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1350-1630: Periode einer langen Krise | bpb.de

1350-1630: Periode einer langen Krise

Prof. em. Dr. Arno Herzig Arno Herzig

/ 19 Minuten zu lesen

Die Frankfurter Judengasse, 1462 eingerichtet, war eines der ersten Ghettos. Es bestand bis ins 19. Jahrhundert. Ausschnitt aus Matthäus Merians Vogelschauplan (© Wikimedia)

Einschnitte durch Pest und Pogrome

Die Folgen der Pest veränderten das bisherige Wirtschaftssystem. Auf dem Land wurden zahlreiche Dörfer aufgegeben, und die Felder lagen brach; es entstanden so genannte Wüstungen, da die Dorfbewohner entweder durch die Pest umgekommen oder in die Städte abgewandert waren. Dort hatte die Pest noch größere Lücken gerissen als auf dem Land, und den Zuwandernden boten sich bessere Lebenschancen als in den Dörfern, wo sie den Grundherren vielfach dienstverpflichtet waren. In Folge des Bevölkerungsrückganges schrumpften auch die Einkünfte der adligen und kirchlichen Grundherren wie der Landesherren. Der Rückgang der Abgaben erhöhte ihren Kreditbedarf, da allein der Unterhalt ihrer Truppen und Kriegszüge hohe Summen verschlangen. Auch die Städte benötigten für Verteidigungsanlagen oder Kriegsführung hohe Kredite. So musste die Stadt Köln 1378 ihre Ausgaben zu 45 Prozent aus Anleihen decken.

Da die Zinsnahme für Christen durch das Kirchengesetz verboten war, nutzten sie den Rentenkauf als ein Mittel, dieses Verbot zu umgehen. Renten waren häufig an Wohnhäuser oder nutzbares Land gebunden, die dem Gläubiger zur Nutzung überlassen wurden. Der Besitzer eines Hauses konnte dieses zum Beispiel für 100 Gulden verkaufen mit der Bedingung, es für 110 Gulden nach einem Jahr vom Käufer zurückzuerwerben. Dadurch erhielt der Käufer indirekt einen Zins von zehn Prozent. Durch die Pest bedingt aber waren viele Häuser unbewohnt, so dass in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts der zu erlangende Zinsgewinn auf fünf Prozent fiel. Dennoch gewann der Rentenkauf in diesem Jahrhundert auch bei den Landesherren an Bedeutung, denn durch die Verfolgungen standen kaum noch jüdische Kreditgeber zur Verfügung.

Neubeginn unter erschwerten Voraussetzungen

Nach den Pestpogromen sollte das jüdische Leben in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert hinein nie wieder die Blüte erreichen, die es vor 1350 erlebt hatte. Dennoch entwickelte sich auch in dieser langen Periode ein Judentum, das sich erfolgreich gegen Bedrohungen behauptete und sogar kreativ entfaltete. Dies zeigt sich in den neuen geistlichen Zentren in Wien und Prag, aber auch in den Leistungen einzelner jüdischer Persönlichkeiten wie Josel von Rosheim. Die größte Leistung in dieser Epoche aber bestand in der Schaffung einer regionalen jüdischen Infrastruktur, die die zerstreut lebenden Juden zusammenfasste und ihnen ein geistliches Leben ermöglichte.

Die Pestpogrome waren nicht überall gleichmäßig aufgetreten. Der Norden und Osten des Reiches waren davon weniger betroffen, so dass in den 1350er Jahren wieder neue jüdische Siedlungsnetze entstanden, etwa im niedersächsisch-thüringischen Raum mit den Zentren Hildesheim, Braunschweig, Goslar, Quedlinburg, Halberstadt und Erfurt. Auch die ehemals bedeutenden Zentren am Mittelrhein lebten in den 1350er Jahren wieder auf. Vor allem in den süddeutschen Reichsstädten drängte Kaiser Karl IV. aus finanziellen Gründen auf die baldige Wiederaufnahme der Juden. So wurden sie in Nürnberg bereits elf Tage nach den Morden wieder als Bürger aufgenommen. Vielfach handelte es sich dabei um Personen, die das Massaker in Verstecken überlebt hatten. In Frankfurt/M. entstand ab 1360 eine jüdische Gemeinde. Im Mittelmaingebiet um Würzburg etablierten sich im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts neue Niederlassungen. In Köln wurden Juden ab 1372 auf Drängen des Erzbischofs wieder zugelassen. 1373 folgte Dortmund als westfälisches Zentrum.

Der Wiederzulassung lagen fast ausschließlich ökonomische Motive zugrunde. Die Städte erteilten nun weitgehend die Schutzbriefe, die für Einzelpersonen nicht selten auf fünf bis zehn Jahre begrenzt waren. Neben den Einzelschutzbriefen gab es aber auch Schutz-Privilegien für die gesamte Gemeinde. Die Fristbegrenzung bedeutete nicht unbedingt die Ausweisung nach Ablauf der Frist, sondern bot den Städten die Möglichkeit, die Schutzgebühr neu zu verhandeln. Die Rückkehr in die alten Städte brachte vielfach eine Verschlechterung der Wohnbedingungen mit sich. Die neuen Judenviertel, die sich bildeten, befanden sich überwiegend nicht mehr im Zentrum und damit in Marktnähe, sondern eher in Randlage, wie in Nürnberg. Dort, wo sie zunächst den alten Standort halten konnten, wie in Frankfurt am Main oder Köln, wurden die Juden im Lauf der folgenden Jahrzehnte verdrängt oder gar der Stadt verwiesen.

Wirtschaftlicher Niedergang

Dennoch gelang es vor allem im Rheingebiet zunächst noch, an die alten ökonomischen Erfolge anzuknüpfen und Interessenten aus allen Ständen mit Kapital zu bedienen. In Köln stellten jüdische Geldleiher im ausgehenden 14. Jahrhundert fast 25 Prozent der Anleihen. Die Geschäfte waren lukrativ, da Fürsten und Städte zu dieser Zeit noch das Kapital der Juden benötigten, zum anderen aber an den Geschäften mit zu verdienen hofften. Deshalb erlaubten sie auch hohe Zinssätze. So einigten sich 1372 der Rat von Dortmund und die benachbarten Grafen von der Mark darauf, dass Juden 36 Prozent Zinsen von Dortmunder Bürgern, aber 72 Prozent Zinsen von Auswärtigen erheben durften. Doch waren die Geschäfte mitunter riskant. Der damals bedeutendste Bankier am Niederrhein, der Kölner Jude Simon von Siegburg, der Kapitalien im Wert von 27000 Mark verliehen hatte, wurde 1377 mit seinem Schwager David hingerichtet. Seine Hinterlassenschaft teilten sich die Stadt Köln und der Erzbischof von Köln.

Hatte Kaiser Karl IV. nach der Sicherung seines Thrones aus fiskalischen Gründen wieder eine eher judenfreundliche Politik betrieben und damit in den Reichsstädten und in seinen Territorien eine erneute Entfaltung gewährleistet, so trug sein Sohn, König Wenzel (Reg.: 1378-1400), durch seine fiskalischen Bestimmungen zum ökonomischen Niedergang der Juden im Reich bei. Um seine Macht zu sichern, aber auch um sich zu bereichern, erzwang er 1385 einen Schuldenerlass zugunsten der süddeutschen Reichsstädte, die bei Juden verschuldet waren. Anschließend befreite er 1390 durch ein Schuldentilgungsgesetz sämtliche Fürsten und Herren sowie die Untertanen von allen Schulden, die sie bei den Juden hatten. Dies traf vor allem die Juden in Mainz, Speyer, Trier und Köln. Unter den Kreditgebern befanden sich auch Frauen, so die Witwe des Fifelin von Dieburg in Frankfurt, bei der der Mainzer Erzbischof verschuldet war. Nur den Frankfurter Juden, bei denen fast der gesamte Adel des Umlandes Kredit hatte, gelang es um 1400, den alten Status zu behaupten. Dafür hatte der Frankfurter Magistrat gesorgt, der 1390 mit König Wenzel eine Ausnahmeregelung getroffen hatte, die der Stadt die alleinige Verfügung über die dortigen Juden garantierte. Zu den finanzkräftigsten Geldleihern gehörte auch hier eine Frau, die Witwe Zorline, auf die 1391 41 Prozent der insgesamt 17 848 verliehenen Gulden entfielen. Zu ihren Kunden zählte wiederum der Mainzer Erzbischof mit einer Schuldsumme von 1000 Gulden.

Außer im Kreditgeschäft waren Juden auch im Warenhandel tätig, vor allem mit Textilien, Getreide und Wein. Sie unterhielten Handelsbeziehungen über Frankreich bis nach Spanien. Die Besteuerungspolitik der deutschen Könige oder Landesherren sowie die aufkommende Konkurrenz christlicher Handelshäuser wie der Fugger, Welser und anderer Augsburger Firmen beendeten allerdings bald die kurze Phase jüdischer Wirtschaftserfolge nach den Pestpogromen.

Das 15. und 16. Jahrhundert sind somit gekennzeichnet durch einen wirtschaftlichen Abstieg jüdischer Kapitalgeber und Händler. Um sich neben seinen Erpressungsmaßnahmen - in der Regel immer wieder außerplanmäßig erhobenen Abgaben - weiterhin laufende Einnahmen aus den jüdischen Gemeinden zu sichern, ernannte König Wenzels Nachfolger, König Ruprecht von der Pfalz (Reg.: 1400-1410), 1407 einen Rabbiner zum "königlichen Reichs-Hochmeister", der von allen Gemeinden die Abgaben für den König einziehen sollte. Auch Ruprechts Nachfolger Kaiser Sigismund (Reg.: 1410-1437) bestimmte 1435 Rabbi Anschel von Köln zum "Obersten Rabbi" des Reiches mit derselben Funktion. Die Juden wehrten sich gegen dergleichen Eingriffe in ihre inneren Gemeindeangelegenheiten, auch wenn sie der Kaiser vornahm. Als Gemeinden wollten sie ihre Unabhängigkeit bewahren, vor allem was die Bestellung von Rabbinern betraf. Der finanzielle Ertrag für den Kaiser blieb jedoch minimal und beweist den ökonomischen Niedergang. Der "Dritte Pfennig" - also ein Drittel des Besitzes -, den die Juden 1434 anlässlich der Kaiserkrönung Sigismunds zahlen mussten, erbrachte nur noch 24000 Gulden.

Religiöse Diskriminierung und erschwerte Selbstbehauptung

Die geistigen und geistlichen Zentren der Juden hatten sich nach Osten verlagert, wo in den Jeschiwen von Wien, Krems und Wiener Neustadt jüdische Gelehrsamkeit blühte. Die "Weisen Österreichs" wirkten mit ihren Lehren bis nach Venedig und Oberitalien. Daneben gab es in Prag, Thüringen und Köln im ausgehenden 14. Jahrhundert Gelehrte, die vor den Pestverfolgungen nach Palästina geflohen und dort mit den Lehren der Kabbala in Berührung gekommen waren. Die mystische Geheimlehre der Kabbala stand in Zusammenhang mit den messianischen Erwartungen, die seit den Pestpogromen unter der deutschen Judenschaft verbreitet waren. Zu ihren Anhängern zählte Rabbi Jomtow Lipmann aus Mühlhausen in Thüringen, der sich in einer polemischen Schrift (Sefer-ha-Nizachon, um 1400) mit der christlichen Philosophie befasste und dabei versuchte, die jüdische Lehre gegen christliche Angriffe zu verteidigen. Die Überlieferung dieses Werks in 45 Handschriften zeigt, wie wichtig für die jüdischen Gemeinden die Auseinandersetzung mit einem immer aggressiver auftretenden Christentum im 15. Jahrhundert wurde.

Christlicher Fundamentalismus

Dieses immer aggressivere Auftreten bewirkten vor allem die so genannten Reformkonzilien in Konstanz 1414-1448 und Basel 1431-1437, die das kirchliche Schisma, die Spaltung des Papsttums, beseitigen und den sittlichen Zustand der Christen bessern sollten. Zur Zielscheibe wurden dabei vielfach die Juden. So löste die Verbrennung des Reformators Jan Hus 1415 in Konstanz die Hussitenkriege gegen seine Anhänger aus, in deren Folge wiederum die Vertreibung der Juden aus Innerösterreich (1418) und Augsburg (1438) erfolgte, da den Juden unterstellt wurde, zu den Hussiten zu halten. Tatsächlich gab es auf jüdischer Seite durchaus ein Interesse an den innerchristlichen Auseinandersetzungen, da man sie als Vorzeichen für den Untergang "Edoms", also des Christenreichs, und damit als Zeichen für die messianische Wende deutete. Der Kölner Rat, dem die Juden in seiner Auseinandersetzung mit dem Erzbischof hinderlich waren, gab 1424 den Hussitenkrieg als Begründung für ihre Ausweisung aus der Stadt an, und in Wien bot die angebliche Verbindung der Juden zu den Hussiten 1420/21 Herzog Albrecht von Österreich einen willkommenen Anlass zu einem Pogrom.

Auch auf dem Baseler Konzil wurde ein christlicher Fundamentalismus deutlich, der eine schärfere Ausgrenzung der Juden aus der Gesellschaft verlangte. Dies sollte durch eine spezifische Judenkennzeichnung und die Anlage gesonderter Wohnquartiere erreicht werden. Selbst in den so genannten Judengassen oder -vierteln hatten Juden bislang neben Christen gewohnt. 1451 drängte der Kardinal Nikolaus Cusanus, der als päpstlicher Legat mit außerordentlichen Vollmachten ins deutsche Reichsgebiet gekommen war, auf strikte Trennung und die deutliche Kennzeichnung der Juden durch eine gelbe Markierung auf ihrer Kleidung. Trotz wiederholter Konzilsbeschlüsse gab es in Deutschland jedoch weiterhin keine scharfe Trennung zwischen christlichen und jüdischen Wohnquartieren. In Frankfurt am Main wurden sie allerdings 1462 aus ihrem Viertel am Dom in ein Areal vor der Stadtmauer umquartiert, wobei die neuen Häuser, die der Magistrat dort für die Juden errichten ließ, im Eigentum der Stadt verblieben. Auch in Würzburg ließ der dortige Bischof 1434 die Häuser auf dem Judenplatz abbrechen, die Juden mussten in die Pleicher Vorstadt umziehen.

Herabsetzung der Juden

Es ging der christlichen Gesellschaft nicht nur um die Kenntlichmachung der Juden, sondern vor allem um Herabsetzung des Judentums. Stellten es künstlerische Abbildungen noch im 13. Jahrhundert in der Gestalt der blinden Synagoga als schöne Frau dar, so befinden sich die Juden in den Darstellungen des 15. Jahrhunderts in Gesellschaft eines Schweins, das im Judentum als unreines Tier gilt. Durch den Holztafeldruck fand dieses Motiv ab 1470 weite Verbreitung, noch verschärft durch kommentierende Spruchbänder, die das Schwein als die "Mutter der Juden" personifizierten. Auch die Motive des Hostienfrevels und der Blutschuldlüge wurden von den neuen Printmedien aufgegriffen und fanden zusammen mit anderen Zuschreibungen Niederschlag in Legenden, Fastnachtsspielen bzw. Satiren. In ihrer körperlichen Erscheinung wurden die Juden als andersartig dargestellt, so 1330 im rheinischen Codex Balduini oder um 1500 auf einer Karikatur des Josel von Rosheim. Nicht nur im Bild, auch in der schriftlichen Überlieferung wird im 15. Jahrhundert auf "jüdische Eigentümlichkeiten" hingewiesen. So versuchte die Judenordnung der schwäbischen Stadt Crailsheim 1480 getrennte Badetage für Juden und Christen mit dem Argument zu begründen, dass Klerikern und Laien der den Juden anhaftende Geruch zuwider sei.

Verdrängung aus den Städten

Der Lebensraum wurde für Juden in Deutschland im 15. Jahrhundert immer enger sowohl im geistigen wie im topographischen Sinne. Zwangspredigten und -taufen nahmen zu und führten, verbunden mit den alten Vorwürfen des Hostienfrevels bzw. der Blutschuldlüge, zu Pogromen bzw. Ausweisungen. So predigte in Breslau 1453 im Sinne des Baseler Konzils der Franziskaner Johannes Capistrano für die Erneuerung des sittlichen Lebens und gegen die Häresien. Unter dem Einfluss seiner Predigten und dem Vorwurf eines angeblichen Hostienfrevels wurden in Breslau, Schweidnitz und Liegnitz ungefähr 70 Juden ermordet, die übrigen mussten - bis auf die Gemeinde Glogau, wo ein Judenaufnahmeprivileg von 1299 weiterhin gültig blieb - ihre Gemeinden verlassen.

Dabei bot die Zersplitterung des Reiches in zahlreiche Territorien und unabhängige Reichsstädte den vertriebenen Juden immer noch Möglichkeiten zur erneuten Niederlassung, da die Ausweisungsaktionen nie gemeinsam und gleichzeitig erfolgten.

Ökonomisch verloren die Juden an Bedeutung, ihnen blieb überwiegend nur noch die kleine Pfandleihe auf bewegliche Güter, durch die nun auch weite Teile der Unterschichten in den Handel mit Juden einbezogen wurden. Das führte zu ständigen Konflikten mit den Zünften, die ihre Monopolstellung beeinträchtigt sahen. Da Juden kaum noch größere Kredite zur Verfügung stellen konnten, waren sie für die Kaufmannschaft als Geschäftspartner uninteressant. Zudem wurde seit dem 15. Jahrhundert das Zinsverbot für Christen immer weiter gelockert, und es drängten christliche Kreditgeber auf den Markt. In den Städten bestand deshalb kaum noch ein wirtschaftliches Interesse an den Juden, was ihre Verdrängung von dort ebenso förderte, wie der Wunsch den Territorialherren, unter deren Schutz die Juden zumeist standen, jede Einspruchsmöglichkeit in städtische Angelegenheiten zu nehmen. Nach der Vertreibung der letzten großen Judengemeinde 1519 in Regensburg lebten - außer in Dortmund, Frankfurt am Main, Friedberg und Worms - keine Juden mehr in den Reichsstädten.

Die Auflösung der traditionellen städtischen Gemeinden erforderte die Einrichtung neuer Organisationsformen. So schlossen sich die nun auf dem Land zwischen Ulm und Augsburg wohnenden Juden im so genannten Medinat Schwaben zusammen. Es gehörte zum Territorium der vorderösterreichischen und von den Habsburgern regierten Markgrafschaft Burgau und stand seit den 1520er Jahren unter Leitung eines Landesrabbiners. 1533 entsandten sie eine Delegation, der auf Veranlassung König Ferdinands I. (Reg.: 1526-1564) als Markgraf von Burgau mit der Burgauer Judenordnung (verabschiedet 1534) eine der ersten territorialen Judenordnungen der frühen Neuzeit verkündet wurde. In der Folgezeit bildeten sich zahlreiche Landesrabbinate und jüdische Landtage als neue Organisationsformen heraus, die neben der Rabbinerwahl auch die Aufteilung der Abgaben vornehmen mussten.

Die Haltung der Humanisten

Mit dem Humanismus und der Reformation erlebte Europa einen fundamentalen Wandel, den die Geschichtsschreibung mit dem Beginn der Neuzeit gleichsetzt. Für die Juden änderte sich allerdings wenig. Auch die Humanisten und Reformatoren blieben teilweise in den traditionellen judenfeindlichen Vorstellungen gefangen, sahen in den Juden eine Gefahr für das Christentum und versagten ihnen das Recht auf Freiheit und Selbstverwirklichung des Menschen, für das sie sonst eintraten.

Die 1510/11 begonnene Auseinandersetzung zwischen dem Humanisten Johannes Reuchlin (1455-1522) und dem jüdischen Konvertiten Johannes Pfefferkorn (1469-1522) um die Erhaltung des jüdischen Schriftguts schien zunächst einen Wandel zum Besseren anzukündigen. In Flugschriften, die Pfefferkorn in deutscher Sprache verfasste, warf er den Juden vor, in ihren Schriften Christus zu lästern und forderte deshalb deren Beschlagnahme, wobei er nur das Alte Testament ausnahm. Unterstützt durch die Theologen der Kölner Universität erreichte er 1509 ein entsprechendes Mandat Kaiser Maximilians I. (Reg.: 1508-1519) Reuchlin setzte sich dagegen für den Erhalt der jüdischen Schriften ein, da er sie für eine Offenbarung Gottes hielt. Trotz der Zustimmung, die Reuchlin unter den deutschen Humanisten fand - wobei es diesen jedoch mehr um eine Niederlage der Kölner Theologen als um die Sorge für die Juden ging - erreichten die Kölner 1520, dass Reuchlin durch Papst Leo X. wegen Häresie verurteilt wurde.

Reuchlin selbst hatte ein ambivalentes Verhältnis zu den Juden, denn mit seiner Forderung nach der allgemeinen Taufe der Juden zielte er auf die geistige Vernichtung des Judentums ab. Unter den deutschen Humanisten vertrat er verglichen mit der Judenfeindschaft eines Erasmus von Rotterdam und eines Ulrich Zasius dennoch eine gemäßigte Linie. Als anerkannter Jurist seiner Zeit und schwäbischer Bundesrichter forderte Reuchlin für die Juden den Status als concives (Mitbürger) gemäß Römischem Recht sowie den Schutz ihres Eigentums, ihre körperliche Unversehrtheit sowie ihre freie Religionsausübung. Mit dem Status als concives wurde für die Juden eine Rechtsbasis geschaffen, die ihnen zukünftig vor den Gerichten eine gewissen Rechtssicherheit garantierte, sie aber nicht vor Vertreibungen aus den Städten zu schützen vermochte. Angesichts der judenfeindlichen Einstellungen sowohl der deutschen Humanisten wie wenig später der Reformatoren vertrat Reuchlin eine Minderheitsposition, obwohl sich das Reichskammergericht in seinen Rechtssätzen auf ihn bezog.

Die Einstellung der Reformatoren

Auch die Reformatoren brachen kaum mit der judenfeindlichen Position der alten Kirche. Zwar maßen sie dem Vorwurf des Hostienfrevels und der Blutschuldlüge weniger Bedeutung bei, doch polemisierten sie vor allem gegen die angeblichen Lästerungen Christi durch die Juden, deren Duldung die Bestrafung Gottes herbeiführe. Nur wenige Reformatoren sprachen sich für ein friedliches Nebeneinander von Juden und Christen aus.

Entscheidend für die zukünftige Einstellung der reformatorischen Kirche wurde jedoch die Haltung Martin Luthers. Der moderate Ton gegenüber dem Judentum, der in seinen Frühschriften bis in die 1530 Jahre anklingt, erweckte in ihnen zunächst Hoffnungen, die harte Position der alten Kirche könnte durch die Reformation einer ausgeglicheneren weichen. Doch dies war ein Missverständnis, Luther stand den Juden von vornherein ablehnend gegenüber. Seine anfängliche Aufgeschlossenheit war bestimmt gewesen durch die Erwartung, die Juden würden sich zu Jesus bekehren. Als aber die christliche Sekte der Sabbather, die 1528 in Böhmen und Schlesien gegründet wurde, jüdische Bräuche und Vorstellungen übernahm, sah er die Gefahr, dass das Judentum das Christentum unterwandere. Für Luther tradierte die Synagoga kein Heil mehr: Sie sei der Weinstock, der nur noch zum Verbrennen tauge, äußerte er 1533 in seinen "Tischreden". Ihr Gesetz sei durch die Ankunft des Messias aufgehoben, hieß es 1538 in der Schrift "Wider die Sabbather". Die Gültigkeit des Gesetzes bezog er nur noch auf den Dekalog, die zehn Gebote, die Gott der gesamten Menschheit vermacht habe. Was mit den Juden zu geschehen hatte, wollte Luther in seiner Schrift "Von den Jüden und ihren Lügen" zunächst der weltlichen Macht überlassen. 1542 fügte er jedoch die Drohung hinzu, dass die Obrigkeit den Zorn Gottes auf sich ziehe, wenn sie die Juden in ihren Territorien dulde und sie damit "für (=vor) Gott schuldig werde alle der Lügen, des Lästerns [...] wider die Person unseres Herrn Christi". Und er erhob die fatale Forderung, "[...] daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe [...]".

Die Reformatoren forderten, wie vor ihnen die Bettelmönche, ein generelles Verbot des jüdischen "Wuchers", also der Zinsnahme. Stattdessen sollten sie schwere körperliche Arbeit, also Zwangsarbeit, als Strafe für ihre Sünden leisten, um so zum "Gemeinnutz" - eine wichtige Forderung dieser Zeit - beizutragen und nicht mehr in ihrem "Eigennutz" zu verharren. Gedacht war an niedrige Arbeiten, die nach Bedeutung und Ansehen unter der Arbeit des "gemeinen Mannes", also der in Zünften organisierten Handwerker sowie der Bauern, stehen sollten. Wie aber vermochten sich die Juden angesichts dieser grausamen Szenarien in ihrer tradierten Lebensform zu behaupten?

QuellentextLuthers Haltung zu den Juden

Ich hatte mir wohl vorgenommen, nichts mehr weder von den Juden noch wider die Juden zu schreiben; aber weil ich erfahren, dass die elenden, heillosen Leute nicht aufhören, auch uns, das ist, die Christen, an sich zu locken, habe ich dies Büchlein lassen ausgehen, damit ich unter denen erfunden werde, die solch giftigem Vornehmen der Juden Widerstand getan und die Christen gewarnt haben, sich vor den Juden zu hüten [...]. Ich will meinen treuen Rat geben.
Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erden überhäufe, und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe, ewiglich [...].
Zum anderen, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben eben dasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner, auf dass sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande, wie sie rühmen, sondern im Elend und gefangen, wie sie ohne Unterlass vor Gott über uns Zeter schreien und klagen.
Zum dritten, dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Talmudisten, darin solche Abgötterei, Lügen, Fluch und Lästerung gelehret wird.
Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren. Denn solch Amt haben sie mit allem Recht verloren [...].
Zum fünften, dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe, denn sie haben nichts auf dem Lande zu schaffen, weil sie nicht Herren noch Amtleute noch Händeler, oder desgleichen sind; sie sollen daheim bleiben. [...]
Zum sechsten, dass man ihnen den Wucher verbiete, der ihnen von Mose verboten ist, [...] und nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold, und lege es beiseit zu verwahren. Und dies ist die Ursache: alles, was sie haben [...], haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher, weil sie sonst keine andere Nahrung haben. [...]
Zum siebenten, dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel, und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nase, wie Adams Kindern aufgelegt ist [...].
Besorgen wir uns aber, dass sie uns möchten an Leib, Weib, Kind, Gesind, Vieh etc. Schaden tun [...]: So lasst uns bleiben bei gemeiner Klugheit der anderen Nationen, als Frankreich, Hispanien, Böhmen etc., und mit ihnen rechnen, was sie uns abgewuchert und danach gütlich geteilt, sie aber immer zum Land ausgetrieben. Denn, wie gehört, Gottes Zorn ist so groß über sie, dass sie durch sanfte Barmherzigkeit nur ärger und ärger, durch Schärfe aber wenig besser werden. Drum immer weg mit ihnen. [...]
Wollen aber die Herren sie nicht zwingen, [...] dass man sie zum Lande austreibe, [...] und lassen ihnen sagen, dass sie hinziehen in ihr Land und Güter gen Jerusalem, und daselbst lügen, fluchen, lästern, speien, morden, stehlen, rauben, wuchern, spotten und alle solche lästerlichen Gräuel treiben, wie sie bei uns tun, und lassen uns unsere Herrschaft, Land, Leib und Gut [...] unbeschwert [...] mit solchen ihren teuflischen Tyranneien und Bosheiten. [...]
Ich habe viel Historien gelesen und gehört von den Juden, [...] wie sie die Brunnen vergiftet, heimlich gemordet, Kinder gestohlen [...]. Ich weiß wohl, dass sie solches und alles leugnen; es stimmt aber alles mit dem Urteil Christi, dass sie giftige, bittere, rachgierige, hämische Schlangen, Meuchelmörder und Teufelskinder sind, die heimlich stehlen und Schaden tun, weil sie es öffentlich nicht vermögen.
[...] der Juden Bosheit, Lügen, Fluchen muss feind werden und greifen, dass ihr Glaube nicht allein falsch, sondern sie gewisslich mit allen Teufeln besessen sind. Christus unser lieber Herr bekehre sie barmherziglich und erhalte uns ins seiner Erkenntnis, welche das ewige Leben ist fest und unbeweglich. Amen.

Martin Luther: Von den Jüden und ihren Lügen.

Vertreter aller Juden: Josel von Rosheim

In dieser für Juden schwierigen Zeit um 1500 trat eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen jüdischen Geschichte an die Öffentlichkeit: Josel von Rosheim (um 1478-1554) war 1530 von allen Juden im Reich zu ihrem Vertreter und Sprecher gewählt worden, zum - wie er sich selbst bezeichnete - "gemainer Jüdischheit Regirer im deutschen Land". In dieser Funktion musste er mit dem Kaiser und auch den Landesherren verhandeln und vermochte dabei mit seinem diplomatischen Geschick sogar auf Kaiser Karl V. (Reg.: 1519-1556) Einfluss auszuüben. Schon 1530 auf dem Augsburger Reichstag gelang es Josel in einer Disputation mit dem Konvertiten Antonius Margarita, dessen für die Juden gefährliche Behauptungen zu widerlegen. Ein Sieg Margaritas hätte vermutlich die Ausweisung der Juden aus dem Reich zur Folge gehabt. Josels konnte dagegen den Kaiser für ein Bleiberecht der Juden gewinnen. 1544 erließ Karl V. ein Privileg, das trotz territorialstaatlicher Sonderbestimmungen den Juden grundsätzlich ein Existenzrecht im Reich einräumte. Durch seine Persönlichkeit und sein Verhandlungsgeschick schlichtete Josel schwere Konflikte in den Gemeinden und disziplinierte seine Glaubensgenossen durch seine allseits anerkannte "Ordnung", mit der er eine für alle Juden gültige Wirtschaftsmoral zu erreichen suchte. Nach Josels Tod wurde das Amt als "Befehlshaber der Jüdischheit teutscher Nation" nicht mehr besetzt. Seine Nachfolger, die die Verhandlungen mit dem Kaiserhof für die jüdischen Gemeinden zu leiten hatten, bezeichneten sich nur noch als "Gesandte der Jüdischheit teutscher Nation".

Die Rechte aus dem Privileg von 1544, das 1562 und 1566 bestätigt wurde, vertraten die deutschen Juden nicht demonstrativ, sondern versuchten sie in Anspruch zu nehmen, wenn ihnen der Durchzug durch die Territorien verwehrt wurde. Die Kaiser unterstützten sie darin und setzten sich für die Juden ein. So erzwang Kaiser Matthias (Reg.: 1612-1619) die Rückkehr der Juden, als diese 1614 aus der Reichsstadt Frankfurt vertrieben worden waren. Hierin kann man ein letztes Nachwirken von Josels Politik sehen.

Kaiserlicher Schutz

In Frankfurt am Main, einer der letzten Reichsstädte, in der noch Juden leben durften, war es 1614 zu einem Konflikt zwischen den Juden und dem Zunftbürgertum gekommen. Unter Führung des Lebkuchenbäckers Vinzenz Fettmilch stürmten Angehörige der Zünfte das dortige Ghetto und plünderten es. Erst als der Frankfurter Magistrat befürchtete, der Aufstand könnte sich auch gegen die reichen Familien des Patriziats richten, setzte er Militär ein, das die Plünderer vertrieb. Die Zünfte hatten in der Stadt inzwischen die Macht übernommen, und die Juden wurden aus der Stadt vertrieben. Doch der Kaiser verfügte über die Rädelsführer des Aufstands die Reichsacht und ließ sie hinrichten. Die Juden durften in das Ghetto zurückkehren, und Kaiser Matthias nahm sie in seinen Schutz auf. Als Zeichen für ihre neu erworbene "Stättigkeit" wurde an den Ghettomauern der Reichsadler angebracht. Auch in Worms war es trotz städtischer Privilegien im Jahr 1615 zur Vertreibung der Juden aus der Stadt gekommen. Der Aufstand wurde hier von dem pfälzischen Kurfürsten Friedrich beendet, und die Stadt musste nach der Rückkehr der Juden für den Wiederaufbau der verwüsteten Synagoge aufkommen.

QuellentextAngriff auf die Frankfurter Judengasse 1614

Ausschreitungen gegen Juden hatten nicht immer religiöse Gründe. Manchmal reichte schon der Neid auf die erfolgreichere Konkurrenz und das größere Vermögen. Blicken wir auf das Frankfurt des Jahres 1614: Es waren schlechte Zeiten. Eine Teuerung war eingetreten, den Handwerkern fehlten Aufträge. In der Judengasse aber lebten wohlhabende Juden.
In jenem Frankfurt lebte auch ein Rechtsanwalt mit Namen Weitz. Er war bei Juden hoch verschuldet. Weitz und der Lebkuchenbäcker Vinzenz Fettmilch taten sich zusammen. Sie wollten nichts weniger als die Macht in der Stadt. Dazu schien ihnen eine gegen die Juden gerichtete Propaganda der Erfolg versprechende Weg. Die Judengasse sollte erstürmt werden.
Es war am 22. August 1614. Fettmilch und seine Anhänger drangen in die Judengasse ein. Die meisten Bewohner befanden sich an jenem Nachmittag in der Synagoge. Die Männer eilten nach Hause und versperrten mit Bänken, Tischen und Stühlen Fenster und Türen zu ihren Wohnungen. Sie bewaffneten sich mit Schwertern und Hellebarden; kampflos würden sie sich nicht ergeben. Frauen und Kinder hatten sich auf den jüdischen Friedhof geflüchtet. Fettmilch versicherte den Juden, er sei nur zu ihrem Schutze gekommen. Sie sollten die Waffen niederlegen, er wolle friedlich mit ihnen verhandeln. Die Juden glaubten ihm und legten die Waffen nieder. Die Menge drang darauf in die Judengasse ein und plünderte die Häuser. Jeder nahm, was er gebrauchen konnte.
In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: "Die Plünderer verschmähten auch die unbedeutendsten Gegenstände nicht. Hühner, Gänse, Bratspieße und sogar Mistgabeln wurden mitgenommen. Die Weiber machten sich vor allem über das Geschirr und die Wäsche der jüdischen Hausfrauen her. Kachelöfen, Fenster und Wände wurden zerschlagen, Fußböden aufgerissen und Dächer abgedeckt. Die heiligen Schriften der Juden wurden aus den Fenstern auf die Straße geworfen, wo ein Feuer loderte. Die Plünderung dauerte 13 Stunden."
Die jüdische Bevölkerung hatte sich auf dem jüdischen Friedhof versammelt, umringt von den Aufständischen, von denen die wenigsten Frankfurter waren. Rufe wie "Schlagt sie nieder!" kamen auf.
In dem Bericht heißt es weiter:
"Fettmilch stellte sich mit seinen Getreuen dicht vor das Tor, hinter ihm eine wüste Menge, und weidete sich an dem Anblick der Wehrlosen, die mit Bangen aus seinem Munde die Entscheidung über ihr ferneres Schicksal erwarteten.
Ihrem Flehen um Schonung setzte er nur Hohn und Spott entgegen. Die Angst der Eingeschlossenen wuchs von Minute zu Minute. Sie machten sich auf das Schrecklichste gefaßt. Viele hielten ihre letzte Stunde für gekommen, legten sich Sterbegewänder an und beteten die üblichen Gebete. Manche trafen Vorbereitung, Hand an sich zu legen, falls der Pöbelhaufen auf den Friedhof dränge."
Endlich erfuhren sie, was Fettmilch mit ihnen im Schilde führte. Fettmilch gebot ihnen, die Stadt Frankfurt zu verlassen, da die Bürgerschaft sie angeblich nicht länger unter sich dulden wollte. Um ein Uhr des folgenden Tages verließen die Juden die Stadt: Männer, Frauen und Kinder - insgesamt 1380 Personen.
Doch Kaiser Matthias griff ein. Er erließ Haftbefehl gegen die Anführer. Fettmilch wurde in einer Frankfurter Schenke gefasst. Man nahm ihn gefangen und nach einem gescheiterten Fluchtversuch wurde er zum Tode verurteilt. [...]
Am [...] 28. Februar 1616, hielt die jüdische Gemeinde mit Trommeln und Pfeifen feierlichen Einzug in Frankfurt. Die Stadt musste ihnen den angerichteten Schaden ersetzen und der Kaiser gewährte ihnen das Wohnrecht auf ewige Zeiten.

Robert Hess, Die Geschichte der Juden, Ravensburg 1999, ergänzt 2005, S. 80 ff.

QuellentextDie Frankfurter Judenstättigkeit von 1614 von Kaiser Matthias

Die Juden sollen sich bei Nacht, auch an den Sonntagen und anderen hochzeitlichen Festen der Christen in der Judengasse aufhalten und in der Stadt nicht finden lassen. Dazu dies große Tor, hinten und vornen an der Judengasse alsdann schließen und zuhalten und weiter nicht denn die kleinen Türlein öffnen. Und sollen die Juden an den Sonn- und Feiertagen keinen Handel treiben. [...]
Demnach die Juden bisher sich angemaßt, nicht allein in der Stadt, sondern auch außerhalb bei andern Herrschaften sich Bürger zu Frankfurt zu nennen, welches dem Rat und gemeiner Bürgerschaft allerhand schimpfliche Reden bei fremden Leuten verursacht, soll ihnen hiermit gänzlich und durchaus, sich solches Titels oder Namens zu bedienen, verboten und sich nicht anders als Eines Ehrbaren Rats Schutzangehörige zu nennen erlaubt sein, bei Straf von drei Goldgulden.
Sie sollen auch keinen Bau, groß noch klein, noch das geringste abbrechen, noch aufrichten und erbauen, es sei denn dasselbe zuvor angezeigt, von den Herren Rechenmeistern besichtigt, daß keinem zu Schaden gebauet. [...]
Item, soll den Juden auf dem Markt oder in der Stadt öffentlich ohne Erlaubnis keine Läden oder Kramstand zu halten gestattet, jedoch ihnen unbenommen sein, ihre Feilschaft durch die Stadt und Gasse ungehindert zu tragen und zu verkaufen.
Wenn es demnach durch Eines Ehrbaren Rats Befehl vor diesem beschlossen gewesen ist, daß man, wann sich ein fremder Jud oder Jüdin mit eines Juden Tochter oder Sohn zu Frankfurt verheiratet und er in die Stättigkeit aufgenommen worden ist, von den fremden Juden oder Jüdinnen zwölf Goldgulden fordern oder nehmen solle, so ist solches (dieser Betrag) nunmehr auf fünfundzwanzig Goldgulden erhöht worden. [...]
Dieweil allbereit fünfhundert und etliche dreißig in die Stättigkeit zu Frankfurt eingeschrieben, daß fernerhin die Zahl über fünfhundert Hausgesäß nicht mehr sein, noch des Ends geduldet werden sollen.
Zum andern, daß künftig über sechs fremde Personen jährlich nicht zur Stättigkeit aufgenommen noch zugelassen werden sollen.
Ferner, daß obgemeldete sechs Personen, so jährlich zur Stättigkeit aufzunehmen, schuldig sein sollen, unter die eingeborenen Juden, da sie sich verändern wollen, zu heiraten.
Ferner, unter den eingeborenen Juden soll jährlich über zwölf Paar zu verheiraten nicht verstattet werden.
Ferner, dieweil bei den Juden viel überflüssiges Gesind bisher bemerkt worden, so soll fürderhin diese Ordnung unter ihnen gehalten werden, daß einem über eine Magd und einen Knecht, der Zahl nach zu halten, nicht erlaubt werde.
Zum Beschluß sollen die Bürger, wie auch die Handwerksgesellen bei den Eidespflichten, damit sie der Kais. Maj. sodann Herren Bürgermeistern und Rat verwandt sein, schuldig sein, die gemeine Judenschaft samt oder sonders in- oder außerhalb der Gassen unmolestieret und unbeleidiget verbleiben zu lassen.

Aus der Frankfurter Judenstättigkeit, von Kaiser Matthias am 13. Januar 1617 bestätigt.

Julius Höxter, Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur, hg. u. erg. von Michael Tilly, Wiesbaden 2009, S. 422 f.

Scheitern einer Organisation auf Reichsebene

Die fortgesetzten Vertreibungen der Juden aus den wenigen ihnen noch verbliebenen Städten und ihre Zerstreuung im Reich führten 1603 auf einer Rabbinerkonferenz in Frankfurt am Main zu dem Vorhaben, eine organisatorische Vereinigung aller Juden in Deutschland zu schaffen. Frankfurt als größter Gemeinde sollte die Leitung zustehen. Fünf jüdische Gerichtshöfe sollten unter Vorsitz der jeweiligen Rabbiner die internen Angelegenheiten regeln. Dieser erste Versuch einer Einigung der deutschen Juden auf Reichsebene wurde jedoch verraten. Der kurkölnische Hoffaktor und "Judenaufseher" Levi von Bonn lieferte seine innerjüdischen Gegner an die Obrigkeit aus, indem er die Beschlüsse der Frankfurter Rabbinerversammlung seinem Landesherrn, dem Kölner Erzbischof Ernst von Bayern, zutrug. Unter dessen Führung vereitelten die Territorialherren das Vorhaben, denn sie beanspruchten für ihre Territorien das alleinige "Judenregal" und wollten deshalb eine Einigung der Juden auf Reichsebene verhindern. Es folgte ein Prozess, in dem die Konferenzteilnehmer wegen "Verschwörung" angeklagt und später verurteilt wurden.

Zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch circa 10000 Juden in Deutschland, überwiegend im Westen und Südwesten. Nach dem Fehlschlag des Frankfurter Unternehmens bildeten sich nun unter Aufsicht der Territorialherren verstärkt die Landjudenschaften mit ihren Landesrabbinaten heraus, die das geistliche Leben aufrechterhielten.

Es gab im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation um 1600 nur eine jüdische Gemeinde, die eine Blütezeit erlebte. Prag wurde zum bedeutendsten jüdischen Zentrum Mitteleuropas. Die Prager Juden vertraten auch die deutschen Juden am Prager Kaiserhof und spielten sowohl wirtschaftlich als Bankiers des Kaiserhofs - wie der Bankier Mordechai Maisel - als auch im geistigen und geistlichen Leben - wie der Rabbiner Loew, der Schöpfer des Golem - eine wichtige Rolle. Rabbi Loew passte mit seiner toleranten Philosophie in das geistige Klima von Prag, damals eine der führenden kulturellen Städte Europas. Er wandte sich gegen den religiösen Fanatismus und verurteilte religiöse Strömungen, die mit fundamentalistischen Forderungen Feindseligkeit und Hass hervorriefen.

Rückzug nach Osteuropa

Das geistliche Zentrum des aschkenasischen Judentums lag im 16. Jahrhundert in Polen. Schon nach den Kreuzzugspogromen, verstärkt aber dann nach den Pestpogromen, waren Juden von Deutschland nach Polen ausgewandert, wo sie von der großzügigen Niederlassungspolitik der polnischen Könige profitierten. Die jüdischen Gemeinden erhielten eine - relativ - große Autonomie und wirtschaftliche Privilegien. Eine ähnlich günstige Position hatten sie in Litauen, das seit 1569 in Realunion mit Polen vereint war. Auch in Polen versuchte die Kirche die Juden aus der Gesamtgesellschaft auszugrenzen und setzte Zwangsansiedlungen in Judenvierteln sowie Vertreibungen aus den Städten durch. Häufig wurde dies auch hier mit dem Ritualmordvorwurf begründet. Dem stellten sich immer wieder die Könige entgegen und versuchten die jüdische Selbstverwaltung zu schützen. Diese war - im Gegensatz zu Deutschland - in Polen-Litauen überregional organisiert durch die Errichtung der so genannten Vierländersynode (1580-1764), ein gesetzgebendes und gesetzauslegendes jüdisches Parlament, der die etwa 730 jüdischen Gemeinden von Großpolen, Kleinpolen, Ruthenien und Litauen angehörten. Lemberg war mit circa 6400 jüdischen Einwohnern das größte Mitglied. Die Synode hielt den Kontakt zur Krone, regelte die Aufteilung der Kopfsteuer für die gesamte polnische Judenheit und wahrte deren Wirtschaftsinteressen.

In Polen-Litauen lag zweifelsohne das Zentrum rabbinischer Gelehrsamkeit des aschkenasischen Judentums sowie der Kabbala mit berühmten Jeschiwen in Lublin und Krakau. Das durch jüdische Unternehmer fast monopolartig beherrschte ländliche Pachtsystem führte jedoch im Kosakenaufstand von 1648 bis 1650 zur Katastrophe, der fast neun Zehntel der Juden in der damals zu Polen gehörenden Ukraine zum Opfer fielen. Der Kosaken-Hetman (=Feldherr) Bogdan Chmielnicki aus der Ukraine hatte sich gegen den polnischen König und den polnischen Adel erhoben und sich mit den Krimtataren verbündet. Auf seinen siegreichen Feldzügen stieß er bis Lemberg vor. Die Kosaken gingen dabei mit äußerster Brutalität gegen die Juden vor, die als Parteigänger der Polen galten. Die Zahl der umgekommenen Juden wird auf 100000 geschätzt. In Folge verarmten viele Juden bzw. wanderten wieder zurück nach Westeuropa. Die Erfahrung dieser Pogrome machte die Juden in Polen empfänglich für mystische Erneuerungsbewegungen wie den Chassidismus.

Soziale Differenzierung im 30-jährigen Krieg

Wie der Großteil der Zivilbevölkerung waren auch die Juden im Dreißigjährigen Krieg häufig Schikanen ausgesetzt. So pressten die christlichen Heerführer die jüdischen Gemeinden zu hohen Abgabesummen. Auch wurden sie zu Abgaben für Verteidigungszwecke herangezogen. Das Geschäft mit dem Krieg bot aber auch Chancen: So beteiligten sich jüdische Unternehmer an Pferdefutterlieferungen, am Pferdehandel und an Geldwechselgeschäften. Insgesamt wurde die Mehrzahl der jüdischen Einwohner Deutschlands durch den Krieg ärmer, einer kleinen Gruppe aber gelang der ökonomische Aufstieg, so dass sich mit dem Dreißigjährigen Krieg die soziale Differenzierung unter den Juden in Deutschland fortsetzte.

Vieles, was nach 1650 die organisatorischen und geistlichen Strukturen der Juden in Deutschland ausmachen sollte, war in Ansätzen schon vor 1650 vorhanden, kam nun aber erst zum Durchbruch.

Fussnoten

lehrte am Historischen Seminar der Universität Hamburg Neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit. Zahlreiche Forschungsprojekte und Veröffentlichungen, u. a. zur deutsch-jüdischen Geschichte, zur Reformationsgeschichte und zur Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit sowie zur Geschichte Schlesiens. Professor Herzig ist u. a. im Kuratorium der Freunde und Förderer des Leo Baeck Instituts und Mitglied der Historischen Komission für Schlesien. Kontakt: arno.herzig@uni-hamburg.de