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Philippinen - Bangsamoro | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Philippinen - Bangsamoro

Jan Martin Vogel

/ 9 Minuten zu lesen

Die Autonomieregelung für den muslimischen Teil der philippinischen Region Mindanao eröffnet die Chance auf ein Ende des bewaffneten Konflikts. In der dreijährigen Übergangsperiode stehen die neuen Eliten, die aus der Unabhängigkeitsbewegung MILF hervorgegangen sind, vor der Herausforderung, einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen.

Philippinische Islamisten der "Moro Islamic Liberation Front" im Jahr 2012. (© picture-alliance/dpa)

Aktuelle Situation

Der Konflikt zwischen muslimischen Unabhängigkeitsanhängern in der Bangsamoro-Region auf der Insel Mindanao und der philippinischen Regierung geht nach Jahrzehnten militärischer Auseinandersetzungen in eine neue Phase. 2018 wurde durch die Regierung in Manila eine neue Verfassung für die überwiegend von Menschen muslimischen Glaubens bewohnten Teile Mindanaos verabschiedet. Das ist der weitreichendste Erfolg der Autonomiebewegung seit Beginn des Konflikts. Das Abkommen wurde zwischen der größten regionalen Gruppe, der Moro Islamic Liberation Front (MILF) und der philippinischen Regierung unter Präsident Rodrigo Duterte ausgehandelt. Das "Bangsamoro Organic Law" (BOL) wurde 2019 per Volksabstimmung angenommen. Gleichzeitig konnten die betroffenen Provinzen über ihren Beitritt zur "Autonomen Region Bangsamoro" (Bangsamoro Autonomous Region Muslim Mindanao – BARMM) entscheiden. In der neugeschaffenen Region leben 4,2 Mio. Menschen, etwa ein Sechstel der Bevölkerung Mindanaos. Über 90% sind Anhänger des islamischen Glaubens.

Zu den wesentlichen Elementen des Bangsamoro Organic Law gehört die Einführung des islamischen Scharia-Rechts bei Streitfällen zwischen Muslimen. Das Gesetz sieht weiter vor, dass nach einer Übergangsphase 2022 Wahlen für das Regionalparlament durchgeführt werden. Das Parlament soll dann die Regionalregierung wählen. Diese Demokratisierungsschritte eröffnen die Chance, dass sich eine Vielzahl von Interessengruppen am politischen Willensbildungsprozess beteiligen kann. Es gibt aber auch Risiken. Auf den Philippinen sind Parteien oft nur Wahlorganisationen für einzelne Politiker oder Familienclans. Einflussreiche Clans könnten über diese schwachen Parteistrukturen den gesamten politischen Prozess dominieren und ihre eigenen sehr begrenzten Belange über die Interessen der Region stellen. Die Macht der Clans zeigte sich bereits bei der Volksabstimmung über die BARMM auf dem Sulu-Archipel. Die dominierende Familie Tan machte massiv gegen einen Beitritt zur Autonomieregion Stimmung. Sie befürchtet, dadurch Macht zu verlieren. Obwohl 99% der Inselbewohner Moslems sind, stimmten dort lediglich 45% für den Beitritt. Aufgrund einer Sonderregelung wurde Sulu trotzdem Teil des BARMM.

Bis zum Amtsantritt der ersten gewählten Regionalregierung Ende Juni 2022 wird die Region von der Bangsamoro- Übergangsbehörde verwaltet. Sie besteht aus 80 lokalen Mitgliedern, von denen 41 von der MILF und 39 von der Regierung in Manila ausgewählt wurden. Als Interim Chief Minister amtiert Murad Ebrahim, ein ehemaliger Guerillakämpfer und Anführer der MILF. In der Übergangsphase müssen die grundlegenden Gesetze zur Organisation der BARMM verabschiedet werden, vor allem in den Bereichen Verwaltung, Steuern, Bildung und Wahlrecht. Für die politisch wenig erfahrenen MILF Mitglieder ist das ein ambitioniertes Pensum.

Die größte Herausforderung für die Übergangsbehörde und die nachfolgende Regierung wird es sein, einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen, an dem möglichst viele teilhaben. Dazu gehört auch, Beschäftigungsmöglichkeiten für die ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer zu schaffen. Nur so werden die neuen politischen Führungskräfte die Unterstützung der Menschen gewinnen. Das Potenzial dazu ist vorhanden, die Wachstumsrate der Wirtschaft der BARMM, die nach wie vor die ärmste Region der Philippinen ist, betrug 2018 7,2%, der fünfhöchste Wert unter den philippinischen Provinzen.

Die Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration der vormaligen Kämpfer stellen eine große Bewährungsprobe für die Handlungsfähigkeit der neuen Institutionen dar. Zur Durchführung und Kontrolle der Demobilisierung wurden Teams aus der MILF, der philippinischen Armee und der nationalen Polizei gebildet. Unterstützt werden sie von einer internationalen Gruppe unter Beteiligung von Brunei, der Türkei und Norwegen. Zu Beginn des Jahres 2020 haben wie geplant bereits 30% der insgesamt rd. 12.000 Kämpfer der MILF ihre Waffen abgegeben. Durch den Ausbruch der Covid-19-Epidemie hat sich die Entwaffnung jedoch deutlich verzögert und es gibt noch Widerstand, vor allem von Ex-Kombattanten der MILF.

Einen Risikofaktor für den Friedensprozess stellen jene bewaffneten Akteure dar, die das Abkommen nicht mittragen. Dies sind sowohl radikale Gruppen, denen die erzielte Vereinbarung nicht weit genug geht, als auch kriminelle Banden, die von der instabilen Situation profitieren. Radikale Gruppen lehnen insbesondere jegliche Präsenz der verhassten philippinischen Armee in der Region ab. Hinzu kommen Verflechtungen dieser Akteure in transnationale Netzwerke des Islamischen Staates (IS) und kriminelle militante Gruppierungen wie beispielsweise die Abu Sayyaf-Gruppe, die seit den 1990er Jahren für zahlreiche Geiselnahmen und Morde verantwortlich ist. Auch die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) – eine Abspaltung der MILF – haben sich dem IS angeschlossen. In der Region kommt es immer wieder zu (Selbstmord-)Anschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen, zum Beispiel im Oktober 2019, als sieben Soldaten der MILF von einer rivalisierenden radikalen Gruppe in einem Gefecht getötet wurden.

Ursachen und Hintergründe

Philippinen - Mindanao. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Im Kern ist der Mindanao-Konflikt eine Folge der Benachteiligung und Marginalisierung der muslimischen Einwohner. Das Gefühl der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zurücksetzung und Diskriminierung befeuerte spätestens seit der Eroberung der Philippinen durch die USA (1898-1902) das Unabhängigkeitsstreben der mehrheitlich von Muslimen bewohnten zweitgrößten Insel der Philippinen. Verschärft wurde der Konflikt durch die seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmende Einwanderung von Christen aus dem Norden des Landes, die zum Teil von der Regierung in Manila gefördert wurde. In der Folge ging der Anteil der Muslime an der Bevölkerung auf Mindanao von 80% im Jahr 1900 auf etwa 20% im Jahr 2015 zurück. Dies empfanden die Muslime als Bedrohung ihrer regionalen und religiösen Identität.

Mit der Zuwanderung ging auch ein ökonomischer Verdrängungsprozess zu Lasten der Muslime einher. Traditionell lebte ein Großteil der Bevölkerung Mindanaos als Selbstversorger von der Landwirtschaft, allerdings ohne eindeutige Eigentumsnachweise für Grund und Boden. Dies nutzten Großgrundbesitzer aus dem Norden, um sich des Landes zu bemächtigen. Die christliche Mehrheit der Bevölkerung fürchtet nun im Falle eines Abkommens, ihre Macht und ihren Besitz wieder zu verlieren. Sie gehörte daher zu den härtesten Gegnern einer Autonomie.

Auch die philippinische Armee hat den Konflikt in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geschürt. Als vehemente Gegnerin jeder Form von Autonomie und Sezession drängte sie die Regierung dazu, eindeutig gegen jede Form von politisch militantem und bewaffnetem Separatismus vorzugehen. Erfüllte die Regierung diese Forderungen nicht, führte das Militär unautorisierte Einsätze durch, was den Friedensprozess immer wieder stocken ließ.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Verhandlungen über den Status der Südinsel finden seit den 1970er Jahren statt. 1972 wurden sie durch den von Präsident Marcos ausgerufenen Ausnahmezustand gestoppt. Ein erstes Abkommen entstand 1976 auf internationalen Druck der Organisation Islamischer Staaten (OIS). Doch wurde es erst nach dem Ende von Marcos’ autoritärer Herrschaft 1989 umgesetzt, allerdings ohne zu einer dauerhaften Befriedung zu führen. 2001 begann eine neue Verhandlungsrunde unter Vermittlung Malaysias. Seit 2009 assistiert und moderiert eine internationale Kontaktgruppe, bestehend aus Großbritannien, Japan, der Türkei und Saudi-Arabien, den Friedensprozess. Die Europäische Union unterstützt seit 2005 gemeinsam mit anderen Gebern den Friedensprozess finanziell durch den "Mindanao Trust Fund". Allerdings hat Präsident Duterte 2017 die Annahme von EU-Mitteln ausgesetzt, da die EU sein rücksichtsloses Vorgehen gegen Drogenbanden und -händler kritisierte und die Achtung der Menschenrechte einforderte.

Die Regierung Duterte konnte bei der Aushandlung des Bangsamoro Organic Law auf die Vorarbeit mehrerer früherer Regierungen setzen. So baut das verabschiedete Abkommen maßgeblich auf den Friedensvereinbarungen auf, die der frühere Präsident Benigno Aquino 2012 und 2014 mit der MILF geschlossen hat. Aber erst Präsident Duterte gelang es, das neuere Abkommen durch das Gesetzgebungsverfahren des philippinischen Kongresses zu bringen. Sein Einsatz für dieses Projekt ist zum Teil dadurch zu erklären, dass er lange in Davao City, der größten Stadt von Mindanao, Bürgermeister war. Darum ist er mit den Dynamiken und Folgen des Konfliktes gut vertraut.

Grundsätzlich mussten in den Verhandlungen ein Kompromiss zu drei zentralen Elementen gefunden werden: (1) der Umfang der regionalen Selbstverwaltung innerhalb des politischen Systems der Philippinen, (2) die Demilitarisierung der Region sowie (3) die Integration der Separatisten in die neu zu schaffenden Strukturen. Während der erste Punkt mit dem Bangsamoro Organic Law abgeschlossen ist, werden die beiden anderen Aspekte zentrale Herausforderungen für die Übergangsverwaltung darstellen.

Der Ausweitung der Selbstverwaltung auf nationaler Ebene zu Akzeptanz zu verhelfen, ist der wohl schwierigste Teil, da das immer noch recht zentralistische politische System der Philippinen nur wenig föderale Elemente in fiskalischer Hinsicht enthält. Beispielsweise ständen der 2022 zu wählenden Regierung des Bangsamoro große Teile der in der Region erwirtschafteten Steuereinnahmen zu. Der Autonomiegrad von Bangsamoro entspricht in etwa dem eines deutschen Bundeslands. Das stellt eine große Ausnahme im philippinischen Staat dar. Das könnte auch in anderen Regionen Begehrlichkeiten wecken und die innenpolitischen Fliehkräfte verstärken.

Geschichte des Konflikts

Historisch lässt sich der Konflikt bis in das 16. Jahrhundert und zur spanischen Kolonisierung der Philippinen zurückverfolgen. Die auf Mindanao lebenden Muslime leisteten von Beginn an Widerstand gegen die Spanier. Diese bezeichneten die Einwohner der Insel aufgrund ihrer Religion als "Moro" (deutsch: Mauren) – ein Name, den die Muslime heute mit Stolz tragen. Im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung auf den nördlichen Inseln der Philippinen konvertierten sie nicht zum Katholizismus. Der Widerstand der Moro führte dazu, dass bereits ab dem 16. Jahrhundert eine wirtschaftliche Kluft zwischen dem durch Spanien modernisierten Norden und dem Süden entstand.

Der Konflikt eskalierte Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahren durch ein nie aufgeklärtes Ereignis, das "Jabidah-Massaker". Dabei sollen 28 muslimische Soldaten, die für den Einsatz in den philippinischen Streitkräften ausgebildet worden waren, durch die philippinische Armee exekutiert worden sein. Die Soldaten wurden aufgefordert, als Teil einer Spezialeinheit Aufstände in Sabah, einer malaysischen Provinz, anzustacheln. Da enge ethnische Verbindungen zwischen den Einwohnern Sabahs und Mindanaos bestehen, hätte dies den Kampf gegen Verwandte bedeutet, weshalb die Soldaten den Befehl verweigerten. Daraufhin sollen die Soldaten exekutiert worden sein, mutmaßlich um die Geheimhaltung der Mission nicht zu gefährden. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Schilderungen führten sie zum offenen Ausbruch des latenten Konflikts zwischen den Muslimen auf Mindanao und der Zentralregierung. Sichtbares Zeichen war die Gründung der Moro National Liberation Front (MNLF). Insgesamt kostet der Konflikt bis heute Schätzungen zufolge mindestens 120.000 Menschenleben.

Der aktuelle Versuch, den Konflikt mit einem Abkommen zu lösen, ist nicht der erste. Seit 1990 besteht auf Mindanao die "Autonomous Region Muslim Mindanao", der sich nach Volksabstimmungen vier von 14 Provinzen der Region angeschlossen hatten. Allerdings wurden nach der Gründung schnell wieder kritische Stimmen laut, denen die vereinbarten Autonomierechte nicht weit genug gingen. Dennoch unterzeichneten 1996 die philippinische Regierung und die Vorgängerin der MILF, die MNLF, einen Friedensvertrag. Während die meisten Mitglieder der MNLF danach den Kampf beendeten und sich in die regionale Verwaltung integrierten, griffen die Anhänger der abgespaltenen MILF zu den Waffen und führten den Kampf für einen komplett unabhängigen islamischen Staat fort.

Als Reaktion rief der damalige Präsident Estrada im Jahr 2000 den "totalen Krieg" gegen die MILF aus, die ihrerseits mit dem "Dschihad" gegen die Regierung antwortete. Ein 2002 von Estradas Nachfolgerin Macapagal-Arroyo ausgehandelter Waffenstillstand bewirkte wenig. Erst nach einem Führungswechsel 2003 innerhalb der MILF zu einer moderateren Generation, die vom Ziel eines eigenen Staates zugunsten einer weitgehenden Autonomie abrückte, wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen.

2008 überraschte die Regierung von Gloria Macapagal-Arroyo mit einer im Geheimen mit der MILF erzielten Einigung. Diese umfasste eine deutliche Erweiterung der autonomen Region um bis zu 700 Dörfer sowie weitergehende politische Rechte. Die Umsetzung wurde allerdings durch das höchste Gericht der Philippinen verhindert. Es urteilte, dass die philippinische Verfassung eine derart weitreichende Autonomie nicht erlaube. Die MILF fühlte sich verraten, und es kam erneut zu Kämpfen. Die Regierung von Präsident Noynoy Aqui unterzeichnete nach zähen Verhandlungen im März 2014 das sogenannte Comprehensive Agreement on the Bangsamoro (CAB), was jedoch vom philippinischen Supreme Court als teilweise verfassungswidrig beurteilt und vom philippinischen Parlament im Anschluss nicht ratifiziert wurde.

2017 kam es zu einem massiven Aufflammen der Kämpfe, als IS-nahe Gruppen die Stadt Marawi eroberten und für vier Monate halten konnten. Während der Kämpfe zwischen der philippinischen Armee und den Terrorgruppen um Marawi starben mindestens 1.200 Menschen und über eine Million flüchteten vor der Gewalt. Der Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Stadt gilt als eine der kritischsten Aufgaben für die neue Führung der BARMM, bei der sie ihre Handlungsfähigkeit und Integrität angesichts der verbreiteten Korruption der Familienclans unter Beweis stellen kann.

Weitere Inhalte

geb. 1983, studierte Politikwissenschaft und Soziologie mit Schwerpunkt auf Süd- und Südostasien. Nach seinem Abschluss arbeitete er einige Jahre an der Universität Gießen im Bereich Völkerrecht und regionale Integration. Danach wechselte er ins Lehramt für Englisch und Politik.