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Ziele und Instrumente | Staat und Wirtschaft | bpb.de

Staat und Wirtschaft Editorial Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat Akteure der Wirtschaftspolitik Ziele und Instrumente Durchführung der Wirtschaftspolitik Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft Glossar Literaturhinweise und Internetadressen Autor, Impressum

Ziele und Instrumente

Hans-Jürgen Schlösser

/ 12 Minuten zu lesen

Ludwig Erhard (links) war zweiter deutscher Kanzler und gilt als Vater der sozialen Marktwirtschaft. Hier ist er 1964 mit Alexander Adschubej, Chruschtschows Schwiegersohn und "Iswestija"-Chefredakteur zu sehen. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00138565, Foto: Georg Munker)

Einleitung

Die Wirtschaftspolitik muss ihre Ziele aus den gesellschaftlichen Werten ableiten. Daher können wirtschaftspolitische Ziele als Unterziele für Grundwerte angesehen werden. Sie werden in Regierungserklärungen formuliert, aber zum Beispiel auch in Gesetzen und Parlamentsbeschlüssen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele in der Bundesrepublik Deutschland sind

  • Vollbeschäftigung,

  • Preisstabilität,

  • Wirtschaftswachstum,

  • außenwirtschaftliches Gleichgewicht, also zum Beispiel Vermeidung von Auslandsverschuldung,

  • gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung,

  • Erhalt der natürlichen Umwelt.

Das magische Sechseck

Nur wenn wirtschaftspolitische Ziele messbar sind, lässt sich ihr Erfolg kontrollieren. Messbar ist beispielsweise das Ausmaß der Arbeitslosigkeit oder ob und wie weit eine bestimmte Region innerhalb eines festgelegten Zeitraums ihr Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung steigern konnte. Einen geringeren Grad von Operationalität stellt die Ordnung nach Rängen dar: Zustand A ist besser als Zustand B und dieser wiederum ist besser als Zustand C. Messbarkeit erfordert, die Zustände der Wirtschaft zumindest in eine Rangfolge bringen zu können, um in der Lage zu sein, den Erfolg der Wirtschaftspolitik zu kontrollieren.

Dennoch finden wir in der praktischen Politik immer wieder nicht messbare, inoperationale Ziele vor. Oft werden sie lediglich als allgemeine Grundsätze beschrieben, anhand derer die Politik ihre Linien absteckt. Ein Beispiel dafür ist: "So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig!" (Karl Schiller). In dieser Form können inoperationale Ziele einen Konsens zwischen Akteuren herstellen, zum Beispiel zwischen Parteien, die eine Regierungskoalition bilden, aber in den Einzelheiten unterschiedliche Auffassungen haben.

Die Ziele der Wirtschaftspolitik können zu den gesellschaftlichen Grundwerten in Beziehung gesetzt werden:

  • Vollbeschäftigung betrifft den Grundwert Sicherheit, aber auch das Freiheitsziel, da unfreiwillige Arbeitslosigkeit einen Verlust an materialer Freiheit darstellt.

  • Preisstabilität bezieht sich dagegen auf die Werte Gerechtigkeit und Sicherheit, da eine Inflation die Einkommens- und Vermögensverteilung zum Beispiel zu Ungunsten der Sparer verändert und wirtschaftliche Unsicherheit schafft.

  • Wirtschaftswachstum kann einen Zuwachs an materialer Freiheit bringen und ist mit dem Fortschrittswert verbunden.

  • Eine gerechte Einkommensverteilung betrifft dagegen nicht allein den Wert Gerechtigkeit, sondern auch den Wert Sicherheit, da eine extrem ungleiche Verteilung zu Konflikten führt.

  • Der Erhalt der natürlichen Umwelt dient dem Wert Sicherheit sowie der Gerechtigkeit im Blick auf nachwachsende Generationen.

Zielbeziehungen

Wirtschaftspolitische Ziele können in unterschiedlichem Bezug zueinander stehen. Als vertikal gelten Zielbeziehungen, in denen ein Ziel einen dienenden Charakter für andere Ziele hat. Die wirtschaftspolitischen Ziele dienen der Realisierung gesellschaftlicher Grundwerte.

Die Ökosteuer

Zu den vertikalen treten horizontale Zielbeziehungen, die in der praktischen Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle spielen. Sie lassen sich nochmals unterscheiden in logische und technologische Zielbeziehungen. Zu den logischen Zielbeziehungen gehört zum Beispiel die Vereinbarkeit bzw. die Unvereinbarkeit von Zielen. Unvereinbar ist beispielsweise, wenn die Wirtschaftspolitik gleichzeitig auf eine Erhöhung der Energiepreise hinwirken will, um zum Umweltschutz beizutragen, und auf eine Senkung der Energiepreise, um das Wirtschaftswachstum zu steigern.

Von Zielidentität spricht man dann, wenn Ziele sich inhaltlich nicht unterscheiden oder sich mehrere Ziele auf ein einziges Ziel zurückführen lassen. Dies ist etwa der Fall, wenn man gleichzeitig Geldwertstabilität verfolgen und Inflation vermeiden will.

Logische Vereinbarkeit ist eine Voraussetzung dafür, dass mehrere Ziele gleichzeitig angestrebt werden können. Aber auch bei logischer Vereinbarkeit kann die Annäherung an ein Ziel zu Einbußen bei der Erfüllung anderer Ziele führen. Solche horizontalen Zielbeziehungen werden als technologische Zielbeziehungen bezeichnet: Wenn die Verfolgung eines Ziels die Erreichung anderer Ziele beeinträchtigt,dann liegt ein Zielkonflikt vor, beispielsweise bei den Zielen Wirtschaftswachstum und Erhalt der natürlichen Umwelt. Gibt es dagegen keine Wirkungen auf andere Ziele, so spricht man von Zielneutralität. Die unproblematischste Situation ist die Zielharmonie: Die Verfolgung eines Ziels begünstigt die Erreichung anderer Ziele, beispielsweise bei den Zielen Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung.

Im Zielkonflikt muss ein Kompromiss gefunden werden. Gelingt dies nicht, befindet sich die Wirtschaftspolitik in einem Dilemma. Sie muss abwägen, ob der Nutzen bei der Verfolgung des einen Ziels die Beeinträchtigungen beim Erreichen des anderen Ziels wert ist.

Die Ursachen von Zielkonflikten liegen im Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente. Wenn nur ein einziges Instrument zur Erreichung von zwei Zielen eingesetzt wird, kann davon eine negative Wirkung auf eines der beiden Ziele ausgehen. Soll beispielsweise eine Energiesteuer gleichzeitig den Energieverbrauch senken und die öffentlichen Einnahmen erhöhen, führt ein Erfolg beim ersten Ziel zum Verfehlen des zweiten. Beide Ziele sind nur gleichzeitig zu erreichen, wenn noch ein zweites wirtschaftspolitisches Instrument eingesetzt wird, zum Beispiel ein höherer Mehrwertsteuersatz. Im Idealfall verfügt die Wirtschaftspolitik also über so viele Instrumente, wie sie Ziele anstrebt. Allerdings lässt sich in der Praxis häufig nicht hinreichend kontrollieren, ob und inwieweit die eingesetzten Instrumente die angestrebten Ziele befördern.

Wirtschaftspolitische Instrumente

Wirtschaftspolitische Instrumente lassen sich danach einteilen, wie intensiv sie in den Wirtschaftsablauf eingreifen und wie viel Zwang der Staat mit ihnen ausübt. Er kann versuchen, das Verhalten der wirtschaftenden Menschen durch Informationen über die geplante Politik ("Programminformationen") zu beeinflussen oder mittels Analysen über die gegenwärtige Wirtschaftslage Aufklärung geben ("Lageinformation"). Beispiele für beide sind der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung oder Bedarfsanalysen für die Berufswahl. Der Staat übernimmt bzw. fördert die Bereitstellung dieser Informationen, weil wirtschaftspolitische Analysen öffentliche Güter darstellen, deren Erstellung für den Einzelnen zu teuer, für die Gesamtheit der Menschen aber lohnend ist. Programminformationen können darüber hinaus dabei helfen, Wirkungsverzögerungen der Politik zu verkürzen, indem der Sinn einer beabsichtigten Maßnahme verdeutlicht wird.

Wenn der Staat versucht, die Ziele der privaten Akteure zu verändern, spricht man von instrumentaler Verwendung von Information. Hierzu gehören Aufforderungen und Mahnungen, beispielsweise zur Lohnzurückhaltung oder zum Kauf inländischer Waren. Beispiele aus dem Ausland sind die Slogans "buy british" oder "keep America rolling". Die Wirkung instrumentaler Verwendung von Informationen hängt von der geschickten Präsentation ab, und die Grenze zur Manipulation ist fließend.

Sehr viel intensiver sind Eingriffe in die Marktprozesse, durch die sich Marktpreise und institutionelle Bedingungen verändern. Hierzu gehören Zölle auf ausländische Produkte zum Schutz der einheimischen Produktion, zum Beispiel im Agrarsektor. Weitere Markteingriffe sind Subventionen, um gefährdete, aber als existenziell wichtig angesehene Wirtschaftsbereiche wie die Kohleförderung zu stützen und Abgaben, beispielsweise auf umweltbelastende Stoffe. Auch geld- und kreditpolitische Eingriffe, welche die Zinssätze beeinflussen sollen, verändern Marktpreise. Fundamentaler als derartige Eingriffe in die laufenden wirtschaftlichen Prozesse sind jedoch Veränderungen der institutionellen Bedingungen. Hierzu gehören die Eigentumsordnung und das Vertragsrecht, das Wettbewerbsrecht und die Regulierung des Marktzugangs bei freien Berufen.

Gerade in der deutschen Wirtschaftspolitik wurden und werden zur Bewahrung des sozialen Friedens immer wieder "runde Tische" und konzertierte Aktionen "arrangiert" um freiwillige Übereinkünfte zwischen den Trägern der Wirtschaftspolitik und wirtschaftlichen Interessengruppen zu erreichen. Wenn letztere über wirtschaftspolitisch relevante Macht verfügen, vermindert sich allerdings die wirtschaftspolitische Autonomie des Staates. Regierungen versuchen daher, eine Übereinkunft mit den wirtschaftlichen Interessengruppen zu finden, insbesondere wenn wirtschaftspolitische Zieleinbußen drohen, die nicht nur die Mitglieder der beteiligten Interessengruppen treffen würden, sondern alle Bürgerinnen und Bürger. Den Vorteilen einer solchen Politik stehen allerdings die Risiken einer Herrschaft der Verbände (Korporativismus) gegenüber.

Den intensivsten Eingriff stellt staatlicher Zwang dar. Er kollidiert mit dem Grundwert der Freiheit. Die Betroffenen verlieren durch ihn jede Chance, selbst Ziele zu setzen und zu verfolgen. Alle Zwangsmaßnahmen zeichnen sich durch einen sehr hohen Verwaltungsaufwand und häufig geringe Wirksamkeit aus, da die Betroffenen immer mit Vermeidungsstrategien antworten. In einigen wohl zu begründenden Einzelfällen allerdings kann Zwang zur Erhaltung von Freiheit sowie dem Allgemeinwohl dienen, beispielsweise bei der zwangsweisen Entflechtung marktbeherrschender und ihre Marktmacht missbrauchender Unternehmen. Beispiele hierfür sind die IG Farben, die nach 1945 wegen ihrer Verstrickung mit dem nationalsozialistischen Regime auf Beschluss des Alliierten Kontrollrats aufgelöst wurde, und der Telekommunikationsriese AT&T, der jahrzehntelang eine Monopolstellung in Kanada und in den USA innehatte.

Der Staat ist jedoch nicht darauf beschränkt, lediglich das Verhalten von wirtschaftlichen Akteuren zu beeinflussen, sondern kann auch versuchen, durch eigene Aktionen direkte Zielwirkungen zu erreichen. Dazu zählt die unmittelbare Güterversorgung durch den Staat, beispielsweise im Bereich der öffentlichen Güter. Durch Steuern und Sozialhilfe kann der Staat auch unmittelbar die Einkommen verändern, und durch staatliche Nachfrage oder Angebote kann er die Preise direkt beeinflussen, wie zum Beispiel beim Ankauf landwirtschaftlicher Produkte (Getreide, Butter) in der Agrarpolitik. Hinzu tritt die Möglichkeit der staatlichen Regulierung, etwa in Form von Preiskontrollen in der Versicherungswirtschaft.

Alle Varianten staatlichen Bemühens unterliegen jedoch einer Einschränkung: Die Wirkung wirtschaftspolitischer Instrumente ist immer unsicher. Schließlich hängt sie davon ab, wie die wirtschaftenden Menschen auf die Maßnahmen der Wirtschaftspolitik reagieren. Diese Reaktionen sind niemals vollständig voraussehbar.

QuellentextDie Wirtschaft blüht - im Schatten

Hamburger Abendblatt (HA): Die Bundesregierung versucht durch mehr Kontrollen, die Schwarzarbeit einzudämmen. Wie hat sich die Schwarzarbeit 2006 nach Ihrer Einschätzung entwickelt?
Schneider: In Deutschland ist die Schwarzarbeit 2006 weiter leicht um 500 bis 900 Millionen Euro auf 345,5 Milliarden Euro gesunken. Den Hauptgrund dafür sehe ich aber nicht in den Kontrollen, sondern in den anreizorientierten Maßnahmen - wie die Einführung der Minijobs und die steuerliche Absetzbarkeit von privaten Haushaltsaufwendungen.
HA: Könnte die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Anreiz zur Schwarzarbeit in diesem Jahr wieder erhöhen?
Schneider: Ja. Ich gehe davon aus, dass die Mehrwertsteuererhöhung zusammen mit der Anhebung der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge sowie die höhere Besteuerung von Minijobs die Schwarzarbeit in diesem Jahr wieder moderat um etwa ein Prozent steigen lässt.
HA: Wie viel Geld geht dem Staat dadurch verloren?
Schneider: Durch entgangene Steuer- und Sozialabgaben gehen dem Staat zwischen 40 und 50 Milliarden Euro jährlich verloren. Gleichzeitig wird durch Schwarzarbeit ein Teil der Steuerverluste wieder wettgemacht. Denn das mit Schwarzarbeit verdiente Geld geben die meisten Schwarzarbeiter in der regulären Wirtschaft wieder aus. Kaum jemand arbeitet fürs Sparbuch schwarz, sondern um ein neues Auto, einen Fernseher oder Computer zu kaufen.
HA: In welchen Branchen gibt es viel Schwarzarbeit?
Schneider: Am meisten - etwa zwei Fünftel - wird im Bau und Handwerk schwarz gearbeitet. Danach folgen haushaltsnahe Dienstleistungen und solche in Gaststätten und Restaurants.
HA: Wer arbeitet in Deutschland schwarz?
Schneider: Zwischen neun und elf Millionen Deutsche arbeiten regelmäßig neben ihrem Job schwarz. Dazu gehören alle Berufsgruppen - Lehrer, Architekten, Rechtsanwälte, Fliesenleger oder Automechaniker. Es sind oft Nebenerwerbsschwarzarbeiter, die gleichzeitig für ihren regulären Job brav Steuern und Abgaben bezahlen.
HA: Was reizt an Schwarzarbeit?
Schneider: Einige brauchen es als Zuverdienst, allen bringt es eine Erhöhung des Lebensstandards. Man muss sehen, dass die Schattenwirtschaft den Wohlstand in Deutschland insgesamt steigert. Verlierer sind der Staat, die Sozialversicherungskassen sowie Unternehmer und Handwerker, die nicht nebenher schwarz arbeiten.
HA: Schwarzarbeiter sind also typische Normalbürger.
Schneider: Richtig. Schwarzarbeit, das sind wir. Schwarzarbeit ist die Steuerrebellion des kleinen Mannes. Mindestens jeder dritte Deutsche arbeitet schwarz oder beschäftigt Schwarzarbeiter. Das ist ein Massenphänomen zwischen Flensburg und Konstanz sowie Aachen bis Frankfurt an der Oder. Allein die Reinigung von Privatwohnungen ist zu 80 Prozent in die Schattenwirtschaft ausgelagert.
HA: Welche Möglichkeit gibt es, die Schwarzarbeit in den geregelten Arbeitsmarkt wieder überzuleiten?
Schneider: Eine Möglichkeit ist es, Steuern und Abgaben zu senken. Bis zu 25 Prozent Steuerlast akzeptieren die Menschen noch, aber wenn man ihnen ein Drittel wegnimmt, arbeiten sie lieber wieder schwarz. Die Steuerlast sollte generell 40 bis 45 Prozent nicht überschreiten. Positiv ist, dass Handwerkerrechungen jetzt steuerlich absetzbar sind. Um die Schwarzarbeit weiter einzudämmen, sollte die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive und ökologisch vorteilhafte Maßnahmen sowie für Handwerker auf die Hälfte reduziert oder für ein Jahr sogar ganz ausgesetzt werden. Das würde schon viel bringen. Zudem sollte die steuerliche Absetzbarkeit von privaten haushaltsnahen Dienstleistungen auf mindestens 1000 Euro im Monat aufgestockt werden.
HA: Wie viele Jobs könnten aus der Schwarzarbeit in die reguläre Wirtschaft überführt werden?
Schneider: Ich gehe davon aus, dass höchstens 20 bis 30 Prozent der heutigen Schwarzarbeiten in der offiziellen Wirtschaft nachgefragt werden würde. Der Rest würde entweder im Do-it-yourself oder gar nicht mehr erbracht. Die Leidtragenden wären insbesondere berufstätige Frauen, die auf diese Dienstleistungen angewiesen sind, damit sie ihrem Job nachgehen können. Denn kaum ein Mann stellt sich nach der Arbeit in die Küche, kocht, bügelt oder putzt. Wir haben hier eine duale Wirtschaft, die eingespielt ist - und wohl so schnell auch nicht verschwinden wird.
HA: Gibt es ein Land auf der Welt, in dem es keine Schwarzarbeit gibt?
Schneider: Nein. Das kenne ich nicht.

"Schwarzarbeit wird 2007 zunehmen". Interview mit Friedrich Schneider, in: Hamburger Abendblatt vom 6. Januar 2007

Ziel-Mittel-Systeme

Ein Ziel-Mittel-System stellt die systematische Verbindung von wirtschaftspolitischen Zielen mit wirtschaftspolitischen Instrumenten dar. Wenn ein Ziel-Mittel-System dazu dient, konkrete wirtschaftliche Probleme zu lösen, so handelt es sich um ein wirtschaftspolitisches Programm. Eine wirtschaftspolitische Konzeption liegt vor, wenn das Ziel-Mittel-System als Richtschnur und Leitbild für alle, auch zukünftige wirtschaftspolitische Aktivitäten, dient. Für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland gilt die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitischen Programmen zur Lösung konkreter Probleme sollen wirtschaftspolitische Konzeptionen zugrunde liegen, aus denen die Programme entwickelt werden können. Die wirtschaftspolitischen Einzelentscheidungen werden erleichtert, wenn eine wirtschaftspolitische Konzeption eine Vorauswahl unter den erkennbaren Handlungsmöglichkeiten erlaubt, so dass nicht bei jeder Alltagsentscheidung alle Konsequenzen, bis hin zu den Grundwerten, im Einzelnen bestimmt und abgewogen werden müssen. Die wichtigste Bedeutung einer wirtschaftspolitischen Konzeption besteht aber darin, dass sie undurchdachte Eingriffe verhindert. Für die Soziale Marktwirtschaft gilt beispielsweise, dass alle staatlichen Eingriffe marktkonform sein sollen, also den Marktmechanismus nicht außer Kraft setzen dürfen.

Eine wirtschaftspolitische Konzeption muss widerspruchsfrei formuliert sein, ihre Zielvorgaben müssen aber nicht im gleichen Ausmaß messbar sein wie die Ziele kurzfristiger wirtschaftspolitischer Programme. Die Konzeption ist langfristig ausgerichtet und enthält langfristig gültige Ziel-Mittel-Beziehungen und ordnungspolitische Grundsätze, die bestimmen, welche wirtschaftspolitischen Instrumente zugelassen sind und nach welchem Verfahren die wirtschaftlichen Handlungen koordiniert werden. Die wirtschaftspolitische Konzeption und ihre ordnungspolitischen Grundsätze spiegeln die Bedeutung der gesellschaftlichen Grundwerte für die Wirtschaftspolitik wider.

Da wirtschaftspolitische Konzeptionen eng mit gesellschaftlichen Grundwerten verbunden sind, enthält jede Entscheidung für eine wirtschaftspolitische Konzeption Werturteile. Wirtschaftspolitische Konzeptionen sind daher nicht allein wirtschaftswissenschaftlich begründbar. Dennoch stehen viele Fragestellungen der wissenschaftlichen Analyse offen. Zielkonflikte und Ziel-Mittel-Beziehungen lassen sich ebenso untersuchen wie die Erfolgswahrscheinlichkeit der angestrebten Ziele. Schließlich besteht eine wichtige Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft darin, ideologische Elemente in wirtschaftspolitischen Konzeptionen offenzulegen.

Ist eine wirtschaftspolitische Konzeption nicht durch politischen Konsens über die gesellschaftlichen Grundwerte abgesichert, so kann sie ihren Zweck als langfristige Leitlinie nicht erfüllen. Wenn sich die gesellschaftlichen Grundwerte oder auch ihre Gewichtung gegeneinander im Lauf der Zeit ändern, muss die wirtschaftspolitische Konzeption überprüft und angepasst werden.

Konzeption Soziale Marktwirtschaft

Die Soziale Marktwirtschaft stellt eine marktwirtschaftliche Ordnung dar, in welcher die Marktergebnisse aus sozialpolitischen Gründen durch Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftpolitik korrigiert werden. Bei ihr stehen die Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit im Vordergrund. Die Soziale Marktwirtschaft strebt die Verbindung von freien Märkten mit sozialem Ausgleich an. Ihre Grundsätze lassen sich den gesellschaftlichen Grundwerten zuordnen:

Freiheit:

  • private Entscheidungsbefugnisse im Bereich des Wirtschaftens, insbesondere formale Gewerbefreiheit und Freiheit der Berufswahl;

  • Anpassung an neue Anforderungen und Weiterentwicklung der Wirtschaft durch Wettbewerb und nicht durch zentrale staatliche Planung.

Gerechtigkeit:

  • Leistungsgerechtigkeit durch Wettbewerb auf den Märkten für Güter und Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital);

  • ausgleichende Gerechtigkeit durch Sozialleistungen für Menschen mit geringem Einkommen;

  • Startgerechtigkeit durch Ausbildungs- und Vermögensförderung sowie ein Bürgerrecht auf Bildung.

Sicherheit:

  • Förderung der individuellen Daseinsvorsorge;

  • ergänzende (subsidiäre) kollektive Daseinsvorsorge;

  • Milderung von Konjunkturschwankungen und Strukturbrüchen durch Stabilitäts- und Konjunkturpolitik.

Fortschritt:

  • Anpassung und Entwicklung durch Innovationswettbewerb bei Produkten und Produktionsverfahren;

  • staatliche Forschungsförderung, insbesondere Förderung der Grundlagenforschung.

Hinzu kommen zwei

ordnungspolitische Grundsätze:

  • Koordination der wirtschaftlichen Handlungen über Märkte durch Preise und Wettbewerb;

  • keine Störung der Marktprozesse durch den Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente (Marktkonformität).

Soziale Marktwirtschaft

Den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft entspricht die Einrichtung einer unabhängigen Zentralbank zur Sicherung des Geldwertes. Diese Voraussetzung erfüllen die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB). Genauso bedeutsam ist die Errichtung einer Wettbewerbsbehörde zur Sicherung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Diese Aufgabe übernimmt in der Bundesrepublik Deutschland das Bundeskartellamt, in der EU die Europäische Kommission.

Historische Entwicklung

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ging aus den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag 1949 eine Regierung bürgerlicher Parteien unter Bundeskanzler Konrad Adenauer hervor. Während im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz 1948/49 erarbeitet hatte, noch äußerst unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland diskutiert worden waren, fiel nach der Wahl die ordnungspolitische Grundentscheidung zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft.

Die Konzeption geht auf Prinzipien zurück, die Walter Eucken, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg, in den 1920er und 1930er Jahren und zum Teil noch im Geheimen während der nationalsozialistischen Diktatur wissenschaftlich erarbeitet hatte. Seine Leitsätze wurden von Ludwig Erhard, dem ersten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, und von Alfred Müller-Armack, Professor in Köln und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, zu einem Konzept zusammengefügt und in konkrete Wirtschaftspolitik umgesetzt.

Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor. 1954 hat das Bundesverfassungsgericht dazu entschieden: "Das Grundgesetz garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt, noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde Soziale Marktwirtschaft. Die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassunggeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann." (Bundesverfassungsgericht, Urteil des 1. Senats vom 20. Juli 1954 - BVerfGE 4,7). Erst im Zuge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, im Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 wurde die bundesdeutsche Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung bindend festgeschrieben.

Prinzipien

Marktmechanismus

In der Sozialen Marktwirtschaft gilt das Marktprinzip. Es spricht den Konsumenten eine zentrale Rolle zu. Sie sollen durch ihre Nachfrage die Produktion der Güter bestimmen. Gelingt dies, so hat die Wirtschaftsordnung das Prinzip der Konsumentensouveränität realisiert. Nach dem Marktprinzip handeln die Wirtschaftssubjekte eigenverantwortlich. Die Preise der Güter bilden sich durch Angebot und Nachfrage, sie sind "Knappheitsanzeiger" und dienen somit als Instrumente der Wirtschaftslenkung und des Interessensausgleichs. Kosten, Erträge, Gewinne und Verluste sind die wesentlichen Größen des Wirtschaftslebens unter Marktbedingungen. Die Einzelnen haben das Recht, ihre ökonomischen Ziele selbst zu bestimmen und zu verfolgen. Dies alles gelingt aber nur, wenn eine Reihe von allgemein geltenden Rechten und Freiheiten gesichert sind.

Dazu gehören:

  • das Recht auf Privateigentum,

  • die Vertrags- und Gewerbefreiheit,

  • die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl,

  • die Konsumfreiheit,

  • die Produktions- und Handelsfreiheit.

Konsumentensouveränität wird dann verfehlt, wenn zwischen den Produzenten kein Wettbewerb stattfindet. Dann wird die Souveränität der Konsumenten durch die der Produzenten ersetzt. Produzenten, die Kartelle bilden und Preisabsprachen treffen, oder sehr große Unternehmen mit Marktmacht, die keine Wettbewerber fürchten müssen, stehen nicht unter dem Zwang, die Bedürfnisse der Konsumenten möglichst gut zu bedienen. Sie handeln dann ausschließlich nach ihren eigenen Gewinninteressen. Daher gehört zu den konstitutiven Merkmalen der Sozialen Marktwirtschaft eine entschiedene und starke Wettbewerbspolitik des Staates: Er ist für die Förderung und die Erhaltung des Wettbewerbs verantwortlich.

Einkünfte und Steuerlast

Zwar hält sich der Staat in der Sozialen Marktwirtschaft aus Entscheidungen über die Produktion, die Verteilung und den Preis von Gütern und Dienstleistungen heraus, jedoch praktiziert er einen sozialen Ausgleich, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrumente des sozialen Ausgleichs sind das Steuersystem und die Sozialhilfe. Durch das Steuersystem findet Umverteilung statt, indem Haushalte mit höherem Einkommen auch höhere Steuersätze zahlen müssen (progressive Einkommensteuer). Jede Form der Sozialleistung stellt automatisch eine Umverteilung dar, da der Staat selbst nicht über eigene Mittel verfügt und jede Leistung, die er einer Gruppe zur Verfügung stellt, letztlich nur dadurch finanzieren kann, dass er eine andere Gruppe besteuert.

Zur Politik des sozialen Ausgleichs in der Sozialen Marktwirtschaft zählen Elemente der Vermögensbildung, im Wohnungsbau, die Förderung benachteiligter Regionen und Solidarelemente im Sozialversicherungssystem, das nicht allein nach dem Versicherungsprinzip, sondern auch nach dem Fürsorgeprinzip ausgestaltet ist.

Dr. rer. pol. M. Sc. (LSE), Jahrgang 1952, ist Universitätsprofessor für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Siegen und Leiter des Zentrums für ökonomische Bildung Siegen (ZöBiS). Seine Arbeitsschwerpunkte sind theoretische und empirische Forschungen zur ökonomischen Bildung, das Menschenbild der Ökonomie sowie Ordnungs- und Wettbewerbspolitik. Hans Jürgen Schlösser hat Volkswirtschaftslehre, Erziehungswissenschaft und Philosophie an der Universität Münster, dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel und an der London School of Economics studiert. Vor seiner Berufung an die Universität Siegen hielt er Professuren an der TU Chemnitz und an der Universität Koblenz-Landau.

Kontakt: schloesser@wid.wiwi.uni-siegen.de