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Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung

Jens Hildebrandt

/ 16 Minuten zu lesen

Die heute gültigen Gemeindeordnungen entwickelten sich seit dem Mittelalter stetig weiter. Auf dem Weg zur Selbstverwaltung gab es aber auch zahlreiche Hindernisse, die überwunden werden mussten.

Seit dem 15. Jahrhundert verfügen die Freien und Reichsstädte über zahlreiche Selbstverwaltungsrechte und sind innerhalb ihrer Stadtmauern weitestge hend unabhängig. Stadtansicht der Freien Reichsstadt Köln, Holzschnitt aus der Schedelschen Weltchronik, Nürnberg 1493 (© INTERFOTO / Sammlung Rauch)

Das Freiheitsversprechen der Preußischen Städteordnung (1806 - 1848)

Die Gemeinde ist eine Urform des gemeinschaftlichen Zusammenlebens von Menschen, um die Dinge des täglichen Bedarfs, gemeinsame Aufgaben und Herausforderungen kollektiv zu meistern. Dabei haben sich Grundstrukturen herausgebildet, die bis heute Bestand haben. Auftretende Konflikte im Inneren werden durch eine Gemeindevertretung, einen Rat oder eine Versammlung geklärt. Die Beziehungen zu anderen Personen und Institutionen außerhalb der Gemeinschaft werden durch Personen geregelt, die die Gemeinde offiziell vertreten. Dabei haben sich je nach Region und Land unterschiedliche Verwaltungstraditionen und -institutionen, aber auch verschiedene Formen der Willensbildung und Entscheidungsfindung in den Kommunen herausgebildet. Das nicht immer spannungsfreie Verhältnis von bürgerschaftlicher Beteiligung, leistungsfähiger Verwaltung und kommunaler Solidargemeinschaft bestimmt die Selbstverwaltung bis heute.

Die heutige kommunale Selbstverwaltung entstand als Ergebnis der politischen Entwicklung in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. Die Ursprünge der kommunalen Selbstverwaltung reichen bis ins Mittelalter zurück, denn in dieser Zeit hatten sich bereits Gemeinden als genossenschaftlich geprägte Gebietskörperschaften herausgebildet, die öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnahmen.

Seit dem 15. Jahrhundert waren auch Freie Städte und Reichstädte entstanden, die unabhängig vom Einfluss der Landesfürsten entweder "reichsunmittelbar" dem Kaiser unterstellt waren oder nur einem Bischof als Landesfürsten dienten. Diese Städte verfügten über zahlreiche Selbstverwaltungsrechte und Privilegien in Fragen der Gerichtsbarkeit, der Teilnahme an Kriegen oder der Steuerzahlung an das Reich, die es ihnen erlaubten, in ihren Stadtmauern weitestgehend unabhängig zu bleiben. Auf diese Traditionsbestände griffen zahlreiche Reformer der kommunalen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert zurück.

Die Idee der kommunalen Selbstverwaltung fand ihre moderne Form und Ausprägung im Zuge der Entstehung eines deutschen Nationalstaates nach der Französischen Revolution 1789. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte aufgehört zu bestehen, und Napoleon Bonaparte – General und selbstgekrönter Kaiser – hatte in Folge der Revolutionskriege seit 1792 die deutsche und europäische Landkarte neu geordnet. Im Süden des heutigen Deutschlands entstand mit dem Rheinbund 1806 eine Konföderation, also ein Staatenbund von Napoleons Gnaden.

Die drei süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden wurden zu dessen Kernstaaten und übernahmen das französische Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtssystem. Sie wurden zu napoleonischen "Modellstaaten" und orientierten ihre Staatsorganisation an den Prinzipien der Rationalität und Zweckmäßigkeit. Hier wurde relativ rasch ein dreistufiges Verwaltungssystem nach französischem Vorbild aus Départements, Arrondissements (Distrikte) und Munizipalitäten mit Präfekten, Unterpräfekten und Maires (Bürgermeistern) installiert. Das zentralistisch-bürokratische Präfektursystem führte zu einer strikten Zentralisierung der Staatsgewalt und zu einem Ende der Selbstverwaltung der Gemeinden. Aber nicht nur die Gemeinden büßten ihre Selbstständigkeit ein, auch viele Freie Städte und Reichsstädte verloren ihre Unabhängigkeit und wurden in die süddeutschen Staaten eingegliedert.

In Jena und Auerstedt, im heutigen Thüringen, schlugen Napoleons Truppen noch im gleichen Jahr am 14. Oktober 1806 die preußischen Truppen. Diese waren schlecht ausgerüstet, mangelhaft vorbereitet und hatten ohne Kampfgeist agiert. Das Königreich Preußen war bis zu diesem Zeitpunkt eine führende europäische Großmacht. Nun lag es am Boden, war räumlich stark verkleinert und durch die Zahlung von Kriegskosten finanziell handlungsunfähig.
In dieser prekären Lage versuchte der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein (1757 – 1831) gemeinsam mit Karl August von Hardenberg (1750 – 1822) durch eine radikale Staats- und Gesellschaftsreform Preußen kurzfristig wieder handlungsfähig zu machen und langfristig dessen machtpolitische Stellung in Europa zu stärken. Im Rahmen der Preußischen Reformen kam es zu einem Bündel von Veränderungen aus Verwaltungsreform, Bauernbefreiung, Wirtschafts- und Finanzreform, Reform des Militärwesens und Judenemanzipation.
Die in der Städteordnung vom 19. November 1808 niedergelegte Kommunalreform, die Stein gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Gottfried Frey (1762 – 1831) entworfen hatte, nahm in diesem Reformpaket eine entscheidende Rolle ein. Sie war als bewusstes Gegenmodell zur französischen "Mairie-Verfassung" gedacht, nach der die Stadtverwaltung mit dem Bürgermeister an der Spitze weiterhin nur ein Glied der zentralstaatlichen Verwaltung war und nicht unabhängig mit einem eigenen Zuständigkeitsbereich agieren konnte.

Das Ziel dieser preußischen Reformen war es, den "Charakter der Nation durch die Verwaltung" zu bilden. Eine effiziente Verwaltung sollte dazu beitragen, die machtpolitische Bedeutung Preußens durch eine aktive Einbeziehung der Gesellschaft zu stärken. Die Aufgabe der Selbstverwaltung in den Provinzen, Kreisen und Städten war die "Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden und falsch geleiteten Kräfte und zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbstständigkeit und Nationalehre" (Auszug aus der Nassauer Denkschrift).

Die Nassauer Denkschrift "Über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizei-Behörden in der preußischen Monarchie" aus dem Jahre 1807 bildete die programmatische Grundlage für eine umfassende Staatsreform. Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein war preußischer Beamter und Staatsmann. Nach ersten Verwaltungserfahrungen in den westlichen preußischen Provinzen wurde er Minister für Wirtschaft und Finanzen in Berlin. Er war zusammen mit Karl August von Hardenberg nach dem Frieden von Tilsit der Hauptbetreiber der Preußischen Reformen, musste aber aufgrund seiner antinapoleonischen Haltung bereits 1808 ins Exil gehen, bevor ihn der russische Zar Alexander I. 1812 als Berater in seine Dienste nahm. Bis zu seinem Tod blieb vom Stein ein Verteidiger ständischer Interessen des Adels und kritisierte die bürgerliche Emanzipationsbewegung."

Stein stellte die ständische Gliederung der Gesellschaft in Adel, Bürgertum und Bauernschaft nicht grundsätzlich in Frage, doch er sah im Besitzbürgertum einen Träger seiner Reformideen. Das Wahlrecht sollte prinzipiell allen Eigentümern zustehen und war an eine Besitzklausel gebunden. Demnach waren nur knapp zehn Prozent der Einwohner wahlberechtigte Bürger. Neu war die ausdrückliche Nennung des Bürgertums, das aufgrund seiner ökonomischen Lage und Bildung dazu befähigt sei, das Steueraufkommen zu steigern und sich mit dem politischen Gemeinwesen zu identifizieren.
Gleichzeitig existierten unterhalb dieser gesellschaftlichen Ebene soziale Gruppen, die von der Politik ausgeschlossen waren. Zu ihnen gehörten unter anderem Gesellen, Handlanger, Tagelöhner, Arbeiter, Hausdiener, aber auch niedere Beamte.

Die Stadtverordneten sollten in der Stadtverordnetenversammlung nicht als Vertreter ihres Standes auftreten, sondern als Repräsentanten der gesamten Gemeinde, die nur ihrem Gewissen unterworfen waren. Dass ihre Entscheidungen in der Realität weiterhin vielfach ständischen Interessen folgten, war angesichts der gesellschaftlichen Stellung der Stadtverordneten vorhersehbar. Die Stadtverordnetenversammlung wählte einen Magistrat als Verwaltungsspitze, dessen Mitglieder nicht der Stadtverordnetenversammlung angehören durften. Bereits 1831 wurde der Magistrat zu einer Art zweiten Kammer aufgewertet. Die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung konnten ohne eine Zustimmung des Magistrats nicht in Kraft treten, was die Machtstellung der Verwaltung in der Preußischen Städteordnung stärkte.

Stein übernahm damit Ideen, wie sie bereits in Großbritannien von Edmund Burke oder in Frankreich von Charles de Montesquieu formuliert worden waren. Er verstand die kommunale Selbstverwaltung mitnichten als Keimzelle der Demokratie; sie diente ihm vielmehr zur politischen Mobilisierung der Nation unter Rückgriff auf mittelalterliche Traditionen gegen die französische Fremdherrschaft. Alsrationale Organisationseinheit im Gesamtgefüge der staatlichen Verwaltung war die kommunale Selbstverwaltung des Reichsfreiherrn vom Stein ein Herrschaftselement, das zum machtpolitischen Wiederaufstieg des Königreichs Preußen in Europa beitragen und langfristig zur Herausbildung einer eigenständigen Herrschaftskultur der Beamtenschaft – der Bürokratie – beitragen sollte.

Der innovative Charakter seines Reformwerks bestand zum einen im Freiheitsgewinn der Kommunen gegenüber der zentralstaatlichen Autorität, dessen wichtigstes Merkmal die Finanzhoheit der Kommune war; zum anderen in der institutionellen Öffnung der Stadtverordnetenversammlung weg von einer Ständeversammlung hin zu einem repräsentativen Gremium, auch wenn dies nicht seine eigentliche Zielsetzung gewesen war.

Einen demokratischen Modernisierungsimpuls sollte die kommunale Selbstverwaltung jedoch erst durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1871 und die Ausweitung der Teilhabechancen der Bürgerschaft in der Kommune erhalten, wobei Frauen weiterhin von der Wahl ausgeschlossen blieben und in den einzelnen Bundesstaaten, wie die Bundesländer damals bezeichnet wurden, weiterhin ein restriktives Dreiklassenwahlrecht vorherrschte.
Aber durch die Veränderungen des Kommunalwahlrechts am Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich auch die soziale Zusammensetzung insbesondere der zweiten Wählerklasse so sehr, dass vielerorts die Mehrheit in den Stadtverordnetenversammlungen vom liberalen Bürgertum erobert werden konnte.

Kommunale Selbstverwaltung als demokratische Teilhabe (1848-1914)

Die rheinbündischen und preußischen Reformen brachen die traditionellen absolutistischen Herrschaftsstrukturen auf. Die Kommunen wurden trotz der obrigkeitsstaatlichen Zensurpolitik des Deutschen Bundes (1815 – 1866), die mitunter bis in die kommunale Ebene wirkte, zum Experimentierfeld des Bürgertums für dessen ökonomisches, soziales und kulturelles Engagement. In den Kommunen entwickelten sich liberale Diskussionsplattformen der bürgerlichen Verfassungsbewegung, auf denen weitergehende Teilhaberechte des Bürgertums diskutiert wurden.

Reformer, wie der Staatsrechtler Lorenz von Stein (1815 – 1890), sahen die kommunale Selbstverwaltung mit hoher Eigenverantwortung unabhängig von staatlicher Einflussnahme ausgestattet, und für den Juristen und Politiker Rudolf Gneist (1816 – 1895) waren unbesoldete Ehrenbeamte die zentrale Säule der kommunalen Unabhängigkeit. Für konservative Theoretiker hingegen konnte es keine autonomen kommunalen Hoheitsrechte, sondern nur vom Staat verliehene und zugewiesene Aufgaben geben.

QuellentextArtikel XI. Paulskirchenverfassung 1849

§ 184. Jede Gemeinde hat als Grundrechte ihrer Verfassung:

a) die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter;

b) die selbstständige Verwaltung ihrer Gemeinde- angelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates;

c) die Veröffentlichung ihres Gemeindehaushaltes;

d) Öffentlichkeit der Verhandlungen als Regel.

Erst im späten 19. Jahrhundert gewannen die liberalen Reformen im Zuge der Industrialisierung, gesellschaftlichen Mobilisierung und deutschen Nationalstaatswerdung einen immer stärkeren Einfluss auf die Modernisierung der kommunalen Selbstverwaltung.

Am weitesten wurden die Reformen am Ende des 19. Jahrhunderts durch den liberalen Staatsrechtler, Berliner Stadtverordneten und späteren "Vater" der Weimarer Verfassung Hugo Preuß (1860 – 1925) und den Nationalökonomen und sozialdemokratischen Landtags- und Reichstagsabgeordneten Hugo Lindemann (1867 – 1949) entwickelt. Preuß und Lindemann strebten keine Ausweitung der Verwaltungskompetenz an, sondern sprachen sich vehement für eine Stärkung der parlamentarisch-demokratischen Formen der Selbstverwaltung aus.

Preuß schloss kritisch an die Ideen der Französischen Revolution an und forderte, "dass man die Freiheit nicht mehr in der Proklamierung imaginärer Rechte, sondern in der selbsttätigen Übernahme staatlicher Arbeit, in der immer ausgedehnteren Selbstverwaltung erblicke". Lindemann orientierte sich an der englischen Kommunalpolitik und sah mit Preuß im "Local-Government" und im "englischen Munizipalsozialismus" die Selbstverwaltung durch die Schaffung kommunaler Versorgungsunternehmen, wie Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken weitaus besser verwirklicht als im deutschen Kaiserreich. Lindemann und Preuß zielten im Rahmen ihres sozialreformerischen Denkens auf eine Demokratisierung der kommunalen Verwaltung und eine Weiterentwicklung der Selbstverwaltungsidee. Sie traten für eine Ausweitung der kommunalen Hoheitsrechte und eine Einbeziehung der gesamten Einwohnergemeinde in die Geschäfte der Gemeinde im Sinne einer "Parlamentarisierung von unten" ein.

Die Ideen von Preuß und Lindemann waren aber nicht nur der Ausdruck eines liberalen Zeitgeistes, sondern verweisen auf die veränderten kommunalen Anforderungen an Verwaltungshandeln und die gesellschaftspolitische Stellung des Bürgertums und der Arbeiterschaft am Ende des 19. Jahrhunderts. Das Bürgertum war, nicht zuletzt gefestigt durch das Dreiklassenwahlrecht, im 19. Jahrhundert zur führenden Klasse neben dem Adel aufgestiegen und die Städte waren zum Hort des Liberalismus geworden.

Die Arbeiterbewegung drängte im Schatten politischer Repressionen auf demokratische Teilhabe und den Ausbau einer sozialen Infrastruktur in den Gemeinden. Insbesondere im deutschen Südwesten strebte die Arbeiterschaft nach den ersten Erfolgen bei den Reichstagswahlen nach mehr kommunaler Teilhabe. In Baden stand dieser Entwicklung anfangs noch das Dreiklassenwahlrecht entgegen; in Württemberg gab es kein Zensuswahlrecht, und 1891 zog mit dem Holzgewerkschafter Karl Kloß erstmals ein Sozialdemokrat in den Stuttgarter Bürgerausschuss ein.

Im Zuge des rasanten Städtewachstums war es seit der Reichsgründung 1871 zu einer sukzessiven Ausweitung der kommunalen Leistungen gekommen. Dazu zählten zunächst vor allem die Armenfürsorge, [Ehrenamt und Bürgerschaftliches Engagement] später vermehrt die Gas- und Elektrizitätsversorgung, die Abwasserkanalisation, die Trink- und Wasserversorgung und die Einrichtung kommunaler Schlacht- und Viehhöfe. Das Netzwerk kommunaler Betriebe schuf eine Vorform heutiger kommunaler Zweckverbände, indem Wasserwerke etwa das Gas zum Antrieb der Gasmotoren für die Pumpen von den städtischen Gaswerken bezogen.

Zugleich legten sie damit den Grundstein für eine Modernisierung der Kommunen in Zeiten demografischen Wachstums. Die Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches wuchs von knapp 41 Millionen (1871) auf über 50 Millionen (1890) und schließlich auf rund 68 Millionen Menschen (1914). Die zunehmende Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung im Kaiserreich wurde nun auch im Ausland, etwa in den USA, wahrgenommen, und die kommunalen Eigenbetriebe galten – verglichen beispielsweise mit den heruntergekommenen, unhygienischen und ausbeuterischen Schlachthöfen Chicagos –als saubere Musterbetriebe. Damit waren die Städte und Kommunen noch vor dem Ersten Weltkrieg zu Schrittmachern auf dem Weg in den Sozialstaat geworden.

Kommunale Selbstverwaltung zwischen Leistungsexpansion und Finanznot (1918 – 1933)

Nach dem Ersten Weltkrieg geriet die kommunale Selbstverwaltung in eine schwere Krise zwischen Leistungsexpansion und Finanznot. Industrialisierung und Urbanisierung, Kriegskatastrophe und kriegsfolgenbedingte Verknappung von Ressourcen, zyklische Wirtschaftskrisen und Verarmung breiter Teile der Gesellschaft gingen mit einer Ausweitung des Leistungsspektrums der Sozialpolitik einher, die gemeinsam mit der chronischen Finanznot der Weimarer Republik sowie einer nicht klar definierten institutionellen Absicherung der Selbstverwaltung im Rahmen der Weimarer Verfassung (Art. 127 WRV) quasi zur Handlungsunfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung führten.

In der Weimarer Republik existierten, trotz zahlreicher Versuche der Vereinheitlichung, je nach Landesteil unterschiedliche Kommunalverfassungen. In den östlichen Provinzen Preußens und in Westfalen galt weiterhin die auf den Reichsfreiherrn vom und zum Stein zurückgehende Städteordnung mit Magistratsverfassung. Die Gemeindevertretung als oberstes Beschlussorgan wurde durch die Bürgerschaft gewählt. Der Magistrat wurde von der Gemeindevertretung gewählt und bestand aus dem Bürgermeister sowie den ehren- und hauptamtlichen Stadträten. Er erledigte die Geschäfte der laufenden Verwaltung und nahm Aufgaben der Außenvertretung wahr.

In den westlichen Regionen Preußens dominierte die Rheinische Bürgermeisterverfassung mit der rechtsetzenden Gewalt bei der Stadtverordnetenversammlung unter dem Vorsitz des Bürgermeisters als alleinigem Haupt der Exekutive; und als dritter Typus hatte sich im deutschen Südwesten die sogenannte Süddeutsche Ratsverfassung etabliert, in der die rechtsetzende und vollziehende Gewalt beim Stadtrat lag und der dem Stadtrat angehörende Bürgermeister direkt von den stimmberechtigten Bürgern der Gemeinde gewählt wurde.

Neben der Wahlrechtsausweitung auf Frauen und, für kurze Zeit bis 1920, auch auf Soldaten sowie der Absenkung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre kam es zur Einführung des Verhältniswahlrechts. Nun erhielt eine Partei entsprechend ihres Anteils an Wahlstimmen einen Anteil der Sitze im Rat, wodurch sich die parlamentarischen Kräfteverhältnisse schnell veränderten und der kommunalpolitische Einfluss der Sozialdemokratie ausweitete.

Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer 1913/14 und 1925/26–1932/33
Ⓒ Andreas Wirsching, Zwischen Leistungsexpansion und Finanzkrise. Kommunale Selbstverwaltung in der Weimarer Republik, in: Adolf M. Birke / Magnus Brechtken (Hg.), Kommunale Selbstverwaltung. Local Self-Government. Geschichte und Gegenwart im deutsch-britischen Vergleich, München / New Providence / London / Paris 1996, S. 37–64, hier S. 47

Die Sozialdemokraten strebten insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den von ihnen regierten Städten eine Linderung der alltäglichen Not an und setzten auf personalpolitische Kontinuität und verwaltungstechnische Kooperation mit der bürgerlichen Verwaltungselite. Nichtsdestotrotz fehlte es den Sozialdemokraten an geeignetem Verwaltungspersonal bei der Besetzung von Oberbürgermeistern, Beigeordneten oder Dezernenten.

Zu einem radikalen Bruch mit dem bestehenden System der kommunalen Selbstverwaltung kam es unter dem Druck der Reparationslast im Zuge der Reichsfinanzreform Ende 1919, Anfang 1920. Sie ordnete das Steuersystem der Weimarer Republik und entzog den Kommunen ihren Anteil an der Einkommensteuer. Diese verloren dadurch ein gutes Drittel ihrer Einnahmen. Aus einem teilautonomen Steuersouverän wurde ein Zuschussempfänger. Besonders schwerwiegend wirkten sich deshalb die Zunahme an staatlichen Aufträgen und die neue sozialpolitische Verantwortung der Kommunen aus, die zu einer immer stärkeren Einschränkung der tatsächlichen Selbstverwaltung führten.

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre waren die Kommunen erneut einer Welle von sozialpolitischen Problemen ausgesetzt; insbesondere die explodierenden Arbeitslosenzahlen ruinierten die kommunalen Finanzhaushalte und führten zu einer Erosion der kommunalen Selbstverwaltung im Zuge der Massenverelendung. Die kommunale Finanznot und soziale Aufgabenlast sowie die mangelnde verfassungsrechtliche Absicherung der Kommunen führten zu einer immer stärkeren Abhängigkeit der Kommunen vom Reich und den Ländern, an deren Ende eine tiefgreifende Legitimationskrise der kommunalen Selbstverwaltung und die autoritäre Wende in die NS-Diktatur standen.

QuellentextEntschließung des Preußischen Städtetages in Frankfurt / M. am 28. September 1929 zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden

Die wirtschaftliche Betätigung der deutschen Gemeinden entspringt ihrem historisch entwickelten Aufgaben- und Pflichtenkreis. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Volkswirtschaft geworden und kann deshalb die gleiche Bewegungsfreiheit wie die Privatwirtschaft beanspruchen. Ihre Art und ihr Umfang können nicht gesetzlichen schematischen Einschränkungen unterworfen werden, vielmehr muß die Selbstverantwortlichkeit der einzelnen Gemeinde ohne Einschaltung der Kommunalaufsicht sie richtunggebend bestimmen.

Die Erhaltung und Fortführung der öffentlichen Unternehmungen nach rationellen wirtschaftlichen Grundsätzen liegt im unmittelbaren Interesse der Allgemeinheit. Die soziale Aufgabe der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit unentbehrlichen Bedarfsgütern des täglichen Lebens, wie Gas, Wasser, Elektrizität, Verkehrseinrichtungen u. a. sowie die Bereitstellung dieser wichtigen Produktionshilfsmittel für die gesamte Wirtschaft rechtfertigen es, daß die Gemeinden ebenso wie die Privatwirtschaft den notwendigen Kapitalbedarf für ihre wirtschaftlichen Unternehmungen ohne einseitige Hemmungen im In- und Auslande befriedigen.

Die Ausdehnung der Steuerpflicht der gemeindlichen Unternehmungen ist abzulehnen, da sie infolge der umfassenden sozialen und finanziellen Vorbelastung eine Schlechterstellung dieser Unternehmungen bedeuten und zu einer verstärkten Belastung der breiten sozialen Schichten wie der gesamten Wirtschaft führen müßte, ohne die Einnahmen des Reichs fühlbar zu erhöhen.

Aus: Schriftenreihe des Deutschen Städtetages Heft 10, Berlin 1929, S. 63. Zitiert nach: Externer Link: http://www.blz.bayern.de/blz/web/100083/05.html#dok4

Ende der kommunalen Selbstverwaltung im "Dritten Reich" (1933-1945)

Der Niedergang der kommunalen Selbstverwaltung beginnt bereits mit der Verabschiedung des Preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes der Reichsgemeindeordnung Ende 1933, in dem alle bisher gültigen Städteordnungen und Landgemeindeordnungen aufgehoben wurden. Nunmehr galt eine einzige Gemeindeordnung für alle bisherigen preußischen Stadt- und Landgemeinden mit Ausnahme der Hauptstadt Berlin. Die "Bürgermeister" bzw. die "Oberbürgermeister" in den Kreisstädten wurden nicht mehr gewählt, sondern berufen.

Geistige Vordenker dieser Entwicklung waren die konservativen Verfassungstheoretiker Ernst Forsthoff (1902 – 1974) und Carl Schmitt (1888 – 1985), die bereits Anfang der 1930er-Jahre gegen die Einführung demokratischer Parteienpolitik in der Weimarer Republik und den Einfluss "pluralistischer Zersetzungserscheinungen" wetterten.

In allen anderen Gliedstaaten des Deutschen Reiches galten bis zur Einführung der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) im Januar 1935 die über 30 landesrechtlichen Kommunalverfassungen weiter. Die DGO legte fest, dass an der Spitze der Gemeinde im Sinne des "Führerprinzips" ein vom Staat ernannter Bürgermeister als "Leiter der Gemeinde" stehen musste. Einen gewählten Rat als Vertretung der Bürgerschaft gab es nicht mehr, hingegen hatten die Gemeinderäte "die dauernde Führung der Verwaltung der Gemeinde mit allen Schichten der Bürgerschaft zu sichern". Die DGO schaffte die kommunale Selbstverwaltung praktisch ab.

Bereits unmittelbar nach der "Machtergreifung" im Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten durch eine Kombination von Terror und Einschüchterung die politischen Funktionsträger in den Gemeinden entfernt.

QuellentextGesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Vom 7. April 1933

§ 1. (1) Zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtentums und zur Vereinfachung der Verwaltung können Beamte nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen aus dem Amt entlassen werden, auch wenn die nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. […]
§ 3. (1) Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand (§§ 8 ff.) zu versetzen; soweit es sich um Ehrenbeamte handelt, sind sie aus dem Amtsverhältnis zu entlassen.
(2) Abs. 1 gilt nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind. […]
§ 4. Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden. […]
§ 7. (2) Die Verfügungen nach §§ 2 bis 6 müssen spätestens am 30. September 1933 zugestellt werden. […]
§ 14. (1) Gegen die auf Grund dieses Gesetzes in den Ruhestand versetzten oder entlassenen Beamten ist auch nach ihrer Versetzung in den Ruhestand oder nach ihrer Entlassung die Einleitung eines Dienststrafverfahrens wegen der während des Dienstverhältnisses begangenen Verfehlungen mit dem Ziele der Aberkennung des Ruhegeldes, der Hinterbliebenenversorgung, der Amtsbezeichnung, des Titels, der Dienstkleidung und der Dienstabzeichen zulässig. Die Einleitung des Dienststrafverfahrens muß spätestens am 31. Dezember 1933 erfolgen. […]

Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich. Vom 31. März 1933.

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

Gemeindliche Selbstverwaltungskörper

§ 12. (1) Die gemeindlichen Selbstverwaltungskörper (Kreistage, Bezirkstage, Bezirksräte, Amtsversammlungen, Stadträte, Stadtverordnetenversammlungen, Gemeinderäte usw.) […] werden hiermit aufgelöst.
(2) Sie werden neu gebildet nach der Zahl der gültigen Stimmen, die bei der Wahl zum Deutschen Reichstag am 5. März 1933 im Gebiet der Wahlkörperschaft abgegeben worden sind. Dabei bleiben Stimmen unberücksichtigt, die auf Wahlvorschläge der Kommunistischen Partei oder solche entfallen sind, die als Ersatz von Wahlvorschlägen der Kommunistischen Partei anzusehen sind.
§ 13. (1) Bei den Vertretungskörperschaften in der unteren Selbstverwaltung (Gemeinde-, Stadträte usw.) darf die Zahl der Mitglieder die folgenden Höchstziffern nicht überschreiten:
in Gemeinden bis zu    1 000 Einwohnern       9
in Gemeinden bis zu    2 000 Einwohnern      10
in Gemeinden bis zu    5 000 Einwohnern      12
in Gemeinden bis zu    10 000 Einwohnern     16
in Gemeinden bis zu    15 000 Einwohnern     20
in Gemeinden bis zu    25 000 Einwohnern     24
in Gemeinden bis zu    30 000 Einwohnern     26
in Gemeinden bis zu    40 000 Einwohnern     29
in Gemeinden bis zu    50 000 Einwohnern     31
in Gemeinden bis zu    60 000 Einwohnern     33
in Gemeinden bis zu    80 000 Einwohnern     35
in Gemeinden bis zu    100 000 Einwohnern    37
in Gemeinden bis zu    200 000 Einwohnern    45
in Gemeinden bis zu    300 000 Einwohnern    53
in Gemeinden bis zu    400 000 Einwohnern    58
in Gemeinden bis zu    500 000 Einwohnern    63
in Gemeinden bis zu    600 000 Einwohnern    68
in Gemeinden bis zu    700 000 Einwohnern    73
in Gemeinden von mehr als 700 000 Einwohnern    77
(2) Die übrigen Vertretungskörperschaften der gemeindlichen Selbstverwaltung sind gegenüber ihrem Bestand vor der Auflösung (§ 12) möglichst um fünfundzwanzig vom Hundert zu verkleinern.
§ 15. Die neuen gemeindlichen Selbstverwaltungskörper gelten mit dem 5. März 1933 als auf vier Jahre gewählt.
§ 16. Die Neubildung der gemeindlichen Selbstverwaltungskörper nach diesem Gesetz muß bis zum 30. April 1933 durchgeführt sein.


Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1933, Teil 1, S. 153 und S. 175

Die Kommunalverwaltung praktizierte in der NS-Zeit noch vielerorts eine spezifische Form "administrativer Normalität", ohne sich als Ausführungsorgan des nationalsozialistischen Regimes zu verstehen. Doch spätestens seit Kriegsbeginn 1939 wurde das Verwaltungshandeln durch zahlreiche Sonderverwaltungen überlagert, ergänzt oder verdrängt.

In der Verwaltung verbanden sich frühzeitig "Elemente der herkömmlichen Verwaltung" mit "Zielen und Methoden der nationalsozialistischen Ideologie und Rasseutopie" (Bernhard Gotto). Die Städte und Gemeinden entließen Mitarbeiter aus "rassischen" und politischen Gründen. Sie wirkten an der Judenverfolgung und an Deportationen mit. Sie "arisierten" Kunstgegenstände, private Bibliotheken, Gold- und Silbergegenstände sowie Immobilien, Geschäfte, Firmen und Unternehmen. Die kommunalen Gesundheitsämter sorgten für die massenhafte Sterilisierung von "Erbkranken". Die Stadtverwaltungen verfolgten Sinti und Roma, vertrieben sie aus ihren Wohnungen und Geschäften. Die städtischen Bauämter beuteten die Arbeitskraft von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus.

Darüber hinaus nutzten zahlreiche kommunale Beamte und Angestellte im vorauseilenden Gehorsam oder aus Amtsmissbrauch ihre Handlungsspielräume zulasten der Verfolgten, gingen immer wieder über zentralstaatliche Direktiven hinaus und ersannen Verfolgungsmaßnahmen aus eigenem Antrieb. Die Kommunen wurden somit zu einem wesentlichen Schauplatz von Verfolgung und Repression.
Die Nationalsozialisten zerstörten nicht nur die Freiheit der Kommune, wie sie erstmals vom Reichsfreiherrn vom und zum Stein ins Leben gerufen worden war, sondern eliminierten alle Formen der demokratischen Teilhabe und des solidarischen Miteinanders, indem sie an ihre Stelle eine Führerdiktatur setzten, in der die Kommunen zu einem wichtigen Baustein der NS-Herrschaft wurden.

Neuanfang und Wiederaufbau der kommunalen Selbstverwaltung (1945 – 1989)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den Besatzungszonen Gemeinde- und Landkreisordnungen vom nationalsozialistischen Gedankengut befreit und je nach Besatzungsmacht neugeordnet. In den westlichen Besatzungszonen hatten die alliierten Besatzungsbehörden Vorbehalte gegenüber dem preußisch-deutschen Verwaltungsapparat und seinen Funktionseliten. Die "Entnazifizierung" des Personalkörpers ging daher mit einem tiefgreifenden Strukturwandel der öffentlichen Verwaltung einher. Die Alliierten setzten als Gegengewicht zu den zentralistischen Machtstrukturen der Nationalsozialisten auf eine Wiederbelebung der traditionellen Vielfalt der Kommunalverfassung in ihren Besatzungszonen.

Die US-Amerikaner zielten auf den Aufbau föderaler Strukturen und eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinden erhielten ihre alten kommunalen Aufgaben zurück, und die US-Besatzungsorgane überließen den deutschen Behörden die Neufassung der kommunalrechtlichen Grundlage. So kam es in Bayern und Württemberg-Baden zur Reaktivierung der Süddeutschen Ratsverfassung; in Hessen kehrte man zum Modell der Magistratsverfassung zurück.

In der französischen Besatzungszone wurde nach französischem Vorbild im Saarland und in Rheinland-Pfalz die Rheinische Bürgermeisterverfassung eingeführt, in der ein von der Gemeindevertretung gewählter Bürgermeister an der Spitze der kommunalen Verwaltung steht, der als Vorsitzender der Gemeindevertretung nur ein ausführendes Organ ohne Stimmrecht ist.

Länger als die französische und amerikanische Regierung verfolgten die Briten eine am eigenen kommunalpolitischen Leitbild orientierte Reform der Verfassung und Verwaltung als Mittel der Demokratisierung. Die Reform der kommunalen Selbstverwaltung nach englischem Vorbild sah in Nordwestdeutschland neben Rat und Bürgermeister als Repräsentanten der Gemeinde die Institution eines Gemeindedirektors vor, der die Verwaltung leitete.

Die Reform zielte auf die Entflechtung und Entmachtung des Beamtenapparates und war Teil der britischen Entnazifizierungsstrategie. Der Rat wurde in diesem Modell zum alleinigen, entscheidenden Organ und der Hauptverwaltungsbeamte, als eigentlicher Leiter der Verwaltung, zur bloßen Ausführungsinstanz des politischen Willens. Er verfügte jedoch angesichts seines Verwaltungswissens über starke Einflussmöglichkeiten auf die Kommunalpolitik.

Hinter der Forderung nach der strikten Trennung von Amt und Mandat sowie der Entflechtung von öffentlichem Dienst und Politik stand die Idee, dass eine "politisch-neutrale" Verwaltung durch ein demokratisch legitimiertes Gremium beauftragt werden muss. Diese Vorstellung wurde später in der Norddeutschen Ratsverfassung festgeschrieben und in die Gemeindeordnungen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens übernommen.

Die Parallelstruktur zwischen Bürgermeister und Gemeindedirektor geriet im Laufe der Jahre aufgrund der ineffizienten Abstimmungsprozesse und der als unzureichend angesehenen Leistungserbringung vor dem Hintergrund einer fortlaufenden Verschuldung der Kommunen zunehmend in den Fokus der Kritik.

In der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR kam es zwar bereits im Jahr 1946 durch den Erlass der "Demokratischen Gemeindeordnung" zur Anknüpfung an die Tradition der Selbstverwaltung der Weimarer Republik, doch in der Praxis wurde das demokratische Selbstverwaltungsrecht bereits im Zuge des Aufbaus der SED-Diktatur beseitigt.

Mit dem "Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht" von 1957 wurde für die Kommunen das Prinzip des "demokratischen Zentralismus" bindend, und die Gemeinde war nichts anderes als eine untere Verwaltungsbehörde ohne eigene Handlungsmöglichkeit und ohne rechtliche Eigenständigkeit. Das "Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR" von 1985 hatte diesen Zustand noch einmal verfestigt.

QuellentextGesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht

vom 18. Januar 1957

§ 2. Die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik sind
im Bezirk – der Bezirkstag,
im Stadtkreis – die Stadtverordnetenversammlung,
im Landkreis – der Kreistag,
im Stadtbezirk – die Stadtbezirksversammlung,
in der Stadt – die Stadtverordnetenversammlung,
in der Gemeinde – die Gemeindevertretung.
§ 5. (1) Der Aufbau der Organe der Staatsmacht in der Deutschen Demokratischen Republik beruht auf dem Prinzip des demokratischen Zentralismus.
(2) Die Gesetze und Verordnungen sowie die Beschlüsse der Volkskammer, des Ministerrats und der höheren Volksvertretungen sind für die unteren Volksvertretungen und ihre Organe verbindlich.
(3) Beschlüsse unterer Volksvertretungen, die gegen Gesetze oder Verordnungen oder gegen Beschlüsse der Volkskammer, des Ministerrats oder höherer örtlicher Volksvertretungen verstoßen, sind von den höheren Volksvertretungen aufzuheben, soweit sie nicht von den unteren Volksvertretungen selbst aufgehoben werden.
(4) Beschlüsse der höheren örtlichen Räte sind für die unteren Räte verbindlich.
(5) Beschlüsse der unteren Räte, die gegen Gesetze, Verordnungen und andere für sie verbindliche Bestimmungen verstoßen, sind von den höheren Räten aufzuheben, soweit sie nicht von den unteren Räten selbst aufgehoben werden.
(6) Die höheren Räte haben das Recht, die Durchführung von Beschlüssen unterer Volksvertretungen, die gegen Gesetze oder Verordnungen oder gegen Beschlüsse der Volkskammer, des Ministerrates oder höherer örtlicher Volksvertretungen verstoßen, bis zur Entscheidung der Volksvertretungen nach Abs. 3 auszusetzen. Diese Entscheidung ist in der nächsten Tagung der Volksvertretung herbeizuführen:

Externer Link: http://www.verfassungen.de/de/ddr/kommunalverfassung57.htm

Noch bevor die Vereinigung beider deutscher Staaten konkrete Formen annahm, wurde unter der Regierung de Maizière die Verfassung der DDR reformiert und die kommunale Selbstverwaltung eingeführt. Noch in die am 17. Mai 1990 von der DDR-Volkskammer verabschiedete DDR-Kommunalverfassung wurden Volksbegehren und -entscheide aufgenommen, um das partizipatorische Erbe der ostdeutschen "Revolution" zu bewahren.

Im Vergleich mit dem Wiederaufbau der kommunalen Selbstverwaltung in Westdeutschland nach 1945 waren der Institutionentransfer, die Gebietsreformen und der eingeforderte Systemwechsel nach zwölf Jahren NS-Diktatur und vierzig Jahren SED-Herrschaft ungleich größer und umfänglicher als in den westlichen Besatzungszonen nach 1945. Es mangelte an einer demokratischen Selbstverwaltungskultur und an Verwaltungseliten mit Selbstverwaltungserfahrung.

Im Zuge der Wiedervereinigung wurde auch die Gemeindeordnung in zahlreichen Bundesländern, darunter auch Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, geändert, und es wurden notwendige Strukturreformen eingeleitet. Bis auf Baden-Württemberg sind in allen Flächenländern die Kommunalverfassungen in den 1990er-Jahren verändert worden und repräsentativ-demokratische Formen politischer Entscheidungsfindung durch direktdemokratische Formen ergänzt worden.

In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurde das Organ des "Gemeindedirektors" abgeschafft. Auf der Kreisebene entfiel das Organ "Oberkreisdirektor" und der fortan von den Bürgern unmittelbar gewählte Landrat wurde Leiter der Kreisverwaltung. In NRW ist er Vorsitzender des Kreistags, in Niedersachsen wird der Vorsitzende aus dem Kreis der Kreistagsabgeordneten gewählt. Auch in anderen Bundesländern wurden die Landräte und Oberbürgermeister nicht zuletzt aufgrund der innovativen Wirkung der deutschen Wiedervereinigung und der Gründung von fünf neuen Bundesländern fortan direkt gewählt.

Dr. Jens Hildebrandt, geb. 1971, ist stellvertretender Leiter der Friedrich- Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation. Er war vorher Referent der Bildungsbürgermeisterin der Stadt Mannheim und stellvertretender Geschäftsführer der SPD-Gemeinderatsfraktion. Er arbeitete an der Fakultät für Sozialwissenschaften und am Historischen Institut der Universität Mannheim und übernimmt Lehraufträge an der Universität Mannheim und der Hochschule Mannheim. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Geschichte der Arbeiterbewegung, Deutschlandpolitik und Internationale Beziehungen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf dem Feld der Kommunalpolitik, Bildungspolitik, Integrationspolitik und Osteuropapolitik. Kontakt: E-Mail Link: Jens@hildebrandt.ws