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Nachspann: die Nationalversammlung | Deutsche Revolution 1918/19 | bpb.de

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Nachspann: die Nationalversammlung

Ernst Piper

/ 3 Minuten zu lesen

Die Weimarer Verfassung, die von der Nationalversammlung verabschiedet wurde, nahm viele Ideen der Paulskirchenverfassung von 1849 auf, hatte aber Schwächen. Für das Grundgesetz wurden daher "Lehren aus Weimar" gezogen.

6. Juni 1920, München. Wählerinnen und Wähler vor einem Wahllokal zur Reichstagswahl. (© bpk / Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie / Archiv Kester)

So wie es der im Dezember 1918 tagende Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte beschlossen hatte, wurde am 19. Januar 1919 die Nationalversammlung gewählt. Sie tagte in Weimar, weil die Situation in Berlin noch zu unruhig war. Deshalb wird die erste Demokratie auf deutschem Boden als Weimarer Republik bezeichnet. Erstmals durften auch Frauen wählen. Außerdem wurde das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre gesenkt. Dadurch stieg die Anzahl der Wahlberechtigten um 20 Millionen. Die SPD, die schon bei den Reichstagswahlen vor dem Krieg stärkste Partei geworden war, steigerte ihren Stimmenanteil nochmals und erhielt 37,9 Prozent, war aber von der erhofften absoluten Mehrheit weit entfernt. Die katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei kamen auf 19,7 Prozent und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei, die als Nachfolgepartei der Fortschrittlichen Volkspartei angesehen werden kann, erzielte 18,5 Prozent. Diese Parteien, die schon 1917 im Interfraktionellen Ausschuss zusammengearbeitet hatten, bildeten gemeinsam die Regierung der sogenannten Weimarer Koalition. Die KPD hatte die Wahl boykottiert, die USPD kam lediglich auf 7,6 Prozent. Auf der rechten Seite des Parteienspektrums erreichten die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 10,3 Prozent und die Deutsche Volkspartei (DVP) 4,4 Prozent.

Der Eindruck großer Stabilität, den das Wahlergebnis suggerierte, relativierte sich allerdings rasch. Schon bei den ersten regulären Reichstagswahlen im Juni 1920 erreichten die Parteien der "Weimarer Koalition", die noch im Jahr zuvor über eine Dreiviertelmehrheit verfügt hatten, nicht einmal mehr die einfache Mehrheit der Stimmen, während die beiden Parteien am rechten Rand ihren Stimmenanteil glatt verdoppelten. Tatsächlich erwiesen sich die Verhältnisse als wenig stabil. In den 14 Jahren der Weimarer Republik wurde acht Mal der Reichstag gewählt und es gab 20 verschiedene Regierungen.

Der Vater der Weimarer Verfassung war der liberale Staatsrechtslehrer und Politiker Hugo Preuß, der das Bürgertum bereits am 14. November 1918 dazu aufgerufen hatte, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen und am Aufbau der Republik mitzuwirken. Am Tag darauf hatte Ebert ihn zum Staatssekretär im Reichsamt des Inneren ernannt und mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt. Diese erste demokratische deutsche Verfassung nahm viele Ideen aus der Paulskirchenverfassung von 1849 auf. Sie enthielt zahllose Fortschritte, hatte aber auch Schwächen, so die zu starke Stellung des Reichspräsidenten, die in der Zeit der Präsidialkabinette ab 1930 ein Regieren am Parlament vorbei ermöglichte.

Bei der Formulierung des Grundgesetzes von 1949 hat man versucht, aus den "Lehren von Weimar" Konsequenzen zu ziehen. Das Grundgesetz schuf den Rahmen für eine funktionstüchtige parlamentarische Demokratie. Sie war und ist nach ihrem Selbstverständnis keine neutrale, sondern eine wehrhafte Demokratie, die sich der Devise "Keine Freiheit den Feinden der Freiheit" verpflichtet weiß. Nicht nur wurde die Verfassung durch ein eigenes Amt geschützt. Zahlreiche Bestimmungen, darunter das konstruktive Misstrauensvotum, das eine Abwahl des Bundeskanzlers durch eine negative Mehrheit verhindert, die Fünfprozentklausel, die eine Aufsplitterung in zu viele kleine Parteien und damit instabile Regierungen verhindern soll, die Möglichkeit des Parteienverbots, die Beschränkung des Bundespräsidenten auf eine repräsentative Rolle, die starke Stellung des Bundesverfassungsgerichts, sollen Gefährdungen, wie es sie in der Weimarer Republik gegeben hat, entgegenwirken.

1918


30. November Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung: "Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben."

1919


19. Januar Wahl der Nationalversammlung
6. Februar Konstituierende Sitzung der Nationalversammlung
10. Februar Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt: "Die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung hat die Aufgabe, die künftige Reichsverfassung sowie auch sonstige dringende Reichsgesetze zu beschließen." (§ 1)
11. Februar Die Nationalversammlung wählt Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten.
13. Februar Philipp Scheidemann (SPD) wird Reichsministerpräsident, Hugo Preuß (DDP) Reichsinnenminister. Scheidemann tritt bereits am 20. Juni zurück, weil er den Versailler Friedensvertrag nicht unterzeichnen will.
28. Juni Unterzeichnung des Friedensvertrags durch Außenminister Hermann Müller (SPD)
31. Juli Die Nationalversammlung beschließt die Weimarer Reichsverfassung.
14. August Die Verfassung tritt in Kraft.

QuellentextZur Eröffnung der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, 6. Februar 1919

[…] Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution. Es war die Kaiserliche Regierung des Prinzen Max von Baden, die den Waffenstillstand einleitete, der uns wehrlos machte. Nach dem Zusammenbruch unserer Verbündeten und angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Lage konnte sie nicht anders handeln. Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben.
[…] Die provisorische Regierung hat eine sehr üble Herrschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes: Alle Scheuern, alle Lager waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte, unsere beste Kraft eingesetzt, die Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen. Wir haben der Nationalversammlung nicht vorgegriffen. Aber wo Zeit und Not drängten, haben wir die dringlichsten Forderungen der Arbeiter zu erfüllen uns bemüht. Wir haben alles getan, um das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. […]

Friedrich Ebert: Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Bd. 2, Dresden 1926, S. 149, S. 154

1952 in München geboren, lebt heute in Berlin. Er ist apl. Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und hat zahlreiche Bücher zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts publiziert, zuletzt "Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs" (2014) und "Rosa Luxemburg. Ein Leben" (2018).