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Russland als dominante Regionalmacht im postsowjetischen Raum | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Russland als dominante Regionalmacht im postsowjetischen Raum

Stefan Meister

/ 9 Minuten zu lesen

Russland versucht, seine Rolle als dominante Regionalmacht im postsowjetischen Raum zu erhalten. Dabei kommt den ungelösten Konflikten in dieser Region eine Schlüsselrolle zu. Zugleich sieht sich Moskau an seiner Peripherie zunehmend mit rivalisierenden Mächten wie der Türkei, Iran und China konfrontiert.

Russlands Präsident Wladimir Putin spricht auf der 43. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. (© picture-alliance/dpa, Antje Wildgrube)

Der russische Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation 2005 den Zerfall der Sowjetunion 1991 als "die größte geopolitische Katastrophe" des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Das war sowohl Ausdruck des Bedauerns angesichts der Desintegration des sowjetischen Macht- und Wirtschaftsraumes als auch eine Erinnerung daran, dass mit dem Ende der Sowjetunion plötzlich Millionen von Russen außerhalb der Russischen Föderation lebten. Rückblickend markierte die Rede den Beginn eines einschneidenden politischen Kurswechsels der russischen Führung.

Anlass war der Einflussverlust Russlands im Kontext der "Rosenrevolution" in Georgien (2003), der "Orangenen Revolution" in der Ukraine (2004) und der "Tulpenrevolution" in Kirgisien (2005), die aus russischer Sicht maßgeblich von den USA initiiert wurden. Die russische Führung sah sich in ihrem traditionellen Einflussgebiet unter Druck. Dies erklärt die Warnung an den Westen, Moskau werde keine weitere Beschneidung seines geostrategischen Vorfelds zulassen, wie Putin in seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2007 mit Verweis auf die zweite NATO-Osterweiterung betonte.

Bis heute hat Russland Sicherheits-, Wirtschafts- und Statusinteressen in diesen Staaten. Dort leben aktuell mehr als 15 Millionen Russen (1991: 25 Mio.). Der ehemals integrierte Wirtschaftsraum der Sowjetunion hat zwar für Russland an Bedeutung verloren, da Lieferketten unterbrochen wurden, viele Staaten ihre Infrastruktur in Richtung China oder der EU ausrichten, und immer mehr Länder ihre Abhängigkeit von russischen Öl und Gas reduzieren. Jedoch bleiben einige Staaten wichtige Absatzmärkte für russische Produkte, vor allem bei Rüstung, Maschinenbau, Rohstoffen und Lebensmitteln. Deshalb war die 2014 maßgeblich von Russland initiierte Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) von Anfang an auch ein geopolitisches Projekt – mit dem Ziel, der weiteren wirtschaftlichen Verflechtung dieser Staaten mit der EU und China entgegenzuwirken.

Russland fehlt die ökonomische Kraft und Attraktivität, um die Länder der Region dauerhaft an sich zu binden. Deshalb ist die Führung in Moskau zunehmend bereit, ihren Hegemonieanspruch militärisch aufrecht zu erhalten. Russland bleibt der wichtigste sicherheitspolitische Akteur in der Region, mit hoher militärischer Präsenz und schneller militärischer Einsatzfähigkeit. Die Schwierigkeiten der russischen Armee, im Krieg gegen Georgien 2008 die Oberhand zu gewinnen, haben zu umfassenden Reformen des Militärs geführt. Das Ziel war, gegenüber allen postsowjetischen Staaten die militärische Dominanz zurückzuerlangen. Als regionale Sicherheitsorganisation wurde bereits 2002 die Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) gegründet.

Die regionalen Herausforderer

Russland sieht sich in seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft mit Staaten konfrontiert, die mit unterschiedlichen Motiven die ehemaligen postsowjetischen Staaten ökonomisch und sicherheitspolitisch zu beeinflussen suchen. Im Westen sind die EU und die NATO dabei, den europäischen Kontinent als Wirtschafts- und Friedensraum schrittweise zu konsolidieren. Dabei geht es vor allem um die Stabilisierung der postsowjetischen Länder sowie die Erschließung von Märkten, aber weniger um Integration. Die EU hat im Rahmen ihrer Östlichen Nachbarschaftspolitik Assoziierung-, Freihandels und Visaabkommen mit Georgien, Moldau und der Ukraine geschlossen. Die Nato hat mit Ländern, wie Georgien und der Ukraine, privilegierte Partnerschaften entwickelt, hütet sich aber davor, Länder mit Konfliktzonen zu integrieren, um eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden.

Mit der Türkei und dem Iran im Süden sowie China im Südosten verbindet Russland eine traditionelle Rivalität um die Vormacht in der Region. Die Türkei ist seit dem Ende der Sowjetunion darum bemüht, die Kontakte zu muslimischen und turksprachigen Akteuren und Staaten systematisch auszubauen. Dazu zählen Aserbaidschan und zentralasiatische Staaten genauso wie Abchasien in Georgien und die Krimtartaren in der Ukraine. Das hat auch mit dem Anspruch zu tun, eine Führungsmacht in der islamischen Welt zu sein. Besonders eng sind die Beziehungen mit der aserbaidschanischen Führung, die Ankara auch im Konflikt mit Armenien um Berg-Karabach unterstützt. Die Türkei hat bisher eine direkte Konfrontation mit Russland vermieden. Die jüngste Eskalation im Konflikt um Berg-Karabach zeigt jedoch, dass sich gerade etwas verändert. Ankara versucht die Eskalation nutzen, um die geopolitische Konstellation in der Region zu seinen Gunsten zu verschieben.

Im Norden des Iran lebt eine große aserbaidschanische Minderheit, die die Führung in Teheran seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans mit gestiegenem Misstrauen beobachtet. Auch, um ein Gegengewicht zur Türkei zu schaffen, unterhält Teheran enge Beziehungen zu Armenien, mit dem es gemeinsame wirtschaftliche und energiepolitische Interessen verfolgt. Als Anrainer des Kaspischen Meers hat Iran Interesse u.a. am Zugang zu den dortigen Rohstoffvorkommen und steht diesbezüglich im Wettbewerb mit Aserbaidschan, Russland und Turkmenistan. Um seinen regionalen Einfluss zu stärken, fördert der Iran zudem islamistische Strukturen in postsowjetischen Staaten, was ihn in Konflikt mit der Führung in Baku, aber auch mit einigen zentralasiatischen Staaten bringt.

China entwickelt über den Bau von Infrastruktur nach Europa im Rahmen der "neuen Seidenstraße" (Belt and Road Initiative - BRI) enge Beziehungen zu den zentralasiatischen und zunehmend auch südkaukasischen Staaten. Auf diese Weise exportiert es – in direkter Konkurrenz zu Russland, den USA und der EU – auch seine Normen und Standards in die Transitländer. Peking, das ein wachsendes Interesse daran hat, sowohl sein eigenes Territorium als auch seine Investitionen in der Region unter anderem gegen aus Afghanistan einsickernde Dschihadisten abzusichern, profiliert sich zunehmend auch als sicherheitspolitischer Akteur in Zentralasien. Beispiele dafür sind neue chinesische Militärbasen im Wachan-Korridor (Afghanistan) und im Südosten Tadschikistans.

Ungelöste Konflikte als geopolitisches Einflussinstrument Russlands

Mit dem strategischen Schwenk der russischen Führung hin zu einer stärker militärischen Absicherung seines "nahen Auslands" veränderte sich auch die Sicht Moskaus auf die ungelösten Konflikte, die im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion entstanden waren. Transnistrien (Republik Moldau), Abchasien und Südossetien (Georgien) sowie Berg-Karabach (Aserbaidschan) gewannen in doppeltem Sinne an Bedeutung. Zum einen besitzt Russland damit gleich mehrere militärische Vorposten in wichtigen postsowjetischen Staaten. Zum anderen dienen die Konflikte Moskau als Einflussinstrument, um eine Integration der Mutterstaaten in NATO und EU zu verhindern.

Bereits im georgisch-russischen Krieg (August 2008) hat Russland Entschlossenheit demonstriert, seine militärische Präsenz in den Konfliktgebieten in Abchasien und Südossetien durch eine De-facto-Annexion auszubauen. Der militärische Erfolg und die schwache Reaktion von EU und NATO haben die Moskauer Führung ermutigt, Szenarien zu entwickeln, wie die russische Vormacht im postsowjetischen Raum abgesichert werden kann. Die Annexion der Krim ist somit auch eine Folge dieses Nichthandelns westlicher Staaten.

Das Konzept der hybriden Kriegsführung wurde durch den Chef des russischen Generalstabs Walerij Gerasimow im Februar 2013 erstmals vorgestellt, und dann 2014 angesichts von Massendemonstrationen in Kiew für eine Anbindung der Ukraine an die EU und gegen das korrupte Regime von Viktor Janukowitsch angewandt. In der Folge annektierte Russland die Krim und brachte Teile des Donbas in der Ost-Ukraine unter seine Kontrolle. Bis heute werden die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk über zivile Vertreter und private Militärakteure von Russland gesteuert.

Die Konflikte als Einflussinstrument Russlands

Osteuropa: Ukraine

Ein zentrales geopolitisches Ziel der Annexion der Krim war die Absicherung der russischen Marinebasis in Sewastopol und damit des ungehinderten Zugangs der russischen Schwarzmeerflotte durch den Bosporus, die Dardanellen und die Ägäis zum Mittelmeer und den Nahen Osten. Dort ist Russland gerade dabei, seine militärische Präsenz mit Blick auf Syrien, Libyen und Iran auszuweiten. Unter Präsident Putin sind militärische Aktivitäten in Konfliktgebieten weltweit zu einem Mittel der Behauptung des russischen Großmachtstatus geworden, um so seine Verhandlungsposition gegenüber den USA zu verbessern.

Mit Blick auf die Ukraine ist es das Ziel Moskaus, sich über deren Föderalisierung, unter Einschluss der besetzten Gebiete, eine Veto-Position bei allen relevanten Entscheidungen in Kiew zu verschaffen. Da die Ukraine wegen ihrer Größe, historischen Bedeutung und Lage an der Westgrenze zur NATO ein Schlüsselstaat im postsowjetischen Raum ist, ist Moskau bereit, für seinen Einflusserhalt einen hohen Preis zu zahlen.

Bei der Umsetzung seiner Pläne muss Moskau einerseits mit der NATO und EU sowie andererseits mit der Türkei rechnen. Das NATO-Mitglied Türkei reagiert auf den Einflussgewinn Russlands in der Schwarzmeerregion bislang eher zurückhaltend. Auch aufgrund seines Konfliktes mit den USA und der EU versucht Ankara eine Mittelposition zwischen Russland und den USA einzunehmen und nimmt mit der sicherheitspolitischen Annäherung an Moskau, z.B. durch den Kauf russischer Flugabwehrraketen, auch einen Konflikt mit der NATO in Kauf. Hierbei geht es um Machtgewinn in der gesamten Region und die Absicherung der Position Erdogans nach innen. Gleichzeitig kann der türkische Präsident kein Interesse an einem dauerhaften Einflussgewinn Russlands im südlichen Schwarzen Meer haben, da die türkische Führung eigene wirtschaftliche, energiepolitische und sicherheitspolitische Ziele verfolgt. Damit scheint mittel- und langfristig ein Konflikt mit Russland unausweichlich.

Südkaukasus: Berg-Karabach

Russland sichert mit seiner Militärbasis im armenischen Gyumri die Grenze zur Türkei und zum Iran und sorgt durch die Aufrüstung Armeniens und Aserbaidschans für ein militärisches Gleichgewicht. Armenien bezieht als Mitglied der OVKS russische Waffen zu günstigen Konditionen. Durch seine Waffenlieferungen schafft Moskau Abhängigkeiten auf beiden Seiten und versucht im Rahmen der OSZE-Minsk-Gruppe, als "ehrlicher Makler" seinen Einfluss auf beide Staaten zu erhalten. Für Armenien bringt der Konflikt erhebliche wirtschaftliche und soziale Kosten mit sich, da die Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei abgeriegelt sind.

Die Türkei hat 1993 aus Solidarität mit Aserbaidschan ihre Grenze zu Armenien geschlossen. Außerdem liefert sie im Rahmen einer engen sicherheitspolitischen Kooperation Waffen an Baku und gewährt politische und militärische Unterstützung mit Blick auf den Berg-Karabach-Konflikt. Wirtschaftspolitisch will sich die Türkei zu einem Knotenpunkt für den Öl- und Gastransit im kaspischen Raum und in der gesamten Region entwickeln. Zugleich besteht das Kalkül Ankaras darin, Armenien dauerhaft wirtschaftlich zu schwächen, mit dem die Türkei wegen des Streits um die Anerkennung des Genozids an den Armeniern von Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Dauerkonflikt steht.

In der Konsequenz bleiben für Armenien in seiner Nachbarschaft nur Georgien und der Iran als Außenhandelspartner und Transitstaaten. Während Georgien den Transit zum wichtigen Handelspartner Russland ermöglicht, ist der Tausch von Atomstrom gegen Gas mit dem Iran für Armenien die einzige Möglichkeit, energiepolitisch nicht völlig von Russland abhängig zu sein. Der Iran kann auf diese Weise das US-amerikanische Exportembargo umgehen und sein Stromdefizit reduzieren.

Aktuell übt die US-Regierung Druck auf die armenische Führung aus, sich ihrer Sanktions- und Isolationspolitik gegen Teheran anzuschließen. Damit möchte Washington den wirtschaftlichen Druck auf den Iran erhöhen. Armenien hat 2017 mit der EU ein erweitertes und umfassendes Partnerschaftsabkommen (CEPA) abgeschlossen, das die Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Rechtsstaatlichkeit, Vorgehen gegen organisierte Kriminalität und Korruption umfasst. Gleichzeitig ist Armenien Teil der von Russland geführten EAWU, was ein Freihandelsabkommen mit der EU ausschließt. Moskau hat mit seiner sicherheitspolitischen und ökonomischen Dominanz gegenüber Armenien wirksame Hebel in der Hand, um sowohl eine engere Verknüpfung mit der EU als auch eine weitere Demokratisierung des Landes nach der "Samtenen Revolution" von 2018 zu blockieren.

Fazit

Auch wenn die EU, der Iran, die Türkei und China eine wachsende Präsenz in der Region zeigen, möchte keiner der Akteure wegen der ungelösten Konflikte in den postsowjetischen Staaten in eine offene Konfrontation mit Russland geraten. Dabei spielt die russische Politik eine ambivalente Rolle. Während Russland in seiner offiziellen Rhetorik als Stabilisator und wichtiger sicherheitspolitischer Partner auftritt, instrumentalisiert es gleichzeitig die ungelösten Konflikte, um deren Abhängigkeit von Moskau zu konservieren. Gleichzeitig steht die Aufrechterhaltung autoritärer Strukturen, schwacher Institutionen und die verbreitete Korruption, die wichtige Elemente der russischen Einflusssicherung darstellen, einer nachhaltigen Entwicklung dieser Staaten entgegen.

Sollte Russland aufgrund wirtschaftlicher Schwäche und politischen Einflussverlusts künftig weniger in der Lage sein, im postsowjetischen Raum als "Ordnungsmacht“ aufzutreten, könnte es wieder verstärkt zu gewaltsamen lokalen Konflikten kommen. Solange kein anderer externer Akteur dazu bereit ist, mehr Ressourcen in die Lösung der ungelösten Konflikte zu investieren, ist der Status quo mit regelmäßigen lokalen Auseinandersetzungen, wie zwischen Armenien und Aserbaidschan im Sommer und Herbst 2020, das wahrscheinlichste Szenario. Gleichzeitig zeigt das aktuelle Eingreifen der Türkei in den Berg-Karabach-Konflikt zugunsten Aserbaidschans, wie fragil das sicherheitspolitische Gleichgewicht ist.

Weitere Inhalte

Dr. Stefan Meister leitet seit Juli 2019 das Buero der Heinrich Böll Stiftung im Südkaukasus in Tbilisi und Associate Fellow der DGAP. Davor war er Leiter des Robert-Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und in weiteren leitenden Positionen in der DGAP. Er war Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (2013/14) und Visiting Fellow bei der Transatlantic Academy in Washington DC (2015/16).