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Der Präsident

Klaus Ziemer

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Das polnische Staatsoberhaupt ist der Präsident, der in allgemeinen Wahlen für eine Amtszeit von jeweils fünf Jahren gewählt wird. Seit den Gesprächen des Runden Tischs ist sein Kompetenzbereich stark beschnitten worden. Stärkste politische Waffe des Präsidenten bleibt sein Vetorecht gegen Gesetze des Parlaments.

Der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski bei der Unterzeichnung der ersten polnischen Verfassung. (© AP)

Staatsoberhaupt ist der seit 1990 in allgemeinen Wahlen auf fünf Jahre gewählte Präsident. Kandidaten müssen mindestens 35 Jahre alt sein und von mindestens 100 000 aktiv wahlberechtigten Bürgern vorgeschlagen werden. Gewählt ist, wer im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten hat. Gegebenenfalls wird zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmstärksten Kandidaten des ersten Wahlgangs durchgeführt. Eine Wiederwahl ist nur einmal möglich.

Die Kompetenzen des Präsidenten und ihre Abgrenzung insbesondere gegenüber der Regierung waren seit dem Runden Tisch umstritten und zum Teil unpräzise. Sie wurden in der Verfassung von 1997 gegenüber der "Kleinen Verfassung" weiter präzisiert und beschnitten. Konnte der Präsident nach der am Runden Tisch vereinbarten Verfassung Einfluss auf die Zusammensetzung der gesamten Regierung nehmen, beschränkte die "Kleine Verfassung" dieses Recht auf seine – freilich umstrittene – Vetomöglichkeit gegen die Ernennung des Innen-, Außen- und Verteidigungsministers. Nun besitzt er dieses Recht nicht mehr.

Bei der Gestaltung der polnischen Außenpolitik arbeitet der Präsident "mit dem Vorsitzenden des Ministerrats und dem zuständigen Minister zusammen" (Verf. Art. 133, Abs. 3), d. h. mit dem Premierminister und dem Außenminister. Das bedeutet in der Praxis, dass die genannten drei Personen bei der Formulierung und Implementierung der polnischen Außenpolitik eng zusammenarbeiten müssen. Gibt es zwischen ihnen Meinungsunterschiede, entstehen zwangsläufig Reibungsverluste. In der Praxis hat sich gezeigt, dass sich die faktische Kompetenzverteilung in außenpolitischen Fragen fast mit jeder personellen Veränderung innerhalb des Dreiecks Präsident – Ministerpräsident – Außenminister geändert hat. Nach amerikanischem Vorbild bildet der Präsident einen Nationalen Sicherheitsrat für innen- und außenpolitische Fragen. Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ein Amt, das in Friedenszeiten vom Verteidigungsminister wahrgenommen wird.

Stärkste politische Waffe des Präsidenten bleibt sein Vetorecht gegen Gesetze des Parlaments, das der Sejm nun bereits mit 60 und nicht wie bisher mit 65 % zurückweisen kann. Doch ist angesichts der parteipolitischen Zersplitterung des Sejm eine solche Mehrheit nicht einfach zu erreichen. Allerdings kann der Präsident nicht mehr sein Veto gegen den Staatshaushalt richten. Er kann ein verabschiedetes Gesetz vor der Unterzeichnung auch dem Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung vorlegen. Bestätigt dieser die Verfassungskonformität des Gesetzes, kann der Präsident kein Veto mehr einlegen. Legt der Präsident sofort sein Veto gegen ein Gesetz ein und weist der Sejm dieses zurück, kann er nicht mehr den Verfassungsgerichtshof anrufen.

Der Präsident behielt in der neuen Verfassung das Vorschlagsrecht für die Nominierung eines neuen Premierministers. Binnen 14 Tagen nach Neuwahlen oder dem Rücktritt der Vorgängerregierung designiert der Präsident einen Regierungschef und auf dessen Vorschlag das Kabinett. Binnen weiterer 14 Tage stellt der neue Regierungschef dem Sejm das Programm seiner Regierung vor und bittet um ein Vertrauensvotum, für das die absolute Mehrheit der Stimmen bei Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der Mitglieder des Sejm erforderlich ist. Abgestimmt wird dabei offen. Wie in der "Kleinen Verfassung" fällt das Vorschlagsrecht bei Scheitern des ersten vom Präsidenten nominierten Kandidaten an den Sejm. Das in der "Kleinen Verfassung" beim Scheitern von Kandidaten vorgesehene Pendelspiel im Vorschlagsrecht zwischen Präsident und Sejm wurde beibehalten, aber verkürzt. Erhält der Sejm-Kandidat keine Mehrheit, kann der Präsident noch einmal einen Regierungschef vorschlagen, findet auch dieser im Sejm keine Mehrheit für seine Regierung, muss der Staatspräsident das Parlament auflösen. Er kann dies binnen 14 Tagen ebenfalls in dem Fall (Artikel 225) tun, wenn der Sejm nicht innerhalb von vier Monaten, nachdem die Regierung dem Parlament das Haushaltsgesetz vorgelegt hat, dieses dem Präsidenten zur Unterschrift vorlegt.

In Fällen von besonderer Bedeutung kann der Präsident den Kabinettsrat einberufen, d. h. den Ministerrat, der unter Vorsitz des Präsidenten tagt. Dem Kabinettsrat stehen dabei jedoch nicht die Kompetenzen der Regierung zu.

Dem Präsidenten steht die Präsidialkanzlei zur Seite, die ihn in wichtigen Politikbereichen berät. In ihr arbeiten Experten für unterschiedliche Bereiche, insbesondere zur Außenpolitik, bis hin zum Rang von Staatssekretären. Tendenziell kann die Präsidialkanzlei zu einer Art Nebenregierung werden, insbesondere wenn Präsident und Regierung unterschiedlichen politischen Lagern zuzurechnen sind.

Die Rolle des Präsidenten ist ähnlich wie die des Präsidenten der V. Französischen Republik als die eines "Schiedsrichters" angelegt, der "über" den Parteien steht. Entsprechend trat General Jaruzelski nach seiner Wahl durch die Nationalversammlung 1989 aus der PZPR aus, um Überparteilichkeit zu demonstrieren. Lech Wałęsa gehörte nie einer politischen Partei an, wurde aber bei den Präsidentschaftswahlen 1990 von der Zentrumsallianz (PC) der Brüder Kaczyński unterstützt, mit denen er sich allerdings bald überwarf. Im Wahlkampf 1995 betonte er mehrfach, dass er parteilos sei. Aleksander Kwaśniewski legte nach seiner Amtsübernahme 1995 seine Mitgliedschaft in der SLD nieder, um sein Amtsverständnis als "Präsident aller Polen" zu unterstreichen. Lech Kaczyński brachte dagegen ein anderes Amtsverständnis zum Ausdruck, als er, nachdem sein Wahlsieg feststand, vor laufenden Kameras im Parteihauptquartier der PiS seinem Bruder Jarosław erklärte: "Herr (Partei-)Vorsitzender, der Auftrag ist ausgeführt". Zwar ließ auch er seine Parteimitgliedschaft danach ruhen, gab aber mehrfach, unter anderem in seiner Ansprache an die Nation vom 13. Februar 2006, eindeutig zu verstehen, dass er nicht die Ambition habe, "Präsident aller Polen" zu werden, sondern dass er die von seinem Bruder als Parteichef (und zeitweise als Ministerpräsident) verfolgte Politik unterstütze.

Wałęsa und Kwaśniewski hatten keine grundsätzlichen Probleme, in Zeiten einer Cohabitation mit Premierministern zusammenzuarbeiten, die nicht dem eigenen politischen Lager angehörten, wobei bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung von 1997 bei der Besetzung des Innen-, des Verteidigungs- und vor allem des Außenministeriums auf Einvernehmen geachtet wurde. In Zeiten der Cohabitation gewinnt der Premierminister ähnlich wie in Frankreich an Gewicht und auch das politische System Polens trägt dann stärker parlamentarische Züge, ohne dass darunter die Zusammenarbeit der Institutionen Präsident, Regierung und Parlament gelitten hätte. Die ersten Monate des miteinander, vielfach aber auch nebeneinander, wenn nicht gegeneinander Regierens von Präsident Kaczyński und Premierminister Tusk haben deutliche Reibungsverluste erkennen lassen.

Gerade durch sein Bemühen um Ausgleich erhielt Präsident Kwaśniewski jahrelang hohe und höchste Zustimmungsquoten in der Gesellschaft, die weit über den Zustimmungswerten für die Regierung, das Parlament sowie die meisten anderen Institutionen lagen. Erst gegen Ende seiner zweiten Amtszeit sanken auch die Sympathiewerte für ihn deutlich. Lech Kaczyński dagegen, der sich vor allem außenpolitisch in der ersten Hälfte seiner Amtszeit weit passiver als sein Amtsvorgänger verhielt und eher als Parteigänger seines streitbaren Zwillingsbruders Jarosław (2006–2007 Ministerpräsident) auftrat, konnte bislang nicht die Traumwerte seines Vorgängers an Zustimmung für die Amtsführung erhalten und entsprechend auch nicht die dem Staatsoberhaupt traditionell ebenfalls zugeschriebene Funktion der Integration der Gesellschaft wahrnehmen.

Quellen / Literatur

Auszug aus: Klaus Ziemer, "Die politische Ordnung", in: Externer Link: "Länderbericht Polen", hrsg. von Dieter Bingen und Krysztof Ruchniewicz (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung Bd. 735), Bonn 2009.

Fussnoten

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Prof. Klaus Ziemer lehrt an der Universität Trier Politikwissenschaft und Neuere und Osteuropäische Geschichte. Von 1998-2008 war er Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau.