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Kommentar: Wir sind ein Volk! | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Wir sind ein Volk! Reintegrations- und Versöhnungsstrategien für die Ukraine

Dmitri Stratievski

/ 5 Minuten zu lesen

Das neuerdings im Internet in Umlauf gebrachte Wort "Watniki" (für die Träger von Wattejacken aus der Sowjetzeit, ein für Kriminelle und die Unterschicht typisches Billigkleidungsstück) ist eine generalisierende und verächtlichmachende Bezeichnung für alle europakritischen Personen, überwiegend in der Ostukraine. Hinter der "Dämonisierung des Ostens" verbergen sich ernstzunehmende Gefahren für den erfolgreichen Reintegrationsprozess in der Ukraine. Das Land braucht ein gesamtnationales Konzept der (Neu-)Einbindung der Bevölkerung im Donbass, das die Menschen jeden Alters und aller Bevölkerungsschichten anspricht und mitnimmt. "Wir sind ein Volk!", hieß es bei der deutschen Novemberrevolution 1989. Dieser Spruch ist heute von außerordentlicher Aktualität für die Ukraine.

Das Gesetz zur Sonderstellung der Donbass-Region wurde vom ukrainischen Parlament verabschiedet. Im Bild: Präsident Petro Poroschenko. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Die im September in Minsk vereinbarte, wenn auch brüchige Feuerpause sowie eine Stärkung der Rolle der OSZE bringen neue Hoffnungen auf eine baldige politische Lösung der Ukraine-Krise mit sich. Selbst wenn der groß angelegte Kampfeinsatz in der Ostukraine sich dem Ende zuneigen und die Separatisten ihre Aktivitäten einstellen würden, würden die verbalen Gefechte in den Print- und elektronischen Medien der Ukraine unvermindert weitergeführt werden. Auf privater Ebene, im Kreis der ukrainischen Bürger, werden Worte als geistige Massenvernichtungswaffen benutzt. Alle Konfliktparteien agieren mit entehrenden Denkmustern und Klischeebildern. Die politischen Meinungsführer betrachten diese zwischenmenschliche Verhärtung eher als Kollateralschaden. Eine Mehrheit der Anhänger der ukrainischen Einheit verschiebt die Versöhnungsarbeit bzw. die Erarbeitung eines Masterplans zur mentalen Reintegration der Menschen aus Donezk und Luhansk in den ukrainischen Kulturraum bis auf weiteres. "Erst der Sieg, dann das Wort", lautet eine verbreitete Prämisse. Hier liegt ein wichtiger Denkfehler vor, denn kein militärischer Erfolg und keine bis ins Detail ausgearbeitete Friedensinitiative sichern allein eine dauerhafte Stabilität im Lande.

Problembeschreibung

Das Konfliktpotential in der ukrainischen Gesellschaft wurde lange Zeit unterschätzt. Im öffentlichen Diskurs dominierte die Annahme, das Land sei ein komplexes und vielfältiges, aber friedliches Gebilde. Religiöse, sprachliche und weltanschauliche Unterschiede werden zwar anerkannt, aber als unbedeutend für die territoriale Integrität des Staates betrachtet. Die ukrainischen Politiker manipulierten und instrumentalisierten diese Prozesse für ihre kurz- und mittelfristigen Mobilisierungszwecke. Vertreter aller Parteien und Teile der Massenmedien heizten die Menschen direkt oder indirekt auf. Der damalige Bildungsminister Dmytro Tabatschnyk etwa beschimpfte 2010 die Bewohner der Westukraine und sprach den Menschen in Galizien das Recht ab, Ukrainer zu sein. 2014 sprach Jurij Luzenko, der Vorsitzende der Poroschenko-Partei, in ähnlichem Stil über alle Menschen in Donezk und Luhansk.

Während sich die Maidan-Bewegung 2013 ursprünglich als Anwalt aller Ukrainer positionierte (für europäische Werte, einen hohen Lebensstandard, gute Arbeits- und Bildungschancen und Entwicklungsperspektiven), kam es im Zuge der Zuspitzung des Konflikts zu einem verstärkten Gebrauch von polarisierenden Stereotypen. Den Maidan-Befürwortern ("Westukrainer") wurden pauschalisierend "Faschismus" und "Bandera-Treue" zugeschrieben. Die Maidan-Kritiker ("Ostukrainer") wurden in ihrer Gesamtheit als "rückständige Sowjetnostalgiker" abgestempelt. In der russischsprachigen ukrainischen Zeitung "Nowoje wremja" erschien im August 2014 eine Publikation mit dem Titel "Warum werden die Ukrainer von der Donbass-Bevölkerung getötet?". Der Autor schließt die Menschen im Osten des Landes damit aus dem ukrainischen Kulturraum aus und er kommt zu dem Schluss, die "Deklassierten und Arbeitslosen im Osten" hassten Kiew und wollten sich für ihr Elend rächen. Dabei machten sie die Zentralregierung für soziale Missstände verantwortlich, ohne diese der lokalen Mafia anzulasten. Dieser Artikel ist kein Einzelfall. Die Online-Zeitung "Zensor.net" veröffentlichte im Juli dieses Jahres einen Post eines Bloggers mit dem Titel "Neun Gründe, warum ich Watniki nicht mag". Auch ganze ukrainische Regionen wie Galizien oder der Donbass werden abwertend beschrieben.

Die Zivilgesellschaft hat hier weitgehend versagt und wenig Vorkehrungen gegen die beschleunigte Erzeugung neuer Bösewicht-Bilder getroffen. Die Annexion der Krim durch Russland und die bewaffnete Auseinandersetzung im Osten haben diese Bilder heraufbeschworen. Eine wichtige destruktive Rolle haben dabei mediale Einflüsse aus dem Ausland gespielt. Viele Sendungen des russischen Fernsehens produzierten weitere Feindbilder und erschwerten dadurch den Anstieg von Empathie in der ukrainischen Gesellschaft. Zurzeit ist in diesem Spannungsbereich eine zwiespältige Tendenz zu beobachten. Einerseits hat der (aktive oder verbale) Einsatz für die ukrainische Einheit Teile der Bevölkerung konsolidiert, obwohl diese Entschlossenheit in ihrer aktuellen Stärke auch durchaus provisorischen Charakter haben kann. Andererseits fördern die hohen Verluste der Zivilbevölkerung in den Ballungsräumen Donezk und Luhansk und in der ukrainischen Armee das Lagerdenken. Auch die Binnenflüchtlinge aus dem Krisengebiet klagen über die bescheidene Willkommenskultur an ihren neuen Wohnorten. Sie haben erhebliche Schwierigkeiten bei der Arbeitsaufnahme und auf Wohnungssuche und sind mit der ablehnenden Haltung der Einheimischen konfrontiert, die ihren Ursprung in den Klischees über den Donbass hat.

Alle Feindbilder sind zu bekämpfen. Das dehumanisierende Bild von "den Donezkern" birgt allerdings derzeit die größten Gefahren und Risiken, weil die Integration der Menschen im östlichen Teil des Landes am dringendsten nötig ist.

Versöhnungsversuche

Die Geschichte der jüngsten Bemühungen, die Menschen im ukrainischen Osten wieder einzubinden, beschränkt sich auf wenige Episoden und ist nicht von Erfolg gekrönt. Der ukrainische Oligarch und Gouverneur von Dnipropetrowsk Ihor Kolomojskij plante für den 11. Mai eine Tagung der Lokalverwaltungen der südlichen und östlichen Regionen des Landes. Laut der Zeitung "Den" sollte diese Tagung einen Beitrag zur Reintegration des Donbass leisten. Perspektivisch sollte sie als dauerhafte Plattform für bilaterale Kontakte an der Grenze der zwei größten Gebiete der Ukraine fungieren. Die Veranstaltung wurde ohne Bekanntgabe von Gründen abgesagt. Beim zweiten Runden Tisch der nationalen Versöhnung am 16. Mai in Charkiw wurde die Verständigung auf zwischenmenschlicher Ebene nur als Randthema behandelt. Weitere Aktivitäten in diesem Bereich sind dem Autor nicht bekannt. Man legt viel Wert auf den künftigen Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften. Dem Wiederaufbau von Vertrauen nach einem konflikt- und kriegsbedingten Vertrauensverlust wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

Lösungsvorschläge

In der klassischen Konfliktforschung liegt der Fokus jeder Versöhnungsstrategie auf den Gemeinsamkeiten, die die Parteien verbinden. Laut einer repräsentativen Umfrage des Kutscheriw-Zentrums für Demokratische Initiative vom 16. bis zum 30. März 2014 lehnen die Bewohner der Regionen Donezk und Luhansk die Abspaltung ihrer Regionen von der Ukraine mehrheitlich ab (s. Ukraine-Analysen Nr. 132). Selbst wenn sich diese Daten infolge der militärischen Auseinandersetzungen und der damit verbundenen Todesfälle zu Gunsten der Ukraine-Gegner verändert haben sollten, dürfte der Anteil der ukrainefreundlichen Bevölkerung immer noch spürbar sein. Er besteht aus potentiell loyalen Bürgern einer erneuerten Ukraine. Die nationale Elite ist verpflichtet, auf der Grundlage eines breiten Konsenses ein Sonderprogramm für einen "Aufbau Ost" auszuarbeiten. Neben der Gewährung wirtschaftlicher Vorteile wie höhere Renten und Gehälter im Öffentlichen Dienst, Zuschüsse für Kleinunternehmer und Mittelstand sowie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss der Bevölkerung in Donezk und Luhansk ein Sicherheits- und Zugehörigkeitsgefühl vermittelt werden.

Eine wichtige Voraussetzung des Wir-Gefühls ist die Gleichbehandlung. Im Kontext der "Dehumanisierungsproblematik" bedeutet das den Verzicht auf Anschuldigungen und Beschimpfungen der Menschen in der Ostukraine, vor allem in der Presselandschaft. Bereits 1973 hat der deutsche Presserat einen Pressekodex vorgelegt, dem Journalistenverbände auf freiwilliger Basis zugestimmt haben. Diese informelle Sammlung ethischer Regeln garantiert unter anderem die Wahrung der Menschenwürde. Auch unangemessene Darstellungen in Wort und Bild, die Menschen in ihrer Ehre verletzen, werden als sittenwidrig verurteilt. Ein ähnliches Dokument könnte auch die ukrainische Pressegemeinschaft verabschieden, damit berechtigte Kritik nicht in Schuldzuweisungen und Diffamierungen ausufert. Genauso wichtig ist ein positives Bild vom ukrainischen "Ostler" in der Gesamtgesellschaft, propagiert durch die Medien und eine staatlich gesteuerte Kampagne, die Straßenplakatierung und Werbespots im Fernsehen einschließt.

Die Überwindung der aktuellen Krise erfordert ein Bündel von Maßnahmen, die kurzfristig (nach dem Prinzip der "Brandbekämpfung") und langfristig wirken. Solange die politische, wirtschaftliche und kulturelle Elite des Landes nicht verinnerlicht, dass der Aufbau einer Brücke des Vertrauens zwischen Kiew und Donezk wichtiger ist als das Militärische oder Finanzielle, wird jede neue Friedensinitiative argwöhnisch wahrgenommen werden. Ohne den Partner zu respektieren, gewinnt man keine Kämpfe um die Herzen und Seelen.

Fussnoten

Dmitri Stratievski ist Politikwissenschaftler und Historiker sowie stellvertretender Vorsitzender des Osteuropazentrums Berlin e. V.