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Wichtige Stationen bundesdeutscher Familienpolitik

Irene Gerlach

/ 7 Minuten zu lesen

Einschulung: Kind mit Schultüte (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Ein Schlüsseldatum der Familienpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist das Jahr 1953, in dem der Beschluss gefasst wurde, ein Bundesfamilienministerium einzurichten. Leitziel war zunächst der vor allem weltanschaulich verankerte Institutionenschutz. Die Familienpolitik wollte vor allem sicherstellen, dass die in Arbeitsteilung und Rollenwahrnehmung traditionell bestimmte Familie (das heißt, der Vater ging arbeiten und die Mutter versorgte zuhause die Kinder), ihre familialen Leistungen erbringen konnte. Eltern mit mehreren Kindern sollten nicht Gefahr laufen zu verarmen. Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit wurde als Gefährdung der Funktionserfüllung von Familie gesehen.

In den 1960er Jahren begann die Familienpolitik allmählich, sich einer Öffnung dieses traditionellen Familienbildes zu stellen: Einerseits wurde Frauenerwerbstätigkeit nicht mehr in dem Maße kritisiert wie dies zuvor der Fall gewesen war, andererseits aber erfassten Einflüsse aus der Gesellschaft, insbesondere aus der 68er-Bewegung, die politisch wirksamen Leitbilder und bereiteten eine flexiblere Sicht von Familienrealitäten vor.

Familiepolitische Maßnahmen 1949-1969

Mit der Regierungsübernahme durch die sozial-liberale Koalition im Jahr 1969 vollzog sich die endgültige Abkehr von einer Politik, die zuvorderst die Familie in ihrer klassischen Zusammensetzung stärkte. Als wichtige Schritte der Familienpolitik erfolgten nun die rechtlich-praktische Öffnung des Familienbegriffes, etwa durch das Nichtehelichen-Gesetz, das Adoptionsgesetz, die Ehe- und Scheidungsrechtsreform, sowie die Durchsetzung von Interessen der einzelnen Familienmitglieder, insbesondere von Frauen und Kindern. Die erste Maßnahme zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie war die Einführung des Mutterschaftsurlaubes im Jahr 1979, der aber nur für berufstätige Frauen möglich war. Ein weiterer Schwerpunkt der Familienpolitik lag in der gleichmäßigen Verteilung von Mitteln des Familienlastenausgleiches nach der Zahl der Kinder und unabhängig vom Einkommen der Eltern. Darum wurden mit der "Kindergeldreform" des Jahres 1975 ein erhöhtes Kindergeld schon für erste Kinder eingeführt und die steuerlichen Kinderfreibeträge abgeschafft.

Familienpolitische Maßnahmen 1969-1982

Die christlich-liberale Regierung kehrte ab 1982 zum Modell des dualen Familienlastenausgleichs zurück, indem sie die steuerlichen Freibeträge für Kinder wieder einführte und sukzessive anhob; damit reagierte sie auf Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. Das Kindergeld wurde vom zweiten Kind an einkommensabhängig gezahlt und für Eltern, die wegen zu geringen Einkommens die Steuerfreibeträge nicht nutzen konnten, wurde ein Kindergeldzuschlag geschaffen. Der ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht erzwungene, 1996 vollzogene Wechsel zum "Optionsmodell" des Familienlasten- bzw. Leistungsausgleichs, wie es unzutreffend in der Bezeichnung des Gesetzes hieß, galt dem Ziel, das kindliche Existenzminimum steuerlich freizustellen. Es wurde instrumentell über die Auszahlung von Kindergeld oder, wenn es für die Eltern vor dem Hintergrund ihres Einkommens vorteilhafter war, durch Steuerfreibeträge umgesetzt. Die realen Werte für das kindliche Existenzminimum lagen jedoch schon im Jahrdes Inkrafttretens über den entsprechenden Leistungen bzw. Erstattungen.

Der Wechsel vom Mutterschaftsgeld zum Erziehungsgeld 1986, das nunmehr von allen Eltern - nicht nur von erwerbstätigen Müttern - bezogen werden konnte, symbolisierte eine Hinwendung der Familienpolitik zu Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ebenso wie zu einer leistungsgerechten Bewertung von Familienarbeit generell. Das heißt sowohl Erwerbstätigkeit als auch Familienarbeit wurden in ihrer gesellschaftlichen und persönlichen Bedeutung anerkannt und honoriert. Die Einkommensgrenzen für die Zahlung des ungekürzten Erziehungsgeldes blieben jedoch bis 2001 unverändert. Auch die Anpassung im Rahmen der Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes 2001 war so gering, dass die Mehrzahl der Familien das Erziehungsgeld nach dem siebten Lebensmonat des Kindes nicht mehr in voller Höhe erhielt.

Familienpolitische Maßnahmen 1982-1998 I

Die gesellschaftliche (und finanzielle) Wertschätzung von Familienleistungen zeigt auch die Anerkennung von Pflegeleistungen durch die Familie ab 1989. Gleiches gilt für die Anrechung der Kindererziehungsjahre in der Rentenversicherung ab 1986. Die Einführung und sukzessive Erhöhung von Haushaltsfreibeträgen und Kinderbetreuungskosten für Alleinerziehende, die mit den 1980er Jahren begann, ist ein Beleg für die Anerkennung der Vielfalt von Lebensformen und eine damit verbundene Ausweitung des politisch-rechtlichen Bildes der "Normfamilie". Eine wichtige Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches in der christlich-liberalen Regierungszeit war die Kindschaftsrechtsreform 1998, die nichteheliche mit ehelichen Kindern endgültig gleich stellte und im Hinblick auf Umgangsrechte eine Anpassung des Familienrechts an gelebte Formen von Familie vollzog.

Familienpolitische Maßnahmen 1982-1998 II

In der Zeit der rot-grünen Koalition erforderten zuvor ergangene Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zunächst wesentliche Änderungen im Familienlastenausgleich. Von 2000 bis 2002 erfolgten Anpassungen von Kinderfreibeträgen und Kindergeld, um eine größere horizontale Steuergerechtigkeit zu verwirklichen. Sie sind durch die Abzugsfähigkeit von unvermeidbaren Kosten der Erziehung und Betreuung für Eltern vor allem als Schritte auf dem Weg der Anerkennung von Familienleistungen zu sehen. Dies gilt - wenn auch nur in sehr bescheidenem Ausmaß - auch für gewisse Familienkomponenten der Rentenreform 2001.

Familienpolitische Maßnahmen 1982-1998 III

Bedeutsam für die Entwicklung der deutschen Familienpolitik in den 1990er Jahren und in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts war nicht nur die relative Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Familien durch erhöhtes Kindergeld und höhere Freibeträge. Wichtig war vor allem die Tatsache, dass Mindesthöhe und Struktur der Leistungen weitgehend vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben wurden und daher ihre traditionelle Rolle als finanzpolitische Manövriermasse verloren. Als Steuerungsinstrument mit neuer Zielsetzung ist insbesondere der 2005 eingeführte Kinderzuschlag zu nennen. Er kann in der Höhe bis zu 140 Euro pro Kind von Eltern bezogen werden, die ihren Lebensunterhalt zwar allein erwirtschaften, aber durch Elternschaft in die Abhängigkeit von Sozialtransfers gerieten. Dieses Instrument orientierte sich erstmalig an den "Welfare-to-Work"-Konzeptionen der liberalen Sozialstaaten wie zum Beispiel Großbritannien. Durch Anreize soll die Aufnahme von Erwerbstätigkeitunterstützt werden.

Familienpolitische Maßnahmen 1998 - 2005 I

In rechtlicher Hinsicht bildete das 2001 von der rot-grünen Regierungskoalition beschlossene Lebenspartnerschaftsgesetz mit seinem "kleinen Sorgerecht" und der nachfolgend geschaffenen Möglichkeit der Stiefkindadoption einen weiteren wesentlichen Schritt der Rechtsanpassung an gelebte Formen von Familie. Erwähnenswert sind auch die Reformen des BGB mit dem Ziel Familienangehörige vor Gewalt zu schützen. Die beschriebenen Maßnahmen setzten eine Entwicklung fort, die den Familienbegriff unter zunehmender Akzeptanz empirischer bzw. gelebter Familienwirklichkeiten offener gestaltete und das Leitbild von Familienpolitik stärker der sozialen Realität anpasste.

Familienpolitische Maßnahmen 1998 - 2005 II

Der Wechsel von der ersten Großen Koalition von 1966 zur sozial-liberalen Regierung ab 1969 war von den Verantwortlichen der Familienpolitik als ein Aufbruch in Reformen und ein Einschnitt für konzeptionelle Neuanfänge begriffen worden. Das zeigten nicht nur die großen Familienrechtsreformen der 1970er Jahre, sondern auch die "Kindergeldreform" des Jahres 1975, die die steuerlichen Freibeträge für Familien abschaffte. Dieser Wechsel - ebenso wie der erneute zur christlich-liberalen Regierung 1982 - führte aber auch zu einer konzeptionellen Unbeständigkeit der Familienpolitik, die für die Familien Unzuverlässigkeit mit sich brachte.

Familienpolitische Maßnahmen 2005-2008

Die Familienpolitik der zweiten Großen Koalition ab 2005 zeigte dagegen zunächst im Koalitionsvertrag und ebenso in den ersten Monaten der Koalitionspolitik eine erstaunliche Übereinstimmung der Regierungsparteien und ließ somit Kontinuität für die Politik erhoffen. Dies galt zum Beispiel für die Einführung eines Elterngeldes als Lohnersatzleistung, die 2007 realisiert wurde, es gilt aber auch für die Offensive im Hinblick auf das Kinderbetreuungsangebot. Mit fortschreitender Dauer der Koalition ging diese Einvernehmlichkeit aber zunehmend verloren, da die Koalitionsparteien mit Blick auf ihre Klientel ihr parteipolitisches Profil schärfen wollten.

Die erste familienpolitische Maßnahme 2006 erhöhte wesentlich die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Ebenfalls im Verlauf des Jahres 2006 wurde - da Defizite in der elterlichen Sozialisationsaufgabe nicht nur in Einzelfällen auftraten - den vorhandenen familienpolitischen Bündnissen aus der rot-grünen Koalition ein "Bündnis für Erziehung" hinzugefügt.

Das Elterngeld, das im Anschluss an Geburten seit Januar 2007 beantragt werden kann, stellt ein familienpolitisches Schlüsselinstrument mit neuem Charakter dar: Es ist nach dem Opportunitätskostenprinzip konstruiert, das heißt, es versteht sich als Maßnahme, die den Eltern einen Teil der Verzichtskosten ersetzt, die sie für Geburt und Erziehung von Kindern aufbringen. Damit spricht es insbesondere Menschen mit mittleren Erwerbseinkommen an - im Gegensatz zum bis dahin gültigen Erziehungsgeld, das nur von Eltern mit sehr geringem Einkommen über die gesamte Leistungsdauer bezogen werden konnte. Das neue Elterngeld, das Eltern insgesamt - wenn Vater und Mutter es nutzen - nur 14 Monate erhalten, wird ergänzt durch einen Ausbau des Betreuungsangebotes für Kinder unter drei Jahren (35 Prozent = 750 000 Plätze), der laut einem Bund-Länder-Beschluss aus dem Spätsommer 2007 und der rechtlichen Fixierung im Kinderförderungsgesetz 2008 mit einem Rechtsanspruch ab 2013 verbunden sein wird. Insbesondere die Diskussion um den Ausbau der U3-Betreuung und die Sicherung der Qualität der Betreuung haben auf Steuerungsdefizite hingewiesen, die ihre Ursache in der Kompetenztrennung zwischen Bund und Ländern sowie Gemeinden im deutschen Föderalismus haben. Für die Betreuung sind die Kommunen zuständig, sie erhalten dafür nach Landesgesetzen festgelegte Zuschüsse der Länder. Der Bund kann sich nur auf Umwegen an der Weiterentwicklung des Betreuungsangebotes beteiligen. Er wird dies für die Investitionskosten des 2007 beschlossenen Vorgehens über Art. 104b Abs. 2 GG tun und für die Betriebskosten durch die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder. Damit hat er keine Möglichkeit, die Mittelverwendung auch tatsächlich verbindlich zu garantieren. Dies gilt auch für die Förderung im frühkindlichen Bereich, die notwendig ist, um die Chancengleichheit der Kinder im Bildungssystem zu sichern: Die Formulierung von Bildungsplänen für Kindertageseinrichtungen ist dem Bund aufgrund fehlender Kompetenz nicht möglich.

QuellentextPause vom Job

Langsamer sind die Tage geworden, sagt er. Nicht weniger anstrengend - im Gegenteil - nur langsamer und länger, denn der Tagesrhythmus hat sich verändert: "Plötzlich trägst Du alleine die Verantwortung, musst in Gedanken immer bei ihr sein, alles richtet sich nach ihr aus", sagt er. "Da bleibt wenig Platz für anderes". Seit gut fünf Wochen macht Stefan [...] Pause vom Job und bleibt bei seiner Tochter Mirja. [...] Drei Monate Elternzeit hat er genommen, während seiner Abwesenheit im IT-Unternehmen vertreten ihn die Kollegen. Das Minimum - zwei Monate - waren ihm zu wenig. Auch jetzt hat er das Gefühl, dass die Zeit sehr schnell vorbei geht, dass er sich gerade erst richtig eingewöhnt hat. Deshalb könnte er sich auch vorstellen, vier bis sechs Monate zu pausieren, allerdings sei es nicht immer so einfach, das beruflich einzurichten. Sein Chef hat ihn sehr unterstützt, sonst hätte das mit der Elternzeit nicht so reibungslos geklappt. Wie seine Babypause bei Bekannten und Kollegen ankomme? Durchweg positiv. Einige männliche Kollegen hätten aber gelegentlich mal gefrotzelt: "Du gehst ja in Urlaub."
Familienministerin Ursula von der Leyen sieht in den Vätern in Elternzeit einen Trend, sie spricht von einer "leisen Revolution". Karin Flaake, Professorin für Soziologie an der Universität Oldenburg sieht das anders. Ihre noch nicht veröffentlichte Studie "Geteilte Elternschaft" zeigt, dass Männer wie Frauen große äußere und innere Hürden überwinden müssen, wenn es um geteilte Elternschaft geht. Für Väter gehe mit der Babypause noch immer ein Stück Männlichkeit verloren. Für Frauen wäre es nach wie vor ein großes Problem, die Verantwortung für das Kind abzugeben. [...] Das Positive: Für die nächste Generation sei ein Vater als emotionaler Ansprechpartner selbstverständlich geworden. [...]

Maike Freund, "Vater werden ist nicht schwer...", in: General-Anzeiger Bonn vom 2. Juli 2008

Im Focus der Politik des Jahres 2008 stand neben der rechtlichen Festlegung der U3-Betreuung für 35 Prozent ab 2013 und der Aufteilung der Finanzierungskosten zwischen Bund und Ländern (Kinderförderungsgesetz) die Verbesserung einer Reihe von familienpolitischen Leistungen. So wurden die Einkommensgrenzen für den Kinderzuschlag geändert und seine Zahlung von der bisher bestehenden maximalen Dauer von drei Jahren entfristet. Zum Ende des Jahres wurde das Kindergeld mit Wirkung ab 1. Januar 2009 erhöht, für erste und zweite Kinder auf 164 Euro, für dritte auf 170 Euro und weitere auf 195 Euro. Ebenso erfolgte eine Anpassung des Kinderfreibetrages auf nunmehr 6000 Euro. Eine neue Leistung wurde für Kinder geschaffen, die von Sozialgeld bzw. "Hartz IV" leben. Sie bekommen ab 2009 nun jährlich einmal 100 Euro zu Beginn eines jeden Schuljahres für Schulbedarf. Eine weitere Änderung des Jahres 2008 bezog sich auf das Unterhaltsrecht. Hier werden zukünftig grundsätzlich Kinder im ersten und Mütter bei Scheidung im zweiten Rang behandelt. Dies hat zur Folge, dass es zukünftig nicht mehr möglich sein wird, die Unterhaltszahlungen des geschiedenen Ehepartners längerfristig für den eigenen Lebensunterhalt einzuplanen, und dass es auch bei Kindererziehung sinnvoll sein wird, berufstätig zu bleiben.

ist Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule Bochum und Co-Leiterin des Forschungszentrums für Familienbewusste Personalpolitik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ihre Ar-beits- und Forschungsschwerpunkte sind: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, deutsche und international vergleichende Familienpolitik, Jugendpolitik, Wertewandel, Methoden der empirischen Sozialforschung, Neuere Staats- und Demokratietheorie.

Kontakt: gerlach@uni-muenster.de