Mut zur Lücke
Wir verplanen jeden Quadratmeter. Was dabei herauskommt, hat mit einer lebendigen Stadt nichts zu tun
Der Star-Architekt Rem Koolhaas fordert: mehr Mut und Utopien für die Planung und Neugestaltung von Städten. Denn heute dominiere allein der kommerzielle Druck die städtische Architektur. Jeder Quadratzentimeter einer Stadt werde mit irgendeiner Botschaft ausgefüllt. Darunter leide auch die Bedeutung des öffentlichen Raums.Im Folgenden möchte ich ein paar Probleme ansprechen, die sich für mich aus der Entwicklung der Stadt und des urbanen Lebensraums ergeben und die nicht nur uns Architekten zu schaffen machen, sondern auch von öffentlichem Interesse sind. Sie werfen ein paar verteufelt schwierige Fragen auf, und in den meisten Fällen habe ich auch keine fertigen Antworten parat. Das antike Griechenland schuf seine Monumente für die Gemeinschaft, es gab eine kollektive Verantwortung für den öffentlichen Raum. Das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem war sehr klar definiert. Zwar prägen die Architektur und urbanen Strukturen, die aus dieser Zivilisation hervorgingen, bis heute modellhaft unser Denken über Öffentlichkeit und Privatsphäre. Aber gerade in den letzten 15 Jahren lassen sich neue Tendenzen beobachten. Man sagt oft, jede Generation müsse ihr Verhältnis zur Globalisierung selbst definieren. Stellt man die Symbole für den Yen, den Euro und den Dollar nebeneinander, ergibt sich das Wort ¥$, also "yes" wie "ja". Das Wesen dieses ¥$-Regimes ist, dass sich der Einfluss des öffentlichen Sektors verringert hat, während jener der Privatwirtschaft zunahm. Wir leben in einer Zeit, in der das Verhältnis dieser beiden Bereiche intensiv verhandelt wird, und eines der wichtigsten Foren für derartige Diskussionen ist die städtische Architektur beziehungsweise der Städtebau.
Ich denke, vor der aktuellen Phase der Globalisierung und Privatisierung wäre ein Gebäude wie das Guggenheim Museum, das Frank Gehry in Bilbao baute, nicht möglich gewesen. Wo Bauwerke in der Vergangenheit einfach nur schlicht und würdevoll wirken sollten – wie etwa im Fall des Parthenons –, erzwingt heute der schiere kommerzielle Druck, der hinter fast jedem Bauvorhaben steht, selbst die gewissenhaftesten Architekten zu exzentrischen und extravaganten Entwürfen. Eine andere wichtige Tendenz, die sich auf die Planung und Neugestaltung von Städten auswirkt, ist die Tatsache, dass die Globalisierung kein einheitlicher Vorgang ist, sondern in unterschiedlichen Stadtteilen unterschiedlich vonstatten geht, wodurch zwei gegenläufige Tendenzen gefördert werden: die explodierende und die schrumpfende Stadt – mit kaum einer Abstufung dazwischen.
Es gab Zeiten, in denen jeder genau wusste, was zu tun war: Viele von uns schrieben Manifeste, und andere setzten erfolgreich um, was in diesen Manifesten stand. Doch aufgrund kultureller Entwicklungen der letzten 15 Jahre und weil wir einige Fehler machten, sind der Glaube an solche Manifeste und das Vertrauen in das Wissen um die richtige Lösung abhanden gekommen. Heutzutage schreiben wir keine Manifeste mehr; höchstens noch verfassen wir Stadtporträts, und dabei hoffen wir nicht etwa, theoretisch begründete Vorschläge zum Städtebau zu entwickeln, sondern bestimmte Entwicklungen überhaupt einmal verstehen zu können. Das Vertrauen in entsprechende Theorien ist geschwunden, und es wird lange dauern, bis wieder etwas Ähnliches entsteht. In England würden beim Thema verlorene Utopien viele sagen "Gott sei Dank sind wir sie los". Mit derart anti-utopischen Tendenzen bin ich vertraut, seit ich 1968 in London studierte. Aber das Fehlen von Utopien ist vielleicht ebenso gefährlich wie eine Überdosis derselben.