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Nachruf: Würdigung von Paweł Adamowicz (1965 – 2019) - Ein Oberbürgermeister, der Hoffnung machte | bpb.de

Nachruf: Würdigung von Paweł Adamowicz (1965 – 2019) - Ein Oberbürgermeister, der Hoffnung machte

Peter Oliver Loew

/ 4 Minuten zu lesen

"Paweł Adamowicz wird fehlen.“ In seinem Nachruf hebt Autor Peter Oliver Loew das politische Wirken des ermordeten Danziger Oberbürgermeisters und seine Rolle im Kampf für ein liberales Polen hervor.

Der verstorbene Danziger Oberbürgermeister Paweł Adamowicz. (© picture alliance/NurPhoto)

Paweł Adamowicz war der Oberbürgermeister der Stadt Danzig. Er lebt nicht mehr. Er wurde ermordet, auf offener Bühne, in seiner Heimatstadt, während der größten Wohltätigkeitsveranstaltung Polens am 13. Januar 2019. Seine letzten Sätze lauteten: "Danzig ist großzügig und verbindet sich mit dem Guten. Danzig will eine Stadt der Solidarität sein. (…) Es ist eine wunderbare Sache, sich auf die Seite des Guten zu stellen. Ihr seid wunderbar. Danzig ist die wunderbarste Stadt der Welt. Danke!" Wenige Sekunden später stach der Täter dreimal zu, ein kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassener Krimineller, der meinte, sich an der liberalen Partei rächen zu müssen, unter deren Regierungszeit er verurteilt worden war. Tatsächlich hatte Paweł Adamowicz lange der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) angehört, war jedoch 2015 ausgetreten.

Seit dem 13. Januar 2019 ist Polen geschockt, und am geschocktesten ist die Stadt selbst: Danzig begriff sich in den letzten beiden Jahrzehnten als Stadt der Freiheit, der liberalen Bürgerlichkeit, als Vorreiter einer Neuerfindung polnischer Identität jenseits zentralistischer Staatsvorstellungen. Diese Neudefinition ist zu einem guten Teil ein Verdienst Adamowiczs: Seit er 1998 das Amt des Oberbürgermeisters (in Polen heißt es: Stadtpräsident) übernahm, eigentlich schon als Vorsitzender des Stadtparlaments seit 1994, hat er darauf hingearbeitet. Danzig hat sich in dieser Zeit tatsächlich in ungeahntem Maße verändert: Aus einer nach den Kriegszerstörungen und dem Bevölkerungsaustausch von 1945 nach wie vor zerrissenen, unfertigen Stadt, die lediglich in zwei, drei Sommermonaten auflebte, wenn Touristenströme durch die wiederaufgebauten Straßen zogen, ist ein dynamisch vibrierendes Gemeinwesen geworden, das sich in vielen Richtungen verändert hat. Der weitere Wiederaufbau der historischen Innenstadt wurde energisch vorangetrieben, die Verkehrsinfrastruktur mit enormen Investitionen verbessert, neue Stadtteile wurden erschlossen, vor allem aber erhielt die Stadt eine neue kulturelle Identität, versöhnte sich mit ihrer "deutschen" Vergangenheit. Es ist Adamowicz und seinen liberalen Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu verdanken, dass diese sozusagen multikulturelle Erzählung über die Stadt zu einer allgemein akzeptierten lokalen Erzählung geworden ist.

Adamowicz wurde als Vertreter dieser liberalen, gleichzeitig europäischen und regionalistischen Erzählung ermordet. Polen diskutiert nun darüber, welche Rolle hierfür die dramatische Polarisierung der Gesellschaft spielt, die vor allem durch das lange marginalisierte rechte Spektrum vorangetrieben worden ist. Nachdem es unter Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) 2015 an die Macht gekommen ist, hat es keine Mühen gescheut, um Polen umzukrempeln und vieles von dem, wofür das liberale Polen lange gekämpft hatte, rückgängig zu machen. Dieser Kulturkampf, maßgeblich vorangetrieben von Jarosław Kaczyński, zwingt jede Polin, jeden Polen zur Stellungnahme: Bist Du dafür, bist Du dagegen? In diesem Klima gegenseitiger Schuldzuweisungen, Beleidigungen und vor dem Hintergrund, dass den Vertretern der Liberalen und der proeuropäischen Linken von Seiten der Regierenden oft abgesprochen wird, gleichberechtigte Mitglieder der polnischen Nation zu sein, vielmehr als "Verräter" gegen ein eng definiertes "nationales Interesse" zu verstoßen, wurde Adamowicz ermordet. Insofern ist es, selbst wenn der Mörder ein psychisch gestörter Krimineller ist, auch ein politischer Mord. Polen ist erschüttert.

Paweł Adamowicz wird fehlen. Er wird auch mir fehlen. Ich, der ich mich seit einem Vierteljahrhundert intensiv mit Danzig beschäftige, habe ihn als stets für alle Vorschläge offenen, herzlichen und positiven Menschen erlebt. In vielen Gesprächen hat er immer wieder versucht, meine Skepsis über die von ihm geschaffenen Mythen und neuen Erzählungen zu zerstreuen: Danzig, eine seit jeher multikulturelle Stadt? Ein Gemeinwesen, das stets für die Freiheit kämpfte, stets auf der Seite des Guten stand? Ich blieb skeptisch, kann aber auch die Augen nicht davor verschließen, dass diese positiven Mythen Danzig verändert haben: Es wurde zu einer Stadt, die Vergangenheit und Zukunft verband und aus der Geschichte Kraft für die Zukunft schöpfte. Das gelingt nicht jeder historischen Stadt und Paweł Adamowicz hat hier Besonderes geleistet. Seine Liebe zur Stadt Danzig ging einher mit einer großen Zuneigung zu den in ihr lebenden und aus ihr stammenden Menschen. Er, dessen Familie selbst aus Wilna vertrieben worden war, schloss selbst die deutschen Vertriebenen aus Danzig in dieses Bild seiner Stadt mit ein, auch die kleinen nationalen Minderheiten (nicht zuletzt die deutsche) und neue Migranten: keine Selbstverständlichkeit angesichts nationalistischer Diskurse, die in Polen nie ausstarben und gegenwärtig neu aufblühen. Landesweit bekannte Lokalpolitiker mit einer ungebrochenen, unbesiegbaren, unverbiegbaren Leidenschaft, wie Adamowicz sie verkörperte, sind ein gutes Gegenmittel gegen eine oft abstrakt argumentierende und die Wirklichkeit verfälschende Rhetorik der Spaltung, wie sie sich zynische, verbitterte und lediglich vom Drang nach Machterlangung und Machterhalt getriebene Politikerinnen und Politiker ausdenken.

Polen wird sich verändern. Die Ermordung von Paweł Adamowicz könnte zu einem Weckruf für alle diejenigen werden, die an ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, an ein lokal verankertes Europa glauben, an ein Europa, das nicht von griesgrämigen Misanthropen, sondern von wahren Menschenfreunden regiert und verwaltet wird. Hier entsteht zumindest ein wenig Hoffnung in einer traurigen Zeit.

Fussnoten

PD Dr. Peter Oliver Loew ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Stellvertreter des Direktors in wissenschaftlichen Fragen am Deutschen Polen-Institut (Darmstadt) und Autor zahlreicher Publikationen über Danzig und Gdańsk, die deutsch-polnischen Beziehungen und Polen in Geschichte und Gegenwart.