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Salafismus – Spielart des Islamismus

Bernd Ridwan Bauknecht

/ 4 Minuten zu lesen

Die Kaaba in Mekka ist das Hauptheiligtum der Muslime, hier umgeben von vier Gebäuden, die die vier Rechtsschulen Hanafiya, Malikiya, Schafi'iya und Hanbaliya symbolisieren. Ausschnitt aus einer türkischen Miniatur. (© Roland and Sabrina Michaud / akg-images)

Die Bezeichnung Salafismus leitet sich vom arabischen Begriff "as-salaf as-salih" (as-salaf as-sālih˙ – in Klammern ist die wissenschaftliche Umschrift der arabischen Begriffe angegeben – Anm. d. Verf.) ab, der gemeinhin mit "rechtschaffene Altvordere" übersetzt wird. Damit sind in der Regel die ersten drei Generationen der Muslime gemeint, ausgehend vom prophetischen Wirken Muhammads ab dem Jahre 610 bis zum Jahre 850. Anders als im europäischen Kontext, wo eine Generation 30 Jahre umfasst, gilt in der islamischen Geschichtsschreibung ein Menschenleben von 80 Jahren als Maß für eine Generation.

Nach eigenem Verständnis ist ein Salafist zunächst jemand, der nur den Koran, die Prophetentradition und den Glauben sowie die Lebensweise der Altvorderen als Quellen eines authentischen Islam anerkennt. Diese Überzeugung muss zunächst noch keine Beunruhigung auslösen, denn in den Augen vieler gläubiger Muslime ist die Hinwendung zu den Quellen der Religion erstrebenswert.

Doch viele Salafisten wenden sich darüber hinaus bewusst in den öffentlichen Raum und zielen darauf ab, die Gesellschaft insgesamt zur Frömmigkeit zu bekehren. In dieser Form ist der Salafismus als einerseits zurückgezogene, anderseits durchaus missionierende Frömmigkeitsbewegung teilweise vergleichbar mit puristischen Strömungen im Christentum.

Die Hinwendung zum öffentlichen Raum kann allerdings eine ideologisierte und politisierte Lesart von Religion nach sich ziehen, nach der es gilt, eine angeblich von Gott vorgegebene, verbindliche, unantastbare und unabänderliche Ordnung des menschlichen Lebens in allen Bereichen von Staat, Recht und Gesellschaft durchzusetzen. Statt der Volkssouveränität gilt nach dieser Lesart die "Souveränität Gottes" als oberstes Ordnungsprinzip. "Menschengemachte" Gesetze wie sie von Parlamenten verabschiedet werden, lehnen die Verfechter dieser ideologischen Religionsauffassung dagegen strikt ab.

Fast alle Salafisten eint dieselbe Auswahl an Doktrinen, über deren richtige Anwendung jedoch heftig gestritten wird. Während viele von ihnen dem Dschihadismus (arab. ğihad, Anstrengung, Kampf, Bemühung, Einsatz), im Sinne einer individuellen Verpflichtung zum Kampf (zumeist zur Durchsetzung eigener Positionen), eine Absage erteilen, gibt es andere salafistische Subkulturen, die demokratische Werte ablehnen, den bewaffneten Kampf als legitim ansehen und ihn ins Zentrum ihres Denkens und Handeln stellen.

QuellentextKategorien des Salafismus

Auf den US-Politikwissenschaftler Quintan Wiktorowicz geht eine dreiteilige Kategorisierung des Salafismus zurück, die in der Wissenschaft weitgehend akzeptiert ist. Demnach unterscheiden sich Salafisten nicht so sehr in ihren Glaubensdoktrinen (aqida), die fest verankert sind, als vielmehr in der Methode (manhaj), die festlegt, wie Glaubensgrundsätze auf verschiedene Bereiche des Lebens und im Umgang mit der Gesellschaft angewendet werden sollen. Demnach gibt es:

  1. "Puristen": Sie betonen die nicht-gewalttätigen Methoden der Verkündung, Purifizierung und Erziehung.

  2. "Politische Salafisten": Sie heben die Anwendung salafistischer Glaubensgrundsätze für die Politik hervor.

  3. "Dschihadisten": Sie nehmen eine militantere Position ein und argumentieren, dass die gegebenen Umstände Gewalt und Revolution erfordern.

Die Sicherheitsbehörden folgen, trotz vieler Überschneidungen, dieser Dreiteilung. Die Gruppe der "politischen Salafisten" und der "Dschihadisten" stehen unter Beobachtung von Polizei und Verfassungsschutz.

Islamismus

Salafismus ist eine Ausprägung des Islamismus, einer politischen Ideologie, die den Islam als Legitimationsquelle nutzt. Der Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker (Islamismus, München 2014, S. 9) definiert Islamismus folgendermaßen: "Beim Islamismus handelt es sich um Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden." Zu diesen Bestrebungen gehört die Distanzierung von Teilen der eigenen religiös-politischen Geschichte. Denn die gewachsene und zur Vielfalt neigende religiöse Tradition hat nach islamistischer Sicht die islamische Welt in die Misere der Gegenwart geführt, in der sie von der westlichen Welt und ihren Werten bedrängt und dominiert wird.

Um dieser Misere abzuhelfen, wollen Islamisten die "Souveränität Gottes" ins Werk setzen. Die Religion wird verabsolutiert und soll das individuelle, gesellschaftliche und staatliche Leben durchdringen. Doch hier entsteht ein entscheidendes Dilemma: Wer interpretiert und entscheidet, was göttliche Intention ist? Weder im Koran noch in den Überlieferungen des Propheten (oder seitens der zwölf Imame der Schiiten) finden sich Hinweise zur konkreten Art der Herrschaftsausübung. Innerhalb der gewachsenen islamischen Theologie gibt es zwar ausdifferenzierte Methodenschulen (madhab, Pl. madahib, i. d. R. mit "Rechtsschule" wiedergegeben), der Salafismus lehnt die traditionelle Anlehnung an diese Methodenschulen jedoch ab. Gerade für Jugendliche scheint heute die vereinfachte, reduktionistische theologische Lehre, wie sie in salafistischen Kreisen vielfach vertreten wird, reizvoll. Denn sie verspricht vermeintliche Klarheit, Orientierung und Heil und setzt sich selbst in das Licht der absoluten Wahrheit.

Neben dem breiten Spektrum des Salafismus zählen zu den bekanntesten islamistischen Gruppierungen die Anfang des 20. Jahrhunderts in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft, die Hamas im Gazastreifen, die schiitische Hisbollah im Libanon, al-Qaida, die afghanischen Taliban die nigerianische Boko Haram und der Islamische Staat (IS), der sich zeitweilig im Irak und in Syrien verbreitete. Die Entwicklung zur Vereinfachung und Verabsolutierung ist nicht nur im Kontext des Islam zu beobachten. Vergleichbare "fundamentalistische" oder charismatische Strömungen, die nach der reinen Religion streben, lassen sich auch im Judentum, im Christentum und im Hinduismus finden. Dabei ähneln sich, so Seidensticker, die inhaltlichen Elemente: überzeitliche Heilsgewissheit für die Anhänger der eigenen Religion, ein Gut-Böse-Dualismus, angeblich buchstabengläubige Bindung an einen Schriftkanon und totalitäre Visionen in Anlehnung an eine idealisierte Urgesellschaft.

Der Islam und seine Glaubensrichtungen. (© picture-alliance, dpa-infografik, Globus 5449)

Dieser Vergleich verdeutlicht, dass eine Religion zwar oftmals zur Legitimation radikaler Einstellungen und Handlungen herangezogen wird, aber nicht ursächlich dafür verantwortlich sein muss. In Bezug auf den Islam hat sich der Begriff "islamischer Fundamentalismus" in den vergangenen 15 Jahren in der wissenschaftlichen Publizistik jedoch nicht durchgesetzt. Stattdessen wird allgemein von "Islamismus" gesprochen. Der Salafismus mit seiner Hinwendung zum öffentlichen Raum und auch der Islamismus allgemein mit seiner offenen politischen Agenda weisen über eine bloße Anti-Modernisierungs-Ideologie, wie sie in vielen Fundamentalismen anzutreffen ist, hinaus. Nichtsdestotrotz ist der Begriff aufgrund der orthografischen Ähnlichkeit zwischen "Islamismus" und "Islam" – vor allem in adjektivischer Verwendung (islamistisch und islamisch) – insbesondere bei vielen Muslimen umstritten, da es in der öffentlichen Diskussion und den Medien häufig zu fatalen Verwechslungen kommt.

QuellentextSunniten und Schiiten

Nach dem Tod des Propheten entbrannte eine heftige Diskussion um dessen Nachfolge. Eine Gruppe war der Ansicht, dass die rechtmäßige Nachfolge bei den "rechtgeleiteten Kalifen" lag: Das waren als Erster `Abdallāh Abu Bakr (632–634), der Vater von Muhammads Lieblingsfrau Aischa, dann `Umar ibn al-Chattāb (634–644), Uthmān ibn Affān (644–656) und `Alī ibn Abī Talib (656–661).

Gleichzeitig kristallisierte sich eine andere Gruppe heraus, die der Meinung war, dass Ali, Muhammads Cousin und Schwiegersohn, der erste Nachfolger des Propheten hätte sein sollen. Der Cousin des Propheten wurde von den Anhängern des späteren fünften Kalifen ermordet, weil dieser an die Macht kommen wollte. Die "Partei Alis" (Schī` atu `Alī) bildet die Gruppe der Schiiten. Sie glauben daran, dass nur ein Blutsverwandter von Muhammad sein Nachfolger bzw. Kalif hätte werden dürfen, und so sehen sie Ali als einzig legitimen Nachfolger an. Nach Alis Tod spalteten sich die Schiiten vom Rest der Muslime ab und ernannten Hassan (Alis ersten Sohn) zum zweiten Imam. Dritter Imam wurde Hussein, der zweite Enkel des Propheten Muhammad. Er starb [im Jahre 680] in der Schlacht von Kerbela als Märtyrer. Daher ist Kerbela (im heutigen Irak) nach Mekka ein weiterer zentraler Pilgerort für Schiiten.

Weitere wichtige schiitische Untergruppen unterscheiden sich dadurch, wie viele und welche Imame sie anerkennen. Die Zaiditen erkennen fünf Imame aus der Nachfolge Alis an. Die Siebenerschia der Ismailiten erkennt sieben Imame an und empfindet die Blutsverwandtschaft zum Propheten als nicht ausschlaggebend. Die Imamiten, die Zwölferschia, erkennen zwölf Imame an. Der zwölfte ist für sie jedoch der "Verborgene Imam", der Mahdi, auf dessen Wiederkehr als Retter der Welt sie warten. Bei allen drei Richtungen sind die ersten drei Imame gleich, nämlich Ali und seine Söhne Hassan und Hussein. Bei den Zwölferschiiten gilt der jeweilige Imam als Nachfolger Alis. Dieser Imam stellt eine hohe Instanz dar und hat zum Beispiel im Iran sogar die politische Macht inne.

Sunniten und Schiiten unterscheiden sich auch grundsätzlich darin, welche der vielen im Laufe der Zeit entstandenen Hadithsammlungen für sie maßgebend sind. Für sunnitische Muslime haben sich sechs kanonische Hadithsammlungen etabliert (kutub as-sitta).

Schiitische Muslime verwenden, um die wichtigsten oder authentischsten Aussagen des Propheten zu finden, vor allem vier kanonische Hadithsammlungen (kutub al-arab`a).

Der Islam. Für Kinder und Erwachsene, erklärt von Lamya Kaddor und Rabeya Müller, Verlag C. H. Beck, München 2012, S. 77 f.

ist nach einem Studium der Islamwissenschaft und Empirischen Kulturwissenschaft (M. A.) als Lehrer für Islamischen Religionsunterricht in Bonn tätig. Er war Mitglied der zweiten Deutschen-Islam-Konferenz, außerdem arbeitet er als Sachverständiger für das Dialogforum NRW. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Religionspädagogik und der religiös begründete Extremismus. Er promoviert zum Thema Korandidaktik und hat neben einer Monografie zahlreiche Beiträge in Sammelbänden, Zeitschriften, Lexika und Schulbüchern verfasst.