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Heimat Almanya Die deutsch-türkische Migration

Dr. Yaşar Aydın

/ 10 Minuten zu lesen

1961 unterzeichneten die türkische Regierung und die Bundesregierung ein Anwerbeabkommen, mit dem ein Migrationsprozess zwischen der Türkei und Deutschland in Gang gesetzt wurde. In differenzierter Form setzt dieser sich bis heute fort.

Türkeistämmige haben Deutschland seit den 1960er-Jahren in vielerlei Hinsicht geprägt. Der "Döner" hat sich als "deutsch-türkisches Produkt" sogar zu einem gemeinsamen Exportschlager entwickelt. Kunden am Tresen des New Yorker Imbiss "Kotti Berliner Döner Kebap". (© picture-alliance)

Annähernd vier Millionen Menschen kamen im Rahmen des Anwerbeabkommens von 1961 nach Deutschland, etwa die Hälfte von ihnen ging später wieder in die Türkei zurück. 1973 verordnete die Bundesregierung einen Anwerbestopp für Arbeitnehmer aus dem Ausland, wodurch die Arbeitsmigration nach Deutschland insgesamt zurückging, die Zahl der Zugewanderten stieg dennoch weiter an: Die "Gastarbeiter" holten ihre in der Heimat verbliebenen Partner und Kinder nach.

Der Familienmigration in den 1970er-Jahren folgte nach dem Militärputsch von 1980 eine politisch motivierte Migrationsbewegung aus der Türkei, zahlreiche politisch Verfolgte suchten Schutz in Deutschland. Was dem politischen Transnationalismus – also der politischen und sozialen Interaktionen über die Landesgrenzen hinweg – Auftrieb gab: Es entstanden Migrantenorganisationen und eine transnationale politische Solidarität, die den politisch Verfolgten aus der Türkei die Zuwanderung nach Deutschland und die Eingliederung in die Gesellschaft erleichterten.

In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre kam es zu einer Rückwanderung von Türkeistämmigen in die Türkei, deren Zahl auf etwa 400.000 geschätzt wird. Angestoßen wurde sie durch das Rückkehrförderungsgesetz, das von der konservativ-liberalen Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl 1983 verabschiedet wurde, und das finanzielle Anreize für die Heimkehr von "Gastarbeitern" und ihren Familien schaffte. Ausschlaggebend für dieses Gesetz waren nicht nur ökonomische Erwägungen, sondern auch die Annahme, dass die meisten Türkeistämmigen in Deutschland aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit in ein christlich geprägtes westeuropäisches Land nicht integrierbar seien.

In den 1990er-Jahren spitzte sich der bewaffnete Kampf zwischen den türkischen Streitkräften und der kurdischen Terrormiliz PKK zu, wodurch eine Welle der Abwanderung aus den Südosten in die Westtürkei und von dort aus auch nach Deutschland ausgelöst wurde. Viele Kurdinnen und Kurden kamen nach Deutschland und beantragten Asyl, wodurch in Deutschland eine transnationale kurdische Diaspora entstand.

Migrationswende

In den 2000er-Jahren kam es dann zu einer Interner Link: Wende in der türkisch-deutschen Migrationsgeschichte: 2006 wanderten erstmals mehr Menschen aus Deutschland in die Türkei ab als umgekehrt aus der Türkei nach Deutschland zuwanderten. Seit 2005 hat sich die Zuwanderung aus der Türkei nach Deutschland stark verlangsamt, während umgekehrt die Abwanderung aus Deutschland in die Türkei relativ konstant blieb. Im Jahr 1991 wies die deutsch-türkische Migrationsbilanz noch ein Plus von etwa 46.000 Personen zugunsten Deutschlands auf. Im Jahr 2000 waren es noch knapp 10.000, 2006 gab es schließlich eine negative Migrationsbilanz für Deutschland, die sich bis 2014 fortsetzte.

Tabelle: Ab- und Zuwanderung aus der und in die Türkei 1991 bis 2015

1991 2003 2004 2005 2006 2007 2008
in die Türkei 36.639 35.612 37.058 34.595 33.229 32.172 38.889
nach
Deutschland
82.635 49.699 42.222 36.341 31.449 28.926 28.742
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
in die Türkei 39.615 36.033 32.756 32.788 33.644 31.941 30.540
nach
Deutschland
29.544 30.171 31.021 28.641 26.390 27.805 32.684

Darstellung Tabelle: Yaşar Aydın. Quelle: BAMF, 2018.

Hierbei sollte beachtet werden, dass die "Zuwanderung" aus der Türkei nach Deutschland "übererfasst" ist, die negative Migrationsbilanz eigentlich noch größer war: Denn die jährlichen Einreisen aus der Türkei nach Deutschland waren beispielsweise in den letzten drei bis vier Jahren etwa drei Mal höher als die an türkische Staatsbürger erteilten Einreisevisa. Daraus lässt sich schließen, dass etwa zwei Drittel der Zugewanderten bereits in Deutschland gelebt haben und daher im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder der deutschen Staatsbürgerschaft sein müssten. Insofern handelt es sich bei einem Großteil der aus der Türkei nach Deutschland Zugewanderten nicht um "Neuankömmlinge", wie es angenommen wird, sondern um "Rückkehrer" (zirkuläre Migration).

2015 wies die deutsch-türkische Migration erstmals seit 2005 wieder eine positive Bilanz auf. Die Zuzüge aus der Türkei nach Deutschland sind von 21.508 im Jahr 2015 auf 24.337, der Wanderungssaldo von 6.649 auf 9.488 im Jahr 2016 angestiegen. Dieser Trend dürfte sich aufgrund von politischen Ereignissen in der Türkei (Putschversuch am 15. Juli 2016, seither Ausnahmezustand) fortgesetzt haben – offizielle Daten dazu existieren jedoch noch nicht.

Das Profil der Mobilität zwischen Deutschland und der Türkei hat sich ebenfalls gewandelt. Die aktuelle deutsch-türkische Migration besteht nicht nur aus der Familienmigration, die in den letzten Jahren an Bedeutung verloren hat, und der Pendelmigration deutscher wie türkeistämmiger Pensionierter. Es finden auch Geschäfts- und Urlaubsreisen und temporäre Aufenthalte von Studenten, Wissenschaftlern und sonstigen Hochqualifizierten in beide Richtungen statt.

Diese immense Intensivierung und Diversifizierung des sozialen, kulturellen und politischen Austauschs ist sowohl Ergebnis als auch Folge der Transnationalisierung, die die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei in der Vergangenheit erfahren haben. Die Transnationalität kommt in den bikulturellen Orientierungen, den Doppelidentitäten und Doppelloyalitäten von Türkeistämmigen zum Ausdruck, aber auch in deren sozio-politischen Aktivitäten, die sich auf beide Länder beziehen.

Transnationale türkische Diaspora in Deutschland

In Deutschland hat sich im Zuge der Zuwanderung aus der Türkei eine transnationale Diaspora herausgebildet, in der soziale, kulturelle und politische Elemente aus der Türkei weiter wirken, sich mit hiesigen Elementen vermischen und beide Gesellschaften und politische Systeme beeinflussen. Dabei spielen die sowohl in Deutschland betriebenen türkischen Medien als auch die in der Türkei aufgelegten, die auch in Deutschland konsumiert werden, eine wichtige Vermittlungsrolle: Sie bilden quasi eine "Zwischenwelt" deutsch-türkischer Beziehungen. Eine nicht zu vernachlässigende Vermittlerfunktion zwischen der Politik und den Türkeistämmigen übernehmen auch die transnational ausgerichteten migrantischen Selbstorganisationen, die den Türkeistämmigen diverse Veranstaltungen anbieten und Interessenvertretung betreiben. Die Türkeistämmigen prägen mit ihren wirtschaftlichen, soziopolitischen und kulturellen Aktivitäten nicht nur die Gesellschaft und Politik in Deutschland nachhaltig mit, sondern auch einen Teil der deutsch-türkischen und der EU-Türkei-Beziehungen.

Von den knapp drei Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit Wurzeln in der Türkei sind etwa 1,6 Millionen deutsche und 1,4 Millionen türkische Staatsangehörige. Laut Zensus 2011 liegt die Zahl der Türkeistämmigen mit Doppelpass bei 530.596. Die Zahl der türkischen Staatsangehörigen ist rückläufig, was in erster Linie mit Einbürgerungen, Verleihung der Staatsbürgerschaft durch Geburt, der Nichtzulassung der doppelten Staatsbürgerschaft und den restriktiven Einreisebedingungen auch bei der Familienzusammenführung erklären lässt.

Verteilung der türkischen Staatsbürger in Deutschland nach Bundesländern 2016 (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Der Großteil der türkischen Staatsbürger lebt in den vier großen Flächenländern: In NRW leben 33,57 Prozent, in Baden-Württemberg 17,38 Prozent, in Bayern 13,3 Prozent und in Hessen 10,48 Prozent der türkischen Bürger. In den drei Stadtstaaten leben zusammen 11,94 Prozent der türkischen Staatsbürger in Deutschland; in Berlin 7,23 Prozent, in Hamburg 3,09 Prozent und in Bremen 1,62 Prozent. Schlusslichter sind Sachsen (0,3), Sachsen-Anhalt (0,18), Brandenburg (0,17), Thüringen (0,14) und Mecklenburg-Vorpommern (0,09).

19 Prozent der deutschen Frauen, die eine binationale Ehe führten, hatten einen türkischen Ehemann, 14 Prozent der deutschen Männer mit binationalen Ehen, waren mit einer türkischen Frau verheiratet (Destatis, 18.2.2015). Rund 96.000 türkische Unternehmer in Deutschland beschäftigen derzeit ca. 500.000 Mitarbeiter und erwirtschaften einen Jahresumsatz von ca. 50 Mrd. Euro.

Religion und Türkeistämmige

Im Zuge der Debatten um den politischen Islam, angestoßen u.a. durch die Terroranschläge von 11. September 2001 und den Aufstieg des IS und dschihadistischen Gruppierungen im Nahen Osten und deren Anschlägen in Europa, ist die Skepsis der Deutschen gegenüber Türkeistämmigen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit angestiegen.

Eine repräsentative Erhebung von Kantar EMNID von 2016 hat ergeben, dass 82 Prozent der Deutschen den Islam mit der Benachteiligung von Frauen, 72 Prozent mit Fundamentalismus und 64 Prozent mit Gewaltbereitschaft assoziieren. Währenddessen hält nur 7 Prozent der befragten Türkeistämmigen es für gerechtfertigt, Gewalt anzuwenden, wenn es um die Verbreitung und Durchsetzung des Islam geht. 36 Prozent glauben dagegen, dass nur der Islam in der Lage ist, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Die Erhebung kommt zu dem Ergebnis, dass 13 Prozent der Befragten als religiöse Fundamentalisten einzustufen sind, während 67 Prozent sich als religiös einschätzen. Gleichwohl besuchen nur 28 Prozent der Türkeistämmigen regelmäßig eine Moschee und nur 45 Prozent beten regelmäßig.

Selbsteinschätzung der Türkeistämmigen

90 Prozent der befragten Türkeistämmigen fühlen sich in Deutschland wohl, 87 Prozent bringen ihre Verbundenheit mit Deutschland zum Ausdruck und 70 Prozent besitzen einen starken Willen zur Integration: Sie stimmen der Aussage "Ich möchte mich unbedingt und ohne Abstriche in die deutsche Gesellschaft integrieren", zu.

Gleichwohl fühlen sich 51 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland als "Bürger zweiter Klasse" und 54 Prozent sind der Ansicht, dass ihnen von Seiten der Mehrheitsgesellschaft keine Anerkennung zuteilwerde, ungeachtet dessen, wie sehr sie sich in die Gesellschaft integrierten.

Politische Präferenzen der Türkeistämmigen

Wahlergebnis türkischer Staatsbürger in Deutschland bei den türkischen Parlamentswahlen, November 2015 (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Politisch ist die transnationale türkeistämmige Diaspora in Deutschland überaus heterogen. Auf den ersten Blick lässt sich unterscheiden zwischen vor allem traditionskonservativen und religiösen Menschen, aber auch türkische Nationalisten, die den aktuellen innenpolitischen Kurs der türkischen Regierung unterstützen. Auf der anderen Seite stehen Linke und Liberale verschiedener Couleur sowie Teile der Kurden und Aleviten. Als homogen kann jedoch keine der Gruppen bezeichnet werden, gerade auch unter den Türkeistämmigen in Deutschland, die der türkischen Regierung kritisch gegenüberstehen gibt es Spannungen, so beispielsweise in der Bewertung der PKK als Terrororganisation.

Bei der türkischen Parlamentswahl im November 2015 wählten die Türkeistämmigen in Deutschland mit türkischer Staatsbürgerschaft mit 59,2 Prozent die AKP, mit 15,9 Prozent die pro-kurdisch linke HDP, mit 14,8 Prozent die säkular linke CHP und mit 7,5 Prozent die nationalistische MHP. Etwa 70 Prozent der Stimmen entfielen damit auf Parteien rechts der Mitte, rund 30 Prozent auf Parteien links der Mitte.

Wahlverhalten türkischer Staatsbürger zum Verfassungsreferendum, April 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Beim Verfassungsreferendum im April 2017 stimmten 69,1 Prozent der türkischen Wähler in Deutschland für die Verfassungsänderung, 30,9 Prozent stimmten dagegen. In der Türkei stimmten 51,4 Prozent dafür, 48,6 Prozent dagegen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich von den 1,4 Millionen in Deutschland wahlberechtigten türkischen Staatsbürgern nur 46,2 Prozent am Verfassungsreferendum beteiligten (zur Parlamentswahl lag die Wahlbeteiligung bei 40,8 Prozent). Es kann daher nicht davon gesprochen werden, dass eine Mehrheit der in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger die Verfassungsreform befürwortete.

Parteipräferenzen in Deutschland lebender Türkeistämmiger (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Die Parteipräferenzen der Türkeistämmigen mit deutschem Pass in Bezug auf die deutschen Parteien fällt hingegen wie folgt aus: Die SPD lag bei einer Umfrage aus dem Jahr 2016 mit 69,8 Prozent Zustimmung deutlich vor den Grünen mit 13,4 Prozent und der Linken mit 9,6 Prozent. Schlusslicht ist die CDU mit 6,1 Prozent Zustimmung. In Bezug auf das Verhältnis von Parteipräferenz und Bildungsniveau ergibt sich folgende Tendenz: Je höher das Bildungsniveau, desto geringer die Zustimmung für die SPD. Je höher das Bildungsniveau, desto höher die Zustimmung für die Grünen und die Linke. Bei der CDU ist die Differenz mit + 2,6 Prozent nahezu unbedeutend.

Deutsch-türkische Migration: Eine "Win-Win-Story"

Die deutsch-türkische Migration ist ein gutes Beispiel dafür, dass Wanderungsbewegungen offene Prozesse sind, deren Ausgang unabsehbar ist. Die Migration hat beide Gesellschaften maßgeblich mitgeprägt, indem sie Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, Religion und Lebensweise zusammenbrachte. Der Integrationsprozess verlief freilich nicht immer reibungslos und wurde vielfach von interkulturellen Missverständnissen und zuweilen auch Spannungen begleitet. Das soziale Zusammenleben zwischen Türkeistämmigen und Einheimischen funktioniert heute jedoch deutlich besser, als es in den Medien und in der Politik dargestellt wird. Türkeistämmige Migranten sind Teil dieser Gesellschaft, partizipieren am gesellschaftlichen Leben, haben hier Familien gegründet, gehen Erwerbsarbeit nach und bestimmen sogar politisch mit.

Profitiert hat auch die Türkei, etwa von Geldüberweisungen, die bis in die 1980er-Jahre einen beachtlichen Anteil an den gesamten Deviseneinnahmen ausmachten: Geldausgaben von Arbeitsmigranten im Urlaub für konsumtive und investive Zwecke (Immobilienkäufe) sowie diverse Hilfsleistungen.

Ein Teil der Türkeistämmigen hat sich erfolgreich in die zentralen Bereiche der Gesellschaft eingegliedert (Integration). Ein kleiner Teil hat sogar seine Herkunftsidentität aufgegeben und ist in der dominanten Kultur und Mehrheitsgesellschaft aufgegangen (Assimilation). Einem weiteren Teil ist es wiederum nicht gelungen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden, und so leben sie mehr oder weniger getrennt von der Mehrheitsgesellschaft (Segregation). Gleichwohl sind auch die gut Integrierten zeitweilig mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Nichtanerkennung konfrontiert. Noch immer werden sie von einem Teil der Mehrheitsgesellschaft als nichtdazugehörige Fremde wahrgenommen und behandelt.

Mit ihren transnationalen Orientierungen und Beziehungen prägen die Türkeistämmigen auch die Beziehungen Deutschlands zur Türkei. Innenpolitische Debatten, die in besonderem Maße in Deutschland lebende Türkeistämmige betreffen – darunter der Umgang mit der NSU-Mordserie oder die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft – avancierten in diesem Zusammenhang schon zu außenpolitischen Themen. Umgekehrt sorgen Spannungen in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei auch für Verstimmungen zwischen – zumindest einen Teil – der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland und der Mehrheitsgesellschaft, der Politik und Medien.

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1961 wurde das Deutsch-Türkische Anwerbeabkommen geschlossen. Über 60 Jahre später sind die Nachkommen der damals so genannten Gastarbeiter nicht mehr aus der deutschen Gesellschaft wegzudenken.

ist seit April 2013 Mercator-IPC-Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Forschung und Mitarbeiter in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen. Forschungsgebiete: Migrationsforschung und Zuwanderungspolitik; Türkeiforschung; Nationalismusforschung (Nationalismus, ethnische Konflikte, Fremdheitsproblematik, kollektive Identität); Soziale Philosophie und Politische Theorie (Theorien der Moderne/Modernisierung)