Analyse: Neue Regierung, IWF und EU vor extremen wirtschaftspolitischen Herausforderungen
Mit dem gewaltsam erreichten politischen Neuanfang in Kiew und der Eskalation auf der Krim ist die fragile finanzielle und wirtschaftliche Situation in der Ukraine kurzfristig eskaliert. Dies zeigen die massive Abwertung der Landeswährung und die Feststellung der neuen Übergangsregierung, dass die Ukraine nah am Staatsbankrott ist. Zudem wurde anschaulich, wie die Vorgängerregierung das Land heruntergewirtschaftet hat. Nach der erfolgten drastischen Währungsabwertung stehen nun weitere wichtige, aber politökonomisch schwierige wirtschaftspolitische Weichenstellungen an.
Ohne Störmanöver könnte die neue Regierung wichtige wirtschaftliche Reformen vorantreiben; aber Russland ist offenbar genau an so einer Destabilisierung gelegen. Klar ist, dass die Ukraine neben tiefen Strukturreformen und Austerität auch massive Finanzhilfe und eine weitere Unterstützung des IWF und der EU bzw. weiterer bilateraler Geldgeber brauchen wird – zumal 2014 aller Voraussicht nach ein heftiger Wirtschaftseinbruch droht, verschärft mutmaßlich durch weitere Einflussnahme Russlands. Daher darf das noch auszuhandelnde IWF/EU-Unterstützungspaket die Ukraine nicht überfordern, sondern muss die Balance zwischen notwendigen Sparmaßnahmen und wirklicher Unterstützung wahren.
Die letzten Tage und Wochen in der Ukraine waren innen- und außenpolitisch beispiellos turbulent. Die politische Wende in Kiew gelang gewaltsam, der ehemalige Präsident Janukowytsch floh nach Russland. Einige Beobachter sprechen – durchaus berechtigt – von dem einschneidendsten revolutionären Umbruch in Osteuropa seit 1989. Diese durchaus berechtigte Feststellung hat auch erhebliche Relevanz im wirtschaftlichen Bereich. Die jüngsten Entwicklungen eröffnen die Chance für einen sogenannten "Zweiten Neuanfang" für die Wirtschaft der Ukraine; die 1990er Jahre wurden nicht für eine wirkliche Umgestaltung genutzt. Dies bedeutet allerdings auch: Der Ukraine stehen kurzfristig schwierige wirtschaftliche Zeiten bevor. Daher ist es umso wichtiger, dass die neue Regierung in Kiew über hinreichende Kompetenz im Bereich Wirtschaft verfügt. Das neue Kabinett von Arsenij Jazenjuk (siehe S. 16) umfasst mehrere im Wirtschaftsbereich sehr erfahrene Personen, aber auch Neueinsteiger mit Hintergründen in der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Auch Vertreter des Maidan, d. h. Führer der Selbstverteidigungseinheiten und Gruppen der Zivilgesellschaft, konnten sich als politische Spieler etablieren. Auf der einen Seite birgt das ein destabilisierendes Element, da diese ein geringes Vertrauen in die politische Klasse der Ukraine (einschließlich der Opposition und ihrer Führer) haben. Zudem provoziert das Verhalten Russlands auf der Krim diese Gruppe besonders – woran Russland gerade gelegen sein könnte. Auf der anderen Seite kann der gestiegene politische Einfluss der Zivilgesellschaft verhindern, dass die neue Regierung eine ähnlich schwache politische und wirtschaftliche Performance zeigt, wie die Mitte der 2000er Jahre nach der "Orangen Revolution". Wichtig ist auch, dass zentrale Beschlüsse der neuen Regierung durch Vertreter der Partei der Regionen getragen wurden. Insgesamt ist die Zusammensetzung der neuen Regierung begrüßenswert. Ihre Professionalität und Integrität scheinen höher als die der Vorgängerregierungen. Präsidentschaftswahlen sind für den 25. Mai angesetzt, auch Parlamentswahlen sollen möglichst rasch abgehalten werden. Doch wichtige Weichenstellungen über die wirtschaftliche und damit wohl auch über die politische Zukunft der Ukraine finden schon aktuell und in den kommenden Tagen und Wochen statt, z. B. im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Und da harte wirtschaftliche Sanierungs- und Reformmaßnahmen immer unpopulär sind, ist es von hoher Relevanz, dass die aktuelle Regierung – wie zuvor skizziert – über eine breite gesellschaftliche Unterstützung verfügt. Allerdings ist die aktuelle Regierung massivem Gegenwind ausgesetzt. Die militärische Aggression Russlands gegenüber der bereits vorher semi-autonomen Krim bietet mit ihrer geopolitischen Dimension erhebliches Potenzial zur wirtschaftlichen und politischen Destabilisierung der Ukraine. Zudem kann sich die neue Regierung in Kiew so weniger der Stabilisierung der desaströsen wirtschaftlichen Lage in der Ukraine widmen. Die wirtschaftlich und finanziell desaströse Lage der Ukraine ist in den letzten Wochen deutlich zu Tage getreten. Verschärft wurde die Situation sicherlich dadurch, dass die Janukowytsch-Regierung bereits seit der Eskalation auf dem Maidan– trotz Dialogs mit der Opposition und den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Polens – ihren Abgang vorbereitet hat. Noch ist unklar, wie viel Geld hier noch rasch außer Landes geschafft wurde. Angesichts der fragilen wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Ukraine – reflektiert in einem hohen Leistungsbilanzdefizit und nahezu nicht existenten Devisenreserven – ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ukraine schon rasch nach der politischen Wende eine mehr oder weniger intendierte massive Abwertung der Landeswährung erlebte. Bevor es eine funktionierende Regierung und ein offizielles IWF-Hilfsgesuch gab, stellte die Nationalbank der Ukraine (NBU) (auch angesichts einer gefährlich niedrigen Devisenreserveposition, die nur noch zwei bis drei Monate der Importe abdeckt) die bisherige Stützung der Landeswährung ein, was sich – wie zu erwarten war – als extrem riskante Strategie herausstellte.