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Wie Medien genutzt werden und was sie bewirken

Eva Baumann Katrin Keller Marcus Maurer Thorsten Quandt Wolfgang Schweiger Eva Baumann / Katrin Keller / Marcus Maurer / Thorsten Quandt / Wolfgang Schweiger

/ 29 Minuten zu lesen

Ein afghanischer Mann liest eine Zeitung mit den Nachrichten über die Wahlergebnisse auf einem Marktplatz in Kabul, Afghanistan. (© AP)

Mediennutzung " Medienwirkungen

Mediennutzung

Jeder Deutsche nutzt durchschnittlich täglich zehn Stunden Medien, davon achteinhalb Stunden die tagesaktuellen Medien Fernsehen, Radio, Zeitung und Internet (2010). 1980 lag das Medien-Zeitbudget noch unter sechs Stunden. In den 1990er-Jahren hat besonders das Fernsehen an Bedeutung gewonnen: Sahen die Bundesbürger 1980 knapp zwei Stunden fern, sind es derzeit über drei Stunden.

In den vergangenen Jahren hat das Internet die Medienszene umgewälzt: Vor 1998 war nicht einmal jeder zehnte Deutsche online. Mittlerweile gehen zwei von drei Deutschen zumindest gelegentlich ins Internet. Fast alle Jüngeren sind online (14 bis 19 Jahre: 98 %, 20 bis 29 Jahre: 95 %), und auch in den mittleren Altersgruppen surft, mailt und chattet die Mehrheit. Lediglich bei den Über-60-Jährigen ist nur eine Minderheit online (27 %), doch auch das ändert sich im Augenblick.

Gleichzeitig stürzen Tageszeitungen in der Publikumsgunst ab: Lasen 1990 noch 71 Prozent der Deutschen eine Zeitung, waren es 2010 nur noch 44 Prozent " Tendenz weiter sinkend. Bücher hingegen erleben eine Renaissance: Las 1995 ein Bundesbürger im Durchschnitt noch 15 Minuten pro Tag ein Buch, waren es 2010 21 Minuten.

Mediennutzung in Deutschland 2010

Die einzelnen Medien haben individuelle Nutzungsprofile im Tagesablauf: Während Tageszeitungen morgens gelesen werden, das Radio ebenfalls morgens und während des gesamten Arbeitstages als Nebenbei-Medium läuft, gehört der Abend dem Fernsehen und neuerdings dem Internet. Die Primetime, also die Zeit mit den meisten Nutzern, liegt beim Internet zwischen 19 und 20 Uhr, und damit direkt vor der Primetime des Fernsehens. Das Internet hat sich vom Arbeits-Medium zum Freizeit-Medium gemausert.

Medien im Tagesablauf bei Jugendlichen von 12-19 Jahren

Unterschiede in der Mediennutzung:

Lange hieß es, Frauen seien seltener online als Männer. Das trifft über fast alle Altersgruppen hinweg immer noch zu. In der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen ist der Geschlechterunterschied allerdings mittlerweile völlig verschwunden. Wohl aber interessieren sich Frauen und Männer teilweise für unterschiedliche Anwendungen: Während Männer mehr surfen, spielen und sich Musik, Spiele und Filme herunterladen, chatten Frauen etwas mehr und tummeln sich häufiger in den sozialen Netzwerken wie Facebook, studiVZ, schuelerCC und MySpace.

Je höher Bildung und Einkommen, desto höher der Anteil der Internet- und Zeitungsnutzer. Auch die derzeitige Buch-Renaissance findet überwiegend in dieser Gruppe statt. Umgekehrt liegt der tägliche Fernsehkonsum bei den so genannten bildungsfernen Gruppen deutlich höher.

Kinder und Jugendliche sehen weitaus weniger fern als Erwachsene. Während drei- bis 13-Jährige anderthalb Stunden pro Tag vor dem Fernseher sitzen, sind es bei den Über-65-Jährigen viereinhalb Stunden!

Positive Wirkungen " Medienfunktionen

Die Medien erbringen wichtige Funktionen für unsere Demokratie. Nur die wenigsten Ereignisse finden in unserer unmittelbaren Umgebung statt, so dass wir auf Nachrichtenmedien angewiesen sind: Nachrichtensendungen und -magazine in Fernsehen und Radio, Tages- und Wochenzeitungen, Magazine und journalistische Online-Nachrichten. Zuletzt haben auch Berichte von Bürgern im Internet an Bedeutung gewonnen, so zum Beispiel als iranische Bürger über die Situation in ihrem Land in Blogs oder in anderen sozialen Netzwerken Auskunft gaben. Dennoch gilt: Fast alles, was wir über die Welt wissen, erfahren wir in den Medien.

Lebenslanges Lernen und politische Beteiligung:

Nach der Schule sind Medien die wichtigste Quelle für lebenslanges Lernen und für politische Bildung. Diese umfasst nicht nur Lehrbuchwissen über den Aufbau der staatlichen Institutionen, sondern auch persönliche Erfahrungen zu den tatsächlichen Abläufen politischer Entscheidungsprozesse. Welche Befugnisse der Bundespräsident laut Grundgesetz hat, lernt man in der Schule. Welche Rolle er tatsächlich spielt, versteht man erst durch die Beobachtung des täglichen Geschehens " also durch Mediennutzung.

Besonders das Internet gilt als großer Hoffnungsträger. Man müsse nur dafür sorgen, so die Annahme, dass alle Menschen Anschluss ans Internet haben. Dann führt die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Informationen zu einem Wissens- und Bildungsschub, der die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erhöht und die Demokratie fördert. Das Internet gilt mittlerweile auch als wichtige Plattform für die aktive politische Beteiligung der Bürger (Partizipation).

Diese Hoffnungen erfüllen sich unter zwei Bedingungen: Die Bürger brauchen die nötige Medienkompetenz, sie müssen also wissen, in welchen Medien sie welche Informationen finden, und sie müssen sich zumindest ansatzweise für politische und gesellschaftliche Themen interessieren. Ansonsten entsteht eine Negativ-Spirale: Je weniger die Menschen politische Abläufe verstehen, desto politikverdrossener sind sie.

Welche Themen sind für die Gesellschaft relevant?:

Durch ihre Berichterstattung vermitteln die Medien einen Eindruck davon, welche politischen und gesellschaftlichen Themen aktuell von Bedeutung sind (Medien-Agenda). Damit beeinflussen sie, welche Themen die Menschen wichtig finden (Agenda-Setting). Das Wissen der Bevölkerung um relevante Themen ist für die Demokratie unverzichtbar. Denn nur wenn die Bürger die aktuellen Problemlagen kennen, können sie auch diejenigen Parteien wählen, denen sie die Lösung dieser Probleme am ehesten zutrauen.

Interessanterweise bewerten Menschen Politiker, die sie hinsichtlich eines aktuell dominanten Themas für besonders erfolgreich halten, insgesamt positiver. Die Medien-Agenda prägt also auch die Bewertungskriterien, nach denen Politiker beurteilt werden (Priming-Effekt). Wenn beispielsweise der Klimawandel auf der öffentlichen Agenda zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz oben steht und eine Regierung in diesem Themenfeld wenig geleistet hat, bekommt sie in den Meinungsumfragen generell niedrigere Zustimmungswerte.

Ein weiterer Effekt ist die Integrationsfunktion der Medien. In unserer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft leben Gruppen unterschiedlichster Herkunftsländer, Sprachen und Lebenshintergründe oft isoliert nebeneinander her und sie kennen einander kaum. Die Medien liefern Inhalte, die fast alle kennen (z. B. eine wichtige Fußball-Übertragung), und Themen, die alle betreffen (z. B. die kommende Bundestagswahl). Daraus leitet sich die Hoffnung ab, dass gemeinsame Medienthemen eine gemeinsame bundesdeutsche Identität fördern und zur Integration beitragen. Besonders augenscheinlich wird diese Funktion bei Fußball-Weltmeisterschaften und den Public Viewing-Veranstaltungen in Großstädten, bei denen teilweise mehrere Tausend Menschen gemeinsam ein Spiel auf Großleinwänden verfolgen.

Nachrichtenmedien bringen auch die Stimmungen und Erwartungen innerhalb der Bevölkerung öffentlich zum Ausdruck. Deshalb sind Medien für Parteien und Politiker neben Meinungsumfragen die wichtigste Möglichkeit, um die öffentliche Meinung kennenzulernen und ihre Politik " tatsächlich oder nur symbolisch " daran auszurichten. Besonders die Bild-Zeitung thematisiert häufig die Befindlichkeiten des "kleinen Mannes auf der Straße". Mittlerweile kann man auch in den sozialen Netzwerken dem Volk "aufs Maul schauen", wenn man die dortigen Meinungsäußerungen betrachtet.

Politische Beeinflussung:

Im Wahlkampf versuchen Politiker, mit Live-Auftritten beispielsweise auf Marktplätzen oder in Bierzelten Bürgerinnen und Bürger anzusprechen und zu überzeugen. Wichtiger, weil massenattraktiver sind natürlich TV-Interviews und Talk-Shows, Websites und die sonstige Berichterstattung. Auch hier bemüht sich die Politik, die Menschen mit ihren Themen und Lösungsvorschlägen zu erreichen und zu überzeugen. Überzeugen meint zweierlei: die Festigung der Zustimmung innerhalb der eigenen Anhängerschaft (Meinungsverstärkung) und das Überzeugen von Bürgern mit ursprünglich anderer Meinung (Meinungsveränderung).

Tatsächlich können Medien zwar bestehende Meinungen verstärken, eine echte Meinungsveränderung allein durch die Berichterstattung kommt hingegen selten vor. Das liegt an der menschlichen Angewohnheit, solche Medien bzw. Nachrichten zu bevorzugen, die der eigenen Meinung entsprechen, und andere Medien zu meiden (selektive Mediennutzung).

Echte Meinungsänderungen finden eher im persönlichen Gespräch statt. Denn im Dialog kann jede Seite direkt auf die Gegenargumente der anderen Seite reagieren. Außerdem nehmen Menschen andere Menschen, die sie kennen und mit denen sie in direktem Kontakt stehen, in der Regel als vertrauenswürdiger wahr. Die Medien dagegen " dort ganz besonders politische Akteure und Werbung " unterliegen einem Manipulationsverdacht: Da die Bürger dort ständig mit Beeinflussungsversuchen rechnen, sind sie misstrauischer und lassen sich schwerer überzeugen.

Häufig kommt es zu einem Zweistufenfluss der Kommunikation: Auf der ersten Stufe verbreiten die Massenmedien Informationen an Meinungsführer und andere Bürger; Meinungsveränderungen finden auf dieser Stufe kaum statt. Die Meinungsführer sind meinungsstarke Personen, die von anderen Menschen zu bestimmten Themen um Rat gebeten werden und diese dann " zweite Stufe " durch persönliche Kommunikation überzeugen können. Diese Idee machen sich auch Aufklärungskampagnen zu Nutze. AIDS-, Drogen-, Alkohol- oder Nichtraucher-Kampagnen setzen darauf, dass nicht nur die Werbeplakate und Spots selber, sondern auch Meinungsführer ihre Umgebung in die gewünschte Richtung beeinflussen.

Was denken die Anderen?

Die Artikulationsfunktion der Medien ermöglicht nicht nur Politikern einen Einblick in die öffentliche Meinung, sondern auch den Bürgern selbst. Menschen lassen sich in ihrer Meinungsbildung stark von der Meinung Anderer beeinflussen.

Den größten Einfluss hat das direkte Umfeld. Was in der eigenen Familie, im Freundeskreis, unter Bekannten, Mitschülern und Kollegen gesagt wird, prägt die eigene Meinung an stärksten. Das geht so weit, dass Menschen ihre Meinung nicht äußern, wenn sie denken, ihr Umfeld sei mehrheitlich anderer Meinung, da sie sich nicht isolieren wollen. Auch die in den Medien dargestellte und in den sozialen Netzwerken sichtbare Bevölkerungsstimmung wirkt in diese Richtung.

Die jüngst verstorbene Meinungs- und Medienforscherin Elisabeth Noelle behauptete, dass es durch die Möglichkeit, mittels der Medien zu erfahren, was die Anderen denken, zu einer Schweigespirale kommen kann: Die Gruppe mit der Minderheitsmeinung verstummt in der öffentlichen Debatte immer mehr und wirkt dadurch noch kleiner, als sie ohnehin ist. Diese Schweigespirale ist nur zu durchbrechen, wenn die Minderheit ihre Meinung laut und vernehmlich in der Öffentlichkeit äußert. Tatsächlich hat Elisabeth Noelle mit diesen Erkenntnissen mehrere CDU-Kanzlerkandidaten erfolgreich im Wahlkampf beraten (zuletzt Helmut Kohl).

QuellentextInteressenunterschiede in der Online-Nutzung

[...] Um besser zu verstehen, wer welche Art von Nachrichten aus welchen Gründen wie auswählt, rezipiert, kommentiert, weiterverbreitet " oder eben ignoriert ", müssen wir genauer zwischen einzelnen Nutzergruppen, Nutzungssituationen und Nutzungskontexten unterscheiden.
Drei Online-Zeitungen überflogen, acht Mails beantwortet, den Kontostand geprüft, ein Bahnticket gebucht, auf dem Weg zum Bahnhof zwei SMS geschrieben, eine Mailbox-Nachricht abgehört, auf dem Bahnsteig per Smartphone die Zugverbindung geprüft, die Wettervorhersage abgerufen, eine Excel-Tabelle geprüft und weitergeleitet, vier PDFs geöffnet, die Branchennews durchgesehen. Eine solche (hyper-)aktive mobile Multikanal-Mediennutzung kommt nur bei ganz bestimmten Personengruppen vor. Sie ist in erster Linie abhängig von Branche, Beruf und Position. In dem genannten Beispiel jongliert eine 45-jährige Juristin einer weltweit tätigen Unternehmensberatung täglich per Blackberry und Notebook mit einem Vielfachen mehr an Nachrichten als ihre 14-jährige vermeintlich SMS-süchtige Tochter.
Die Kids lieben ihr Handy. Und das hat vor allem entwicklungspsychologische Gründe. Es ist in der Regel ihr erstes eigenes Informations- und Kommunikationsgerät, ein kleiner Schritt in die Erwachsenenwelt und vor allem der heiße Draht zu den Freunden, die im Zuge der Ablösung vom Elternhaus zum Lebensmittelpunkt werden. Nachrichten aus dem Freundeskreis bringen Abwechslung, Freude, Lebendigkeit; nicht einmal nachts will man das verpassen.
Ganz anders geht es jenen Erwachsenen, die von dringenden geschäftlichen Anfragen und Aufgaben rund um die Uhr überflutet werden. Das ist teils Symptom ungünstiger Mediennutzung, teils aber auch Folge überhöhter Arbeitslast und übertriebener Leistungsansprüche. [...] Ein vernünftiger Umgang mit Multitasking ist in beiden Fällen eine Herausforderung: Bekanntlich muss Schulkindern ebenso wie Führungskräften das zeitweilige Beiseitelegen der Geräte im Unterricht oder Meeting ausdrücklich auferlegt werden. [...]
Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 zeigt große Unterschiede im Online-Nachrichtenverhalten der beiden aktivsten Onliner-Gruppen, den "Jungen Wilden" und den "Zielstrebigen Trendsettern". Die beiden Gruppen stehen zusammen für knapp 18 Prozent aller Befragten, die das Internet nutzen. Die "Jungen Wilden" sind durchschnittlich 23 Jahre alt, zu 65 Prozent männlich. Von ihnen gehen noch 42 Prozent in die Schule oder sind noch in der Ausbildung. Sie tragen wenig Verantwortung, verbringen ihre Freizeit gern draußen, mit der Clique und suchen nach spannenden und aufregenden Aktivitäten. Sie besitzen die neuesten elektronischen Geräte, nutzen Videos und Spiele online, sind aber desinteressiert an den meisten Themen. Lediglich für Sport interessieren sie sich mehr als der durchschnittliche Onliner.
Ihre Online-Nachrichten beziehen sie über Portale wie GMX, web.de, T-Online oder msn.de. Zudem lesen sie bild.de. Sie leiden weder unter Informationsüberflutung noch zeigen sie sich nachrichtensüchtig. Vielmehr beschränken sie sich auf einen kleinen, oberflächlichen Ausschnitt des Nachrichtenangebots.
Ganz anders verhalten sich die im Durchschnitt 30-jährigen "Zielstrebigen Trendsetter". Die Hälfte ist weiblich, hat Abitur oder studiert und ist berufstätig. Sie sind aktiv in ihrer Freizeit und aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien. Außerdem haben sie ein breites Interessen-Spektrum inklusive sozialem und politischem Engagement. Sie nutzen neben den genannten Portalen auch professionelle Nachrichten-Websites von Zeitschriften wie Spiegel Online oder überregionalen Zeitungen wie faz.net, zeit.de sowie von öffentlich-rechtlichen Anstalten wie der ARD.
[...] Die Gruppe der Bürgerjournalisten (und Bürgerpaparazzi) ist jedoch klein. Die ARD/ZDF-Onlinestudie berichtet 2009 von je vier Prozent Wikipedianern und Bloggern, sechs Prozent aktiven Video- und zehn Prozent Foto-Community-Mitgliedern. [...]

Nicola Döring, "Info-Junkies und andere Mythen", in: message 2/2010 S.20ff.

Negative Medienwirkungen

Die Liste der öffentlich diskutierten negativen Medienwirkungen ist lang: Die Rede ist von übergewichtigen und sozial isolierten Kindern und Jugendlichen, die den ganzen Tag vor dem Fernseher, Computer oder der Spielkonsole sitzen. Manche werfen den Medien vor, zur Desinformation oder Verdummung der Gesellschaft beizutragen. Dieser Vorwurf ist wissenschaftlich nicht haltbar " zu unterschiedlich gehen einzelne Menschen mit Medien um. Ernster zu nehmen sind Befürchtungen, die verzerrte Mediendarstellung der Wirklichkeit führe zu einem verschobenen Weltbild mit weitreichenden Folgen:

  • Extrem schlanke Models im Fernsehen und in Magazinen lösen Essstörungen bei Heranwachsenden vermutlich nicht alleine aus, sie können eine bestehende Neigung aber sehr wohl verstärken.

  • Die im Internet auch für Kinder leicht zu findenden pornografischen Inhalte verändern sexuelle Vorstellungen und Praktiken und können die Zufriedenheit mit dem eigenen Sexualleben verringern.

  • Gewalt in Filmen und Computerspielen kann eine entsprechende Neigung junger Menschen oder ihre Toleranz gegenüber gewalttätigem Verhalten erhöhen. Besonders das ständige Einüben von Gewalt als Problemlösungsstrategie beispielsweise in Ego-Shootern gilt als bedenklich.

  • Besonders dramatisch ist der "Werther-Effekt" " nach dem gleichnamigen Briefroman von Goethe: Nach Medienberichten über einen spektakulären Suizid finden sich vereinzelte Nachahmer. Diese befinden sich meist in einer ähnlichen Situation wie das mediale "Vorbild".

  • Die in der Werbung und in Unterhaltungsmedien gezeigten Konsumwelten beeinflussen unser aller Konsumverhalten. Wäre das nicht so, würden deutsche Unternehmen nicht jährlich 30 Milliarden Euro für Werbung ausgeben. Dass dieses Konsum- und Wegwerfverhalten negative ökologische und soziale Effekte mit sich bringt, liegt auf der Hand.

QuellentextPro und Contra Facebook

Die Nutzerin
Marie, Schülerin, 14 Jahre: Ich habe angefangen mit Schüler-VZ, das war noch in der Grundschule, Anfang 6. Klasse. Da haben wir uns einfach unterhalten, wie am Telefon, nur schriftlich. Meine Mutter hat geguckt, was ich für Fotos reinstelle. Sie wollte nie, dass man mich erkennt.
Irgendwann sind immer mehr Freunde zu Facebook gewechselt. Ich musste einfach mit. Meine Eltern haben gemeckert, Facebook sei so unsicher. Aber ich schreibe da ja nicht meine Adresse rein! Und auf meinen Fotos sehe ich ganz normal aus, wie auf der Straße. Ich gehe jeden Tag auf Facebook. Wenn wir verreist sind, und das nicht möglich ist, ärgere ich mich. Ich schreibe Freunden und stelle Fotos rein. Das geht viel schneller als per E-Mail. Man kann sich auch mit mehreren gleichzeitig unterhalten. Wenn ich bei anderen auf der Pinnwand jemanden erkenne, dann adde ich denjenigen.
Ich habe bei Facebook nur Freunde, die ich wirklich kenne oder von Erzählungen. Wenn ich einen Musiker oder eine Band auf Facebook finde, die ich mag, kann ich anklicken, dass sie mir gefällt. "74 718 Personen gefällt das" steht zum Beispiel bei Werder Bremen, meinem Lieblings-Fußballverein.

Die Verweigerin
Amrai Coen, Journalistin, 23 Jahre: Warum ich nicht bei Facebook bin? Weil ich nicht wissen will, welche Farbe die Unterhose meines Cousins hat, wer sich heute Abend einen schlechten Film anguckt oder gerade auf Mallorca ist. "Facebook ist Stasi auf freiwilliger Basis", hat mal ein Kabarettist gesagt " und es stimmt.
"Dir Facebook zu erklären, ist wie einem Blinden die Farbe zu erklären", sagte eine Freundin gestern zu mir. Egal ob Unbekannte auf Feiern oder Freunde " viele fühlen sich angegriffen, wenn ich sage, dass ich nicht bei Facebook bin. Sie müssen mir dann erklären, was toll daran ist: "Da triffst du Leute wieder, zu denen du sonst keinen Kontakt mehr hättest." Anne aus der Grundschule? Paul vom Rugby? Zu diesen Leuten will ich gar keinen Kontakt haben! Sie interessieren mich nicht, sie wären Zeitverschwendung. Das Internet raubt mir jeden Tag viele Stunden. Ich bin überfordert mit Nachrichten, SMS, E-Mails. Noch mehr Gedankenmüll bei Facebook hielte ich nicht aus.
"Leben ohne Facebook ist wie Leben ohne Handy" " das höre ich einmal die Woche. Sogar meine Mutter hat einen Account. Ich bin oldschool, na und? Friends haben, den Status updaten, jemanden adden, der "I like"-Button " ich will diese Wörter nicht in den Mund nehmen, ich finde sie eklig.

Frankfurter Rundschau vom 17. November 2010

Für viele Medienwirkungen gibt es bestätigende Daten. Allerdings ist vor einfachen Schuldzuschreibungen zu warnen. Denn eines zeigen alle Studien: Medien allein können bestenfalls bestehende Einstellungen oder Neigungen verstärken. Als alleiniger Auslöser kommen sie nicht in Frage. Ungleich wichtiger sind individuelle Eigenschaften und soziale Phänomene wie dauerhafte Frustration, Überforderung, Einsamkeitsgefühle und ein schwieriges familiäres oder soziales Umfeld.

QuellentextDigital Natives

[...] Laura (alle Namen der Jugendlichen von der Redaktion geändert) [...] ist zwölf Jahre alt. Sie gehört zur Generation der Digital Natives, der digitalen Eingeborenen: junge Menschen, die mit dem Internet aufwachsen. Denen es selbstverständlich scheint, dass jeder Mensch ein Handy besitzt, dass man Zeitungen, wenn überhaupt, am Bildschirm liest und nach den Lösungen der Hausaufgaben googelt. Die Mehrheit dieser jungen Internetnutzer ist Mitglied bei einem sozialen Netzwerk, bei StudiVZ, MySpace oder Facebook. Die Zehn-, Zwölf- oder Vierzehnjährigen bewegen sich im Netz so selbstverständlich wie auf dem Schulhof. Es ist ein weiter aufregender Raum, den sie ganz allein erkunden können, ein Paralleluniversum, in dem sie das Gefühl haben, unter sich zu sein. Und in dem sie meistens ganz auf sich gestellt sind.
Mit 1,9 Millionen Nutzern ist Jappy eines der kleineren sozialen Netzwerke, doch die Plattform ist vor allem bei jüngeren Nutzern beliebt. Viele Freunde von Laura haben sich dort ein Profil erstellt. Auch Johanna, Lauras beste Freundin. Sie ist 13 Jahre alt und schon fast zwei Jahre Mitglied. [...] Aufgebaut ist das Jappy-Netzwerk wie eine Kontaktbörse. Bereits die Startseite verweist auf Profile anderer Nutzer, sortiert nach Alter und Geschlecht. Johannas Profil gibt Auskunft über ihre Hobbys, ihre Haarfarbe und Figur. Es ist für jedermann einsehbar. Sie hat mehrere Fotos auf ihre Seite geladen: Johanna im Bikini am Strand, Johannas kleiner Bruder im Garten und die Bilder von der letzten Klassenfahrt. Viel Spaß mache ihr Jappy, sagt Johanna, man könne sich dort wunderbar die Zeit vertreiben.Genau das ist das Geschäftsprinzip. Je länger die Nutzer bleiben, desto interessanter sind sie für die Werbekunden von Jappy; damit verdient die Firma ihr Geld. Deshalb belohnt sie die User für die Zeit, die sie online verbringen " mit "Erfahrungspunkten" (EPs). Wer viele Punkte hat, erhält einen höheren "Rang", und wer einen hohen Rang hat, bekommt jede Woche "Credits", eine virtuelle Währung, für die die User ihren Onlinefreunden "Geschenke" kaufen können, digitale Kuscheltiere oder blinkende Herzen. Wer den höchsten Rang und die teuersten Geschenke hat, der ist der Größte. [...]
Manchmal allerdings gebe es auch diese seltsamen Nachrichten, sagt Johanna. Fremde Männer schrieben ihr dann "komisches Zeug", zu ihrem Bikini-Foto zum Beispiel. Ihren Freundinnen passiere das auch ab und zu. Cyber-Grooming lautet das Fachwort für sexuelle Anmache im Internet [...]. Wie verbreitet das Grooming ist, zeigt ein Selbstversuch: Wer sich als 14-jähriges Mädchen bei Jappy anmeldet, wird innerhalb weniger Stunden mit eindeutigen Anfragen konfrontiert. Männer um die 40 fragen nach sexuellen Vorlieben, schlagen Telefongespräche vor oder schicken Nacktfotos.
Und das sind keine Einzelfälle. Ein großer Teil der 9- bis 16-Jährigen hat bereits unangenehme Erfahrungen im Internet gemacht, zeigt eine jüngst veröffentlichte EU-Studie (EU Kids Online): Sie werden mit Pornographie konfrontiert, mit unerwünschten sexuellen Nachrichten und Bildern, mit Cyber-Mobbing oder dem Missbrauch persönlicher Daten. Und zwar genau auf den Seiten, die so konstruiert sind, dass Kinder dort möglichst viel Zeit verbringen.
[...] Ähnlich verstörende Erfahrungen machen viele Jugendliche mit dem Internetmobbing. Lauras Freund Simon erinnert sich noch gut an die Zeit, als er sich in der Community auf die Seite einer Freundin geschlagen hatte und in der Folge von einer ganzen Gruppe im Netz beschimpft wurde. Da standen dann Bilder mit Gewaltszenen auf seiner Profilseite und Ausdrücke, die er lieber nicht wiederholen möchte. "Ich habe ganz schön viele Leute auf meiner Blockier-Liste", lacht er heute.
Lehrer und Eltern bekommen von all dem selten etwas mit: Laut EU-Studie haben über die Hälfte der Eltern jener Kinder, die schon einmal verletzende oder sexuelle Onlinenachrichten bekommen haben, nichts davon gewusst. Die Digital Natives lernen früh, dass sie ganz auf sich gestellt sind. Ihre Eltern und Lehrer gehören einer Generation an, die nicht mit Computer und Internet aufgewachsen ist. Ihnen fehlen oft selbst grundlegende Informationen über die neuesten Onlineentwicklungen und darüber, wie sich Kinder im Netz verhalten.
[...] Viele Eltern [...] informieren sich nur sporadisch darüber, wo genau sich die Jugendlichen im Netz aufhalten und was sie dort tun. Damit jedoch schieben sie den Internetkindern ganz allein die Verantwortung für ihr Onlinehandeln zu. Dass die damit überfordert sein könnten, dass ihnen so abstrakte Begriffe wie Datenschutz oder Privatsphäre wenig sagen, das wissen die Eltern vielleicht gar nicht. Oder sie machen es sich nicht klar. Und so klicken sich die Digital Natives durchs Netz, sammeln blinkende Herzchen, bekommen Post von fremden Männern und fallen manchmal übereinander her. Nachmittags um halb drei in deutschen Kinderzimmern.

Friederike Schröter, "Allein auf dem virtuellen Pausenhof", in: Die Zeit Nr. 47 vom 18. November 2010

klicksafe-Tipps für Jugendliche

Du findest, das lnternet ist "ne verdammt großartige Sache, weißt aber manchmal nicht, wie du mit den vielen lnformationen und Möglichkeiten, die das WWW bietet, zurecht kommen sollst? Außerdem bist du ab und zu verunsichert darüber, wie viel du in Chats und Foren über dich erzählen darfst? Und du hast auch schon Sachen im lnternet gesehen, die dich beunruhigt haben? Wir haben zu diesen und anderen Themen ein paar Tipps zusammengestellt, die dich zu einem echt fähigen Netzspezialisten machen! Dein klicksafe-Team

  1. Triff dich niemals alleine mit Menschen, die du im Chat, in einer Social Community oder per Instant Messenger kennen gelernt und noch nie zuvor gesehen hast. Du kannst einfach nicht wissen, wer die Person vor dem anderen Bildschirm ist, mit der du gerade in Kontakt bist. Die 13-jährige Lisa kann in Wirklichkeit der 60-jährige Dietmar oder der 17-jährige Alex sein. Wenn du dich mit einem fremden Menschen treffen möchtest, nimm immer einen Erwachsenen mit. Weitere Infos gibt es unter www.chatten-ohne-risiko.netExterner Link: www.chatten-ohne-risiko.net !

  • Verhalte dich fair im lnternet.Es ist nicht in Ordnung, jemanden zu beleidigen, indem man falsche oder fiese Sachen über diese Person in Foren, Chats oder per SMS verbreitet. Auch peinliche oder brutale Filme, die per Handy aufgenommen und auf Videoportale wie YouTube gestellt werden, sind alles andere als lustig. Solltest du selbst schon mal so etwas erlebt oder mitbekommen haben " der Fachausdruck dafür ist "Cyberbullying" ", dann trau dich und sprich mit jemandem (z. B. deinen Eltern, Lehrern, ") darüber. Du hast auch die Möglichkeit einer Anzeige, denn es ist strafbar, andere gezielt fertigzumachen. Infomaterial zu Cyberbullying findest du unter Externer Link: www.servicebureau.de/publication.php

  • Gib nie deine persönlichen Daten (Name, Adresse, Telefonnummer, Fotos oder Passwörter) im lnternet weiter. Oft weiß man nicht, was mit ihnen passiert. Wenn du dir aber zum Beispiel ein Profil in einer Community wie z. B. schülerVZ einrichten willst, dann stelle das Profil auf jeden Fall so ein, dass nur deine Freunde es anschauen können. Wichtig: Achte immer darauf, was du im weltweiten Netz von dir preisgibst. Du solltest auch deine Eltern darüber informieren, dass du in einer Social Community Mitglied bist. Es gibt auf solchen Portalen auch spezielle Infoseiten für deine Eltern

  • Sei misstrauisch gegenüber Behauptungen, die du im Netz findest.Ins Internet kann jeder etwas rein schreiben und das muss nicht immer richtig sein. Man sieht oft nicht, woher die Informationen stammen oder wer sie eingestellt hat. Das größte und beliebteste Online-Nachschlagewerk Externer Link: www.wikipedia.de liefert viele interessante Informationen, sei aber auch hier kritisch. Oftmals hilft es, Informationen aus dem Internet mit Büchern zu vergleichen, die das gleiche Thema behandeln. Erst dann kannst du dir sicher sein, dass die Infos wahr sind und sie zum Beispiel für die Schule verwenden. Gute Suchmaschinen und Links findest du unter Externer Link: www.klicktipps.net

  • Angebote im lnternet, die toll und kostenlos ausschauen, können richtig viel Geld kosten. Stell dir vor, du hast im Internet eine Webseite mit tollen Hits, Displays oder Klingeltönen fürs Handy entdeckt. Plötzlich sollst du deine Handynummer eingeben. Pass hier unbedingt auf: Den Preis sieht man oft gar nicht, weil der ganz klein irgendwo steht. Auch bei Abonnements für Hausaufgabenseiten musst du vorsichtig sein und am besten einen Erwachsenen dazuholen.

  • Öffne nie E-Mails und Anhänge, wenn du nicht weißt von wem sie stammen oder welchen lnhalt sie haben. Am besten du löschst sie sofort. So genannte Spam-Mails, die von Fremden an dich geschickt werden, weil sie deine E-Mailadresse irgendwo im Netz gefunden haben, können problematische Inhalte haben: Sie wollen dich zum Kauf eines Produktes verleiten, deine persönlichen Daten ausspionieren oder aber sie beinhalten Viren, die deinen Computer beschädigen.

  • .Kostenloses Herunterladen von Musik und Filmen ist oft nicht erlaubt,im CD-Geschäft muss man ja auch für die neueste Platte bezahlen und legale Downloadportale wie z. B. itunes, musicload, etc. im Internet kosten Geld. Wenn du also auf ein kostenloses Angebot stößt, sei zunächst einmal misstrauisch, denn nicht rechtmäßig erworbene Musik, Filme usw. zu besitzen ist strafbar. Warum es erlaubt ist, seine Lieblings-CD für eine Freundin zu kopieren, es aber verboten ist, einen Film mit derselben Musik zu unterlegen und ihn online zu stellen oder welche Downloadportale ok sind, erfährst du auf der Seite Externer Link: www.irights.info

  • Wenn du also Fotos oder Videos, auf denen andere Menschen zu sehen sind, in Online Communities oder auf Videoportale stellen willst, frage sie vorher, ob du das darfst. Jeder Mensch hat ein "Recht am eigenen Bild", was bedeutet, dass sein Foto nur mit seiner Erlaubnis veröffentlicht werden darf. Dasselbe gilt auch für geschützte "Inhalte" (genauer: Werke von anderen, wie beispielsweise Musikstücke, Filme, Texte, Grafiken und vieles mehr). Wenn du die einfach unerlaubt verwendest, kann das richtig teuer werden. Mehr Infos unter Externer Link: www.irights.info

  • Wenn dir beim Surfen etwas komisch vorkommt,du z. B. im Internet auf eine Seite mit Bildern und Texten stößt, die dir Angst machen oder unangenehm sind, dann sprich bitte unbedingt mit einem Erwachsenen, dem du vertraust und zeige ihm die Seiten. Dieser kann dann weiterführende Schritte einleiten, indem er solche Seiten den Internetbeschwerdestellen Externer Link: www.jugendschutz.net oder Externer Link: www.internetbeschwerdestelle.de meldet.

Wirkungen der Medien aus Sicht der Gesellschaft

Die meisten Menschen haben eine Meinung darüber, welche Folgen der weltweite Klimawandel haben wird oder wie sympathisch die Bundeskanzlerin ist, obwohl sie die Folgen des Klimawandels noch nicht mit eigenen Augen sehen können und Angela Merkel noch nie persönlich getroffen haben. Weil sich die Menschen ihre Meinungen nicht aufgrund eigener Erfahrungen gebildet haben können, müssen sie andere Ursachen haben. Eine sehr wahrscheinliche Erklärung ist, dass es sich dabei um Medienwirkungen handelt.

Ob und wie über bestimmte Ereignisse oder Personen berichtet wird, entscheiden Journalisten nach eigenen Regeln (siehe S. 52 ff.). Man kann die Massenmedien deshalb als eigenständige Akteure betrachten, die über den Einfluss des politischen Geschehens hinausgehende Wirkungen auf die Gesellschaft haben.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich die Menschen deshalb mit der Frage nach den Wirkungen der Massenmedien. Insbesondere die Erfahrung mit der Propaganda in den beiden Weltkriegen ließ sie zunächst an eine Allmacht der Medien glauben. Dies änderte sich erst, als in den 1940er Jahren einige wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass sich viele Menschen scheinbar gar nicht so sehr von den Medien beeinflussen lassen, wie man bis dahin geglaubt hatte. Vielmehr schienen die Menschen, zum Beispiel in Wahlkämpfen, nur solche Medieninhalte zu nutzen, die ihre bereits bestehenden Meinungen bestätigten. Dieses Phänomen, das man als selektive Mediennutzung bezeichnet hat, führte dazu, dass den Medien in den nächsten 30 Jahren nur eine sehr geringe Wirkung zugeschrieben wurde.

Heute weiß man, dass es auf beides gleichermaßen ankommt: die Medienbotschaften und die Menschen, die sie nutzen. Beide wirken so zusammen, dass unter bestimmten Bedingungen starke, unter anderen Bedingungen eher schwache Medienwirkungen entstehen. Seit Ende der 1960er Jahre wurden deshalb neue Theorien zur Wirkung der Massenmedien entwickelt, die diese Erkenntnisse berücksichtigen. Auch wenn Medienwirkungen nicht unter allen Bedingungen und bei alle Menschen gleichermaßen auftreten, spielen die folgenden vier Wirkungsbereiche immer wieder eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft:

Massenmedien beeinflussen das Wissen. Auch wenn sich die Menschen schon wenige Minuten nachdem sie zum Beispiel eine Fernsehnachrichtensendung gesehen haben, kaum noch an deren Inhalte erinnern können, speichern sie langfristig Informationen, die ihnen von den Medien immer wieder vermittelt werden. Mit der weltweiten Ausbreitung der Massenmedien im Verlauf des 20. Jahrhunderts waren deshalb zunächst große Hoffnungen verbunden: Weil nun alle Menschen Zugang zu Informationen hätten, müsste sich der Wissensstand der niedrig Gebildeten an den der hoch Gebildeten angleichen. Tatsächlich wissen aber viele Menschen nach wie vor nur sehr wenig über Politik, und das Wissen innerhalb der Gesellschaft ist heute sogar noch ungleicher verteilt als früher. Eine Erklärung hierfür liefert die Wissensklufthypothese. Sie besagt, dass vor allem hoch Gebildete von neuen Informationen profitieren. Ihnen stehen mit größerer Wahrscheinlichkeit die Medien zur Verfügung, die die Informationen verbreiten, sie nutzen die Informationen in den Medien mit größerer Wahrscheinlichkeit und sind schließlich auch eher in der Lage, die Informationen richtig zu verstehen und zu erinnern. Die Wissensunterschiede zwischen hoch und niedrig Gebildeten werden deshalb durch die Verbreitung von Medieninformationen nicht geringer, sondern im Gegenteil sogar größer. Dies verstärkt sich vermutlich weiter durch die Verbreitung des Internets, weil noch immer große Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu den Informationen haben, die man dort finden kann. Dieses Phänomen wird als die digitale Spaltung der Gesellschaft (Digital Divide) bezeichnet.

Massenmedien beeinflussen das Problembewusstsein. Die Menschen können ihre Aufmerksamkeit nur wenigen gesellschaftlichen Problemen widmen. Sie halten deshalb vor allem die Probleme für wichtig, über die die Medien besonders häufig berichten (Agenda-Setting-Effekt). Dieser Effekt kann einerseits positiv sein, weil er dazu beiträgt, dass sich eine Gesellschaft auf bestimmte Probleme einigt, die es zu lösen gilt. Er kann andererseits jedoch auch negative Konsequenzen haben, wenn sich die Medien mit Problemen beschäftigen, die eigentlich zweitrangig sind und von den wirklichen Problemen ablenken. Beispiele hierfür sind die umfangreichen Medienberichte über vermeintliche Risiken wie BSE oder die Schweinegrippe, die die Deutschen über Monate beschäftigt haben, obwohl die tatsächliche Bedrohung eher gering war.

Massenmedien beeinflussen die Meinungen der Menschen über Politikerinnen und Politiker, über Parteien und gesellschaftliche Kontroversen. Kurzfristig ändert sich die Medienberichterstattung über Parteien oder Personen oft sehr schnell. Politiker, die von den Medien kritisiert werden, verlieren kurze Zeit später auch in der Bevölkerung an Zustimmung. Selbst Wahlen können so entschieden werden, weil immer mehr Menschen bis kurz vor der Wahl unsicher sind, welcher Partei sie ihre Stimme geben sollen. Langfristig beeinflusst die Medienberichterstattung auch die grundsätzlichen Meinungen der Bürgerinnen und Bürger über Politik. So wird die seit Beginn der 1990er Jahre verstärkt zu beobachtende Politikverdrossenheit auch darauf zurückgeführt, dass die Medien auf lange Sicht alle Parteien überwiegend kritisieren und Politiker und Politikerinnen eher als Verursacher denn als Löser von gesellschaftlichen Problemen beschreiben (Medienmalaise-Hypothese).

Eine der erstaunlichsten Wirkungen der Massenmedien ist schließlich der so genannte Kultivierungseffekt. Menschen orientieren ihre Vorstellungen von der Welt nicht nur an Nachrichten, sondern auch an fiktionalen Programmen wie Spielfilmen oder Fernsehserien. Beispielsweise überschätzen Menschen, die viel fernsehen, die Kriminalität in der Gesellschaft, weil das Fernsehprogramm überdurchschnittlich viel Kriminalität zeigt.

Massenmedien können also viele unterschiedliche Wirkungen haben. Einige davon kann man aus gesellschaftlicher Sicht als positiv, andere muss man als negativ betrachten. Dass sie auftreten, hat nichts damit zu tun, dass die Menschen leichtgläubig oder manipulierbar sind. Sie sind aber oft auf die Medienberichte angewiesen, wenn sie sich ein Urteil bilden wollen, weil sie keine andere Informationsquelle haben.

QuellentextErkenntnisse der Gehirnforschung zum Leben "online"

[...] Für das digitale Zeitalter ist es charakteristisch, dass viele Menschen fast ihre gesamte wache Zeit online verbringen; sie werden also permanent mit neuen Texten und Bildern konfrontiert. [...]
Die Auswirkungen der digitalen Revolution lassen sich [...] nicht nur mit Erfahrungsberichten und empirischen Studien erfassen. Auch die Gehirnforschung kommt zu Ergebnissen, die Aufmerksamkeit verdienen. Die wichtigste Erkenntnis der modernen Neurobiologie lautet, dass sich das Gehirn durch seinen Gebrauch permanent verändert. Jedes Wahrnehmen, Denken, Erleben, Fühlen und Handeln hinterlässt Spuren, die man seit mehr als einhundert Jahren auch so nennt: Gedächtnisspuren. Bis in die achtziger Jahre hinein nur hypothetische Gebilde, sind sie heute jedoch sichtbar zu machen. Denn Synapsen, also jene Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen, über welche die elektrischen Signale laufen, mit denen das Gehirn arbeitet, können mittlerweile fotografiert und sogar gefilmt werden. Man kann zusehen, wie sie sich bei Lernprozessen verändern. Werden funktionelle bildgebende Verfahren eingesetzt, dann lässt sich sogar die Aktivität ganzer Bereiche des Gehirns sichtbar machen. So kann man die neuronalen Auswirkungen von Lernprozessen gleichsam im großen Stil nachweisen.
Wenn nun aber das Gehirn immer lernt " denn eines kann es nicht: nicht lernen ", dann hinterlässt dort auch die mit digitalen Medien verbrachte Zeit ihre Spuren. ["] Dabei lassen sich ganz unterschiedliche Mechanismen und Prozesse beschreiben, die kognitive Leistungen wie die Aufmerksamkeit oder die Entwicklung von Sprache und Intelligenz betreffen und sich in der Summe auf die Bildung eines Menschen auswirken. Hinzu kommen die Einflüsse des Medienkonsums auf emotionale und soziale psychische Prozesse bis hin zu ethisch-moralischen Einstellungen und unserer Sicht auf uns selbst, also auf unsere personale Identität.
[...] Etwa ein Drittel unseres Gehirns ist für die Planung, Koordination und Ausführung von Bewegungen zuständig, und genau dieses Drittel wird beim Lernen mit der Hand benutzt. Beim Lernen mit einem Mausklick, einer bloßen Zeigebewegung, bleibt dieses Drittel passiv. Wer sich also die Welt am Bildschirm aneignet, der hat sie sich vergleichsweise oberflächlicher angeeignet und rekrutiert beim Nachdenken über sie deutlich weniger Nervenzellen. [...]
Die negativen Auswirkungen der Medien auf den Körper werden nur noch von einem übertroffen: den negativen Effekten auf den Geist, nimmt man die Auswirkungen auf die kognitiven, emotionalen und personalen Prozesse zusammen. Beginnen wir mit der Bildung. Schule wird von Schülern nicht selten als bestenfalls langweilig erlebt. Verglichen mit der Zeit, die nachmittags an Konsolen, Computern und Bildschirmen verbracht wird, ist der Unterricht am Vormittag langweilig. Weil aber Emotionen für Lernprozesse wichtig sind, wird in der Schule nur wenig gelernt. Es kommt hinzu, dass gerade Gelerntes stets verfestigt werden muss, um dauerhaft im Gedächtnis verankert zu sein. Dieser Prozess, Konsolidierung genannt, kann durch Emotionen gestört werden. Wenn also vormittags im Französisch- oder Physikunterricht gelangweilt wenig gelernt worden ist, dann sorgt der Umgang mit der Playstation am Nachmittag dafür, dass das wenige, das am Vormittag dennoch hängenblieb, regelrecht gelöscht wird.
Die permanente "Online-Existenz" wirkt sich zusätzlich negativ aus: Zur Konsolidierung des Gelernten braucht das Gehirn Zeiten der Ruhe. Das kann ein kurzer Mittagsschlaf sein, muss es aber nicht: Dösen, an die Decke starren, die Gedanken einfach treibenlassen und eben nicht Reize von außen verarbeiten " darauf kommt es an. Genau das wird aber durch ein Leben "online" verhindert. Immer mehr Zeitgenossen sind dauernd mit der ganzen Welt verbunden, aber um den Preis, dass sie sich immer weniger wirklich mit ihr auseinandersetzen, weil sie immer weniger dazu fähig sind.
Ein besonders eindringliches Beispiel für die Art und Weise, wie einem die Welt abhandenkommen kann, ist das sogenannte mediale Multitasken. Dieses gleichzeitige Bearbeiten mehrerer Aufgaben und das oft damit verbundene gleichzeitige Benutzen mehrerer Medien spielt im Leben vieler junger Menschen eine wichtige Rolle. [...]
Da jede geistige Aktivität im Gehirn Spuren hinterlässt, die seine zukünftige Funktion beeinflussen, muss angenommen werden, dass Multitasking tatsächlich das Denken verändert. Diese Änderungen könnten positiv sein: Man wächst schließlich mit den Aufgaben. Der Einfluss könnte aber auch negativ sein, denn "zwei Dinge gleichzeitig tun bedeutet, beide nicht zu tun", wie es in den Sentenzen des römischen Sklaven Publilius Syrus aus dem ersten Jahrhundert vor Christus heißt. Was trifft nun zu?
[...] Versuche zeigen, dass Menschen, die häufig mehrere Medien gleichzeitig benutzen, Probleme mit der Kontrolle ihres Denkens haben: Sie können unwichtige äußere Reize schlechter ausblenden und auch Unwichtiges in ihrem Gedächtnis schlechter ausblenden. Besonders bedeutsam ist, dass Multitasker keineswegs besser zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln können. Im Gegenteil, sie können es weniger gut. Mit anderen Worten: Wer noch nicht unter einer Aufmerksamkeitsstörung leidet, der kann sie sich durch häufiges Multitasking antrainieren. [...] Weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft sollten daran ein Interesse haben. [...]

Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer hat den Lehrstuhl für Psychiatrie an der Universität Ulm inne und leitet dort die Psychiatrische Universitätsklinik sowie das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL).

Manfred Spitzer, "Im Netz", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. September 2010

Mediale Gewalt und deren Auswirkung

Der Geheimagent drängt bei einer wilden Verfolgungsjagd die Autos seiner Gegner mit seinem Sportwagen von der Straße. Die gegnerischen Fahrzeuge überschlagen sich und explodieren in gewaltigen Feuerbällen." " "Der Spieler hetzt einen Weg entlang. Von allen Seiten laufen Gegner auf ihn zu, die ihn mit ihren Gewehren unter Beschuss nehmen. Der Spieler schafft es in letzter Sekunde, mit seiner Maschinenpistole alle Feinde zu erschießen. Diese werden von den Treffern zu Boden geworfen und bleiben in einer Blutlache liegen." " "Der Moderator der Nachrichtensendung kündigt exklusive Bilder vom Ort des Geschehens an. Ein harter Schnitt: Die Auswirkungen des Terroranschlags sind undeutlich auf verwackelten Handy-Bildern zu sehen. Überall ist Rauch, Trümmerteile liegen auf der Straße. Dazwischen erkennt man schemenhaft die Körper der Opfer. "

Ähnliche Szenen hat wohl fast jeder Fernsehzuschauer oder Computerspieler schon einmal gesehen und "miterlebt". Die Erfahrung ist eine durch Medien vermittelte " nur die wenigsten Menschen werden solchen Situationen in ihrem Alltag ausgesetzt sein. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, ob allein schon die Wahrnehmung medialer Gewalt bestimmte Wirkungen nach sich zieht. Imitieren Kinder den strahlenden Held aus dem Agenten-Film? Stumpfen Gamer ab, wenn sie jeden Tag in den virtuellen Krieg ziehen? Ängstigen oder traumatisieren die Nachrichtenbilder den Fernsehzuschauer?

Die Gewalt- und Wirkungsdebatte wird bereits seit der Antike geführt: So nahm der griechische Philosoph Aristoteles an, dass die Tragödie zu einer Katharsis " einer seelische Reinigung des Theaterzuschauers " führen könne. Durch die Darstellung von unmoralischem Verhalten, Gewalt und Mord werde der Zuschauer geläutert. Diese Vorstellung kann zwar inzwischen als überholt gelten, da es hierfür wenig empirische Belege, aber sehr viele gegenteilige Forschungsergebnisse gibt. Die Diskussion über Mediengewalt scheint heutzutage aber notwendiger denn je: Viele Angebote sind durchzogen von Gewaltdarstellungen " und sie sind bei den Nutzern beliebt. Krimis, Actionfilme oder First Person Shooter werden in Deutschland von einem Millionenpublikum nachgefragt.

Insbesondere in Hinblick auf Jugendliche und Kinder wird auch in der Öffentlichkeit kritisch hinterfragt, ob der Konsum solcher Inhalte schädlich ist und die betroffenen Personen in ihrer Entwicklung beeinflusst. Die Debatte geht so weit, dass ein Verbot einzelner Angebote " wie beispielsweise First Person Shooter " auch für erwachsene Nutzer diskutiert wird. Diese Verbotsforderungen folgten insbesondere den Amokläufen von Erfurt und Winnenden, da die Täter auch Spieler gewaltverherrlichender Computerspiele gewesen sein sollen. Insofern steht die Forschung zu gewalthaltigen Medieninhalten unter besonderer gesellschaftlicher Beobachtung " könnten doch auf ihrer Basis sehr weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Allerdings kann die Wissenschaft nicht die eindeutigen Antworten liefern, die von der Gesellschaft und den politischen Entscheidungsträgern nachgefragt werden. Die Forschungslage ist kompliziert. Es gibt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Ansätzen und durchaus widersprüchliche Ergebnisse:

Inhibitionsthese

-Diese These besagt, dass die Beobachtung realer oder durch Medien vermittelter Gewalt Angst vor Aggressionen erzeugen kann, wodurch die eigene Aggressionsbereitschaft gesenkt wird. Ein konkretes Beispiel: Sieht der Fernsehzuschauer eine Prügelei im Fernsehen, steigt möglicherweise seine Furcht vor einer schmerzhaften Auseinandersetzung " was wiederum seine Lust auf Streitigkeiten senkt.

Habitualisierungsthese

- Diese auch gesellschaftlich weit verbreitete Sichtweise geht davon aus, dass durch beständigen Konsum medienvermittelter Gewalt eine Gewöhnung eintritt. Oder anders formuliert: Der Nutzer stumpft gegenüber der Gewalt ab und sieht sie gegebenenfalls sogar als "normale" und damit akzeptable Verhaltensform an,

Stimulationsthese

- Dieser Ansatz unterstellt den Medien unter bestimmten persönlichen und situationsspezifischen Bedingungen eine aggressionsstimulierende oder aggressionsauslösende Wirkung. Diese These wurde u.a. laborexperimentell bei Personen untersucht, die zuvor frustriert wurden, und bezieht sich vor allem auf kurzfristige Aktivierungen bzw. Auslösereize.

Lerntheorien

- Auf Basis dieser klassischen Sichtweise wird angenommen, dass die in Medien dargestellten Verhaltensweisen von den Nutzern durch Beobachtung erlernt werden können. Die erlernten Verhaltensweisen können später in die Realität übertragen werden. Beispielsweise könnte man auf Basis dieser Theorie annehmen, dass jugendliche Computerspieler gewalttätige Handlungen allein aus dem Spiel heraus erlernen und später gegebenenfalls auch im Alltag umsetzen.

Kultivierungsthese

- Vertreter dieses Ansatzes gehen davon aus, dass die in den Medien dargestellte Realität einen "kultivierenden" Einfluss auf die Weltwahrnehmung der Nutzer hat. Beispielsweise wird angenommen, dass Personen, die sehr viele Krimis schauen, die Zahl der Morde und Gewalttaten in der Gesellschaft überschätzen, weil ihre diesbezüglichen Vorstellungen durch die Medienrealität beeinflusst wurden.

Excitation Transfer

- Während viele der genannten Ansätze von einer spezifischen und thematisch mit dem Ausgangsmaterial verbundenen Wirkung ausgehen, wird bei der Excitation-Transfer-These lediglich angenommen, dass Medieninhalte einen (unspezifischen) Erregungszustand beim Nutzer auslösen. Dieser Erregungszustand kann sich dann in einem ganz anderen Verhalten "entladen" als in den Medien dargestellt. Das heißt, erotische Medieninhalte könnten in dieser Sichtweise Gewalt fördern, gewalthaltige Inhalte aber auch positive Effekte haben (wie z. B. eine höhere Arbeitsmotivation) " dies ist jeweils situationsabhängig und nicht direkt aus dem Medieninhalt ableitbar

In jüngster Zeit werden zunehmend komplexere Ansätze diskutiert. Vor allem im Bereich der Computerspieleforschung hat sich das General Aggression Model (GAM) als Standard durchgesetzt. Dieses beschreibt als Rahmenmodell den Kreislauf zwischen personen- und umweltbezogenen Elementen in Hinblick auf Aggression und greift auf eine Vielzahl von theoretischen Elementen zurück, die sich gegenseitig beeinflussen. Das Problem: Je komplexer das Modell, umso differenzierter und weniger eindeutig werden die Antworten der Wissenschaft.

Unterschiede bestehen aber nicht nur im theoretischen Denkansatz, sondern auch im methodischen Zugang: So werden u.a. apparative Messungen eingesetzt, um direkte körperliche Reaktionen auf die wahrgenommenen Medieninhalte zu erfassen. Hierzu gehören physiologische Messungen wie Blutdruck und Hautwiderstand, aber auch bildgebende Verfahren, mit denen direkt die Gehirnaktivität erfasst wird. Es werden darüber hinaus Experimente ohne solche Messungen durchgeführt, indem Reaktionen und Wirkungen beispielsweise mittels Befragungen erfasst werden. Letztere kommen zudem in nicht-experimentellen Studien zur Anwendung, in denen Auffassungen und Einstellungen zur Gewalt in den Medien und im Allgemeinen erfasst werden. So möchte man zum Beispiel Unterschiede zwischen starken Mediennutzern und Wenignutzern messen.

Die Mehrzahl der Studien konnte zeigen, dass Medien durchaus messbare Wirkungen nach sich ziehen, meist in der erwarteten "negativen" Richtung: Sie führen zu einer stärkeren Aktivierung der Probanden, und teilweise fördern sie auch aggressive Verhaltensweisen und anti-soziale Auffassungen. Allerdings ist der auf Medien zurückführbare Effekt verhältnismäßig gering " für gewöhnlich werden weniger als zehn Prozent der aggressiven Auffassungen oder Verhaltensformen durch die Medien ausgelöst. Auch gibt es Studien, die keinen Effekt oder sogar positive Wirkungen nachweisen.

Allerdings basieren die meisten der genannten Ergebnisse auf so genannten Querschnittstudien, die nur zu einem einzigen Zeitpunkt durchgeführt wurden. Diese sind wesentlich einfacher zu realisieren als langfristig angelegte Studien, bei denen Mediennutzer über Wochen, Monate, manchmal Jahre beobachtet oder befragt werden. Bei solchen Längsschnittstudien sind die direkten Effekte oft geringer als in den Querschnittstudien, da eine Vielzahl an weiteren Wirkfaktoren beachtet werden müssen. Zudem wird der Blick stärker auf soziale Aspekte gerichtet " denn gerade die Langfristforschung zeigt, dass das Umfeld der Menschen von zentraler Bedeutung für mediale Wirkungen ist: Wer in einem sozial schwachen Familien- und Freundeskreis aufwächst, in dem viel mediale Gewalt rezipiert wird, ist eher von negativen Wirkungen betroffen. Zudem gibt es Belege für so genannte Selektionseffekte: Personen, die ohnehin aggressive Anlagen haben, wählen entsprechende Inhalte aus " die dann verstärkt Wirkungen entfalten können. Die nicht-aggressiven Personen lassen die Gewaltinhalte im doppelten Sinne kalt: Sie konsumieren eher seltener, und wenn doch, dann bleiben die Wirkungen aus.

Insgesamt belegt die bisherige Forschung zur Mediengewalt vor allem eines: Menschen sind keine "Automaten", die von medialen Reizen ferngesteuert werden. Gewalt in den Medien determiniert den Mensch nicht, legt ihn nicht auf ein einziges, gewalttätiges Folgeverhalten fest. Negative Wirkungen sind trotzdem nicht auszuschließen, speziell für bestimmte Risikogruppen. Denn auch dies zeigt die Forschung: Bestimmte Personen (wie z. B. junge Männer) sind für aggressionsfördernde Wirkungen empfänglicher. Insofern differenziert die Forschung inzwischen stärker nach Persönlichkeitseigenschaften, sozialen Aspekten und unterschiedlichen Medienangeboten. Spezifische Kombinationen dieser Faktoren scheinen Gewaltwirkungen recht gut erklären zu können. Damit kann die Forschung möglicherweise nicht die gewünschten "einfachen Antworten" für die öffentliche Diskussion liefern " aber für die Entwicklung von Präventions- und Interventionsstrategien hilfreiche Hinweise geben.

QuellentextBeispiel: Counter-Strike

Nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden wurden Forderungen nach dem Verbot von "First Person Shootern" (FPS) laut. Bei diesen Computergames " die in der Debatte auch als "Killerspiele" bezeichnet wurden " hat der Spieler die Aufgabe, gegnerische Einheiten meist mit Feuerwaffeneinsatz auszuschalten, das heißt virtuell zu erschießen. Speziell das Computerspiel "Counter-Strike" geriet in die Kritik: Es sei von den Amokläufern intensiv gespielt worden und habe diese zur Gewalt verleitet. Auch wurde unterstellt, dass die Täter ihre Handlungen schon vorab im Spiel geübt hätten und durch das virtuelle Training erst in die Lage versetzt worden seien, ihre Tat auszuführen.
Allerdings sind diese Annahmen umstritten: So sind die Belege für eine außergewöhnlich intensive Nutzung des Spiels durch die Täter schwach. Zudem gehört Counter-Strike zu den beliebtesten FPS und ist auf den Rechnern vieler männlicher Jugendlicher zu finden " und somit überwiegend auf den Computern von völlig unauffälligen Personen, die im Alltag keinerlei aggressives Verhalten zeigen. D. h. die Nutzung des Spiels hat noch keine Beweiskraft an sich. Auch eignet es sich als strategischer Mehrspielertitel nur bedingt dazu, die Tat einer Einzelperson einzuüben. Und schließlich ist auch umstritten, ob FPS dazu genutzt werden können, das Zielen mit einer echten Waffe oder die Tathergänge zu trainieren.
Freilich gibt es auch klare Belege dafür, dass Medieninhalte (sowohl Filme, Bücher als auch Computerspiele) von Amokläufern zur Entwicklung und zum Ausleben so genannter prädeliktischer Phantasien genutzt wurden, das heißt, die Täter entwickeln Gewalt- und Auslöschungsphantasien, die mitunter die geplante Tat romantisieren oder heroisieren, und sie ziehen die Medien für diese Phantasien als Vorlage oder Kulisse heran.
Insofern zeigt das Beispiel dieser Debatte auch, wie schwierig die Diskussion über Gewaltwirkungen von Medien ist: Gewünscht sind angesichts der potenziellen Gefahren und Schädigungen eindeutige Antworten und Handlungsanweisungen, doch die Wirkzusammenhänge sind meist komplex " und entsprechend umstritten.

Welches Gewicht haben die Medien? Körperbild, Essstörungen und Medien

Hinter Essstörungen verbergen sich psychosomatisch bedingte (Sucht-)Erkrankungen, die insbesondere in westlichen Industriegesellschaften zu einem weit verbreiteten Problem geworden sind. Eine Essstörung äußert sich in einem zwanghaften Essverhalten, wobei über die Nahrung versucht wird, innere Konflikte und Druck zu bewältigen. Die Zahl der zumeist weiblichen Betroffenen steigt stetig an, Essstörungen zählen im Kindes- und Jugendalter bereits zu den häufigsten chronischen Gesundheitsproblemen. Unter den Begriff sind im Wesentlichen drei Krankheitsbilder zu subsumieren: Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brechsucht) und die Binge-Eating-Disorder als eine psychogene Variante der titel3leibigkeit (Adipositas). Frühsymptome wie chronisches Diäthalten, die Einnahme von Appetitzüglern, exzessives Sporttreiben oder ausgeprägte Gewichtssorgen sind heute in sämtlichen Gesellschaftskreisen und Altersgruppen gängig.

Auch wenn biologische, psychische, familiäre und soziokulturelle Risikofaktoren stets in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden müssen, werden das Vorherrschen enger Grenzen akzeptierter und honorierter Attraktivitätsstandards sowie der hohe Stellenwert einer überschlanken und makellosen körperlichen Erscheinung besonders häufig diskutiert. Dementsprechend werden insbesondere die Medien und die Werbeindustrie für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Entstehung von Essstörungen verantwortlich gemacht.

Dieser Zusammenhang ist zwar nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar, eine beachtliche Zahl internationaler empirischer Studien deutet aber darauf hin, dass die Nutzung bestimmter Medieninhalte bei bestimmten Personen mit einem verzerrten Körperbild und gestörten Essverhalten zusammenhängt. In der Tat inszenieren die Medien idealisierte und stereotype Körperbilder und bieten damit unrealistische und zumindest auf gesundem Weg meist unerreichbare Orientierungsmaßstäbe. Darüber hinaus liefern Medien stereotype Vorstellungen von Geschlechterrollen und sozial üblichen Interaktionsmustern, die sich als Maßstab für den eigenen Lebensentwurf anbieten. Omnipräsent ist ein mithilfe digitaler Bildnachbearbeitung geschaffenes Ideal, das " im Falle weiblicher Protagonisten " durch eine extrem dünne Taille, schmale und dennoch gerundete Hüften, überproportional große Brüste sowie lange schlanke Beine und eine völlig makellose Haut kennzeichnet ist. Gleichzeitig wird diese Figur zumeist durch einen glücklichen, erfolgreichen, be- und geliebten Menschen repräsentiert. Dagegen sind Übergewichtige trotz einiger prominenter Gegenbeispiele wie Cindy aus Marzahn, Tine Wittler oder Beth Ditto, Sängerin der Rockband "The Gossip", sowie trotz vereinzelter Gegenbewegungen wie der "Initiative für wahre Schönheit" des Kosmetikherstellers Dove zumindest als Sympathieträger in den Medien immer noch relativ selten zu sehen.

Unterstützt werden das extrem dünne Idealbild und die zur Gewichtsreduktion und sonstigen körperlichen Veränderungen angepriesenen Maßnahmen dadurch, dass einige Reality-TV-Formate wie beispielsweise "Germany"s Next Topmodel", "The biggest Loser" oder "Das große Abnehmen" zu einer Stigmatisierung des Dickseins beitragen. Für diejenigen, die sich hiervon angesprochen fühlen, kann sich der Druck zudem dadurch erhöhen, dass Medien immer wieder über Studien berichten, die auf die zunehmende Dickleibigkeit der Bevölkerung und gesundheitspolitische Initiativen zur Vermeidung von Folgekrankheiten sowie auf eine soziale Benachteiligung Übergewichtiger zum Beispiel im Beruf verweisen.

Insbesondere jene Rezipientinnen, die einen geringen Selbstwert empfinden und denen es an Rückhalt aus dem sozialen Umfeld mangelt, verinnerlichen die medialen Leitbilder und orientieren sich hieran. Der empfundene innere Druck, in dieses Raster passen zu müssen, kann bei ihnen eine erhöhte Körperunzufriedenheit, Gewichtssorgen und Schlankheitsstreben zur Folge haben, ein negatives Körperbild begünstigen und so die Entstehung eines gestörten Essverhaltens fördern. Aber nicht nur die medialen Körperbilder und Schlankheitsbotschaften sind im Hinblick auf das Phänomen Essstörungen relevant, auch die Thematisierung von Essstörungen in den Medien selbst kann sich für Einzelne als problematisch erweisen: So werden die zu Aufklärungs- und Präventionszwecken produzierten Berichte über die Krankheit von jenen, die ohnehin zu einem gestörten Essverhalten neigen, häufig als Vergleichsmaßstab herangezogen. Manche sehen in den porträtierten Betroffenen ein Vorbild, und sie entnehmen den Berichten Tipps zur Ausübung und Aufrechterhaltung des Symptomverhaltens, anstatt sich hiervon abschrecken zu lassen. Bei einigen gipfelt dies in der intensiven Nutzung so genannter Pro-Anorexie- oder Pro-Bulimie-Foren im Internet, in denen Essstörungen ausdrücklich bejaht und zu einem erstrebenswerten Lebensstil deklariert werden.

Die bisherigen Befunde der Forschung zum Zusammenhang zwischen Medien, Körperbild und Essstörungen sind in Teilen widersprüchlich und lassen sich nicht zu einem eindeutigen und in sich schlüssigen Bild integrieren. Es handelt sich fast ausschließlich um standardisierte Studien, in denen direkte medieneinseitige Einflüsse unterstellt und nur wenige über den Medienimpuls hinausgehende Aspekte der Körper- und Selbstwahrnehmung berücksichtigt werden. Erst ein tieferer Einblick in die Verarbeitungsprozesse und subjektiven Deutungen der Rezipienten unter Berücksichtigung ihrer Lebenskontexte legt die tatsächliche Komplexität des Beziehungsgeflechtes zwischen Körperbild, Essstörungen und Medien offen und hilft, die in unterschiedliche Richtungen deutenden Befunde verständlich zu machen:

Die von Essstörungen gefährdeten und betroffenen Personen sind überaus intensive, aktive und konstruktive Mediennutzer. Sie machen ihre Mediennutzung von ihrer situativen körperlichen und psychischen Befindlichkeit abhängig und setzen sie flexibel und gezielt ein, um ihre Orientierungsbedürfnisse zu befriedigen. Dies kann die Symptomatik verstärken, aber auch dazu dienen, die Krankheit zu bewältigen und sich von ihr abzugrenzen. In ihrer jeweiligen Lebenssituation stellen die Betroffenen solche Bezüge zwischen den fokussierten Medieninhalten und dem Selbst her, die ihnen ein konsistentes Weltbild ermöglichen " selbst wenn sich ihr Selbstbild hierdurch verschlechtert.

Die Umgangsformen mit Medieninhalten unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Krankheitsbildern teilweise deutlich, zum anderen verändern sie sich im Krankheitsverlauf. So kann eine Reportage über Essstörungen einer Betroffenen das gute Gefühl vermitteln, mit ihrem Problem nicht alleine und in ihrer Symptomatik nicht abartig zu sein und dass es Hoffnung auf Hilfe gibt. Eine andere Patientin mag diese Reportage hingegen geradezu als Provokation und Anreiz wahrnehmen, die eigene Nahrungsaufnahme weiter zu reduzieren. Modefotos, Bilder extrem schlanker Stars oder auch Stigmatisierungen übergewichtiger Akteure werden dann besonders beachtet und mit der eigenen Person verglichen, wenn das soziale Orientierungsbedürfnis sehr groß ist. In Phasen der emotionalen Einsamkeit und sozialen Isolation werden Medien " teilweise ungeachtet ihrer konkreten Botschaften " auch als Ersatz für mangelnde reale persönliche Kontakte, als Betäubung, zur Erleichterung oder Flucht genutzt. Ist das Selbstkonzept hingegen stärker von einem Perfektionsstreben und Kontrollbedürfnis geprägt, haben Betroffene oft ein sehr konkretes rationales Bedürfnis nach Informationen zu Kalorien und Gewichtsreduktion, das sie mithilfe von Medieninhalten decken.

Die Vielfalt der Umgangsweisen mit Medien bestätigt, dass eine Pauschalisierung der Wirkungspotenziale und eine Reduktion essgestörter Personen auf "wehrlose und passive Medienopfer" den Zusammenhang zwischen Körperbild, Essstörungen und Medien nicht angemessen beschreibt. Dünne Körperbilder sind zwar ein wichtiger, aber eben nur ein Aspekt der Medienrealität, der für Menschen im Kontext eines gestörten Essverhaltens relevant wird. Um ein gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, von dem weniger Druckpotenzial ausgeht, ist eine Veränderung der Medieninhalte in Richtung einer größeren Vielfalt der Körperbilder ebenso wünschenswert wie der Abbau von Stigmatisierungen Übergewichtiger. Wichtig ist jedoch gleichzeitig die Förderung von Medienkompetenz, die Rezipienten in einem selbstbewussten, reflektierten und kritischen Umgang mit verschiedenen Medienangeboten stärkt.

Meine fremden Freunde: Wie Medien-Stars und -Sternchen unseren Alltag begleiten

Bei allem Wandel, den die Medien-Evolution für die Gesellschaft und uns alle als ihre Mitglieder mit sich gebracht hat, ist eines gleich geblieben: Der Mensch ist ein soziales Wesen, und deshalb stehen im Zentrum seines Interesses immer Menschen. Und weil sich Menschen am meisten für andere Menschen interessieren, spielen Menschen im TV folglich eine tragende Rolle " von der Daily Soap über die Doku-Soap, von der Casting-Show über den Spielfilm, von der Coaching-Sendung bis zu den Nachrichten und Quiz-Shows.

In der Diskussion um die aus den Medien bekannten Menschen werden unterschiedliche Begriffe verwandt: Relativ neutral ist zunächst oft von "Prominenten" und "Prominenz" die Rede, wobei es primär um die von den Medien-Darstellungen getragene Bekanntheit der Personen bei einem relativ breiten Publikum geht. Einen Schritt weiter geht der Star-Begriff, weil er die emotionale Beziehungs-Komponente eher in den Vordergrund stellt: Stars werden nicht nur gekannt, sondern auch verehrt, aber eben auch gehasst. Sie bieten Stoff für Diskussionen, man redet von ihnen und bildet sich Urteile über sie. Stars sind erfolgreich und das meist über längere Zeit " wenn nicht, werden sie zu "Sternchen" oder "One-Hit-Wonders" abgewertet. Bei Weitem nicht jeder Prominente ist ein Star, aber jeder Star ist prominent.

Stars sind heutzutage immer auch Medien-Stars: Darstellungen potenzieller Stars erreichen ihr Publikum vor allem über das Fernsehen, das es seinen Zuschauern erlaubt, den Medien-Menschen in Bild und Ton scheinbar ganz nahezukommen: Man hört ihre Stimmen, sieht ihre Gesichter in Großaufnahme, verfolgt ihr Tun in vielen Fällen über lange Zeit und in regelmäßigen Abständen und erfährt allerlei und oftmals vermeintlich auch private Dinge über sie. Die Evolution der Medientechnik bringt die Stars ihren Nutzern immer öfter immer näher. Die Teleobjektive der Paparazzi und die Kamera-Handys der Fans halten auch scheinbar private und unbeobachtete Momente in Bildern fest, die über das Internet heute von einem größeren Publikum als jemals zuvor rezipiert werden können. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Ganz wie "in echt ": Beziehungen zu Medien-Menschen

Die Beziehungen von Medien-Nutzern zu ihnen ausschließlich aus den Medien bekannten Personen sind schon lange Thema der Wissenschaft. Bereits 1956 widmeten sich die Autoren Donald Horton und R. Richard Wohl der "Intimität über Distanz", die Medien-Nutzer zu in den Medien präsenten Personen herstellen. Horton und Wohl kommen zu dem Schluss, dass "parasoziale Beziehungen", also Beziehungen von Medien-Nutzern zu ihnen lediglich aus den Medien bekannten Personen, "normalen" sozialen Beziehungen in vielen Punkten entsprechen. "Wir begegnen den entferntesten und berühmtesten Menschen, als ob sie zu unserem Bekanntenkreis gehörten", beschreiben Horton und Wohl dieses Phänomen.

Mein Star und ich: Liebestaumel, Lebenshilfe und Lästerrunden

Parasoziale Beziehungen zu Medien-Menschen, vor allem zu Stars, können vom Individuum selbst als sehr intensiv empfunden werden und in seinem subjektiv erlebten Alltag viel Raum einnehmen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Fans ihren Star quasi zu ihrem liebsten Hobby machen, vielleicht einem Fan-Club beitreten, sich online mit Gleichgesinnten austauschen, ihren Musiker-Stars (wie Tokio Hotel) auf deren Konzert-Tourneen folgen oder die Filme ihres Lieblings-Stars (etwa die Episoden der "Twilight"-Saga) immer wieder aufs Neue ansehen. Dieses Verhalten wird zumeist ausschließlich jugendlichen Fans zugesprochen und von vermeintlich dem Fantum entwachsenen Dritten häufig kritisch, nicht selten auch herablassend, beäugt.

Doch auch jenseits dieser auffällig und enthusiastisch gelebten Fan-Beziehungen beschäftigen uns Stars und Prominente, aber auch vereinzelt in den Medien auftauchende Personen: In Coaching-Formaten wie "Die Super Nanny", "Teenager außer Kontrolle" oder "Raus aus den Schulden" (alle RTL) werden dem Zuschauer anhand nicht-prominenter Beratungskandidaten soziale Problemfälle wie gestörte Eltern-Kind-Beziehungen, Jugendkriminalität und Überschuldung präsentiert. In jedem Sendungs-Typus widmet sich ein professionell ausgebildeter Coach dem Aufzeigen von Lösungswegen. Während das Vorher-Verhalten der Beratungskandidaten für den Zuschauer als abschreckendes Beispiel fungieren kann, können die aufgezeigten Lösungen zur eigenen positiven Orientierung herangezogen werden, vor allem dann, wenn der Coach in der subjektiven, parasozialen Wahrnehmung als glaubwürdige und kompetente Instanz erlebt wird. Aber auch das unterhaltsame Lästern über die "unmöglichen" Kandidaten kann ein Motiv für die Nutzung solcher Formate sein, die durch die Gespräche über sie zugleich Eingang in das persönliche Umfeld des Zuschauers finden.

Auch zu fiktiven Charakteren wie den Protagonisten der Daily Soaps können intensive parasoziale Bindungen aufgebaut werden, ebenso wie zum Beispiel zu Moderatoren wie Günther Jauch oder bekannten Nachrichtensprechern, die alle beim parasozialen Beziehungsaufbau vor allem von der Regelmäßigkeit ihres Erscheinens in den Medien profitieren. In Casting-Shows wie "Deutschland sucht den Superstar" (RTL) oder "Germany"s next Topmodel" (ProSieben) werden durch die Sender bewusst Spannungsbögen aufgebaut, Emotionen geweckt und persönliche Schicksale fokussiert, damit die Bindung der Zuschauer an die vom Ausscheiden bedrohten Kandidaten wächst und erstere auch das nächste Mal wieder einschalten.

Ob Lästern oder Lernen am Modell, ob intensive Fan-Liebe oder starke Abneigung gegen die Medien-Figuren: Im Rahmen der parasozialen Beziehungen zu Stars, Prominenten und einmalig in den Medien auftretenden Menschen leisten die Medien-Nutzer einen unerlässlichen Beitrag zum Funktionieren des Medien-Systems und bestätigen die Rollen der Medien-Menschen. Und sie sagen dabei mit ihren subjektiven Zu- und Abneigungen auch gleich etwas darüber aus, wie sie selbst von ihrem sozialen Umfeld wahrgenommen werden möchten.

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der HMTM Hannover. Sie lehrte und forschte an verschiedenen Hochschulen und berät Unternehmen und Einrichtungen aus dem Gesundheitsbereich in Kommunikationsfragen.

Kontakt: E-Mail Link: eva@baumann-schwarz.de

ist Texterin, Konzeptionerin und freie Autorin. Von 2001 " 2005 war sie Wiss. Hilfskraft, danach Lehrbeauftragte am Institut für Kommunikationswissenschaft, WWU Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte: Popkultur-Theorien, Starkult- und Fan-Forschung, Identitäts-Theorien.

Kontakt: E-Mail Link: katrin.keller@hotmail.de

ist Professor für Empirische Methoden am Institut für Kommunikationswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena.Seine Arbeitsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Medienwirkungsforschung, empirische Methoden.

Kontakt: E-Mail Link: marcus.maurer@uni-jena.de

ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft, insb. interaktive Medien und Onlinekommunikation, an der Universität Hohenheim. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Medieninnovationen, Onlinemedien und Digitale Spiele.

Kontakt: E-Mail Link: thorsten.quandt@uni-hohenheim.de

ist Professor für Public Relations und Technikkommunikation an der TU Ilmenau. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Public Relations und Werbung, Medienwandel und Onlinekommunikation, Mediennutzung und -wirkung, empirische Methoden.

Kontakt: E-Mail Link: wolfgang.schweiger@tu-ilmenau.de