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Analyse: Polen und die Ukraine: Pragmatismus schreitet voran | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Polen und die Ukraine: Pragmatismus schreitet voran

Dr. Lina Klymenko

/ 10 Minuten zu lesen

Die derzeitigen Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine sind robust und auf beiden Seiten herrschen pragmatische Überlegungen vor. Allerdings erhalten viele bestehende Projekte der ukrainisch-polnischen Zusammenarbeit keine neuen Impulse mehr. Die Rolle Polens in der europäischen Integration der Ukraine wird jedoch weiter stark bleiben.

Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch (links) und Polens Premierminister Donald Tusk beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft Ende September in Warschau. (© AP)

Einleitung

Mit dem Regierungswechsel im November 2007 und dem Amtsantritt Präsident Komorowskis im August 2010 ging eine Übernahme außenpolitischer Schlüsselpositionen durch die zentristische Partei Bürgerplattform (PO) einher, wodurch es Polen seither gelingt, seine Ukraine-Politik effizienter und pragmatischer zu gestalten. Angesichts der Aufnahme von Kooperationen mit Russland und Deutschland und des Rückzugsgefechts der Demokratie in der Ukraine führt Polen zwar keine intensive, jedoch eine zielgerichtete Ukraine-Politik. Unter Präsident Janukowytsch (amtierend seit Februar 2010) wurden die wichtigsten außenpolitischen Positionen rasch mit dem Präsidenten loyalen Figuren besetzt und die ukrainische Außenpolitik kehrte zu dem altbekannten „Spagat“zurück, mit dem die Ukraine ihre Beziehungen zur EU und zu Russland zu balancieren und nach beiden Seiten zu verbessern sucht. Obwohl Polen seit Jahrzehnten der wichtigste strategische Partner der Ukraine in der Annährung an die EU ist, scheint eine Intensivierung der ukrainisch-polnischen Beziehungen in der „multivektoriellen“Außenpolitik der Ukraine derzeit nicht vorgesehen. Dies unterstrich der ukrainische Präsident, indem er seinen ersten offiziellen Polen-Besuch erst nach Ablauf eines ganzen Jahres nach seinem Amtsantritt unternahm. Angesichts dieser Unscheinbarkeit stellt sich die Frage, wie sich die ukrainisch-polnischen Beziehungen aktuell gestalten, wo die Prioritäten liegen und was die möglichen Folgen dieser Entwicklung sind.

Prioritäten der ukrainisch-polnischen Zusammenarbeit

Die ukrainisch-polnischen Beziehungen umfassen ein vielfältiges Spektrum von Themen- und Kooperationsfeldern. Im Fokus stehen Themen wie kultureller Austausch, Zusammenarbeit im Bildungsbereich, wirtschaftliche Kooperation, Erweiterung der Grenzübergänge, Energiesicherheit sowie militärische Zusammenarbeit. Hinzu kommt aktuell die Vorbereitung auf die Fußball-Europameisterschaft 2012 sowie als Langzeitprojekt die ukrainisch-polnische Versöhnung, die aufgrund der komplizierten historischen Beziehungen weiterhin vonnöten ist. Während viele Unternehmungen fortgeführt werden, kam es zur stillschweigenden Stilllegung einer Reihe von Projekten, die noch unter den Präsidenten Kaczynski und Juschtschenko intensiv verfolgt wurden. Zwar unterzeichneten die beiden amtierenden Präsidenten im Februar 2011 während Janukowytschs offiziellem Besuch in Polen eine Roadmap für die Zusammenarbeit in den Jahren 2011 bis 2013, da dieses Dokument jedoch nicht im Internet auffindbar ist, steht zu bezweifeln, dass es eine große Bedeutung trägt und der Zusammenarbeit neue Impulse geben wird. Auf institutioneller Ebene wurde im Februar 2011 unter der Schirmherrschaft der Ministerpräsidenten beider Länder ein Partnerschaftsforum für wirtschaftliche, kulturelle und politische Zusammenarbeit eingerichtet. Allerdings ist fraglich, ob dieses neu geschaffene Forum eine neue Qualität in die ukrainisch-polnischen Beziehungen bringen wird. Immerhin gibt es bereits eine Reihe etablierter politischer Institutionen, von denen einige allerdings schon heute nur unregelmäßig arbeiten.

Eines der vorrangigen Interaktionsfelder ist und bleibt die Zusammenarbeit bezüglich der ukrainischen Minderheit in Polen und der polnischen Minderheit in der Ukraine. Den Minderheiten ist hierbei eine Brückenfunktion zugedacht, über die die beiden Völker gemeinsam ihre schwierige Geschichte aufarbeiten und sich hierdurch versöhnen sollen. Dass negative Wahrnehmungen in der Tat auf dem Rückzug sind, zeigt sich unter anderem in Umfragen des polnischen Meinungsforschungsinstituts CBOS im Jahr 2010, in denen die Polen steigende Sympathie gegenüber den Ukrainern äußerten. Darüber hinaus wurden dem Verein der Ukrainer in Polen im März 2011 die Besitzunterlagen des Ukrainischen Hauses im polnischen Przemysl übereignet. Die Frage der Errichtung eines Polnischen Hauses in Lwiw ist hingegen nach wie vor offen und politisiert. Überdies besteht die ukrainische Gemeinde in Polen auf der Errichtung eines Denkmals für den ersten ukrainischen Präsidenten Hruschewskyj im polnischen Chelm, während Polen die Errichtung eines Denkmals für den polnischen Dichter Slowacki in Kiew verlangt. Dies unterstreicht, dass zum Abbau der gegenseitigen negativen Wahrnehmungen weiterhin viel Überzeugungskraft und konstruktive Arbeit vonnöten ist.

Im Hinblick auf die schwierige Aussöhnung zwischen Polen und der Ukraine kommt der Zusammenarbeit bei Gedenkstätten für Opfer von Kriegen und politischen Repressionen eine wichtige Rolle zu. Stätten dieser Art werden bevorzugt in Städten errichtet, in denen im 2. Weltkrieg ethnische Säuberungen durchgeführt wurden. Beispiel ist hier das polnische Gorajec, in dem die neu eingerichtete Stätte den damals dort gefallenen Ukrainern gewidmet wurde. Obwohl Gedenkstätten dieser Art wichtige Symbole für die Versöhnung der beiden Länder darstellen, werden Auseinandersetzungen über ihren geschichtlichen Hintergrund meist nicht konstruktiv über wissenschaftliche Konferenzen oder gemeinsame Bürgerinitiativen aufgearbeitet. Die Herausforderung für die Politik besteht darin, potenzielle Konflikte nicht zuzuspitzen. Für Polen gehört die Aufarbeitung totalitärer Vergangenheit zu den wichtigen Prioritäten; so fand beispielsweise der erste offizielle Besuch des polnischen Präsidenten Komorowski in der Ukraine im September 2010 zum Gedenken an die polnischen Opfer des sowjetischen NKWD in der Nähe der ukrainischen Stadt Charkiw statt. Ein weiteres Beispiel sind die laufenden Gespräche zur Etablierung einer Gedenkstätte für polnische und ausländische Bürger, die zwischen 1937 und 1941 den Stalinistischen Repressionen in der Nähe von Kiew zum Opfer fielen.

Die Zusammenarbeit im Bereich Kultur und Bildung ist weiterhin intensiv. Polen unterstützt nachdrücklich den wissenschaftlichen Austausch zwischen Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen sowie Programme zum Jugendaustausch. Ein Beispiel hierfür ist der Vertrag über Zusammenarbeit zwischen der polnischen Krajowa Szkola und der ukrainischen Nationalakademie (beide im Bereich der Öffentlichen Verwaltung), der im Juni 2010 unterzeichnet wurde. Die bereits seit einem Jahrzehnt angestrebte Etablierung einer ukrainisch-polnischen Universität konnte jedoch aufgrund von Differenzen über das Format der Universität bisher nicht erreicht werden. Das erstmals während der Präsidentschaften Kwasniewskis und Kutschmas konzipierte Projekt wurde bereits unter den Präsidenten Kaczynski und Juschtschenko reanimiert. Polen strebt danach, das Projekt als „europäisch“darzustellen und verfügt dabei in dem polnischen EU-Abgeordneten und Vorsitzenden des Europäischen Parlaments Buzek über einen Unterstützer.

Erhalten bleibt weiters die ukrainisch-polnische Zusammenarbeit in Grenzfragen. Von Bedeutung in diesem Bereich ist die Modernisierung bestehender und die Eröffnung neuer Grenzübergänge sowie die Effizienzsteigerung von Zoll- und Passkontrollen. Der Ausbau von Grenzübergängen und die Entwicklung des Grenzgebiets stehen auch im Rahmen der Vorbereitung zur Fußball-Europameisterschaft 2012 im Fokus. Die ursprüngliche Idee, die Visumspflicht für Ukrainer während der Fußball-Europameisterschaft aufzuheben, musste Polen jedoch aufgeben, da die EU einen solchen Schritt nicht zugelassen hätte. Allerdings erwartet Polen ohnehin nur wenige ukrainische Fans, da die polnische und die ukrainische Mannschaft jeweils im eigenen Land spielen wird. Des weiteren unterstützt Polen den Ausbau der Selbstverwaltung in der Ukraine; im März 2011 fand hierzu eine Sitzung des Interregierungsrats für Regionale Kooperation in Lwiw statt, wo unter der Schirmherrschaft der Präsidenten beider Länder unter anderem ein Treffen ukrainischer Regionen-Gouverneure und polnischer Woiwodschafts-Marschälle durchgeführt wurde.

In Fragen politischer Sicherheit tritt Polen weiterhin als Befürworter der Anbindung der Ukraine an die NATO auf. Die von den vorherigen Präsidenten beider Länder stark forcierte euroatlantische Zusammenarbeit liegt jedoch für unbestimmte Zeit auf Eis, da eine NATO-Mitgliedschaft aktuell weder für die Ukraine noch für die NATO zur Debatte steht. Im direkten Zusammenhang hiermit wird auch der Plan einer ukrainisch-polnisch-litauischen Brigade - mit dem Ziel der Annährung der Ukraine an die NATO - derzeit nicht weiter verfolgt. Polen geht in diesem Zusammenhang insofern pragmatisch vor, als die NATO in den ukrainisch-polnischen Beziehungen nicht mehr thematisiert wird. Eine Rolle spielt hierbei auch die Tendenz Polens, sich stärker als europäischer Akteur und somit vorrangig als EU-Mitglied und erst danach als NATO-Mitglied zu sehen.

Die Frage der Energiesicherheit ist derzeit nicht von besonderer Bedeutung. Vor allem der von den vorherigen Präsidenten vorangetriebene Bau der Pipeline Odessa-Brody(-Plock-Gdansk) ist weiterhin ausständig. Die Planung der Pipeline wurde vor vielen Jahren mit dem Ziel der Diversifizierung von Energieträgern begonnen und würde Polen die Möglichkeit bieten, Öl ohne Umweg über Russland aus dem Kaspischen Meer nach Europa zu transportieren. Zwar fand am Rande des Gipfeltreffens zur Östlichen Partnerschaft im September 2011 ein Treffen der Organisation GUAM (Sicherheitsallianz der Staaten Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Moldawien) statt, bei dem die Zusammenarbeit der Länder in der Region Schwarzes Meer-Kaspisches Meer von Polen unterstützt wurde, jedoch wurden bezüglich des Pipeline-Projekts bei diesem Treffen keine Fortschritte erzielt. Offen bleiben dabei nach wie vor Fragen der Finanzierung und Rentabilität sowie der aktuellen ukrainischen Innenpolitik.

Stärkung der europäischen Integration der Ukraine

Der Hauptaspekt der ukrainisch-polnischen Zusammenarbeit ist nach wie vor die Unterstützung Polens für die Annährung der Ukraine an die EU. Eine solche Annäherung ist von zentralem Interesse für Polen, sei es in geopolitischer, kultureller oder Demokratie fördernder Hinsicht. Die Ukraine strebt ihrerseits seit Jahren danach, Bestandteil der europäischen Gemeinde zu werden. Die Entwicklung der polnischen Strategie gegenüber der Ukraine wurde insbesondere durch die Initiierung der Östlichen Partnerschaft 2009 sichtbar. Polen nutzte die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2011 dazu, seine Position innerhalb der EU als Befürworter der europäischen Integration der Ukraine weiter zu stärken. Laut Programm der polnischen EU-Ratspräsidentschaft strebt Polen im Fall der Ukraine (wie auch der anderen Länder der Östlichen Partnerschaft) nach einem Assoziierungsabkommen mit der EU, einer Freihandelszone sowie einer Liberalisierung des Visumregimes. Im Gegensatz zu den vorherigen Präsidenten Kaczynski und Juschtschenko, die das Ziel einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine stark vorantrieben, ist die Einstellung der polnischen Entscheidungsträger zu einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine in jüngster Zeit pragmatischer geworden. Da derzeit weder die Ukraine noch die EU für einen EU-Beitritt der Ukraine bereit sind, besteht auch Polen gegenwärtig nicht auf einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine.

Als Hauptereignis unter Polens EU-Ratspräsidentschaft sollte sich das Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Warschau am 29. und 30. September 2011 herausstellen. Das Gipfeltreffen bot Polen die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der EU-Mitglieder auf die Bedeutung der Ukraine für die EU zu lenken und die Probleme der europäischen Integration der Ukraine und ihrer Demokratisierung zu thematisieren. Allerdings sah sich die polnische Regierung auch dem Vorwurf ausgesetzt, das Gipfeltreffen sei eine PR-Aktion im Vorfeld der polnischen Parlamentswahlen. Wie zu erwarten brachte das Gipfeltreffen keine radikalen Änderungen in den Beziehungen der EU mit der Ukraine, d. h. keine Verankerung einer EU-Beitrittsperspektive im derzeit in Verhandlung befindlichen Assoziierungsabkommen. Die Vorgehensweise Polens ist jedoch nicht als Mangel an Unterstützung für die Ukraine zu erachten, sondern als Beweis für die Erkenntnis, dass freundliche und konstruktive Beziehungen zu den „alten EU-Mitgliedern“sowie eine Zusammenarbeit mit Russland ebenfalls zur Stabilität in der Region beitragen. In Kooperation mit Deutschland stärkt dies auch Polens Rolle als wichtiges EU-Mitglied.

Die Haupterrungenschaft des Gipfeltreffens liegt nach Meinung des polnischen Ministerpräsidenten Tusk in der Perspektive auf einen Einbezug der Ukraine (und anderer Länder der Östlichen Partnerschaft) in den europäischen Markt sowie auf ein visumfreies Regime. Der polnische Außenminister Sikorski sieht die Bedeutung der Östlichen Partnerschaft für die Ukraine weiters darin, dass das Assoziierungsabkommen die Zusammenarbeit in bestimmen Bereichen stärken würde, wie am Bespiel Norwegens oder der Schweiz zu beobachten sei. Damit wiederum betont Polen, dass langfristig doch eine Perspektive auf einen EU-Beitritt der Ukraine besteht. Die Deklaration der Östlichen Partnerschaft sieht hierbei eine Differenzierung der einzelnen Partner vor, mit dem Ziel, einen gemeinsamen Raum für demokratische Entwicklung, Stabilität, Wohlstand und Austausch mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft auszubauen. Auch wird angestrebt, nicht nur die Regierungen, sondern alle Teile der Gesellschaften in diesen Prozess einzubeziehen. Zu diesem Zweck wurden die parlamentarische Versammlung Euronest, das Civil Society Forum, ein Business-Forum sowie eine Konferenz für regionale und lokale Behörden eingerichtet.

In der Bilanz ihrer EU-Ratspräsidentschaft für den Monat September 2011 äußert die polnische Führung die Hoffnung auf einen Abschluss der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine bis Ende des Jahres 2011. Die Forcierung des Abkommens durch Polen stieß jedoch bei anderen EU-Mitgliedern sowie bei ukrainischen Intellektuellen und Oppositionellen auf Unverständnis, da das Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft gerade zu der Zeit stattfand, als in der Ukraine der Prozess gegen die Ex-Ministerpräsidentin Tymoschenko seinen Lauf nahm. Auch die beim EU-Gipfeltreffen Versammelten kritisierten die Gefährdung der Demokratie in der Ukraine, und der Tymoschenko-Prozess wurde einhellig als Feldzug gegen die politische Opposition angesehen. Frankreich und Deutschland befürchteten überdies, die EU würde mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens eine Möglichkeit aus der Hand geben, dem Zusammenfallen der ukrainischen Demokratie entgegenzuwirken.

Die Verurteilung Tymoschenkos am 11. Oktober 2011 erfuhr Kritik aus dem polnischen Außenministerium; Polen zeigte sich zusammen mit der EU besorgt ob des Urteils. In einer Erklärung des polnischen Außenministeriums hieß es, Polen unterstütze weiter die europäischen Aspirationen der Ukraine, da diese für das Streben der Ukraine nach politischen und sozialen Normen der EU stünden. Der Gerichtsprozess, so das polnische Außenministerium, repräsentiere jedoch die Politisierung des ukrainischen Justizsystems. Das Ministerium forderte einen transparenten und fairen Gerichtsprozess, da die weiteren Maßnamen in diesem Bereich demonstrieren würden, ob die Ukraine sich europäischen Werten nähert oder sich von ihnen entfernt. Deutlicher äußerte sich der Präsident des Europäischen Parlaments, der polnische EU-Abgeordnete Buzek, gegen das Tymoschenko-Urteil, indem er an der Fairness, Transparenz und Unabhängigkeit des Gerichtsprozesses zweifelte.

Ausblick

Die Rolle Polens in der europäischen Integration der Ukraine wird weiter stark bleiben, da der Ukraine im Konzept der polnischen Außenpolitik eine grundlegende Bedeutung zukommt. Auch wird die Ukraine Polen nach wie vor als einen wichtigen Partner in den Beziehungen zur EU betrachten. Im Fokus werden weiter Langzeitprojekte wie die gesellschaftliche Versöhnung, kultureller Austausch, wirtschaftliche Kooperation und die Zusammenarbeit in Grenzfragen stehen. Infolge des zusehenden Verfalls der ukrainischen Demokratie sowie aufgrund der Konstellationen auf internationaler Ebene und in der EU ist zu erwarten, dass ein NATO- und ein EU-Beitritt der Ukraine in absehbarer Zukunft nicht auf der Agenda stehen werden. Es bleibt auch abzuwarten, ob die EU die Abkommen mit der Ukraine weiter befürwortet. Unter europäischer Integration sollte nicht nur Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik verstanden werden, sondern insbesondere auch eine Annährung der Ukraine an die demokratische Kultur der EU. In diesem Kontext könnte sich Polens Beharren auf Unterzeichung des Assoziierungsabkommens und Errichtung der Freihandelszone letztendlich sogar als Bärendienst gegenüber der Ukraine erweisen. Die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen der EU und der Ukraine über das Assoziierungsabkommen und die Freihandelszone werden sich auf dem EU-Ukraine-Gipfeltreffen im Dezember 2011 zeigen.

Lesetipp

  • Das Centre for Eastern Studies (http://www.osw.waw.pl) ist ein polnischer Think-Tank, der Expertisen zur EU Ostpolitik, Energiepolitik und zu Transformationsprozessen der Nachbarländer Polens erstellt.

  • Klymenko, Lina (2009): What Holds Ukraine and Poland Together? On External and Internal Factors of Ukrainian-Polish Relations, in: J. Besters-Dilger (Hrsg.): Ukraine on its Way to Europe. Interim Results of the Orange Revolution Peter Lang: Frankfurt am Main, 253-274.

Fussnoten

Dr. Lina Klymenko ist Lektorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in Transformationsprozessen im postsowjetischen Raum, Geschichtspolitik und Europäische Nachbarschaftspolitik (östliche Dimension).