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Theoretische Grundlagen des internationalen Handels

Klaus-Peter Kruber Anna Lena Mees Christian Meyer Christian Meyer Anna Lena Mees Klaus-Peter Kruber

/ 14 Minuten zu lesen

Ökonomische Standorttheorien sehen die Infrastruktur eines Ortes unter anderem als wichtigen wirtschaftlichen Faktor. (© AP)

Klassische Außenhandelstheorien

Seit Beginn der Nationalökonomie Ende des 18. Jahrhunderts wird über Ursachen und Bestimmungsgründe der internationalen Arbeitsteilung geforscht. Theoretische Erkenntnisse bilden die Grundlage wirtschaftspolitischer Entscheidungen und sind notwendig, um die bis heute anhaltende Kontroverse um Freihandel versus Protektionismus beurteilen zu können.

Der Vorteil des internationalen Austauschs liegt auf der Hand, wenn es sich um Güter handelt, die jeweils nur in einem Land vorkommen. Man spricht hier von Nicht-Verfügbarkeiten. Die Ursache ist eine unzureichende Menge oder Qualität der benötigten Produktionsfaktoren im betreffenden Land. Aufgrund unterschiedlicher Beschaffenheit des Faktors Boden, zu dem auch Klima und Rohstoffausstattung zählen, können einige Staaten manche Güter nicht selbst herstellen oder anbieten, Beispiele sind Erdöl oder tropische Früchte. Solche natürlichen Produktionsvoraussetzungen sind, wenn überhaupt, nur mit großem Kostenaufwand zu verändern. So müssten beispielsweise erst Gewächshäuser gebaut werden, um Bananen in Deutschland anbauen zu können.

Aber auch wenn zwei Länder die gleichen Güter produzieren können, beispielsweise Kohle und Weizen, liegen oft erhebliche absolute Kostenunterschiede bei der Herstellung vor (bedingt zum Beispiel durch unterschiedliche Abbautiefen oder Klimazonen). Dann ist es für jedes der Länder von Vorteil, sich auf das Gut zu spezialisieren, bei dem es absolute Kostenvorteile aufweist, und einen Teil seiner Produktion zu exportieren sowie das im Inland nur sehr viel teurer herstellbare andere Gut zu importieren. Beide Staaten transferieren dadurch Produktionsfaktoren aus den jeweiligen kostenmäßig unterlegenen Bereichen in diejenigen, in denen sie Kostenvorteile haben. Auf diese Weise kann die Gesamtproduktion beider Länder gesteigert werden, was einen Wohlfahrtsgewinn darstellt.

Bereits der Gründervater der Nationalökonomie, der schottische Philosoph Adam Smith (1723-1790), hat diese Vorteile der Spezialisierung durch internationale Arbeitsteilung 1776 in einem anschaulichen Beispiel begründet: "Ein Familienvater der weitsichtig handelt, folgt dem Grundsatz, niemals etwas herzustellen zu versuchen, was er sonst wo billiger kaufen kann. So sucht der Schneider nicht seine Schuhe selbst zu machen, er kauft sie vielmehr vom Schuhmacher. Dieser wiederum wird nicht eigenhändig seine Kleider nähen, sondern lässt sie vom Schneider anfertigen. Auch der Bauer versucht sich weder an dem einen noch an dem anderen, er kauft beides jeweils vom Handwerker. Alle finden, dass es im eigenen Interesse liegt, ihren Erwerb uneingeschränkt auf das Gebiet zu verlegen, auf dem sie ihren Nachbarn überlegen sind und den übrigen Bedarf mit einem Teil ihres Erzeugnisses oder, was dasselbe ist, mit dem Erlös daraus, zu kaufen. Was aber vernünftig im Verhalten einer einzelnen Familie ist, kann für ein mächtiges Königreich kaum töricht sein. Kann uns also ein anderes Land eine Ware liefern, die wir selbst nicht billiger herzustellen imstande sind, dann ist es für uns einfach vorteilhafter, sie mit einem Teil unserer Erzeugnisse zu kaufen, die wir wiederum günstiger als das Ausland herstellen können." (Der Wohlstand der Nationen, zit. nach der von H.C. Recktenwald herausgegebenen Ausgabe, 6. Aufl. München 1993, S. 371 f.).

Wie aber, wenn in einer Ausgangssituation ohne Handel zwischen zwei Ländern A und B das Land B alle Güter kostengünstiger herstellen kann als A? Dann gibt es doch - jedenfalls für B - keinen Anreiz, mit A zu handeln? Dennoch beobachten wir, dass Staaten wie Deutschland und Polen intensiven Handel betreiben, obwohl die meisten Güter in Polen billiger hergestellt werden könnten. Eine Antwort auf diese Frage fand der englische Nationalökonom David Ricardo (1772-1823) mit dem Theorem der komparativen Kostenvorteile. Angenommen, Polen kann sowohl Stahl als auch Kraftfahrzeuge günstiger herstellen als Deutschland. Polens Kostenvorteil bei der Stahlproduktion ist allerdings deutlich größer als im Falle von Autos. Dann lohnt es sich für beide Länder, wenn sich Polen auf Stahl und Deutschland auf Autos spezialisiert und beide Staaten das jeweils andere Gut im Nachbarland einkaufen. Die Vorteilhaftigkeit der internationalen Arbeitsteilung beruht in diesem Fall auf komparativen Kostenunterschieden aufgrund von unterschiedlichen Produktivitätsrelationen zwischen den beiden Ländern bei der Herstellung der beiden Produkte.

QuellentextWirkung komparativer Kostenvorteile

An einem einfachen Modell (zwei Länder A und B, sie verfügen jeweils über 100 Einheiten Arbeit als einzigen Produktionsfaktor, sie erzeugen zwei Güter: Stahl und Autos, Transportkosten fallen nicht an) soll das Prinzip der komparativen Kosten verdeutlicht werden. Mit 100 Arbeitseinheiten können im Land A pro Tag vier Einheiten Stahl oder sechs Autos - oder eine entsprechende Kombination von beiden - produziert werden. In Land B können mit 100 Arbeitseinheiten pro Tag zwölf Einheiten Stahl oder acht Autos - oder eine entsprechende Kombination von beiden hergestellt werden.

Die Geraden in der Abbildung begrenzen die Produktionsmöglichkeiten der jeweiligen Länder, sie werden auch Transformationskurven genannt.
Land B ist A bei beiden Produkten überlegen, allerdings in unterschiedlichen Relationen: Die Produktivität (Produktionsmenge pro Arbeitseinheit) von B übersteigt die von A bei Autos um 33 Prozent, bei Stahl um 200 Prozent. Man kann den Sachverhalt auch anders ausdrücken, wenn man die Transformationskurven betrachtet: Ausgehend von einer beliebigen Kombination von Stahl und Autos muss Land A auf 0,67 Einheiten Stahl verzichten, wenn es ein Auto mehr produzieren will. Das heißt, im Land A betragen die Opportunitätskosten von einem Auto = 0,67 Einheiten Stahl. In Land B erfordert die Produktion eines zusätzlichen Autos den Verzicht auf 1,5 Einheiten Stahl, die Opportunitätskosten eines Autos betragen hier also 1,5 Einheiten Stahl. In Opportunitätskosten gerechnet sind Autos in A und Stahl in B billiger. Für einen Händler aus Land A lohnt es sich, Autos von A nach B zu schaffen und dort gegen Stahl zu verkaufen: Zuhause in A erhält er für ein Auto 0,67 Einheiten Stahl, im Nachbarland B erhält er 1,5. Land A wird sich auf die Autoherstellung spezialisieren und Stahl in B einkaufen, für Land B gilt umgekehrt, dass es sich auf Stahl spezialisiert und Autos in A kauft.
Die Spezialisierung durch internationalen Handel führt für beide Länder zu einem Wohlstandsgewinn. Angenommen, vor Aufnahme des Handels hat Land A zwei Einheiten Stahl und drei Autos hergestellt, Land B hat neun Einheiten Stahl und zwei Autos produziert (siehe Abbildung unten, gepunktete Linie). Nun setzt A alle Arbeitseinheiten in der Autoproduktion ein. Es produziert sechs Autos, exportiert davon drei und kauft vom Erlös drei Einheiten Stahl im Lande B. Land B hat sich auf Stahl spezialisiert, von den zwölf Einheiten hat es drei exportiert und dafür drei Autos erhalten. Wie man sieht, stehen sich beide Länder nach dem Tausch besser als zuvor: (gestrichelte Linie) A verfügt über gleich viel Autos, aber mehr Stahl, für B gilt das Umgekehrte. In der Abbildung zeigt sich das daran, dass beide Länder einen Punkt rechts von ihrer Transformationskurve erreichen. Im Beispiel wird ein Austauschverhältnis (Wechselkurs) von 1:1 unterstellt, dann profitieren beide Länder in gleichem Maße. Tatsächlich kann sich das Austauschverhältnis zwischen 0,67 und 1,5 einspielen - je nachdem profitiert das eine oder andere Land mehr vom internationalen Handel.

Neuere Außenhandelstheorien

Die klassischen Modelle von Smith und Ricardo sind sehr vereinfacht. Erweiterungen der Grundmodelle berücksichtigen mehr als zwei Länder, mehr als zwei Güter, neben Arbeit auch die Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Know-how, sie beachten Transportkosten und Wechselkurse. Eine erste Erweiterung des Ricardo-Modells bildet die Faktorproportionentheorie der beiden Schweden Eli Heckscher (1879-1952) und Bertil Ohlin (1899-1979). Diese erklärt internationalen Handel nicht durch Produktivitätsunterschiede, sondern durch unterschiedliche Faktorpreisrelationen. Die Produktionskosten eines Landes werden bestimmt durch die Preise der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Die Preisrelationen zwischen Arbeit, Boden und Kapital unterscheiden sich in verschiedenen Ländern. Ob der Preis für Arbeit im Verhältnis zu den Kapitalkosten teuer ist oder nicht, hängt ab von den Faktorproportionen, das heißt davon, ob ein Produktionsfaktor verglichen mit den anderen in einem Land reichlichzur Verfügung steht oder knapp ist. Ist beispielsweise in einem Land E Arbeit im Verhältnis zum Kapital reichlich vorhanden, werden die Kapitalkosten (Zinsen) vergleichsweise zu den Löhnen hoch sein. Ist dagegen in einem Land I Arbeit im Verhältnis zum Kapitalbestand relativ knapp, werden die Löhne in Relation zu den Zinsen beträchtlich sein. Land E kann deshalb arbeitsintensive Produkte wie zum Beispiel Teppiche günstiger herstellen als I und hat bei solchen Gütern einen komparativen Kostenvorteil. In I werden die Arbeitsplätze eine relativ hohe Ausstattung mit Sachkapital aufweisen, und das Land hat komparative Kostenvorteile bei kapitalintensiven Gütern wie Maschinen. Allerdings wird in der Realität eine vollständige Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter von arbeitsreichen Ländern, zu denen oft Entwicklungsländer (E) gehören, kaum angestrebt. Die Differenz im Know-how zu den kapitalreichen Ländern (Industrieländer I) würde sich vergrößern, weil die kapitalintensiven Güter ein höheres Wachstumspotenzial besitzen. Auf diese Problematik kommen wir unten zurück.

Eine Zeitraum bezogene Betrachtung (dynamisches Modell) entwickelte der Amerikaner Raymond Vernon (1913-1999) mit der Produktlebenszyklus-Theorie der internationalen Arbeitsteilung. Ausgangspunkt des Modells ist die Betrachtung des Lebenszyklus? eines neuen Produktes. Typischerweise durchläuft ein Produkt mehrere Phasen, in denen sich seine Produktionsfunktion, der Produktionsstandort und der Absatzmarkt in bestimmter Weise verändern. Die Theorie geht davon aus, dass verschiedene Länder je nach ihrer Faktorausstattung komparative Vorteile in verschiedenen Phasen des Zyklus aufweisen. Unterschieden werden dabei die Innovationsphase, die Ausreifungsphase und die Sättigungsphase eines Produkts. Die Argumentation lautet vereinfacht wie folgt: Da Innovationen kapital- und know-how-intensiv sind, erfolgen sie hauptsächlich in den hoch entwickelten Industrieländern. In der Innovationsphase ist das technologisch anspruchsvolle neue Produkt zunächst nur auf dem Inlandsmarkt präsent, es wird technisch entwickelt und neue Anwendungen werden erschlossen. In der Ausreifungsphase steigen die Produktions- und Absatzzahlen.

Mit zunehmender Standardisierung der Produktion wird es möglich, die Herstellungskosten durch Massenproduktionsvorteile zu senken. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit an dem Produkt verliert an Bedeutung. Durch günstige Preise können neue Käuferschichten erschlossen werden, und die inzwischen entstandenen Kapazitäten stehen für Exporte ins Ausland zur Verfügung. Oft ist es bereits in dieser Phase lohnend, auch Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern. Dies geschieht durch Errichtung von eigenen Unternehmen oder die Beteiligung an ausländischen Firmen (Direktinvestitionen). Auf diese Weise oder durch Lizenzvergabe gelangt die Technologie ins Ausland. Auch beginnen Firmen in Importländern, die Technologien zu kopieren und nicht selten illegal Imitate zu erstellen.

In der letzten Phase des Lebenszyklus sind die Märkte im Wesentlichen gesättigt, die Technologie ist standardisiert und stellt geringe Anforderungen an die Qualifikation von Arbeitskräften. Entwicklungsländer besitzen in dieser Phase komparative Kostenvorteile. Sie produzieren über den eigenen Markt hinaus und beginnen ihrerseits zu exportieren, darunter auch in das ursprüngliche Innovationsland. Von den verbliebenen Produzenten im Innovationsland, die der Konkurrenz aus den Niedriglohnländern nicht gewachsen sind, wird der Ruf nach Protektion laut. Häufig werden sie von den ausländischen Anbietern vom Markt verdrängt. Ein Beispiel ist die Verlagerung der Textil- und Lederindustrie in Entwicklungsländer: Waren 1970 noch 379 000 Arbeitskräfte in Deutschland in der Textilindustrie beschäftigt, betrug ihre Zahl 2007 nur noch 88 000.

Der Produktlebenszyklus erklärt, dass hoch entwickelte Industrieländer sich mit ihren Exporten auf innovative Produkte spezialisieren, die - verglichen mit späteren Phasen - qualifikationsintensiv erstellt werden. Unter den Importen dieser Staaten finden sich "ältere" Produkte, die sie einst selbst hergestellt haben, bei denen standardisierter Kapitaleinsatz gegenüber der Qualifikationsintensität zugenommen hat. Ein Beispiel ist die Werftindustrie: Während Frachtschiffe und Tanker aus Korea und China importiert werden, haben sich die deutschen Werften vom Standardschiffbau völlig verabschiedet und sich auf Kreuzfahrtschiffe und Luxusyachten sowie hoch komplexe U-Boote und Korvetten konzentriert. Dementsprechend sank auch in der Werftindustrie die Beschäftigtenzahl von 72 000 im Jahr 1975 auf 15 000 im Jahr 2007.

Selbst wenn anfänglich keine Kostenunterschiede zwischen zwei Staaten bestehen, kann die Spezialisierung durch Außenhandel für beide vorteilhaft sein. Angenommen, die Niederlande und Belgien stellen beide Stahl und Autos her. In einer Situation ohne Außenhandel produzieren die Fabriken in beiden Ländern mit sehr hohen Stückkosten, weil die nationalen Märkte zu klein sind für die Ausnutzung von Massenproduktionsvorteilen. Stahl- und Autofabriken weisen hohe Fixkosten auf, das bedeutet, dass die Kosten pro Stück bei zunehmender Herstellungsmenge abnehmen (economies of scale). Öffnen die beiden Länder ihre Grenzen und spezialisieren sich auf eines der beiden Güter, können sie beide Produkte zu günstigeren Preisen herstellen und durch ihren Austausch untereinander ihre Wohlstandssituation verbessern.

Intra-industrieller Handel

Waren wandern um die Welt

Die bisherigen Erklärungsansätze gehen von einer Spezialisierung der Länder entsprechend den komparativen Kostenunterschieden der gehandelten Güter aus. Der größte Teil des Handels der Industrieländer untereinander lässt sich damit aber heute kaum erklären. Immer bedeutender wird der Handel mit vergleichbaren Gütern derselben Art, die sowohl im- als auch exportiert werden (intra-industrieller Handel). Dieser Handel konzentriert sich vor allem auf entwickelte Länder mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur; hier macht er häufig über zwei Drittel des gesamten Außenhandels aus.

Wesentliche Ursachen sind subjektive Vorlieben (Präferenzen) der Nachfrager und Produktdifferenzierung seitens der Anbieter. Durch technische oder ästhetische Modifikationen, begleitet von Werbung und anderen Marketingmaßnahmen, versuchen Anbieter, ihr Produkt von anderen abzuheben und das Interesse der Nachfrager auf sich zu ziehen. Ziel ist es, Marktsegmente zu schaffen und mit der eigenen Marke zu besetzen. Kaufkräftige und anspruchsvolle Konsumenten schätzen ein differenziertes Angebot, das ihnen vielfältige Auswahlmöglichkeiten eröffnet: Neben deutschen Käsesorten kaufen einheimische Kunden auch französischen oder italienischen Käse, viele deutsche Autokäufer schätzen Renault oder Fiat, und zahlreiche französische Autofahrer entscheiden sich für Volkswagen oder BMW.

Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind heute geprägt durch eine enorme Zunahme der Kapitalmobilität. Nicht mehr nur Güter werden gehandelt, sondern ganze Produktionseinrichtungen werden international verlagert (Direktinvestitionen), wobei die Staaten als Standorte von Unternehmen in wechselseitige Konkurrenz treten. Für die Standortwahl von Unternehmen sind zahlreiche Faktoren von Bedeutung. Die Faktorkosten (insbesondere die Löhne) spielen dabei eine wichtige Rolle, aber sie sind keineswegs allein entscheidend. Ökonomische Standorttheorien gliedern die Standortfaktoren in vier Gruppen:

  • Faktorausstattung (Menge, Qualität und Kosten der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital in einem Land),

  • Nachfragebedingungen (Größe des Marktes, Einkommen und Präferenzen der Konsumenten),

  • Verfügbarkeit von Zulieferern und Infrastruktur (Straßen, Telekommunikation, Hochschulen),

  • von Staaten gesetzte Bedingungen (Rechtssicherheit, Steuern, Sozial- und Umweltstandards).

Die traditionelle Außenhandelstheorie konzentriert sich auf die ersten beiden Einflussgrößen, für Investitionsentscheidungen sind aber auch die übrigen Faktoren maßgebend.

Deutschland kombiniert beispielsweise hohe Löhne bei arbeitsintensiven Produkten (eher ein Standortnachteil) mit einer dank guter Kapitalausstattung und qualifizierter Ausbildung der Arbeitskräfte sehr hohen Arbeitsproduktivität. Es bietet einen weitgehend gesättigten Markt, der allerdings noch ein Konsumentenpotenzial mit im Ländervergleich relativ hohen Einkommen und ausdifferenzierten Nachfragepräferenzen aufweist. Umso wichtiger für den Erhalt der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland sind die weiterhin gute Ausbildung von Arbeitskräften, der Zugang zu Forschungseinrichtungen, die Qualität der Infrastruktur (Verkehrsnetz, Telekommunikation), verlässliche Rechtssicherheit (Korruption wirkt wie eine Steuer auf Investitionen und macht Eigentumsrechte unsicher) und ein berechenbares Steuer- und Sozialsystem.

Freihandel versus Protektionismus

Die Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist geprägt durch die Auseinandersetzung zwischen Vertretern des Freihandels und des Protektionismus. Erstere plädieren für den Abbau von Handelshemmnissen und die gegenseitige Öffnung der Märkte. Protektionisten befürworten den Schutz des heimischen Marktes durch Aufbau von Handelshemmnissen. In der Wirtschaftsgeschichte lassen sich Phasen unterscheiden, in denen mal das eine, mal das andere Prinzip stärker dominierte. Im Zeitalter des Merkantilismus (16. bis 18. Jahrhundert) war die Außenhandelspolitik der europäischen Staaten beispielsweise geprägt vom Protektionismus. Mit der Industrialisierung und der Verbesserung des Transportwesens begann ab Ende des 18. Jahrhunderts eine Phase intensiver Ausdehnung des internationalen Handels. Vorreiter des Freihandels war zunächst England, die stärkste Wirtschaftsnation des 19. Jahrhunderts. Bereits 1817 schrieb David Ricardo: "Unter dem System von vollständig freiem Handel widmet natürlicherweise jedes Land sein Kapital und seine Arbeit solchen Verwendungen, die jedem am segensreichsten sind. Dieses Verfolgen des individuellen Nutzens ist wunderbar mit der allgemeinen Wohlfahrt der Gesamtheit verbunden." (zitiert nach W. Herz (Hg.): Die Hauptwerke der wichtigsten Ökonomen, Stuttgart 2000, S. 15.) Zwischen 1850 und 1880 setzte sich der Freihandel in Europa und Nordamerika weitgehend durch, der Welthandel erlebte bis zum Ersten Weltkrieg eine Blütezeit.

Von 1914 bis 1945 dominierte wiederum der Protektionismus. Die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise führten zu einem starken Rückgang des Handels, die Staaten schotteten sich gegeneinander ab, der Welthandel schrumpfte auf einen Bruchteil des Standes vor 1914. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Initiative zur Wiederbelebung der Weltwirtschaft von den USA aus. Instrument der Handelsliberalisierung war das GATT bzw. ab 1995 die Welthandelsorganisation. Auch die Bildung regionaler Freihandelszonen hat zum Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen beigetragen. Bekanntestes Beispiel ist die wirtschaftliche Integration im Gemeinsamen Markt der Europäischen Union.

QuellentextEin Prinzip auf Talfahrt?

[...] Bisher gehörte die Freihandelsdoktrin zum Nachkriegsamerika wie der Ketchup zum Burger. Die Globalisierung heutigen Typs wäre nicht denkbar ohne das beharrliche, oft auch brutale Drängen der Amerikaner auf Reisefreiheit für Waren und Dienstleistungen aller Art. Runter mit den Zollsätzen! Weg mit nationalen Regularien! Das war das Credo einer ganzen Epoche. [...]
Wenn ein amerikanischer Politiker heute Freihandel sagt, beginntbeim durchschnittlichen Amerikaner der Puls zu rasen. Für die Mehrheit ist Freihandel ein Synonym für Arbeitsplatzverlust und Unmenschlichkeit geworden. Kaum eine anderes Wort hat eine derartige Talfahrt im öffentlichen Ansehen hinter sich. [...]
Eine Mehrheit [...] verlangt den Schutz der heimischen Unternehmen und lehnt weitere Liberalisierung ab. Mehr als jeder zweite Amerikaner [...] stimmt dem Satz zu: "Ich bin dafür, die Handelsschranken unten zu lassen, um unsere Wirtschaft zu beschützen."
Den Experten fallen zunehmend weniger Argumente ein, diese Stimmung zu entschärfen. Denn in der Tat kann Amerika von der weltweiten Arbeitsteilung nicht mehr so selbstverständlich profitieren wie früher. Vorbei ist die Zeit, da US-Konzerne die Weltwirtschaft dominierten - von "Coca-Cola-Imperialismus" war damals die Rede. Jahrzehntelang diktierte Amerika dem Rest der Welt die Handelsbedingungen, der Dollar dominierte, die US-Firmen konnten ihre technischen Standards durchsetzen, die Arbeiter ausländischer Werke waren Zulieferer, noch keine Wettbewerber.
Heute (2008 - Anm. der Red.) ist Amerika der größte Schuldner der Welt und der weltgrößte Importeur. Die Zulieferer von einst treten nun vielfach als selbstständige Konkurrenten auf. Die großen US-Konzerne melden zwar Rekordgewinne, und auch die Bonuszahlungen an der Wall Street fallen weiter üppig aus, die heimischen Arbeiter und Angestellten aber darben.
In den Hochburgen des US-Mittelstands kehrt vielfach die Vergangenheit zurück. Die Löhne schrumpfen, die Beträge für Gesundheits- und Altersvorsorge verschwinden vom Lohnzettel. [...] Insgesamt besitzen [...] 47 Millionen von 300 Millionen Amerikanern keine Krankenversicherung.
Wenn es in Deutschland eine Gerechtigkeitslücke gibt, klafft in der Mitte Amerikas ein Gerechtigkeitsloch. Mehr als die Hälfte aller Löhne und Gehälter werden von einem Fünftel der Menschen verdient. Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 70 Prozent aller Vermögenswerte. [...]
Immer neue Experten tauchen auf, die Belege dafür liefern, dass die Globalisierung nicht zum Wohle des Landes sei. Der prominenteste Neuzugang ist ohne Zweifel Alan Blinder, der in Princeton lehrt und Mitte der neunziger Jahre als Vize der amerikanischen Notenbank neben Alan Greenspan saß. Als Vertreter der Freihandelsschule genoss er bisher einen untadeligen Ruf.
Die neuen Produktionsanlagen im chinesischen Jangtse-Delta und im mexikanischen Grenzland seien der Beginn, nicht das Ende einer Entwicklung, sagt er nun mit drohendem Unterton. Mit geradezu atemberaubendem Tempo würden sich ehemalige Dritte-Welt-Länder in die Hochtechnologiebranchen Software, Pharmazie und Biotechnologie hocharbeiten. Entgegen der bisherigen Freihandelstheorie werde das heutige Amerika von dieser Entwicklung nicht profitieren, sondern im Gegenteil schweren Schaden nehmen. Blinder rechnet vor, dass in den nächsten zehn bis 20 Jahren bis zu 40 Millionen US-Jobs verlorengehen werden, darunter viele gutbezahlte Arbeitsplätze für Angestellte.
Blinder [...] und andere empfehlen [...] keineswegs, die Zollmauern hochzuziehen und den freien Welthandel zu beenden.
Wohl aber plädieren sie für eine Handelspolitik, die Chinesen, Indern und Mexikanern im Gegenzug zur Marktöffnung in Amerika etwas abverlangt - hohe Umweltstandards zum Beispiel, den Aufbau eines eigenen Sozialstaats oder aber die Freigabe ihrer Währungen. In bilateralen Handelsverträgen, also nicht mehr in dem einen weltumspannenden Werk, soll dann versucht werden, den Handel frei und fair zu gestalten. [...]

Gabor Steingart, "Im Schatten der Globalisierung", in: Der SPIEGEL Nr. 2 vom 7. Januar 2008

Allerdings erfasste auch in Zeiten verstärkter Liberalisierung die Tendenz zum Freihandel nicht alle Wirtschaftszweige gleichermaßen. Weltweit unbeschränkten Freihandel hat es nie gegeben. So haben die Industriestaaten bis heute ihren Agrarsektor stark untereinander und gegenüber den Entwicklungsländern abgeschottet, und auch in vielen anderen Wirtschaftszweigen werden Handelshemmnisse zäh verteidigt und neue eingeführt. Nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern gerade auch in den Industrieländern, die gemeinhin zu den "Gewinnern" der Globalisierung gerechnet werden, lassen sich verstärkt Rufe nach Abschottung gegen "unfaire" Konkurrenz vernehmen.

Argumente für regulierende Eingriffe in den Freihandel und für die Protektion von Wirtschaftszweigen gegenüber ausländischer Konkurrenz können sowohl aus wirtschaftstheoretischen wie aus politischen Überlegungen begründet werden.

QuellentextVorteilsabwägung

Argumente für Freihandel
Freihandel fördert Wettbewerb und Innovationsdynamik und bindet nicht Kapital und Arbeitskräfte in "alten" Produktionszweigen.
Freihandel sichert langfristig Arbeitsplätze.
Die Öffnung der Märkte von Industrieländern für Einfuhren aus Entwicklungsländern ermöglicht diesen Wachstum aus eigener Kraft.
"Erziehungszölle" sind mit Freihandel vereinbar, wenn sie nicht zu dauerhaften Schutzzöllen werden.
Freihandel verbilligt Verbraucherpreise und Vorprodukte.
Die Errichtung von Einfuhrhemmnissen provoziert Vergeltung ("Handelskrieg").

Argumente für Protektionismus
Protektion kann einseitige Spezialisierung verhindern.
Protektionismus bietet Schutz vor gesundheits- oder umweltgefährdenden Einfuhren und unfairen Handelspraktiken.
Protektion kann Strukturanpassungsprozesse verlangsamen und sozial abfedern.
"infant industries" benötigen zeitweiligen Schutz bis zu ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
Politisch und militärisch wichtige Industrien bleiben erhalten (Argument der Versorgungssicherheit).
Zölle und Steuern auf Importe sind Einnahmequellen für den Staatshaushalt.

Problematik einseitiger Produktionsstrukturen

Das Theorem komparativer Kosten erklärt, wie sich die Spezialisierungsgewinne internationaler Arbeitsteilung auf die beteiligten Länder verteilen. Durch diese Zeitpunkt bezogene Betrachtung werden die Wachstumspotenziale der Wirtschaftssektoren und die sich daraus ergebenden Wohlstandseffekte vernachlässigt. Das Problem wird schon an dem ursprünglichen Beispiel von David Ricardo in seinem Buch von 1817 deutlich. Er betrachtete England und Portugal und die beiden Güter Textilien und Wein. Portugal - obwohl bei beiden Produkten absolut überlegen - spezialisiert sich, weil die relativen Kostenvorteile hier größer sind, auf den Weinanbau, England auf Textilien. In Ricardos Sicht gewinnen beide Länder durch den Handel. Betrachtet man allerdings die Wirtschaftsgeschichte, wissen wir, dass England mit der Spezialisierung auf Textilien und andere Industrieprodukte die besseren Wachstumschancen hatte als Portugal, das bis ins 20. Jahrhundert ein Agrarstaat blieb. Die Entwicklungschancen eines Landes sind auch gefährdet, wenn Spezialisierung zu einseitigen Produktionsstrukturen und damit zu einer starken Abhängigkeit von der Preisentwicklung eines bestimmten Gutes auf den Auslandsmärkten führt. Beispiele sind afrikanische oder lateinamerikanische Länder, deren Ausfuhr nur aus wenigen Produkten besteht, deren Weltmarktpreise von Ernteschwankungen oder der Konjunktur in den Industrieländern abhängig sind wie Kaffee, Baumwolle, Kupfer und Zinn.

Bereits der deutsche Ökonom Friedrich List (1789-1846) hat mit dem Argument, unterentwickelte Länder müssten eine Chance haben, ihr Wachstumspotenzial zu entwickeln, bevor sie sich auf den freien Wettbewerb mit hoch entwickelten Industrienationen einlassen könnten, zeitweilige Schutzzölle für die damals noch in den Kinderschuhen steckende deutsche Industrie gegen die überlegene Konkurrenz Englands gefordert (infant industry argument). Theoretisch spricht viel für das Argument, allerdings ist es schwierig für Wirtschaftspolitiker, das zukünftige Entwicklungspotenzial einer infant industry im Vergleich zur internationalen Konkurrenz vorherzusehen. Häufig genug haben sie "aufs falsche Pferd gesetzt" und in Sackgassen oder Prestigeprojekte investiert. Zudem hat sich gezeigt, dass viele einmal eingeführte Handelshemmnisse außerordentlich zäh von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften verteidigt werden, und dass die hinter Zollmauern geschützten infant industries sich häufig schwer tun, erwachsen, sprich wettbewerbsfähig zu werden. Beispiele sind Stahlwerke in Entwicklungsländern, die nie kostendeckend betrieben werden konnten, oder staatlich geförderte Technologieprojekte in Industrieländern, die Schwierigkeiten haben, sich am Markt durchzusetzen wie beispielsweise die Magnetschwebebahn Transrapid.

Auswirkungen auf Arbeitsplätze

Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau

Importe können Arbeitsplätze im Inland vernichten. Dies geschieht dann, wenn es sich um Wirtschaftszweige handelt, die einen relativen Preisnachteil haben. Ihre inländische Produktion und die Beschäftigung gehen zurück. Das Theorem der komparativen Kosten geht davon aus, dass die freigesetzten Produktionsfaktoren in die Wirtschaftszweige umgeleitet werden, bei denen das Inland komparative Vorteile aufweist. Die damit verbundenen Umstellungen sind jedoch für die unmittelbar Betroffenen problematisch. Unternehmen müssen ihre Produktion umstrukturieren oder werden ganz geschlossen. Für die dort beschäftigten Arbeitskräfte sind diese Veränderungen mit hohen Belastungen verbunden wie dem Verlust des Arbeitsplatzes, Umschulungen oder Umzügen. Die Anforderungen an Flexibilität, Mobilität und Lernfähigkeit nehmen durch die internationale Arbeitsteilung deutlich zu. Oftmals wird der Ruf nach dem Staat laut, den Strukturwandel durch Subventionen und Schutzzölle zeitlich zu strecken und für die betroffenen Arbeitnehmer sozial abzufedern. Doch auch hier ist davon auszugehen, dass Protektion langfristig der Volkswirtschaft schadet, wenn dadurch volkswirtschaftliche Ressourcen gebunden werden, die für andere Zwecke wie beispielsweise für den Ausbau des Bildungswesens oder der Forschung fehlen. Ein Beispiel, wie jahrzehntelange Subventionierung erhebliche Mittel bindet, letztlich aber den Strukturwandel und den Abbau von Arbeitsplätzen doch nicht aufhalten kann, ist die deutsche Steinkohle.

QuellentextAusverkauf

"Versteigerung" steht mit schwarzer Schrift auf roten Schildern an der Bergkirchener Straße, die sich durch die hügeligen Ausläufer von Bad Oeynhausen schlängelt. Einige Limousinen biegen an diesem Morgen bei der Nummer 228 ab, auf das Gelände der Balda AG. Die Insassen steigen aus, gehen in eine angrenzende Halle. Dort tragen viele Maschinen rote Aufkleber. Sie zeugen vom abrupten Ende der Handyproduktion in Deutschland. Nun werden sie versteigert. [...]
Balda, das ist nicht nur die Geschichte eines Zulieferers in Zeiten der Globalisierung. Es ist ein Lehrstück über den entfesselten Kapitalismus - und über Managementfehler, enttäuschte Hoffnungen und gierige Finanzinvestoren.
Eigentlich war das Kapitel der Produktion von Handyschalen in Europa geschlossen, nachdem Balda-Chef Joachim Gut die verlustreichen Fabriken vor Weihnachten verkauft hatte. Doch der Schlussakkord entpuppte sich als Auftakt einer neuen Krise. Gut hatte dem Abnehmer KS Plastic, der die Fabriken an den Finanzinvestor Aurelius weiterreichen wollte, einen Ausgleich der Verluste für das Jahr 2007 garantiert. Bei der Berechnung erwies sich der Käufer jedoch als kreativ. Statt eines "niedrigen zweistelligen Millionenbetrags", den Gut einkalkuliert hatte, verlangte KS Plastic bis zu 40 Millionen Euro - zu viel für Balda. Anfang März war von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit die Rede. Vergessen waren die Erfolgsmeldungen, die Investoren gelockt hatten. Damals, vor gut einem Jahr, ging es nicht um das Stammgeschäft. Die Anleger interessierten sich für ein Joint Venture von Balda mit der taiwanesischen Unternehmerfamilie Chiang, kurz TPK. Damals sickerte durch, TPK baue für das iPhone von Appleberührungsempfindliche Touchscreens. Die Aktie, die am Freitag bei 2,23 Euro notierte, stieg auf mehr als zwölf Euro. Dann aber folgten verfehlte Prognosen, Verzögerungen bei einem Großauftrag, der missglückte Verkauf der Werke. Die Investmentbank Morgan Stanley verscherbelte ein Aktienpaket, der US-Investor Guy Wyser-Pratte halbierte seines. Auch der illustre Hedgefonds-Manager Florian Homm stieg aus. "Es bleibt zu hoffen, dass Balda bald kein Spielball von Zockern mehr ist", sagt ein Analyst.
Immerhin: Für die Handyschalenproduktion hat Balda nun doch einen Käufer gefunden. Anfang dieser Woche verlautete, dass der Hamburger Sanierungsspezialist Hanse Industriekapital das Geschäft mit 400 Mitarbeitern erwirbt. Ein alter Bekannter: Der Investor hatte schon andere Teile von Balda übernommen.
Nach diesem Ausverkauf verlieren sich in der Fabrikhalle in Bad Oeynhausen nur noch wenige Arbeiter an einem Dutzend Maschinen. "In Spitzenzeiten waren es 80 Maschinen, die rund um die Uhr liefen", erinnert sich ein Arbeiter. Statt Überstunden gibt es nun Kurzarbeit. An einer Maschine fallen Teile für Puderdosen heraus, die eine Mitarbeiterin in Paletten sortiert. Manchmal sind es auch Steckschalter für die Automobilindustrie oder Sockel für Möbelhersteller. Schüttware nennt man dies in der Kunststoffindustrie. "Viel Geld kann man damit nicht verdienen", sagt Helmut Kunz, Betriebsratsvorsitzender bei Balda Solutions Deutschland. Ihn stimmt es nachdenklich, dass technisch hochwertige Handys nun aus Billiglohnländern kommen, während in dieser deutschen Fabrik Allerweltsware entsteht.
Während Schnäppchenjäger vor der Versteigerung durch die Hallen streifen, sitzt der Chef im Konferenzsaal und erläutert die Ereignisse, die zu dem überraschenden Rückkauf der Werke geführt hatten. [...] Selbst Kritiker bescheinigen dem Manager, dass ihm mit dem frühzeitigen Einstieg in das Geschäft mit berührungsempfindlichen Bildschirmen die Rettung des Unternehmens gelungen sei. Die Asientochter TPK produziert in der chinesischen Metropole Xiamen jährlich 30 Millionen Touchscreens. 2009 sollen es bereits 72 Millionen Stück sein. In Asien beschäftigen die Ostwestfalen gut 7000 Mitarbeiter, in Deutschland bald keine 200 mehr. Nur wenige Unternehmen dürften binnen kurzer Zeit so radikal ihr altes Geschäft in Deutschland ab- und woanders ein neues Geschäft aufgebaut haben. Hier, in Bad Oeynhausen, wird die Vergangenheit entsorgt. [...]

Caspar Dohmen, "Ab nach Asien", in: Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai 2008

Versorgung in Krisenzeiten

Wenn ein Land im Zuge der Spezialisierung auf die Herstellung wichtiger Güter wie Weizen, Kohle und Stahl verzichtet, könnte die Versorgung in Krisenzeiten gefährdet sein. Der Staat wäre dann möglicherweise ausländischem Druck ausgesetzt und erpressbar. So stoppte das OPEC-Kartell in den 1970er-Jahren die Erdöllieferungen. Daher streben Wirtschaftspolitiker häufig ein gewisses Maß an Autarkie, also Unabhängigkeit von Einfuhren, an. Dabei gilt es jedoch sorgfältig zu prüfen, ob den damit verbundenen hohen volkswirtschaftlichen Kosten - für die inländischen Konsumenten des Gutes, aber auch für die inländischen Produzenten, deren Exportchancen zum Beispiel durch hohe Energie- oder Vorproduktkosten beeinträchtigt werden, - tatsächlich eine sicherere Versorgung gegenübersteht. So deckt deutsche Kohle gewiss nicht den deutschen Energiebedarf, verteuert aber den Strom.

Beachtung von Verbraucher- und Umweltschutz

Die Notwendigkeit von Vorschriften zum Verbraucherschutz (Gesundheit, Sicherheit von Produkten) und zum Umweltschutz ist heute unbestritten und Gegenstand internationaler Verhandlungen. Technische Normen definieren Mindeststandards, ihre internationale Geltung verbessert die Transparenz und fördert die internationale Arbeitsteilung. Der Gemeinsame Markt der EU ist ein gutes Beispiel für die Angleichung von Standards. Einfuhrkontrollen und gegebenenfalls Einfuhrverbote für gesundheitsgefährdende Produkte liegen im Interesse der Verbraucher, beispielsweise im Falle von BSE-verseuchtem Rindfleisch in der EU oder bei gesundheitlich bedenklichem Spielzeug aus China. Werden solche Vorschriften jedoch diskriminierend in dem Sinne eingesetzt, dass ausländische Anbieter höheren Anforderungen unterliegen als inländische, werden sie zu protektionistischen Instrumenten, so genannten regulatorischen Handelshemmnissen. Die Übergänge zwischen dem legitimen Schutzzweck und der protektionistischen Diskriminierung von Konkurrenten sind fließend und ein umstrittenes Thema in der EU und in der Welthandelsorganisation (WTO).

geb. 1944, ist Professor für Wirtschaft/Politik und ihre Didaktik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor am Institut für Sozialwissenschaften. Seine wichtigsten Forschungsgebiete sind konzeptionelle Ansätze der ökonomischen Bildung, das Verhältnis von Wirtschafts- und Politikdidaktik, Theoriegeschichte ökonomischen Denkens und Internationale Wirtschaftsbeziehungen. Prof. Kruber hat an der Universität Bonn Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeografie studiert und war danach an den Universitäten Erlangen und Wuppertal tätig. 1975/76 wurde er als Professor an die damalige Pädagogische Hochschule Kiel berufen. Seit 1994 lehrt er an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in den Lehramtsstudiengängen Wirtschaft/Politik.

E-Mail: kruber@politik.uni-kiel.de

ist nach dem Abschluss ihres Studiums für das Lehramt an Gymnasien (Wirtschaft/Politik und Englisch) als Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaft/ Politik und ihre Didaktik tätig.

Christian Meyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Nach dem Abschluss des Studiums Wirtschaft/Politik und Mathematik (Lehramt für Gymnasien) ist er dort am Lehrstuhl für Wirtschaft/Politik und ihre Didaktik tätig.

E-Mail: cmeyer@politik.uni-kiel.de