Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Parteien und Medien | Parteien und Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland | bpb.de

Parteien und Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland Editorial Grundlagen Parteien als Organisationen Gesellschaftliche Verankerung Parteien und Medien Parteiensystem und Parteienwettbewerb Entwicklung des deutschen Parteiensystems nach 1945 Parteien in staatlichen Institutionen Aktuelle Herausforderungen Literaturhinweise Impressum und Anforderungen

Parteien und Medien

Uwe Jun

/ 8 Minuten zu lesen

Medien nehmen als zentrale Informationsvermittler und Interpreten politischer Entscheidungen in modernen Demokratien eine herausragende Stellung ein. Die Parteien suchen der vielfältigen Medienlandschaft und ihren steigenden Anforderungen durch Professionalisierung und Ausdifferenzierung der politischen Kommunikation zu entsprechen.

Akteure der politischen Kommunikation

Ohne Medien und die durch sie hergestellte Öffentlichkeit wäre es ungemein schwierig, Kenntnis von politischen Ereignissen und Vorgängen zu bekommen. Schließlich haben nur wenige Bürgerinnen und Bürger unmittelbaren Kontakt zu politischen Akteuren und Organisationen wie Parteien. Was wir über Politik wissen, haben wir weit überwiegend aus den Medien erfahren, seien es die Fernsehnachrichten, die Tageszeitung, das Rundfunkinterview oder Internet-Angebote, Blogs und Tweets. Für sehr viele Bürgerinnen und Bürger ist Politik mittlerweile ein reines Medienereignis.

Medien sind also in modernen westlichen Demokratien zentrale Akteure im Bereich der politischen Kommunikation. Ohne sie lässt sich keine breite politische Öffentlichkeit herstellen, um die Akzeptanz und Legitimität von demokratischer Politik sicherzustellen. Politische Legitimität und Akzeptanz stützen sich auf mediale Kommunikation.

Grundformen politischer Kommunikation / Nachrichtenwerte (© Uwe Jun)

Insbesondere, wenn es um die Politikvermittlung geht, nehmen Medien als Anbieter von Informationen und Interpreten politischer Entscheidungen eine herausragende Stellung ein. Dabei sind sie keineswegs nur Vermittler politischer Informationen, sondern handeln autonom und sind neben den politischen Akteuren sowie den Bürgerinnen und Bürgern als eine der drei Hauptakteursgruppen zu verstehen.

Anhand eigener Kriterien, sogenannter Nachrichtenfaktoren, entscheiden Medien selbstständig, welche der täglich zahlreich zur Verfügung stehenden Informationen von ihnen aufgenommen und verbreitet, somit einer politischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Sie erschaffen auf diesem Weg eine mediale Realität des politischen Geschehens, welche nur ausschnitthaft, medialen Logiken folgend, die viel umfassendere politische Gesamtrealität abbildet.

Auf diese Weise regeln Medien den Zugang von politischen Akteuren zur Öffentlichkeit, definieren Spielregeln und lenken die Aufmerksamkeit ihrer Nutzerinnen und Nutzer (Rezipienten) auf einzelne Themen und Personen, auf andere dafür nicht. Sie bilden Rangfolgen von Nachrichten (was kommt auf die Titelseite bzw. welche Nachricht steht am Anfang einer Nachrichtensendung), sie stellen eine Information in einen bestimmten Kontext, und sie entscheiden über die Relevanz von politischen Themen oder über die Wahrnehmung von einzelnen Persönlichkeiten des politischen Lebens wesentlich mit. Sie nehmen Einfluss auf die Politik wie auf die Wählerinnen und Wähler, ohne dass methodisch erfassbar wäre, wie hoch der jeweilige Einfluss ist.

Veränderte gesellschaftliche Bedingungen wie der bereits dargelegte Zerfall der traditionellen sozial-moralischen Milieus, die Individualisierung bzw. Pluralisierung von Lebensstilen und Wertegemeinschaften, denen die Politik Rechnung tragen muss, haben im Verhältnis von Politik und Medien eine eindeutige Gewichtsverschiebung zugunsten der Medien bewirkt. Medien können einzelnen Politikern hohe Popularität verschaffen oder ihnen wenig Beachtung schenken bzw. sie sehr kritisch beäugen, sie können Themen große Aufmerksamkeit verleihen und durch ihre Nachrichtenauswahl die öffentliche Agenda wesentlich mitbestimmen.

Medialisierung

Gesprochen werden kann von einer "Medialisierung" von Politik und Gesellschaft. Medien durchdringen zunehmend soziale Lebenswelten und haben steigende Bedeutung im Prozess der politischen und gesellschaftlichen Kommunikation. Wenn von Medialisierung die Rede ist, bedeutet dies das Ineinandergreifen unterschiedlicher Entwicklungen:

  • Medien sind der wichtigste Informationskanal. Die Menschen wenden sich vermehrt dem ebenfalls spürbar größer gewordenen Medienangebot zu und verbringen mehr Zeit mit Medien.

  • Mediale Gesetzmäßigkeiten wirken verstärkt auf politisches Handeln ein. Die Auswahlkriterien und die Visualisierungszwänge (Zwang zur Verbildlichung von Information) insbesondere des Fernsehens lassen die Politik abhängiger von der Vermittlungsleistung der Medien werden.

  • Medien werden zur politischen Bühne. Ob in Nachrichtensendungen, in Zeitungsartikeln, in sozialen Netzwerken wie Facebook, in Talkshows oder sogar in Unterhaltungssendungen – überall dort präsentiert die Politik sich, ihre politischen Positionen und ihre Kandidaten, um Gehör und Aufmerksamkeit zu erreichen.

  • Medienrealität wirkt erheblich auf die soziale und politische Realität ein. Diese Realitätsebenen sind in der Alltagswelt der Medienrezipienten teilweise nicht mehr eindeutig zu trennen.

Zwar ist die heutige Medienlandschaft im Vergleich zu den 1980er-Jahren, als es beispielsweise für die meisten TV-Zuschauer nur drei Fernsehstationen gab, stark fragmentiert und die politische Öffentlichkeit diffus. Auf Anbieter- und Nutzerseite herrschen höhere Dynamik, Unstetigkeit und Unübersichtlichkeit; die Fähigkeit der Medien, größere Rezipientenkreise dauerhaft an sich zu binden, hat spürbar nachgelassen. Dennoch gilt nach wie vor das Fernsehen aufgrund seiner hohen Reichweite, seiner starken Nutzung, seiner relativ hohen Glaubwürdigkeit und der Attraktivität visualisierender Vermittlung als das Hauptmedium politischer Kommunikation.

Fernsehen schlägt Internet - doch wie lange noch? (© Statista.com; Quelle: ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation)

Die politischen Parteien haben auf die wachsende Bedeutung der Massenmedien aktiv reagiert. Sie haben entsprechende Kommunikationsstrategien und Formen der Selbstpräsentation entwickelt, Themen- und Ereignismanagement betrieben und stärker für die Visualisierung ihres politischen Wirkens gesorgt – selbstverständlich immer abhängig von ihren jeweiligen finanziellen, personellen und organisatorischen Möglichkeiten und den Bedingungen, die die direkten politischen Wettbewerber, die Struktur des Mediensystems oder institutionelle Grundlagen wie das Wahlsystem ihnen stellten.

Kommunikationsstrategien

Um in der politischen Öffentlichkeit erfolgreich zur Geltung zu kommen, verfolgen Parteien Kommunikationsstrategien. Sie zielen auf:

  • Aufbau eines positiven Erscheinungsbildes; die Partei will bei den Wählerinnen und Wählern Akzeptanz und Zustimmung erreichen und sucht daher einen Gesamteindruck zu vermitteln, der sowohl emotional wie rational die Wahlentscheidung zugunsten der Partei erleichtern soll. Wahrnehmungen und Assoziationen gegenüber der Partei sollen zu ihren Gunsten wirken.

  • erfolgreiche Durchsetzung der eigenen Themen in der öffentlichen Diskussion; hier spielen die Kompetenz- und Problemlösungswerte eine wichtige Rolle, die einer Partei von den Wählerinnen und Wählern zugeschrieben werden. Je kompetenter eine Partei bei einem Thema erscheint, umso höher versucht sie es zu gewichten.

  • Zurückdrängung von Themen, die im politischen Wettbewerb keine Vorteile versprechen; sollte sich also eine Partei Nachteile von der öffentlichen Beschäftigung mit einem Thema ausmalen, kann sie strategische Schritte unternehmen, um dieses Thema von der politischen Agenda zu verdrängen.

  • erfolgreiche Platzierung von Kandidierenden; Personen werden in der politischen Kommunikation und vor allem im Wahlkampf immer wichtiger, weil sie durch ihr Auftreten Politik für die Wählerinnen und Wähler greifbar machen, ihnen helfen, komplexe politische Sachverhalte einzuordnen und ihnen damit eine Orientierung geben. Zentrales Ziel ist es, die eigenen Spitzenpolitiker im Parteienwettbewerb um die Gunst der Wählerschaft vorteilhaft zu positionieren, um damit möglichst gute Voraussetzungen zur Erreichung der Parteiziele zu schaffen. Personalisierung ist durch die Attraktivität visualisierender Vermittlung politischer Information bedeutsamer geworden.

  • Dominanzposition bei der Deutung oder Interpretation von politischen Problemen;

  • erfolgreiche Negativdarstellung politischer Mitbewerber, die damit Kompetenz- und Sympathieverluste erleiden oder sogar ein schlechtes Image bekommen.

Strategiefähigkeit politischer Parteien (© Eigene Darstellung in Anlehnung an Joachim Raschke/Ralf Tils, Politische Strategie - Eine Grundlegung, VS Verlag Wiesbaden 2007)

Entstanden ist ein recht professioneller Kommunikationsapparat innerhalb der Parteien, der sie bei der Platzierung von Themen, der Imagesteuerung sowie bei der Binnen- und Außenkommunikation berät und entsprechende Maßnahmen operativ umsetzt. Zusätzlich arbeiten Parteien häufig mit verschiedenen Werbe-, Kommunikations- und Eventagenturen, mit Meinungsforschern oder Internetteams zusammen, sodass von einer "doppelten Professionalisierung" der politischen Kommunikation gesprochen werden kann. Parteiinterne und externe Berater kommen zusammen, um gemeinsam Strategien zu entwerfen und umzusetzen.

Kommunikationsstrategien werden von den Parteien alltäglich eingesetzt, besonders intensiv und verdichtet jedoch im Wahlkampf. Dieser erstreckt sich meist über mehrere Monate, die heiße Phase sind die letzten sechs Wochen vor dem Wahltag. In diesen Wochen gilt es, bereits längerfristig bestehende Loyalitäten zu aktualisieren und kurzfristig wirkende Bestimmungsfaktoren des Wahlverhaltens wie das Image von Kandidaten oder die Besetzung aktueller Themen für sich zu optimieren. Kandidaten und Themen werden mediengerecht präsentiert und inszeniert, marketingstrategische Überlegungen werden angestellt.

Wie verschiedenste Untersuchungen zu Wahlkämpfen der jüngeren Vergangenheit aufzeigen, rücken in den Wahlkampagnen Aspekte wie Personalisierung, zielgruppenorientierte Nutzung verschiedenster Medienangebote sowie Befunde der qualitativen und quantitativen Meinungsforschung verstärkt in den Vordergrund. Ob sich tatsächlich eine deutlich steigende Personalisierung von Wahlkämpfen konstatieren lässt, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Images von Glaub- und Vertrauenswürdigkeit sowie Authentizität haben in den letzten Jahren (wieder) an Bedeutung hinzugewonnen.

QuellentextDie Checkliste für Kandidaten

Und zwar in dieser Reihenfolge:

  1. Wer bin ich? Was kann ich? Was kann ich nicht?

  2. Was will ich?

  3. Was haben die Menschen davon?

  4. Was denken die Menschen heute über das, was ich will?

  5. Was denken die Menschen heute über das, was ich nicht will?

  6. Wie sieht die Wählerkoalition aus, die ich zum Sieg benötige?

  7. Was wollen meine Gegner?

  8. Wo ist mein strategisches Fenster – wo bin ich stark und andere schwach?

  9. Wie lautet die zentrale Botschaft, die glaubwürdig zu mir passt und für die Menschen attraktiv ist? (ein Satz, nicht mehr als 2 Kommata)

  10. Wie bringe ich die Botschaft unters Volk?

Frank Strauss, Höllenritt Wahlkampf. Ein Insider-Bericht © 2013 dtv Verlagsgesellschaft, München, S. 189

Insbesondere die Parteizentralen auf nationalstaatlicher Ebene schenken der massenmedialen Kommunikation starke Beachtung. Dabei wird den verschiedenen Medientypen (Zeitungen, Zeitschriften, TV, Radio, Internet) gleichermaßen Relevanz zugemessen, wobei das Fernsehen weiterhin als Leitmedium fungiert und das Internet in jüngster Vergangenheit bedeutender geworden ist.

Auch die überregionalen Printmedien (Tages- wie Wochenzeitungen) spielen weiterhin eine wichtige Rolle – insbesondere durch ihre Bedeutung für das intermediale agenda-setting, das Setzen konkreter Themenschwerpunkte. Denn die Medien beobachten einander wechselseitig und übernehmen ggf. Themen anderer Medien, die dann zum Schwerpunkt der öffentlichen Diskussion werden.

Darüber hinaus ist mit der Verbreitung onlinebasierter Kommunikations- und Partizipationsangebote für die Parteienkommunikation ein neues Feld entstanden. Es ermöglicht den Parteien die Nutzung der Plattformen des Web 2.0 für ihre Außen- und Wahlkampfkommunikation, wirft aber auch wichtige Fragen zur künftigen Organisation innerparteilicher Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse auf. Längst sind alle Parteien in den verschiedenen sozialen Medien wie Facebook oder Twitter präsent und haben dort eigene Auftritte.

QuellentextNachrichtenagentur in eigener Sache

[…] Jeder zweite Bundestagsabgeordnete ist beim Kurznachrichtendienst Twitter registriert, einem Marktplatz, auf dem nonstop Informationen, Meinungen und auch mancher Unfug ausgetauscht werden: blitzschnell, direkt und nie länger als 140 Zeichen. Alles ist offen und prinzipiell einsehbar. Wer den "Folgen"-Button aktiviert, wird wie bei einem Abonnement automatisch mit allen Wortmeldungen ("Tweets") ausgewählter Personen versorgt.

Richtig begonnen hat der Twitter-Hype im Regierungsviertel vor dreieinhalb Jahren. Da setzte der damalige Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier seine erste Nachricht ab und schwärmte, das neue Medium sei "der ideale Entwicklungsrahmen für demokratische Prozesse". Heute folgen Altmaier mehr als 70.000 Leute. […]

Andere Politiker nutzen inzwischen die Kommunikationsplattform noch emsiger. So versorgt Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert rund 351.000 Follower mit Informationen. SPD-Vize Ralf Stegner hat bereits 19.000 Kurznachrichten abgesetzt. Nach einer Erhebung des Internetportals Bundestwitter.de zählen auch Abgeordnete wie Johannes Kahrs (SPD), Volker Beck (Grüne), Erika Steinbach (CDU), Dieter Janecek (Grüne), Dorothee Bär (CSU) und Renate Künast (Grüne) mit mehr als zehn Botschaften pro Tag zu den Twitter-Junkies.

Doch Tweet ist nicht gleich Tweet. Wer von seinen Mitarbeitern langweilige Pressemitteilungen im Parteisprech online stellen lässt, wird von der Netzgemeinde schnell mit Missachtung bestraft. Aussicht auf Weiterleitung und damit schnelle Verbreitung haben nur knackige, provokative oder witzige Botschaften. Authentisch müssen sie sein und möglichst die Person dahinter durchscheinen lassen. Zudem arbeitet Twitter in beide Richtungen: Zeitnahe Antworten auf Leserantworten und gelegentliche Teilnahme am direkten Schlagabtausch werden erwartet.

Der Form sind keine Grenzen gesetzt. Pointierte Meinungen gehen ebenso wie ironische Anmerkungen oder Hinweise auf Fundstellen anderswo im Netz. […]

Die Chancen der digitalen Kommunikationsplattform liegen auf der Hand: Ohne Zeitverzögerung und ohne medialen Filter können sie ihre Botschaften direkt zum Wähler bringen. Sie bilden gleichsam ihre eigene Nachrichtenagentur und erhalten sekundenschnell Feedback. Gleichzeitig können sie an ihrem Selbstbild arbeiten. […]

Persönliche Färbung, provokante Zuspitzung, sofortige Verbreitung – was den Reiz von Twitter ausmacht, birgt zugleich die größten Gefahren. Flüchtigkeitsfehler wie der Vertipper von Regierungssprecher Seibert, der aus dem Terror-Chef Osama den US-Präsidenten Obama machte, sind legendär. Vor allem aber können heikle Spontan-Äußerungen in Windeseile einen Tsunami auslösen, der den Urheber verschluckt. […]

Nicht zuletzt wegen solcher Gefahren lassen die Regierungsspitzen lieber die Finger von Twitter. […]

Der Trend aber geht in die andere Richtung. Nicht nur in Deutschland, wo mit Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Manuela Schwesig zwei jüngere Kabinettsmitglieder bei Twitter aktiv sind. Auch US-Präsident Barack Obama und Papst Franziskus nutzen (wenngleich über Mitarbeiter) den Kurznachrichtendienst. […]

Karl Doemens, "Zwitschernde Politiker", in: Frankfurter Rundschau vom 24. März 2015. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt

Themen- und Ereignismanagement

Nicht nur bezogen auf die politische Kommunikation, sondern auch, wenn es um Fragen der politischen Steuerung und um mögliche Handlungsspielräume von Politik geht, wird von einer Atmosphäre des Dauerwahlkampfs gesprochen. Der Unterschied zwischen dem eigentlichen Wahlkampf und einem in der Forschung als permanent campaigning bezeichneten "Alltag" zeigt sich allenfalls darin, dass die Kommunikationsexperten in Wahlkampfphasen besonders bemüht sind, die öffentliche Agenda durch Themen- und Ereignismanagement (News-Management) zu bestimmen.

Sie suchen die Techniken zur Thematisierung von Inhalten zu verfeinern (Themenmanagement) sowie Kandidaten- und Themenimages aufzubauen und strategisch zu steuern. Vor allem in Wahlkämpfen, aber auch im politischen Alltag wird verstärkt auf "Pseudoereignisse" gesetzt. Diese werden inszeniert und instrumentalisiert, um dem Trend zur Erzeugung von Bildern und der Forderung nach charismatischen oder zumindest medial überzeugend wirkenden Personen zu entsprechen, dem das Fernsehen und zunehmend auch das Internet unterliegen.

Mit diesen gesteigerten Aktivitäten verwischen mehr und mehr die Grenzen zwischen den "politischen Jahreszeiten" – also zwischen kommunikativem Alltag und Wahlkampf. Denn das Credo lautet: Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt. Die Intensität von Wahlkämpfen ist hierzulande aus Ressourcengründen sowie aufgrund verfassungsrechtlicher Beschränkungen für die Kommunikation von Parteien weniger stark ausgeprägt als etwa in den USA.

Doch die Anforderungen an moderne Kommunikation sind deutlich gestiegen: Sie muss beschleunigten Vermittlungsgeschwindigkeiten entsprechen und Umbrüchen innerhalb des Mediensystems wie Fragmentierung, Konkurrenzdruck und Medienkonzentration gerecht werden, wobei bereits die Dualisierung des Rundfunks (Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern) seit Beginn der 1980er-Jahre eine deutliche Zäsur darstellte.

Zur modernen Kommunikation gehört weiterhin, dass Parteien zur Agenda und allgemeinen "öffentlichen Stimmung" passende Inhalte transportieren, die geeignete Sprache verwenden, angemessene Methoden einsetzen und eine klare Einteilung der (institutionellen) Kommunikation in strategische, taktische und operative Ebenen vornehmen. Die Selbstmedialisierung der Parteien wird dann zu einer zentralen Handlungsstrategie. Werden hierbei wahlkampfgeprägte Motive, Kalkulationen und Vermarktungen bemüht und so der Einfluss professioneller Politikberater innerhalb eines Ereignis- und Themenmanagements erhöht, ist der Übergang zu einer kampagnenorientierten Politik und damit der Dauerkampagne fließend.

Dass sich die Medien von den politischen Akteuren nicht ohne Weiteres vereinnahmen lassen, zeigt ihre Reaktion in Gestalt zuletzt spürbar gestiegener öffentlicher Skandalberichterstattung. Diese ist zwar auch einer zunehmenden Ökonomisierung des Mediensektors geschuldet, denn der mediale Wettbewerb um Aufmerksamkeit, Exklusivität und Auflage hat sich verschärft.

Keineswegs aber stellen politische Skandale heute einzig von den Medien initiierte oder konstruierte Ereignisse dar. Die Geschehnisse beispielsweise um den früheren Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg haben gezeigt, dass es sich bei politischen Skandalen meist um genuine Ereignisse handelt, mit denen die Politik moralisch-ethisch basierte Angriffsflächen bietet, die dann von den Medien thematisiert und inszeniert werden.

Darüber hinaus gibt die mediale Skandalberichterstattung der jüngsten Zeit auch zu erkennen, dass sich die Massenmedien ungeachtet des vorherrschenden wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses wieder verstärkt als Kontrolleure der Politik verstehen und diese Rolle im Sinne einer "vierten Gewalt" neben Legislative, Exekutive und Judikative in emotionalisierter und dramatisierter Darstellungsform wahrnehmen.

QuellentextLeben im Aquarium

[…] Die elementare Wirkung [eines neuen Typus von Macht] […] besteht darin, dass die Schonräume der Intransparenz, die Sphären der Unschärfe und der Unbefangenheit verschwinden, weil alle permanent beobachtet, gefilmt oder fotografiert werden, weil alle senden und posten und die Archive der Gegenwart mit frischem Material versorgen. Im Verbund mit den klassischen Medien und einem aktiv gewordenen Publikum entsteht auf diese Weise eine grell überbelichtete Welt, ein monströses, von allen Seiten aus einsehbares Aquarium, in dem kaum noch etwas verborgen bleibt. Die Medienmacht […] zeigt sich in Form eines hochnervös reagierenden Wirkungsnetzes, das man nur leicht reizen muss, um kaum noch eingrenzbare Erregungsschübe zu erzeugen, Impulsgewitter, die vielleicht in den Sozialen Netzwerken beginnen, sich online in Livetickern fortsetzen, um schließlich in Zeitungen, Radio und Fernsehsendern zu einem Höhepunkt zu gelangen. […] [E]s reicht mitunter ein erster, minimaler Impuls, der zündet und plötzlich zum großen Drama explodiert.

[…] Die unmittelbare, für jeden erkennbare Folge dieser medialen Überbelichtung der Politik besteht darin, dass banale Normverletzungen und echte, gesellschaftlich relevante Enthüllungen permanent bekannt werden. […] Das ist im Konkreten nicht einfach nur schlecht, denn natürlich werden im Tremolo der Dauer-Entlarvung auch echte Skandale und wirkliche Sauereien offenbar, von denen die Öffentlichkeit wissen muss. Aber in der Summe verschärft die totale Sichtbarkeit eine ohnehin grassierende Politikverachtung […]. […]

Für den Politiker […] entsteht eine Art Big Brother-Gefühl, das von der permanent drohenden Eventualität handelt, dass man gerade jetzt beobachtet und kurz darauf attackiert werden könnte. Was macht der Parteifreund mit seinem Smartphone, sticht er soeben womöglich die Ergebnisse interner Beratungen aus einer laufenden Sitzung an Journalisten durch? […] Was heißt es, wenn man weiß, dass jede klare Positionierung und moralische Festlegung, jede aus dem Moment entstandene Rede und jede große Reformerzählung allgemein zugänglich in den Archiven des Netzes schlummert, um eines Tages zu neuem Leben erweckt zu werden? Ganz nach dem Motto des gängigen Entlarvungsspiels: Seht her, das sind doch Widersprüche, Indizien der Inkonsequenz, Beweise, dass hier mal wieder einer oder eine an den selbst gestellten Ansprüchen scheitert! […]

Die Flucht in die Floskel, eine möglichst blasse Rhetorik, das stete Bemühen, öffentliche Erregung durch glatte Inszenierungen zu vermeiden und die permanente Selbstzensur in Richtung des ohnehin gerade Konsensfähigen erscheinen vor diesem Hintergrund als konsequente Reaktion, als Strategie der smarten Vermeidung von Provokationen. Bloß nicht auffallen! Bloß nicht die Kontrolle verlieren […]. […]

Was sollte man auch sonst tun? Es gab einmal eine erfolgreiche Partei, die ein paar Sommer lang versucht hat, alles anders zu machen, authentische Berührbarkeit in Zeiten der totalen Transparenz zu erproben. Das waren die Piraten, die experimentell nachgewiesen haben, dass man unter solchen Bedingungen äußerer und innerer Überbelichtung sehr rasch verglüht – und wenig mehr übrig bleibt als Erschöpfung, Hass und verzweifelte Desillusionierung. Das heißt, die totale Offenheit kann man niemandem wirklich empfehlen. Sie befördert den eigenen Untergang. Natürlich ist auch der Rückzug aus der Medienwelt keine irgendwie plausible Idee, die man Politikern anraten könnte. […]

Es sind die Medienmacher und das Publikum selbst, die in dieser Situation ihre Maßstäbe zur Beurteilung des politischen Personals überdenken müssen. Sie müssen lernen, mit Normalsterblichen zu leben, die Schwächen haben, eitel sind und manchmal erschöpft, übellaunig und unbeherrscht und deren Frisur, Vorleben oder Gesamtpersönlichkeit einem nicht notwendig gefällt. […] Wer seine Maßstäbe ins Übermenschliche dehnt, kann in der gegenwärtigen Situation zwar permanent weitere Kandidaten auf die öffentliche Streckbank legen, ruiniert aber nebenbei den Berufsstand, weil eine politische Karriere zum endgültig unwägbaren Risikospiel wird, von dem man jedem, der irgendwie bei Verstand ist, dringend abraten muss. Was also tun? Die neue Medienmacht verlangt eine neue Toleranz und die Einsicht, dass Stilfehler alltäglich, unvermeidlich und damit normal werden, wenn die Kontexte verschwimmen. Den Typus des Angstpolitikers, der nur vorsichtig abtastet, was gerade Mode ist, um dann auf der momentan aktuellen Meinungswelle zu surfen, kann niemand wollen.

Bernhard Pörksen, 46, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

Bernhard Pörksen, "Es entsteht eine grell ausgeleuchtete Welt, ein monströses Aquarium, in dem kaum noch etwas verborgen bleibt", in: DIE ZEIT Nr. 8 vom 19. Februar 2015

QuellentextSkandalisierung von Belanglosigkeiten

[…] Ja, Twitter, YouTube, Instagram und andere Soziale Netze und Veröffentlichungsplattformen bescheren nicht nur der Politikberichterstattung eine Fülle von neuen Quellen. Aber gerne wird vergessen, dass diese Quellen oft erst durch die klassischen Medien überhaupt eine öffentliche Relevanz bekommen. Es braucht immer noch die Printmedien oder das Fernsehen, um bestimmte Nichtigkeiten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Bei den Piraten lief es immer so: Mandatsträger oder Vorstandsmitglied XY macht irgendetwas, auf Twitter gibt es einen Shitstorm, klassische Medien greifen das Thema auf und zitieren wahllos irgendwelche Tweets, die wenig mit dem eigentlichen Sachverhalt zu tun haben. […] Komplett ad absurdum wurde diese Form der Berichterstattung immer dann geführt, wenn es nach einem Bericht noch mal einen Bericht darüber gab, wie das Internet auf den ersten Bericht reagiert hatte.

[…] Es würde dennoch helfen, einige Spielregeln zwischen Medien und Politik neu zu bestimmen. Pörksen schlägt hier vor, dass die Öffentlichkeit Politiker verständnisvoller betrachten sollte, als Menschen, die Fehler haben, die auch mal Scheiße sagen, denen man auch mal einen Fehltritt verzeiht. Diese Forderung ist wünschenswert, aber meiner Ansicht nach weltfremd. Politiker und Politik sind Projektionsflächen. Es ist für den Einzelnen und erst recht für eine Partei nicht möglich, die ganze Zeit authentisch zu sein. […] Nicht weil die Politiker allesamt finstere Gestalten sind, sondern weil die Rolle dem Politiker Halt in seinem bizarren Alltag gibt. […]

Der Volksvertreter kann per Definition nicht authentisch sein. Er muss im Idealfall ständig die Interessen des Volkes auf der Grundlage der Programmatik seiner Partei vertreten. Er sollte also qua Beruf immer wieder eine andere Perspektive, eine andere Rolle einnehmen als die rein individuelle. […] Volksnah zu sein bedeutet […] in der Lage zu sein, immer wieder aus der Politikblase heraustreten zu können, um zu verstehen, welche Bedürfnisse das Volk hat. Das ist eine moderierende, im Zweifel polarisierende, aber keine anbiedernde Rolle.

Gleichzeitig kenne ich auch die Perspektive von Journalisten, die Politik vor allem als Stillstand erleben, als Aufschieben gesellschaftlicher Themen, die dringend neu verhandelt werden müssten. Ich erlebte das anfängliche Wohlwollen vieler Journalisten gegenüber den Piraten als Ausdruck einer Hoffnung, jetzt könnte sich wirklich mal etwas ändern. Diese Hoffnung schlug mit derselben Wucht in Verbitterung um, als klar wurde, dass die Piratenpartei die selbst gesetzten Erwartungen nicht mal im Ansatz erfüllen konnte. Diese Verbitterung mag es auch gegenüber anderen Parteien und Politikern geben. […] Das kann ich nicht beurteilen. Für mich steht fest: Große öffentliche Debatten werden vielleicht über das Internet beschleunigt, aber noch immer von den klassischen Medien bestimmt. Es ist also an Journalisten, […] sich zu entscheiden, worüber sie wie berichten wollen. Und Politiker sollten aufhören, sich in die Tasche zu lügen. Sie können gar nicht authentisch sein. Und müssen es auch nicht.

Christopher Lauer, 30, zog 2011 für die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Im September 2014 trat er aus der Partei aus.

Christopher Lauer, "Es ist einfacher, irgendeine Indiskretion über Parteifreunde in den Medien zu platzieren als ein politisches Konzept", in: DIE ZEIT Nr. 9 vom 26. Februar 2015

Uwe Jun ist Professor für "Regierungslehre – Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland" an der Universität Trier, Sprecher des Arbeitskreises "Parteienforschung" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) sowie Mitglied der DVPW, der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen (DVParl) und des European Consortium for Political Research. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Parteienforschung, Vergleichende Parlamentarismusforschung, Föderalismus, Politische Kommunikation und Koalitionsforschung.

Bei der Konzeption und der Materialrecherche wurde er unterstützt von Isabel Bähr, Sebastian Exner und Simon Jakobs