionalisierten Politik reicht den engagierten jungen Menschen folglich nicht aus. Sie bemühen sich – bisher wirkungslos – , eine Alternative im Inneren des demokratischen Systems zu finden. Eine solche Alternative ist die Teilnahme an den Wahlen, aber anstatt zwischen den vorgeschlagenen Parteien und Namen zu wählen, werden eigene Kandidaten auf die Wahlzettel geschrieben, sogar so exotische wie das "Reh mit dem Stuhl auf dem Kopf". Während des Wahlkampfes zu den Präsidentenwahlen im Jahr 2015 hatte die satirische online-Zeitung "Faktoid" vorgeschlagen, angesichts der Unmöglichkeit, zwischen Politikern der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und der PiS eine Wahl zu treffen, ein solches Reh auf den Wahlzettel zu zeichnen. Interessanterweise hat ein beträchtlicher Teil der jungen Wähler den Aufruf ernst genommen, wie die Soziologin Martyna Hoffman, die das Phänomen untersucht hat, feststellte.

Die von Hoffman untersuchten Personen, die auf Facebook angaben, für das Reh mit dem Stuhl auf dem Kopf zu stimmen, waren zwischen 18 und 25 Jahren alt. Die meisten dieser Gruppe waren Vertreter großer (17,4 Prozent) und sehr großer (31,5 Prozent) Städte. Fast zwei Drittel der Untersuchten gaben als Wohnort eine der einwohnerstärksten Städte in Polen an, das heißt Warschau (Warszawa), Krakau (Kraków), Lodz (Łódź), Breslau (Wrocław) oder Posen (Poznań). Es steht zu vermuten, dass diese jungen Menschen, die damals dem Reh ihre Stimme gegeben hatten, gegen die sogenannte Justiz-Deform der PiS protestieren gingen.

In Richtung Aktivität? Populismus und Protestierende als Nation

Die Mehrheit der jungen Menschen, die unlängst in Polen auf die Straße gingen, hatte an den letzten Wahlen nicht teilgenommen, und sei es deshalb, weil institutionalisierte Wahlen nicht in ihrer Lebenswelt vorkommen. Könnten sie mithilfe des Internets wählen, also in ihrer eigenen Kommunikationssphäre handeln, würden sie dies sicherlich tun. Es ergeben sich allerdings auch Situationen, in denen unmittelbares Handeln unerlässlich ist. Dies ist der Fall, wenn eine populistische Partei beabsichtigt, für die Umsetzung ihrer eigenen Interessen die Prinzipien des im Land funktionierenden Systems zu ändern.

Eine "positive Folge" populistischer Parteien wie der PiS ist die politische Aktivierung der Gesellschaft, insbesondere die Mobilisierung derer, die sich bisher nicht für Politik interessierten. Populistische Parteien werkeln so stark an der institutionell-rechtlichen Wirklichkeit herum, dass sie politische Aktivitäten einschließlich Widerspruch bei denen in Gang setzen, die bisher nicht aktiv waren. Sie lassen keinen gleichgültig zurück. Sie beseitigen die Tatenlosigkeit. Dies ist in Polen unter den jungen Menschen der Fall, zwar nicht in massenhaftem Ausmaß, aber es passiert etwas. Sichtbar wird dies, wenn man das "langweilige" Jahr 2013 mit 2016, dem Jahr der Veränderungen in der polnischen Politik, vergleicht. Die Daten von CBOS zeigen, dass sich die Gruppe der jungen Menschen, die ihr Interesse an Politik als "kein Interesse" beschrieben hatte, um 11 Prozentpunkte verringerte.

Die "positive" Seite des Populismus ist, dass er innerhalb eines demokratischen Systems als erneuernde Kraft wirkt. In den heutigen, stark polarisierten Gesellschaften (wie der US-amerikanischen und der polnischen) schließen populistische Politiker die Hälfte der Gesellschaft aus der Gemeinschaft aus und bekämpfen sie sogar als "unwürdig", "nicht richtig", "unmoralisch" oder "auf der falschen Seite stehend". Eine solche Einstellung und Vorgehensweise liquidieren de facto die für die demokratische Ordnung charakteristische Debatte und spalten die ohnehin stark polarisierte Gesellschaft noch mehr. In einem demokratischen System setzen wir uns in Institutionen mit repräsentativer Funktion wie dem Parlament mit gesellschaftlichen Gruppen auseinander, die andere Interessen oder Ansichten haben. Die andere Ansicht muss dabei als legitimierte Opposition betrachtet werden. In der Praxis des Populismus haben wir es dagegen mit der Situation zu tun, dass der von einer Führungskraft repräsentierte Wille des Volkes die legitimierte Opposition nicht duldet ("Die Nation sind wir und nur wir!"), da dieser abgesprochen wird, ihrerseits ebenfalls den Willen des Volkes zu repräsentieren. Populisten sind nicht in der Lage, irgendjemanden als legitimierte Opposition zu akzeptieren, sobald sie selbst über den Willen der Nation verfügen. Wer aber ist die Nation?

Nehmen wir an, dass populistische Bewegungen, auch in Polen, in der unteren Mittelschicht Unterstützung finden. Auf die Straße gingen im Sommer 2017 nach der Logik der regierenden PiS folglich die "vom Futtertrog vertriebenen" Eliten, die "ihre Leute" verteidigen, das heißt korrumpierte Juristen, die keine gesellschaftliche Kontrolle ihrer Tätigkeiten wünschen. Meiner Ansicht nach war das in gewisser Weise tatsächlich so: In der Tat protestierten die besser Ausgebildeten, die, die von besseren Schulen und Universitäten kamen, die Großstädter, die Jugend aus "gutem Hause", die Kinder der Besserverdienenden. Der polnische demos, die Vertreter der Unterschicht und der unteren Mittelschicht, schenken der PiS nach wie vor Vertrauen, was aktuelle Umfragen zeigen. Zirka 40 Prozent der Befragten unterstützen die regierende PiS. Allerdings beginnen die, die protestieren, die besser ausgebildete Jugend, sich dank des kommunikativen Handelns der PiS als Nation, als Repräsentanten wahrzunehmen. Sie beginnen, es als beleidigend aufzufassen, wenn ihre Stimme als Teil der Nation oder des Souveräns, auf den sich populistische Parteien ja immer berufen, ausgeschaltet wird. Möglicherweise ist das die Ursache für den letzten Aufruhr: der Ausschluss ganzer Kategorien von Menschen, vor allem aus den großen Städten, aus der gemeinsamen Sprache. Vielleicht wird sich das an der PiS rächen.

Exkurs: verwässerte Ambitionen und die breite Unterstützung für populistische Parteien

Warum eigentlich protestiert die untere Mittelschicht nicht? Warum wählen die Kinder aus der unteren Mittelschicht, die auf Gymnasien in kleineren Städten und auf Technische Oberschulen gehen, – wenn sie überhaupt wählen – populistische Parteien? Deshalb, weil sogar eine höhere Bildung, die in Polen immer häufiger ist, und das immer höhere Einkommen der Polen nicht vor der Verführung seitens der populistischen Politik retten. Deshalb, weil mit der Ausbildung und dem Einkommen nicht unbedingt das kulturelle Kapital in Polen zunimmt. Deshalb, weil das Ideal, Ambitionen zu haben, verwässert. Das folgende Beispiel soll illustrieren, was es mit dieser Verwässerung auf sich hat: Mein Kollege, ebenfalls Soziologe, hatte die Gelegenheit, in seiner Verwandtschaft an einer Hochzeit in einer kleinen Ortschaft in Polen teilzunehmen. Er hatte die Verwandten einige Jahre nicht gesehen und stellte nun fest, dass fast alle wirtschaftlich-materiell vorangekommen sind. Sie fuhren ordentliche Autos, die Ausrichtung der Hochzeitsfeier deutete nicht auf Armut hin, sie erzählten stolz von ihren gebauten Häusern, den Kindern im Studium und den ausgeübten, auf der Statusskala nicht niedrig angesiedelten Berufen. Dabei tanzten sie zu den einfachen Rhythmen des Disco-Polo und konnten alle Texte mitsingen. Auf andere, etwas weniger eingängige Rhythmen, die der DJ anzubieten versuchte, reagierten sie mit der sofortigen Rückkehr zu ihren Plätzen. Die deutlich sichtbaren Merkmale des ökonomischen Wohlstands vermengten sich im Bereich des Lebensstils reibungslos mit der "volkstümlichen" Popkultur und "Tradition". Mein Kollege aus der Soziologie stellte fest, dass die auf der Hochzeitsfeier beobachteten Verwandten in ihrer Kultur, ihrem Lebensstil eingeschlossen sind und dass der ökonomische Fortschritt hier mit keinerlei Fortschritt in Bezug auf den "Konsum" von Kultur verbunden ist. Mehr noch – bei den Menschen, die doch eine weitere sozio-ökonomische Stufe genommen haben, war keine Scham oder zumindest Verlegenheit aufgrund ihrer "eigenen Kultur" zu spüren – eine Scham, die der Motor für den Wunsch sein könnte, auch in diesem Bereich "weiter nach oben zu kommen".

Wir haben es zurzeit in Polen mit der Situation zu tun, dass die Kultur, verstanden als Lebensstil und Symbole im weiteren Sinne, die sozialen Schichten definiert (anstatt, wie früher, das Einkommen, der ausgeübte Beruf, die Ausbildung und andere "traditionelle" Parameter, die die Grenzen der sozialen Welten markierten). Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass es heute keine anzustrebenden Ideale gibt, denn wonach sollten die Menschen innerhalb ihrer sozialen Schichten, Kategorien oder Welten streben? Wenn Kultur die Grenzen der sozialen Welt markiert, können die Menschen es bei ihrer Kultur belassen, welche auch immer diese sei. Das birgt eine gewisse Gefahr – es ist dies nämlich die Rechtfertigung für den fehlenden Wunsch, sich selbst zu übersteigen, es ist die Rechtfertigung für das Fehlen eines einst gesellschaftlich und erzieherisch motivierten "Fortschreitens" sowie für die Abneigung gegenüber kulturellem Aufstieg. Ein Fest, Primitivität, billiges Vergnügen und Disco-Polo reichen dann vollkommen. Man muss dann nichts mehr verbessern, nichts mehr erreichen – unser Lebensstil und unser Geschmack sind in Ordnung. Wozu Bücher lesen? Wozu zeitgenössische Kunst verstehen? Wozu die Motivationen nachvollziehen, die die Helden schwieriger Theaterstücke antreiben? Wozu Ohren und Verstand mühsam an Musik gewöhnen, die weniger einfache Rhythmen und Melodien hat, als die aus den Synthesizern?

Leider mischen sich in diesen "traditionellen" und "volkstümlichen" Lebensstil außer dem nicht gerade raffinierten Geschmack bis zu einem gewissen Grade solche Faktoren gesellschaftlicher Probleme wie mangelndes allgemeines Vertrauen, eine autoritäre Einstellung und die Abneigung gegenüber demokratischen politischen Lösungen. Es mag sehr hart klingen, aber die Legitimierung von Lebensstilen und Geschmack, die einst als wenig niveauvoll betrachtet wurden, wird zur Folge haben, dass sich ganze Teile der Gesellschaft restlos dem Marketing unterordnen werden, inklusiv dem politischen Marketing als der einzigen Kraft, die das menschliche Tun steuert. In der Folge werden die Polen keine Gesellschaft sein, sondern eine lose Föderation von Zielgruppen, hartnäckig analysiert und effektiv formatiert vonseiten der Konzerne und des politischen Marketings. Und dieses nutzen populistische Parteien hervorragend.

Warum bewegt sich die Jugend, wenn sie vorher bewegungslos war?

Anfang 2017 ordnete die PiS das Verfassungstribunal der parlamentarischen Mehrheit (das heißt gegenwärtig der PiS) unter. Zunächst hatte die Jugend nicht gegen die Zerstörung des Tribunals protestiert. Warum nicht? Das politische Handeln der Jugend ist davon abhängig, ob die Entscheidungen der Politiker unmittelbar ihren Lebensstil und ihren Alltag betreffen. Wenn jene sich auf abstrakte Ziele beziehen, die weit von ihrer Lebensrealität entfernt sind, ergeben sich von selbst keine Reaktionen.

Die Mehrheit der Menschen hat nicht das Vorstellungsvermögen, um abstrakte Systeme wie das politische System mit seinem komplizierten Netz von Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Institutionen oder das Gerichtswesen auf der Ebene des Verfassungstribunals mit dem eigenen Leben in Beziehung zu setzen. Insbesondere gilt dies für junge Menschen, die sich bisher nicht besonders oder gar nicht für die öffentliche Sphäre interessiert haben. Als Ursache für die zunehmenden Proteste der jungen Menschen gegen die Gesetze über das Gerichtswesen, die von der PiS durch die Abstimmungen im Sejm gebracht wurden, lässt sich daher vermuten, dass die Informationen aus der die jungen Menschen umgebenden Wirklichkeit durch das Sieb von Gleichaltrigen, sozialen Medien und Eltern gefiltert wurden. Auf diese Weise wurde jenes abstrakte System mit ihrem Privatleben verknüpft. Der Jugend wurde erklärt, dass so weit reichende Änderungen bei den allgemeinen Gerichten oder die Regulierung des Obersten Gerichts in der Zukunft Einfluss auf ihr Leben werden haben können. Mit anderen Worten: Es kam zu einer raschen Anwendung des abstrakten politisch-rechtlichen Systems auf das Privatleben. Eine ähnliche Situation, die schnelle und vereinfachte Übertragung eines komplizierten politischen Sachverhalts auf das eigene Leben, hatte im Jahr 2012 stattgefunden, als die Jugend gleichermaßen heftig gegen das internationale Abkommen ACTA protestierte, das den Schutz der Urheberrechte im Internet betraf. ACTA war damals als brutaler Eingriff in die Aktivitäten junger Menschen im Internet betrachtet worden.

Publizisten und Kommentatoren übertrafen sich natürlich in der Formulierung weiterer Hypothesen, warum die Jugend gerade jetzt auf die Straße gegangen sei. Zum Beispiel: Die ausgesprochen brutale Sprache der PiS-Politiker habe sie abgestoßen, die unter anderem bei dem aufgebrachten Auftritt von Parteichef Jarosław Kaczyński im Sejm hervorbrach, als, an die Opposition adressiert, die nun schon berühmten Worte "»verräterische Fressen", und "Kanaillen" fielen; ein anderes Beispiel wäre der Ausdruck "UB-Witwen" [Urząd Bezpieczeństwa, Staatssicherheitsdienst in der Volksrepublik Polen in der Phase des Stalinismus, d.Übers.], der von einem PiS-Senator kreiert wurde.

Solcherart Behauptungen oder Beschimpfungen werden von den Jugendlichen in den Kategorien der Blamage, des Surrealen, der fehlenden Deckungsgleichheit zwischen der Sprache der polnischen Politik und ihrer Welt betrachtet. Sie stellen keine Bedrohung dar, sondern rufen nur das Gefühl der Absurdität hervor; Absurdität allerdings in einer solchen Dosis, dass gegen sie protestiert werden muss, denn hinter dem Absurden könnten autoritär eingestellte Regierende lauern, die in den Kategorien der Volksrepublik Polen denken. In einem der Fernsehinterviews, die während der Proteste geführt wurden, sagte eine vielleicht 20-jährige Frau mit breitem Lächeln, dass sie an der Demonstration teilnehmen musste, weil sie eine "UB-Witwe" sei.

Aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, waren die Proteste der jungen Menschen eine Art Event oder Flashmob, das heißt eine Versammlung von Personen, die sich nicht kennen und mithilfe von Internet und SMS zusammengerufen wurden. Junge Menschen nehmen sehr gern an so etwas teil, und die Proteste zur Verteidigung des Gerichtswesens gaben ihnen zusätzlich die moralische Legitimation zu handeln und bestätigten die Lauterkeit der eigenen Ansichten.

Dies mag ein wenig so klingen, als seien die letzten Demonstrationen in Polen für die Jugend eine weitere Form der Unterhaltung gewesen, und meiner Meinung nach waren sie es auch. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ihr Engagement authentisch war und sie das, was in Polen passiert, ernst nehmen. Ich bin also weit davon entfernt, zu suggerieren, dass sich die an Politik nicht interessierte Jugend mithilfe von Facebook und anderen Internetmedien zusammengefunden hat, um mit Kerzen in der Hand auf der Straße herumzuspringen. Keinesfalls. Die jungen Menschen hatten das Gefühl, dass die Regierung an die wichtigsten Institutionen der Demokratie Hand anlegt und dies zudem in einer Sprache kommuniziert, die keinen Bezug zu ihrer eigenen Wirklichkeit hat. Dies rief jenen gesellschaftlichen Impuls hervor. Natürlich hat die Form des Protestes viel mit den bisherigen kulturellen Praktiken der jungen Menschen zu tun, also der Teilnahme an Events. Mehr noch, ich stimme dem ehemaligen PiS-Politiker und heute PiS-Kritiker Ludwik Dorn zu, dass der Protest für die großstädtische Jugend zu einer Generationenerfahrung werden kann – meiner Einschätzung nach sogar zu einer "magischen" Erfahrung. Magisch deshalb, weil die jungen protestierenden Polen das Event mit dem Einlegen von Vetos verknüpften. Sie glaubten an das Event als wirkende Kraft. Sie glaubten, dass es ihnen auf der Straße gelingen würde, die Zerstörung der Unabhängigkeit des Gerichtswesens aufzuhalten. Sie skandierten, dass es aufhören solle zu regnen, und es hörte auf. Indessen war der Einfluss der Demonstrationen auf die Entschluss von Präsident Andrzej Duda, Vetos gegen zwei der drei verabschiedeten Gesetze einzulegen, eher nicht entscheidend.

Eine andere Hypothese, die Publizisten aus den beobachteten Protesten der Jugend ableiteten, lautet, dass eine große Rolle die sogenannten szafiarki z Instagrama spielten, das sind die im Jugendmilieu populären Internet-Celebrities, die im Netz den Inhalt ihrer Kleiderschränke (polnisch: szafa, d. Übers.) präsentieren. Dank ihnen wurde das Verbreiten von Fotos der Proteste sehr hip. Allerdings reagierten die szafiarki erst, als es bereits populär war, Fotos von den Demonstrationen in den sozialen Medien zu posten. Davon abgesehen und ganz generell meine ich, dass das Internet, das heißt vor allem Facebook, Twitter oder Instagram, eine enorme Rolle bei der Bekanntmachung der Demonstrationen spielte. Nach der berühmten Parlamentsdebatte mit den "»verräterischen Fressen" lief das Netz heiß. Auf den Facebookseiten der jungen Menschen, die de facto fast die einzige Informationsquelle für sie sind, begannen Nachrichten aufzutauchen, als wolle die Politik ihrem privaten Mikrokosmos nahetreten und als könne die Vernichtung der Gerichte die Stabilität ihrer Welt bedrohen. Die Jugend ist in ihren Interneträumen eingekapselt, in ihnen erhält sie Informationen vor allem von Facebookfreunden oder ähnlichen Vermittlern. Die jungen Menschen funktionieren in ihrer abgekapselten Subwelt, sind aber gleichzeitig offen dafür, an verschiedensten kulturellen Events teilzunehmen. Autoritäten sind die Gleichaltrigen und die Clique. Und in einem solchen Internet-Subwelt-Milieu kann man, wie zu sehen war, eine gesellschaftliche Erhebung in Gang setzen, eine mächtiges allabendliches Event, das sich mit der Zeit in eine ernste Zeremonie verwandelte.

Der Politologe Paweł Kowal beschrieb es im Fernsehsender TVN, einem privaten, regierungskritischen Sender, folgendermaßen: Im Gegensatz zu den Demonstrationen des Komitees zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji – KOD), die geradezu unterhaltsam gewesen seien, habe bei jenen eine ernsthafte Atmosphäre geherrscht. Die Demonstranten hätten patriotische Elemente integriert sowie ein gewisses Zeremoniell, das in dem Meer von Kerzen in den Händen der Demonstranten zum Ausdruck gekommen sei. Zu dieser Ausdrucksform kam es, weil es in Polen schwierig ist, sich auf eine andere Symbolik oder Tradition zu berufen als die konservative oder patriotische, insbesondere wenn es um politischen Protest geht. Ein deutlicher Teil der jungen Menschen, auch der protestierenden, zeigt eine patriotische, teilweise sogar nationalistische Haltung, aber diese äußert sich nicht in der Wahl radikaler rechter Gruppierungen. Linke Publizisten in Polen befürchten seit Jahren, dass diese Haltung erschreckende Dynamiken auf der politischen Bühne nach sich ziehen wird, beispielsweise in Form der Unterstützung für solche Gruppierungen wie das National-Radikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny – ONR). Allerdings scheint sich etwas anderes aus der patriotischen Haltung der Jugend abzuleiten: Man muss auf ernsthafte Art und Weise protestieren, ohne Hass, für die Verteidigung des eigenen Landes, das man völlig normal mag. Man muss sich von dem niederträchtigen Gesicht der gewöhnlichen Politik lösen, in der sich die Damen und Herren Politiker mit Verleumdungen überhäufen. Ein solcher Protest, der im Widerspruch zu dem üblichen politischen Zirkus steht, sollte in einer zeremoniellen Weise vonstattengehen. Das Event veränderte sich ab einem bestimmten Moment in ein ernsthaftes Zeremoniell, das stärkere Emotionen weckte. Die jungen Menschen suchen also neue Symbole, um die sie ihr politisches Denken und Handeln organisieren können. Die Suche nach gemeinsamen Symbolen für eine Generation wird sich als sehr schwierig erweisen, denn Symbole enthalten eine starke schichtenspezifische Komponente. In gewisser Weise verschmelzen sie mit dem Lebensstil. Beispielsweise ist für bestimmte junge Männer mit ausgeprägt rechten Ansichten die Symbolik des Zweiten Weltkriegs und der "verfemten Soldaten" von Bedeutung – diese würden aber diejenigen, die an Protesten zur Verteidigung des Gerichtswesens teilnahmen, ablehnen, selbst wenn sie eine patriotische Einstellung haben.

Konkrete Politik

Eine weitere Hypothese zur Erklärung des Ausbruchs gesellschaftlicher Unzufriedenheit bei einem Teil der jungen Menschen leitet sich daraus ab, dass sie erst jetzt die Folgen der eigenen passiven Haltung des Nichtwählens bzw. der Wahl solcher Parteien wie der PiS oder radikaler Antisystemparteien wie KORWIN oder Kukiz ‘15 spüren. Mit anderen Worten: Ältere Kommentatoren, die der PiS gegenüber negativ eingestellt sind, werfen der Jugend Dummheit vor. Erst würde sie die Radikalen wählen und sich anschließend darüber wundern, was passiert sei und dass nach getroffener Wahl oder Nichtwahl die Gerichte und die Demokratie auf der Straße verteidigt werden müssten. Doch der Soziologe Rafał Drozdowski stellt fest, dass wir es gegenwärtig mit der Sehnsucht nach konkreter Politik zu tun haben. Die Jugend wählt, wenn sie wählen geht, im Einklang mit ihrer Sehnsucht nach dem Konkreten. Zum Teufel mit den abstrakten Annahmen über die demokratische Bürgergesellschaft oder die Emanzipation verschiedener Minderheiten, zum Beispiel der sexuellen, die bisher von linksliberalen Gruppierungen oder dem Mainstream lanciert wurden. Es geht der Jugend darum, dass die Politiker etwas Konkretes, das sich direkt auf das Individuum bezieht, vorschlagen und umsetzen. Was bedeutet das? Die PiS erschien als Option, die einfach das realisiert, was sie sagt. Vereinfacht gesagt, ist es dabei egal, um was es geht, denn der Inhalt hat keine so große Bedeutung. Die PiS hat das Familienförderprogramm 500 + angekündigt und hat 500 + umgesetzt. Sie hat die Schließung der Mittelschulen versprochen und hat sie geschlossen. Das ist die Kraft des Konkreten. Hier ist eine handfeste Regierungsmacht, die handelt. Vielleicht handelt sie manchmal dumm, aber sie tut etwas und verwässert nicht alles in strategischer Planung, Gelaber, Verhandlungen und Konsultationen. Die Bürgerplattform war nicht in der Lage, sich zu so etwas durchzuringen.

Die Bürgerplattform gehört in den Augen der jungen Menschen zu derselben eingespielten, alten und sonderbaren Kategorie wie die PiS, nur mit dem Unterschied, dass Jarosław Kaczyński für die jungen Bürger der polnischen Metropolen in ästhetischer und kommunikativer Hinsicht peinlicher ist. Aber im Grunde ist es ein und dieselbe alte Geschichte, eine Erzählung in einer unverständlichen Sprache aus einem uralten Königreich, indem Drachen des UB flogen, gegen die die tapferen Solidarność-Ritter kämpften. Die beiden Kontrahenten, die einen politischen Kampf miteinander ausfechten, sind für die jungen Polinnen und Polen ein und dasselbe und gleichermaßen archaisch. Die jungen Polen, die gegen die Reform des Gerichtswesens protestierten, hatten mehrheitlich keine Ahnung, was die Abkürzung UB bedeutet, mit dem sie von den Politikern der regierenden national-konservativen Partei etikettiert wurden. Um zu erfahren, dass es sich um den Staatssicherheitsdienst der Volksrepublik Polen handelt, mussten sie das entsprechende Stichwort bei Wikipedia abrufen…

Und weil die beiden größten politischen Parteien in Polen als die zwei Seiten derselben unbrauchbaren Medaille gesehen werden, tritt hier nicht der Automatismus auf: Ich bin gegen die Zerstörung der Unabhängigkeit der Gerichte durch die PiS, also werde ich die PO oder Die Moderne (Nowoczesna) oder die Vereinigte Linke (Zjednoczona Lewica) wählen. Bei den jungen Polinnen und Polen keimt der Gedanke, dass uns ein langer Marsch erwartet, obgleich sie in jugendlicher Ungeduld sicherlich wünschen, dass es ein kurzer sei. Ein Marsch, um neue politische Kräfte aufzubauen oder auf die hinzuweisen, die tatsächlich nicht altbacken und eingespielt sind und sich nicht auf unverständliche Kategorien aus der Vergangenheit vor 30 Jahren berufen. Diese neuen Kräfte sollten sich für die Reform wesentlicher Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aussprechen, einschließlich des Gerichtswesens, aber sie dürften es nicht wie die PiS mit Axt und Kettensäge durchsetzen.

Hinzu kommt, dass die Jugend keine Ideen bei der PO oder der Modernen einbringen kann, ein Problem, das übrigens auch ältere Wähler haben. Außerdem findet in den Augen der Jugend eine Krise der leader statt, denn als ein solcher lässt sich Grezgorz Schetyna, Parteichef der PO, schwerlich bezeichnen, ebenso wenig wie Ryszard Petru, Vorsitzender von Die Moderne. Daraus resultieren die intensive Suche nach neuen Gesichtern und der Enthusiasmus, der auf den Demonstrationen den jüngeren politischen Vertretern Kamila Gasiuk-Pihowicz (Die Moderne) und Borys Budka (PO) entgegengebracht wurde.

Wird sich etwas verändern?

Bleibt die Jugend, die in den Ferien protestiert hat, politisch aktiv? Und: Kann die protestierende Jugend aus den Großstädten, das heißt die Minderheit in ihrer Altersgruppe, Einfluss auf die bisher gleichgültige Haltung ihrer Altersgenossen nehmen?

Die jungen Menschen werden mit Sicherheit starken Einfluss mit Hilfe der Möglichkeiten des Internets ausüben, allerdings ausschließlich auf Gleichaltrige mit sehr ähnlichen schichtenspezifischen Parametern, da sie in ihren gesellschaftlichen Subwelten mit ihren unüberwindbaren Grenzen eingeschlossen sind. Schüler der Berufsschulen im ostpolnischen Białystok werden sich etwas völlig anderes über Facebook mitteilen als Warschauer oder Krakauer Gymnasiasten. Zudem stellen die jüngsten Wähler nur zehn Prozent der Wahlberechtigten, die Wirkung ihres Handelns wird daher bei den kommenden Wahlen in Polen nicht sehr stark sein.

Ich befürchte außerdem, dass sich die wichtige Erfahrung der letzten Proteste nicht in politische Aktivität transformiert, weil für die jungen Menschen der Gang zur Wahlurne keine solche ist. Politische Aktivität ist für sie vielmehr, sich in Internetforen zu verständigen, auf politischen Events zu skandieren, aus Wahlen Ereignisse zu machen, bei denen man seine eigene Identität oder seinen Sinn für Humor manifestiert. Jedoch muss man im Wahllokal manchmal Kompromisse eingehen und jemanden wählen, der nicht unbedingt der Sprecher aller meiner Präferenzen ist, das heißt das geringere Übel wählen. Martyna Hoffman stellte fest, dass, wenn den jungen Menschen das geringere Übel zur Wahl steht, sie lieber das "Reh mit dem Stuhl auf dem Kopf" wählen…

So etwas kann sich wiederholen, wenn sich kein politischer Akteur findet, der auf die Bedürfnisse der jungen Menschen reagiert. Die Dynamik der politischen Bühne ist ungeheuer langsam im Vergleich zu der schnellen Dynamik der Emotionen und Veränderungen der Lebenseinstellungen der jungen Menschen. Sie sind aktiv geworden und werden schnell etwas machen wollen – so schnell, wie es im Internet zugeht. Allerdings wird in der Welt der Politik außerhalb des Internets mit Sicherheit alles viel langsamer laufen. Es wird zuerst zu Rivalitäten in den Parteien kommen, zur mühsamen Vereinbarung, wer der Chef ist. Die jungen Akteure, Borys Budka und Kamila Gasiuk-Pihowicz, die auf der Protestwelle nach oben getragen wurden, werden versteckt werden, um altgedienten Aktivisten Platz zu geben. Die Opposition wird sich in ihren geliebten Status quo einmauern, so dass zu befürchten steht, dass sie von keinem der nach den Protesten "beschleunigten" jungen Menschen gewählt werden wird. Sie werden jemand Neues wählen, der ihnen etwas nichtpopulistisches Konkretes vorsetzt.

Erfreulich ist, dass bei den jungen Menschen die rebellische Haltung wieder auflebt und sich die Gleichgültigkeit verringert. Noch im Jahr 2013 war von einem Aufruhr der jungen Generation keine Rede. Heute dagegen rebelliert ein Teil der Jugend auf den Straßen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Fußnoten

  1. Szafraniec, Krystyna: Dojrzewający obywatele dojrzewającej demokracji. O stylu politycznej obecności młodych. Warszawa 2012. S. 91.

Prof. Dr. Tomasz Szlendak ist Direktor des Instituts für Soziologie an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn (Uniwersytet Mikołaja Kopernika, Toruń). Seine Forschungsinteressen im Bereich der Kultur- und Familiensoziologie richten sich auf Veränderungen des Lebensstils, kulturelle Praktiken, Praktiken der Sozialisierung und Geschlechterverhältnisse. Zuletzt erschien: Szlendak, Tomasz; Olechnicki, Krzysztof: Nowe praktyki kulturowe Polaków [Die neuen kulturellen Praktiken der Polen]. Warszawa 2017.