Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Vorparlament und Paulskirche | Revolution von 1848 | bpb.de

Revolution von 1848 Editorial Europa unter Modernisierungsdruck Märzrevolution und Liberalisierung Vorparlament und Paulskirche Entstehung einer pluralistischen Öffentlichkeit Erfolgreiche Gegenrevolution Scheitern eines Traumes Literaturhinweise und Internetadressen Autor, Impressum

Vorparlament und Paulskirche

Günter Wollstein

/ 30 Minuten zu lesen

Diese historische Illustration zeigt den Einzug der Parlamentarier der ersten deutschen Nationalversammlung in die Paulskirche von Frankfurt am Main. (© AP)

Weichenstellungen des Vorparlaments

In den zwei Monaten bis zum Zusammentritt des ersten deutschen Parlaments am 18. Mai 1848, das nach seinem Tagungsort, der Frankfurter Paulskirche, benannt wurde, rückte die Deutschlandpolitik in den Mittelpunkt des Interesses.

Zunächst hatten Liberale und Demokraten bei ihren jeweiligen Landesregierungen durchaus verfassungskonform Anträge auf die Berufung eines deutschen Nationalparlaments gestellt. Am 5. März 1848 sorgte jedoch zusätzlich eine Versammlung mehrheitlich liberaler Vertreter der deutschen Nationalbewegung in Heidelberg für Schubkraft im Einigungsprozess. Sie nahm Kompetenzen in Anspruch, die eigentlich nur der Bundesversammlung zukamen, indem sie ein "Vorparlament" aus Abgeordneten der Einzelstaaten berief, das Volkswahlen zur Nationalversammlung durchsetzen und eine neue deutsche Regierung schaffen sollte. Das Vorparlament berief seinerseits später einen "Fünfziger-Ausschuss" mit gleicher Aufgabenstellung.

Schwächung der Demokraten

Als das Vorparlament, in dem bei Anwesenheit zahlreicher süddeutscher Vertreter die Liberalen die Mehrheit stellten, vom 31. März bis zum 3. April in Frankfurt am Main tagte, wurden Wahlen zu einer Nationalversammlung recht problemlos auf den Weg gebracht. Mit dem Projekt der Bildung einer Regierung stellte sich aber die Frage nach der künftigen Staatsform Deutschlands. Die Demokraten hofften, Deutschland auf gesamtdeutsch-parlamentarischer Ebene doch noch zu einer Republik machen zu können. Als ein entsprechender Antrag linker badischer Abgeordneter um Hecker und Struve an den Liberalen scheiterte, beugte sich die Mehrheit der demokratischen Abgeordneten diesem Beschluss.

Die Gruppe um Hecker und Struve unternahm jedoch einen neuen, nun außerparlamentarischen Vorstoß, ließ bewaffnete Einheiten aufstellen und rief am 12. April in Konstanz die Republik aus. Ein Demonstrationszug durch Baden sollte durch Zulauf aus dem Volk eine derartige Durchschlagskraft erhalten, dass der republikanischen Sache gleichsam automatisch zum Siege verholfen werde. Truppen des Deutschen Bundes und Württembergs bereiteten dem schwach bleibenden Unternehmen jedoch am 20. April bei Kandern ein Ende, wonach elf Tote zu beklagen waren und Hecker ins Ausland fliehen musste.

Die Folgen waren erheblich. Die Demokraten waren definitiv gespalten, was gleichzeitig eine Schwächung ihres parlamentarisch orientierten Flügels darstellte. Eine Linke, vor allem in Baden, sah in Hecker einen Helden und Revolutionär, da nur dieser einen konsequenten Versuch zur Schaffung eines demokratischen und republikanischen Deutschlands gewagt habe. Bei den Liberalen, die in dieser Zeit auf Eindämmung der Revolution und eine Kooperation mit Reformkonservativen setzten, rückten personelle Koalitionsmöglichkeiten mit den gemäßigten Demokraten erst einmal in weite Ferne. Schließlich bot die fehlgeschlagene Aktion den sich allmählich sammelnden Konservativen Munition für ihre Propaganda, in der Demokraten mit gefährlichen Anarchisten gleichgesetzt wurden.

Hinhaltetaktik der alten Gewalten

Mit dem Abstimmungserfolg der Liberalen im Vorparlament war aber noch keine Regierung geschaffen. Dieses Projekt erwies sich vielmehr als so schwierig, dass eine endgültige Lösung der Nationalversammlung überlassen wurde.

Ursache war, dass Österreich und Preußen keinerlei Anstalten machten, sich den Frankfurter Parlamentariern zu unterstellen. Gesamtdeutsche Wahlen waren das Äußerste, was ihnen zu diesem Zeitpunkt abzuringen war. Die Regierung der Habsburgermonarchie signalisierte, dass sie sich am Vorparlament nur beteilige, um in Deutschland "ihren Einfluss nicht zu verlieren". Die Wahrung der Eigenstaatlichkeit Österreichs war ihr wichtiger. Immerhin erschien bald mit dem Österreicher Anton Ritter von Schmerling (1805-1893) einer der tatkräftigsten Liberalen auf der Frankfurter Bühne. In Preußen lehnte der Monarch eine Zusammenarbeit mit dem "revolutionären" Vorparlament strikt ab und wollte sich nur der Anordnung von Urwahlen zu einer deutschen Nationalversammlung durch die Bundesversammlung beugen.

Diese beteiligte sich ebenfalls an den Vorbereitungen zur Schaffung einer staatlichen Spitze. Seit der Märzrevolution hatte sie sich völlig gewandelt und versuchte sich nun, besetzt mit führenden, meist rechten Liberalen, als Reformgremium zu profilieren. Ihr Ziel war es, als Schaltstelle zwischen den in Frankfurt versammelten Parlamentariern und den Einzelstaaten, nicht selten aber auch als lenkendes Organ in Deutschland zu wirken. So beseitigte sie umgehend die alten Gesetze zur Unterdrückung des Volkes und engagierte sich stark bei der Vorbereitung von Wahlen in Deutschland.

Als die Bundesversammlung aber bei eigenmächtigen Weichenstellungen für eine Regierungsbildung und bei der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs in den Ruf geriet, in Verbindung mit reaktionären Kräften der Nationalversammlung vorzugreifen, galt sie ebenso wie der Deutsche Bund als erledigt. Der Nationalversammlung fiel fortan die Aufgabe einer Neuschaffung Deutschlands mehr oder weniger allein zu.

Entscheidung für einen demokratischen Konsens

Ungeachtet aller Animositäten zwischen Liberalen und Demokraten rückten damit Vorstellungen des linken Flügels der Liberalen in den Vordergrund, die ein weitgehend souveränes Vorgehen der Volksvertreter befürworteten. Auch die gemäßigten Liberalen, unter ihnen führend Heinrich von Gagern (1799-1880), griffen diese Strategie auf, die revolutionärer als die anfängliche Haltung der Liberalen in der Märzrevolution war. Altes sollte zwar weiterhin tunlichst nicht zerstört werden, aber unstrittig war ab diesem Zeitpunkt die Führungsrolle des Parlaments bei der Neugestaltung Deutschlands.

Revolutionäre Akte gehörten fortan ebenso wie gleichberechtigte Verhandlungen mit Einzelstaaten und Rücksichtnahmen auf konservative Kräfte der Vergangenheit an. Was blieb, war ein souveränes Handeln der Nationalversammlung. Dies bedeutete zum einen, dass eine parlamentarisch-demokratische Konsensfindung als politische Verfahrensweise beschlossene Sache war. Zum anderen war die Konsequenz aus dem Vertrauen, das die Wählerschaft in die Volksvertreter gesetzt hatte, dass das Prinzip der "Volkssouveränität" maßgeblich wurde, auch wenn die Liberalen unter Anleitung Gagerns diesen Begriff durch Anwendung des Ausdrucks "Souveränität der Nation" umgingen.

Parlamentarischer Weg und Übernahme der politischen Verantwortung durch Liberale und Demokraten in Frankfurt hatten jedoch auch unübersehbare Kehrseiten: Eine demokratische Konsensfindung konnte viel Zeit beanspruchen, und für die Zeit des Wirkens der Paulskirche gab es keine feste institutionelle Einbindung der Einzelstaaten, von einer Unterwerfung konservativer Kräfte ganz zu schweigen.

Das Problem einer Zustimmung der Einzelstaaten zur geplanten Neuordnung Deutschlands war somit nur vertagt. Deshalb ist vielfach der Vorwurf erhoben worden, die Frankfurter Parlamentarier seien frühen Entscheidungen ausgewichen, hätten Einzelstaaten Zeit zu deren Konsolidierung gelassen und damit machtpolitisch im luftleeren Raum gehandelt. Doch frühe Festlegungen auf eine Regierung und damit auf den künftigen Status Deutschlands waren nicht ohne Konflikte mit den Einzelstaaten zu haben, die zu Zerreißproben geführt hätten. Was blieb, war das Vertrauen auf eine stärkere Nationalversammlung, die sich zudem durch Schaffung einer konkurrenzlos attraktiven Reichsverfassung einen starken und machtpolitisch tragenden Rückhalt in der Bevölkerung verschaffen würde.

Konfrontation mit der Nationalitätenproblematik

Für eine erste gewaltige Zeitverzögerung sorgte das Vorparlament selbst, indem es Wahlen für ein Deutschland unter Einschluss der zum Deutschen Bund gehörenden westlichen Landeshälfte Österreichs ansetzte. Bei Ausbruch der Märzrevolution konnten Liberale und Demokraten, deren nationale Haltung keine gravierenden Unterschiede aufwies, zunächst nicht darauf setzen, dass es in Österreich eine vergleichbare deutsche Nationalbewegung wie im übrigen Deutschen Bund gab. Folglich ging die Tendenz dahin, sich auf ein Gebiet in Anlehnung an die Konturen des deutschen Zollvereins zu konzentrieren.

Als in den Märztagen dann doch die schwarz-rot-goldene Fahne über dem Stephansdom wehte, führte das im Vorparlament wie automatisch zu dem Beschluss, Wahlen für ein "Großdeutschland" unter Einschluss der westlichen Landeshälfte Österreichs anzusetzen; die Begriffe "Klein-" und "Großdeutschland" kamen erst seit dem Jahreswechsel 1848/49 auf.

Das Vorparlament zögerte bei seinem Votum auch dann nicht, als sich in einer Detailfrage umgehend Probleme ergaben: In Böhmen war eine gleichzeitig aufstrebende Nationalbewegung der Tschechen, die im Lande die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, nicht bereit, sich an einem Neuaufbau Deutschlands zu beteiligen. Damit stellte sich - zunächst nur von wenigen erkannt - jene Frage, mit der Österreich im Herbst 1848 offen konfrontiert wurde, ob die Habsburgermonarchie eine Teilung der traditionellen Großmacht und ein Aufgehen in Deutschland akzeptieren werde.

Von kaum geringerer Tragweite waren die Problemfälle Schleswig und Posen. Das mehrheitlich deutschsprachige Schleswig, das in einer verzwickten, für die Zeit des Deutschen Bundes typischen Konstruktion anders als Holstein diesem nicht angehörte, galt seit langem als nationaler Brennpunkt. Seine Zugehörigkeit zu Deutschland wurde zur Zeit der Märzrevolution erneut vehement gefordert. Auf der anderen Seite machte sich das bislang dynastisch-föderative Dänemark, zu dem das engere Königreich Dänemark und die Herzogtümer Schleswig und Holstein gehörten, daran, sich zu einem liberalen Zentralstaat unter Einschluss Schleswigs umzuwandeln. Als dänische Truppen in das Herzogtum eindrangen, bildete sich am 24. März eine provisorische Regierung der Elbherzogtümer, die in Berlin und Frankfurt Unterstützung fand. Das deutsche Heer besiegte am 23. April das dänische am Danewerk und bei Schleswig und drang am 3. Mai in Jütland ein. Dänemarks Flotte hingegen blockierte die deutsche Nord- und Ostseeküste mit erheblichen Folgen für die dortige Bevölkerung.

Die militärische Hilfe für Schleswig war gleichzeitig ein preußisches und ein Bundesunternehmen, wobei letzteres von Vorparlament und Fünfziger-Ausschuss im Vertrauen auf eine "gerechte" Sache kräftig gefördert wurde. Bei dieser kriegerischen Entwicklung zeichneten sich jedoch die Risiken einer Gewaltpolitik der Frankfurter Parlamentarier umgehend ab. Nur Preußen konnte effektive Verbände stellen, und dessen König gelang mit dem Einsatz "seines" Heeres - wie in Potsdam hatte man allenthalben in den Garnisonen das monarchisch ausgerichtete Heer nicht umgehend demokratisiert und es damit gleichsam rechts liegen gelassen - ein erster Schritt zu seinem politischen Wiederaufstieg.

Zudem stellten sich Russland und England an die Seite Dänemarks und bildeten damit eine Front gegen das im Aufbau befindliche Deutschland. Russland trat ohnehin während des ganzen Revolutionsjahres als entschiedener Gegner einer Einigung Deutschlands auf, während die Chancen, dass das liberale England die Errichtung eines liberalen Deutschlands außenpolitisch deckte, nicht schlecht standen. Der deutsche Griff nach Schleswig, dessen Besitz mit Blick auf eine Kontrolle der Seefahrtsverbindungen zwischen Ost- und Nordsee sowie auf eine künftige Seemacht Deutschland wichtig war, wurde von England aber scharf verurteilt und schuf eine unüberbrückbare Distanz Englands zum ganzen späteren Wirken der Paulskirche.

Anders lagen die Dinge im Großherzogtum Posen: Obwohl seine polnischen Bewohner analog zum Königreich Polen dank des Wiener Kongresses unter besonderen Nationalitätenschutz gestellt worden waren, war Posen nach 1830/31 faktisch in eine "normale" preußische Provinz umgewandelt worden, in der eine erhebliche deutschsprachige Minderheit lebte. Doch mit der Märzrevolution griff auch in Preußen die von Liberalen und Demokraten gehegte Polenbegeisterung noch einmal, Berliner Bürger umjubelten die im Vorjahr verurteilten und nunmehr befreiten Polen und diesen wurde - vielfach in Erwartung eines baldigen, von Frankreich geführten allgemeinen Freiheitskampfes gegen das reaktionäre Russland - eine "Reorganisation" ihres Landes versprochen.

Als aber eine nun auch in Posen selbst rasch an Kraft gewinnende polnische Nationalbewegung die Chance für einen staatlichen Neuanfang nutzen wollte, entstand parallel dazu eine nationale Gegenbewegung der Deutschen in der Provinz, die es dem preußischen König ermöglichte, den pro-polnischen Kurs rasch zu beenden. Der "Aufstand" der Polen wurde Anfang Mai von preußischem Militär, unter Beifall Russlands und Protesten Frankreichs, niedergeschlagen und der Großteil der Provinz fortan zu Deutschland gerechnet; nur ein Rest-Posen sollte autonom werden.

Diese Entwicklung ließ die Frankfurter Liberalen und Demokraten von einer Verlegenheit in die andere fallen. Vor allem die Argumente der Deutsch-Posener, die parallel zum Entstehen eines deutschen Staates nicht zu Staatsbürgern Polens werden wollten, sowie das Streben nach einem gegenüber Russland starken Deutschland führten dazu, dass eine Politik der ungebremsten Interessenwahrung Deutschlands in den Vordergrund rückte. Schon längst vor Zusammentritt der Paulskirche hatte damit der Völkerfrühling sein Ende gefunden.

Zusammensetzung der Nationalversammlung

Die Wahlen zur Nationalversammlung bestätigten die Erwartung, dass das Volk einen klaren Auftrag zur Nationalstaatsgründung erteilen und damit den Parlamentariern eine starke Position bringen würde. Bei den in Regie der Einzelstaaten durchgeführten Wahlen galt das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht, Frauen waren, gemäß zeitgenössischen Gepflogenheiten, nicht zugelassen. Offen gelassen waren die Alternativen geheime oder öffentliche beziehungsweise direkte oder indirekte Wahl; entsprechend unterschiedlich wurde abgestimmt. Ferner durften nur "Selbstständige" wählen, was wiederum unterschiedlich ausgelegt wurde. In manchen Ländern wie Preußen waren nur die Empfänger öffentlicher Armenunterstützung ausgeschlossen, in Österreich und anderen Staaten auch Tagelöhner, Dienstboten, Handwerker und andere. Wahlberechtigt waren dennoch für jene Epoche stattliche 80 Prozent der erwachsenen Männer, von denen ein großer, je nach Region zwischen 40 und 75 Prozent schwankender Anteil tatsächlich wählen ging; nur in Gebieten mit slawischer Bevölkerung wie in Böhmen und Mähren kamen keine Wahlen zustande.

In der Nationalversammlung fand sich in einzigartiger Weise die geistige Elite Deutschlands zusammen. Mangelnde politische Praxis wurde durch vorangegangene theoretische Studien, Welterfahrenheit und -offenheit kompensiert. Eine gesellschaftliche Aufschlüsselung der 812 gewählten Abgeordneten und ihrer Stellvertreter ergibt 357 Vertreter geistiger und freier Berufe, 312 Staats- und Gemeindediener, 99 der Wirtschaft angehörende Parlamentarier. Professoren, Advokaten, Richter/Staatsanwälte und höhere Verwaltungsbeamte stellten jeweils Gruppen von etwa 100 Abgeordneten. Am unteren Ende der Hierarchie standen vier Handwerker. Arbeiter fehlten. Am auffallendsten war der hohe Anteil von 439 Beamten, denen damals eine überragende politische Sachkunde zugeschrieben wurde. Tonangebend waren vielfach die traditionell politisch engagierten Professoren. Eine starke Fraktion stellten auch die Nationalökonomen in der Tradition von Friedrich List (1789-1846) mit ihren großräumigen Zukunftsvisionen. Veteranen der Befreiungskriege wie Ernst Moritz Arndt (1769-1860) dessen Lied "Was ist des Deutschen Vaterland?" wie eine Nationalhymne gesungen wurde, saßen neben seit langem eng zusammenarbeitenden ehemaligen Burschenschaftlern, gefeierten Widerständlern der Restaurationszeit und ehemaligen Emigranten.

Bei den Beratungen, deren Dauer auf drei bis vier Monate veranschlagt wurde, fanden die Abgeordneten mit ihren ganz unterschiedlichen sozialen und staatlichen Traditionen, aus Schleswig oder Triest, aus Posen oder den Rheinlanden, rasch zusammen. Die primitiven Arbeitsbedingungen stellten dabei hohe Anforderungen an die bis zur Erschöpfung tätigen Abgeordneten. Rhetorik stand hoch im Kurs, Langweiler waren schlecht gelitten. Die von einer ausgeprägten politischen Pädagogik gekennzeichneten Reden sollten über das Parlament hinaus die Öffentlichkeit bilden und durch den Gedanken an ein freiheitliches und starkes Deutschland faszinieren. Tatsächlich erreichten die Debattenbeiträge durch neuartige stenographische Mitschriften und Abdrucke von Reden in Zeitungen ein breites Publikum.

QuellentextArbeitsbedingungen in der Paulskirche

Den Versammlungsort, die Paulskirche, schildert der Schriftsteller Robert Heller:
Den Altar überdeckte man mit einem Vorhang und die darüber befindliche Orgel mit dem Gemälde einer Germania. Von wo der Priester den Segen gesprochen hatte, dahin ward der Sitz des Präsidenten gepflanzt, die Kanzel in eine Rednerbühne verwandelt, [...]. Das runde Schiff wird von einer hohen Säulenreihe eingefaßt, darin nahmen fünfhundert Abgeordnete ihre Plätze. Die Berichterstatter der Zeitungen setzte man zwischen die Säulen, die Zuhörer auf die ungeheure Emporkirche, welche auf der Säulenreihe ruht. Außerdem blieb ein beträchtlicher Raum zur Verteilung übrig. [...] Was dagegen auf beiden Seiten unmittelbar an die erhöhte Tribüne des Präsidiums stößt, ist zur Linken eine den Damen vorbehaltene Loge, zur Rechten eine bevorzugte Abteilung der mit Einlaßkarten versehenen Herren und Diplomaten.

Robert Blum schreibt seiner Frau Jenny am 27. Mai:
Das Treiben hier ist jetzt betäubend, keinen Tag, keine Stunde Ruhe, und doch keine Frucht. Öffentliche Sitzungen, Abteilungssitzungen, Sitzungen in drei Kommissionen, und zwar den wichtigsten, Parteiberatungen, Klubberatungen, Kommissionsarbeiten und dazu eine Zeitung - wer sagt, daß ich nicht arbeite, der lügt schauderhaft.

Hans Jessen (Hg.), Die deutsche Revolution 1848/49 in Augenzeugenberichten, München 1973, S. 131 ff.

Aus den Erinnerungen Robert von Mohls, der 1848/49 Reichs-justizminister war:
[...] Von Lokalen für Ausschüsse war gar keine Rede; diese waren in der Stadt, zum Teile in ziemlichen Entfernungen, gemietet. Es konnte also, was doch oft nötig gewesen wäre, kein schneller Zusammentritt eines Ausschusses stattfinden. Allein nicht einmal der Präsident oder das Ministerium hatten Sprechzimmer, so daß eine Beratung oder schnelle Besprechung in freier Luft auf dem Paulsplatze bei jeder Witterung stattfinden mußte. Ich erinnere mich, eine Verhandlung mit dem Staatsrate [...] über den Eintritt in ein von ihm zu bildendes Ministerium hier in strömendem Regen gehabt zu haben.
[...] Endlich und hauptsächlich war es ein wirkliches Unglück, daß die Emporbühnen der Kirche Raum für viel zu viele Zuhörer boten.
[...] Ihr Beifalls- oder Mißfallensrufen war unwürdig für die Versammlung und hatte auf manches Mitglied einen Einfluß bei der Abstimmung [...].
Glücklicherweise war jedoch dieser Unfug nicht regelmäßig, im Anfang sogar sehr selten; bei ruhiger Haltung aber machte die Versammlung in der Tat einen großen Eindruck, welchen keiner, welcher sie sah, leicht vergessen wird.

Dietrich Kerler (Hg.) Robert von Mohl, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Stuttgart/Leipzig 1962, S. 34 ff.

Ausschüsse und Fraktionen

Früh zu Bedeutung gelangten Ausschüsse, allen voran der prominent besetzte Verfassungsausschuss mit liberaler Majorität. Ihm gehörten unter dem Vorsitz von Friedrich Bassermann die Verfassungsexperten Friedrich Christoph Dahlmann, Karl Theodor Welcker, Georg Beseler, Johann Gustav Droysen, Karl Joseph Mittermaier und Robert Mohl an, daneben als Vertreter der Linken beziehungsweise Rechten Robert Blum und Felix Fürst von Lichnowsky.

Noch wichtiger aber wurden die Fraktionen. Bei neuerlicher Majorität der Liberalen zeichneten sich vier parteipolitische Gruppierungen ab, mehr Clubs als feste Organisationen, deren Einzelfraktionen nach den Frankfurter Tagungslokalen benannt waren: Das "Café Milani" umfasste Reformkonservative vornehmlich aus Preußen, Österreich und Bayern. Sie hatten sich auf den Bänken der äußersten rechten Seite der Paulskirche platziert. Im "Casino", der größten Fraktion, und deren Abspaltung "Landsberg" waren die rechten Liberalen, besonders aus dem Südwesten, aus dem rheinischen Bürgertum und aus der norddeutschen Professorenschaft, versammelt. Der "Württemberger Hof" und dessen Abspaltung "Augsburger Hof" beherbergten die linken Liberalen vor allem aus Mittel- und Kleinstaaten.

Die Linke mit ihren wichtigen Zentren in Baden und Sachsen traf sich in der "Westendhall", dem "Deutschen Hof" und im "Donnersberg". Die Westendhall stellte das Bindeglied zu den Liberalen dar, die stärkste Gruppe, auf der linken Seite der Paulskirche, war der von Blum geführte Deutsche Hof, während im Donnersberg die "radikalen" Republikaner zusammenfanden. Außerdem gab es mehr als 30 Prozent Fraktionslose. Konservative im Sinne des Metternichschen Systems waren in dieser Nationalversammlung ebenso wenig vertreten wie Sozialisten. Ein "Katholischer Club" arbeitete nur in Fragen zusammen, die die Kirchen betrafen.

Die vier Monate von der feierlichen Eröffnung der Nationalversammlung am 18. Mai bis zur Septemberkrise, die durch den Waffenstillstand von Malmö im Schleswig-Krieg mit Dänemark ausgelöst wurde, waren die Glanzzeit der Paulskirche. Durch die Gegenrevolution in der Habsburgermonarchie und Preußen Ende Oktober/Anfang November geriet die Paulskirche jedoch verstärkt unter Druck, der eskalierte, als das gegenrevolutionäre Österreich am 27. November seine Beteiligung an einem großdeutschen Staat ablehnte und am 9. März des folgenden Jahres die Paulskirche mit der Forderung konfrontierte, den österreichischen Gesamtstaat in den neuen deutschen Staatenverband aufzunehmen.

Dies bedeutete faktisch, dass statt eines deutschen Nationalstaates ein "Großösterreich" mit multinationalem Charakter entstehen sollte, wofür es in der Paulskirche keine Mehrheit gab. Da demgegenüber eine Zusammenarbeit mit dem gegenrevolutionären Preußen noch denkbar schien, blieb der Paulskirche nur die Möglichkeit, sich nach einem einjährigen vergeblichen Ringen um eine "großdeutsche" Lösung auf das Modell "Kleindeutschland" mit Friedrich Wilhelm IV. als erblichem Kaiser festzulegen.

Unter großen Turbulenzen gruppierte sich die Nationalversammlung um und ermöglichte dank beeindruckender Kompromisse einen Abschluss der Beratungen über die Verfassung und deren Verkündung am 28. März 1849. An die Stelle der alten Fraktionen mit einer Rechts-Links-Staffelung von den Reformkonservativen bis zu den Republikanern traten dabei an der nationalen Frage orientierte Gruppen. Mit knapper Mehrheit behauptete sich eine "erbkaiserliche" Fraktion, die nach ihrem Tagungslokal auch "Weidenbusch" genannt wurde, gegenüber jenen Fraktionen, die unbeirrt an großdeutschen oder großösterreichischen Ideen festhielten. Zur Grundvoraussetzung für diesen Erfolg wurde der Simon-Gagern-Pakt, in dem sich eine Gruppe von Demokraten um Heinrich Simon verpflichtete, für eine Monarchie und den Preußenkönig zu stimmen. Als Gegenleistung wurde ihr von den Liberalen um Gagern zugestanden, dass in Deutschland auch künftig nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt werden und die Rechte des Kaisers in der Gesetzgebung eingeschränkt werden sollten, indem dieser nur noch ein aufschiebendes Vetorecht erhielt. Am Ende der Verfassungsberatungen stand damit, denkt man an die Ausgangspositionen der Liberalen und die Abdrängung der Demokraten in die Oppositionsrolle zurück, ein überraschendes Ergebnis: Das neue Deutschland war kleindeutsch und erstaunlich demokratisch und modern.

Auf das Drama der Monate Oktober 1848 bis März 1849, als die erfolgreichen Gegenrevolutionen in Österreich und Preußen die Paulskirche verstärkt unter Druck setzten, ist später zurückzukommen. Hier sollen zunächst die frühen verfassungspolitischen Ansätze und insgesamt die Politik der Paulskirche, solange diese noch frei von äußeren Zwängen war, vorgestellt werden, verbunden mit einer Würdigung der im März 1849 verabschiedeten Reichsverfassung.

Die Paulskirche startete mit der Wahl Heinrich von Gagerns zu ihrem Präsidenten, der an das Vorparlament mit den Worten anknüpfte: "Wir wollen schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich [...] Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung liegen in der Souveränität der Nation." Nach heftigen Debatten einigte sich das Parlament sodann auf den Vorrang der künftigen Reichsverfassung vor den Verfassungen der Einzelstaaten. Dann wurde das heiße Eisen der Regierungsbildung angepackt, wobei die Situation im Juni ungewöhnlich günstig war. Zu dieser Zeit konnte sogar auf eine Mitarbeit Österreichs gehofft werden, da hier Führungskrise und nationale Auflösungserscheinungen so weit fortgeschritten waren, dass selbst der Hof eine Aufteilung der Monarchie und eine Anlehnung des westlichen Österreichs an Deutschland als Notanker ansah.

Wahl des Reichsverwesers

In der Paulskirche wurden die verschiedensten Modelle einer staatlichen Führung diskutiert. Das Casino befürwortete ein Dreierdirektorium, bestehend aus je einem Repräsentanten Österreichs, Preußens und des übrigen Deutschlands, die Linke favorisierte das Projekt eines republikanischen Vollziehungsausschusses. Den Weg zu der schließlich am 28. Juni von 450 Abgeordneten bei nur 100 Gegenstimmen getragenen Lösung wies dann der neue Parlamentspräsident. Er forderte die Nationalversammlung auf, einen Habsburger Fürsten, den als "Volksmann" geltenden Erzherzog Johann (1782-1859), dem am 15. Juni die Regentschaft in Österreich übertragen worden war, zum Reichsverweser zu wählen. Auf die "Souveränität der Nation" pochend führte Gagern aus: "Ich tue einen kühnen Griff, und ich sage Ihnen, wir müssen die provisorische Zentralgewalt selbst schaffen!"

In einem besonderen Gesetz über die provisorische Zentralgewalt war vorgesehen, dass der Reichsverweser eine starke Stellung erhielt, so durch Übertragung der vollziehenden Gewalt in allen Fragen der Wohlfahrt und Sicherheit Deutschlands, wobei diese dehnbaren Begriffe nicht definiert waren. Er war befugt, ein Reichsministerium zu berufen, das seine Regierungsakte gegenzuzeichnen und zu verantworten hatte. Auf konkurrierende Souveränitätsansprüche aus Einzelstaaten, deren Parlamente ebenfalls Mitbestimmungsrechte anmeldeten, wurde keine Rücksicht genommen. Die Landesregierungen sollten zwar Bevollmächtigte nach Frankfurt schicken, doch wollte man sich nur "soweit tunlich" mit ihnen "ins Einvernehmen setzen". Der Bundestag wurde aufgehoben.

Diese Konstruktion einer Staatsspitze stellte mehr als ein Provisorium dar und wurde daher zu Recht als eine von einer beeindruckenden Mehrheit getragene deutliche Richtungsvorgabe für den künftigen Staatsaufbau Deutschlands gefeiert. Mit der Wahl des Habsburgers wurde die Absicht erhärtet, ein starkes Deutschland, benannt "Deutsches Reich", in großdeutschen Konturen zu schaffen. Die starke Stellung des provisorischen Reichsoberhaupts entsprach den Grundüberlegungen des Casino. Doch wie im Vorparlament kam, linksliberalen Vorgaben folgend, auch der parlamentarische Gedanke nicht zu kurz, denn die neue Regierung war, nach einhelliger Meinung und wie die folgende Verfassungspraxis zeigte, vom Vertrauen der Mehrheit der Nationalversammlung abhängig. Das gewaltenteilige Deutschland sollte eine konstitutionelle Monarchie mit starker parlamentarischer Komponente werden.

Das neue Staatsoberhaupt, Erzherzog Johann, hatte sich ungeachtet seiner strikten Loyalität zurHabsburgermonarchie durch national-deutsche Überzeugungen profiliert und war außerdem wegenseiner Ehe mit einer bürgerlichen Postmeistertochter sowie durch seine konziliante Haltung populär. Sein Amt in Deutschland hatte zur Folge, dass er seine Regentschaft in Österreich wieder niederlegen musste, was als Anzeichen dafür anzusehen war, dass der Habsburger eine Führung Österreichs und Deutschlands in Personalunion wegen der "Gefahr" einer Interessenkollision ablehnte. Johann etablierte umgehend unter Fürst Karl zu Leiningen, einem Halbbruder der Königin Victoria von England, eine liberale Regierung. Eine Schlüsselstellung erhielt der mit Johann eng kooperierende Schmerling als Innenminister. Weitere wichtige Ämter gingen an den Hamburger Johann Gustav Heckscher als Außenminister, den Rheinländer Hermann von Beckerath als Finanzminister und den preußischen General Eduard von Peucker als Kriegsminister.

Differenzen um das Militär

Der Optimismus der Nationalversammlung, der durch eine recht problemlose, wenn auch unter Vorbehalten ausgesprochene Anerkennung der Zentralgewalt durch die deutschen Einzelstaaten gefördert worden war, erhielt in der Frage der künftigen Wehrverfassung einen heftigen Dämpfer. Der Deutsche Bund besaß zwar ein 300000 Mann starkes Bundesheer, doch insbesondere die großen Staaten verfügten über ihre jeweiligen Kontingente so gut wie autonom. Nur Bundesfestungen wie das für den Frankfurter Raum wichtige Mainz waren eher der Zentrale zugeordnet. Als Kriegsminister Peucker die Einzelstaaten aufforderte, am 6. August in allen Garnisonen die neuen Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold aufzuziehen und dem Reichsverweser zu huldigen, widersetzten sich die Einzelstaaten erstmals. Nicht einmal ein solcher symbolischer Akt wurde mehrheitlich hingenommen, der eine Ausrichtung der Truppen auf die Interessen Deutschlands widerspiegelte, ohne die Hoheitsrechte über sie im Einzelnen zu definieren.

Diese Weigerung stellte mit Blick auf Österreich, das strikt auf seine Unabhängigkeit achtete und in Kriege verwickelt war, noch keine neuartige Entwicklung dar. Perspektivisch bedrohlicher war demgegenüber, dass konservative Militärs auch und gerade in Preußen eine erfolgreiche Kampagne gegen den Huldigungserlass starteten. Diese sahen das preußische Heer als Sockel des Hohenzollernstaates an und sprachen davon, dass eine erfolgreiche Deutschlandpolitik nur zustande kommen könne, wenn Preußen mit seinem Heer nicht dem machtlosen Frankfurter "Schattenreich" geopfert würde. Im Windschatten Preußens verweigerten auch die Mittelstaaten die Huldigung. Der Nationalversammlung blieben nur die traditionellen Zugriffsrechte der Zentrale auf Bundesfestungen, damit aber auch das Risiko, dass von diesen aus kaum anderes als Einsätze bei Unruhen von links denkbar waren.

Bemühungen um internationale Anerkennung

Keineswegs günstiger waren die Perspektiven der Paulskirchenversammlung in der Frage einer Anerkennung des Deutschen Reichs durch andere Staaten, von einer außenpolitischen Hilfe durch andere Nationalbewegungen oder etablierte Großmächte ganz zu schweigen. Maßgeblich waren die schon vor dem Zusammentritt der Paulskirche im Vorparlament aufgelaufenen Probleme: Der Krieg deutscher Truppen gegen Dänemark und - besonders bedrückend - die unausweichlichen massiven Interessenkollisionen mit anderen Nationalbewegungen, die gleichermaßen wie die deutsche weitgesteckte Ziele verfolgten.

Am tiefsten und mit großer Langzeitwirkung wurde 1848 das Verhältnis zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk getrübt. Die Nationalversammlung war an dieser Entwicklung insofern beteiligt, als sie Ende Juli die Einbeziehung des Großteils der Provinz Posen mit seiner polnischsprachigen Mehrheit in das Deutsche Reich guthieß. Wie in allen deutschlandpolitischen Debatten der Paulskirche fehlten gute oder zumindest bedenkenswerte Argumente ebenso wenig wie besonnene Stimmen, doch haften blieben letztlich eher nationalistische Töne, Kulturdünkel und überzogene Eigeninteressen.

QuellentextProtestnote zum Polen-Entscheid

Deutsches Volk, das Unglaubliche ist geschehen! Die Mehrheit Deiner Vertreter hat die Revolution verleugnet und die theuersten Sympathien freier Völker verscherzt! Sie hat eine neue Theilung Polens ohne sichere Ermittlung der dortigen Bevölkerungsverhältnisse vorgenommen und die alten Theilungen für immer genehmigt [...].
Das ist der Sinn ihres heutigen Beschlusses in der Polensache. [...]
Dies ist ein unerhörtes Unglück, welches uns den Herzen unserer polnischen Brüder entfremdet, Mißtrauen zwischen ihnen und uns gesät [...] hat [...].
Die Mehrheit der Nationalversammlung hat keinen Sinn und kein Herz für die Befreiung unserer Nachbarvölker gezeigt. Sie hat kein Wort des Friedens für Italien, keine Sylbe des Mitgefühls für Polen gehabt. Es hat sich vielmehr ein brutaler Völkeregoismus erhoben, der die Italiener wieder unterwerfen und dem grausamen Bombardierer Radetzky wieder nach Mailand verhelfen, der die polnische Nation für immer aus der Reihe der Völker ausstreichen, und die Slaven in Österreich zu keiner freien und eignen Gestaltung ihrer Angelegenheiten kommen lassen will. [...]
331 Stimmen gegen 101 Stimmen haben die Erklärung der Theilung Polens für ein schmachvolles Unrecht und die Anerkenntnis der heiligen Pflicht des deutschen Volkes zur Wiederherstellung eines selbständigen Polens mitzuwirken verweigert. Und diese 331 sind zu einem Theile dieselben Leute, welche im Vorparlament jene schönen Beschlüsse faßten! [...]
Wir, die wir der Minderheit der Nationalversammlung angehören, wir erklären feierlich, vor aller Welt, daß wir nur die Gerechtigkeit gegen unsere Mitvölker, die Gründung eines neuen Friedens und neuer Verträge zwischen gleichen und freien Völkern gewollt und beantragt. [...] Unsere Ehre erfordert es, daß wir dies aussprechen, unser Gewissen, daß wir uns feierlich und förmlich verwahren gegen die Beschlüsse, die am heutigen Tage durch die Mehrheit der Versammlung gefaßt worden sind.
Das Ende Polens wäre das Ende Deutschlands, die Theilung Polens durch die deutsche Nation theilt Deutschland zwischen Rußland und Frankreich, zwischen Republik und Despotie, zwischen französische Freiheit und russische Knute, Deutsche, rettet Deutschland.

Die radical-demokratische Partei der constituirenden deutschen Nationalversammlung
Frankfurt am Main, den 27. Juli 1848

Walter Grab (Hg.), Die Revolution von 1848/49. Eine Dokumentation, Stuttgart 1998, S. 106 ff.

Von vergleichbaren Vergiftungen verschont blieben die Beziehungen zum Risorgimento. Doch da auch dort Ideen von einer Urfeindschaft heranwuchsen, die auf Österreich gerichtet sei - so im Krieg, den König Karl Albert zur Unterstützung der Mailänder Freiheitsbewegung gegen die Habsburgermonarchie geführt hatte -, strahlte dies auf das Verhältnis zu Frankfurt erheblich aus. Die Paulskirche sympathisierte wie selbstverständlich mit dem "deutschen" Österreich, zumal es auch direkte Reibungspunkte mit der italienischen Nationalbewegung gab, da Triest und Südtirol mit dessen damals nach Süden ragenden Landesteilen, in denen mehrheitlich italienisch gesprochen wurde, zum Deutschen Bund gehörten. Von einer ähnlichen Frontstellung geprägt blieben auch die Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen und Mähren.

Bei den Bemühungen um diplomatische Anerkennung des neuen Deutschen Reichs durch etablierte Staaten erwies sich, dass für diese nach wie vor die alten Großmächte Österreich und Preußen die entscheidenden Bezugspunkte blieben. Im England der Königin Victoria, dem Wunschpartner der Liberalen, sympathisierte zwar der Hof unter Einfluss des Coburger Prinzgemahls Albert mit den deutschen Liberalen, doch schon der Krieg um Schleswig hatte den leitenden Minister Lord Henry Palmerston zu einer kritischen Distanz veranlasst.

England war im Vormärz mit der Lage in Mitteleuropa zunehmend unzufrieden geworden, da das labile Österreich dort die Sicherheit und damit das Gleichgewicht Europas nicht mehr garantierte. Ein sich durch moderate Machterweiterung zu einem deutschen Nationalstaat wandelndes Preußen hätte 1848 daher eine willkommene Verbesserung dargestellt. Ganz anders wurde das großdeutsche Projekt der Paulskirche gesehen, denn dessen Realisierung schien gleichbedeutend mit der Errichtung einer kontinentalen Hegemonialmacht, die außerdem Ambitionen als Seemacht hatte.

Auch der Wunschpartner der Demokraten, Frankreich, dachte eher an Kompensationen für den zu erwartenden Machtzuwachs Deutschlands als an dessen diplomatische Anerkennung, wobei die starken Veränderungen der innenpolitischen Szenerie Frankreichs im Revolutionsjahr eher bedeutungslos blieben. Hier hatten Wahlen zu einer Nationalversammlung liberalen Republikanern die Mehrheit verschafft, die - bei gleichzeitiger Radikalisierung der Arbeiterschaft - fortan gegen die linke Opposition vorgingen, was im Juni zu einem Arbeiteraufstand führte, der von Kriegsminister Louis Eugène Cavaignac blutig niedergeschlagenen wurde. Unter diesem als neuem Regierungschef rückten in Frankreich wieder konservative Leitideen in den Vordergrund, und unter dessen im Dezember vereidigten Nachfolger Louis Napoleon Bonaparte, einem Neffen Napoleons I., sollte das Land dann für längere Zeit "bonapartistisch" geführt werden.

Unverhohlen feindlich zeigte sich das absolutistische Russland, von Liberalen wie Demokraten durchgängig als "Hort der Reaktion" bezeichnet. Zar Nikolaj I. musste bei einer nationalstaatlichen Umgestaltung Europas und der Errichtung eines Deutschen Reichs um seine Vorherrschaft in Osteuropa und seinen Einfluss auf Mitteleuropa fürchten. Solche Sorgen wurden durch das Risiko eines direkten Eindringens der Verfassungsbewegung nach Russland noch gesteigert. Folglich drängte er Preußen während des ganzen Revolutionsjahres zu einem entschiedenen Vorgehen gegen Frankfurt und war mit Angeboten, militärisch zu helfen, schnell bei der Hand.

Vor dem Hintergrund dieser Distanz beziehungsweise Feindschaft der entscheidenden Großmächte Europas konnte sich die Paulskirche schließlich nur über die Anerkennung durch die fernen Vereinigten Staaten von Amerika freuen sowie durch die kleinerer Staaten wie Schweden, die Niederlande, Belgien, die Schweiz, Sardinien, Neapel und Griechenland.

Weltmachtperspektiven

Im historischen Rückblick überrascht es nicht, dass der Traum der Märzrevolution von einem idyllischen "europäischen Haus" schon früh sein Ende gefunden hatte und die Paulskirche hieran nichts ändern konnte. Zu fragen bleibt aber nach ihrem eigenen Konzept und damit dem Anteil, den sie an der Entwicklung hatte. Ausgangspunkt waren und blieben die Vorstellungen der traditionellen deutschen Nationalbewegung, denen zufolge das Zeitalter von Volksstaaten angebrochen sei und damit auch Deutschland in einem Staat leben sollte, dessen Grenzen denen des deutschen Volkes in gerechter Weise entsprachen.

Argumentiert wurde dabei auch mit historischen Rechten, für die teilweise bis in die Zeit des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zurückgegangen wurde, um stützende Beweise zu erbringen. Noch mehr galt der Deutsche Bund als Anknüpfungspunkt, dessen Territorium als unverzichtbarer Sockel Deutschlands angesehen wurde, dessen vormalige Außenpolitik aber einmütig als abschreckendes Beispiel galt. Die Abgeordneten waren durchdrungen von der Vorstellung, Deutschlands "Ehre" sei nach Jahrzehnten vermeintlich schmachvoller Schwäche und nationaler Erniedrigung "wiederherzustellen". Hier spielten auch Reflexionen über das angebrochene imperiale Zeitalter und Beobachtungen der Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika eine Rolle. Vor allem Nationalökonomen entwickelten die Vision, dass die Zukunft sich frei entfaltenden imperialen Weltmächten, großen Flächenstaaten mit kolonialen Ergänzungsräumen gehören werde. Das Deutsche Reich wurde gern in leuchtenden Farben als große mitteleuropäische Basis geschildert, die dank der neuen Eisenbahnen und der "deutschen Ströme" wie Donau und Rhein an die Nord- und Ostsee sowie an das Mittelmeer und das Schwarze Meer angebunden sei. Die imperialen Anschauungen prägten also das kontinentale Konzept mit und weiteten es aus, sie wurden bei allen sich rundum ergebenden Grenzfragen thematisiert, musste doch die Ausdehnung des Kernlandes den Anspruch auf eine Weltmachtrolle rechtfertigen.

Insbesondere war zu beobachten, dass immer, wenn der Blick auf den unaufhaltsam erscheinenden Zerfall der Habsburgermonarchie fiel, Südosteuropa als deutsches Interessengebiet hingestellt wurde; auf keinen Fall sollte Russland hier das Erbe Österreichs antreten dürfen. Mit Blick auf Italien galt die zum Deutschen Bund gehörende Hafenstadt Triest als viel zu schmaler Zugang Deutschlands zum Mittelmeer. Ein verbreitertes Hinterland sollten Istrien mit dem weiteren Hafen Pola und Venetien darstellen. An sich unbedeutende Grenzprobleme mit den Niederlanden führten zu Spekulationen über einen allerdings erst später zu verwirklichenden Ausbau der deutschen Atlantik-Position. Grundlage hierfür war eine Magnettheorie, die besagte, dass der freiheitliche und machtpolitische Glanz des Deutschen Reiches so groß werden würde, dass dieser als germanischer Kernstaat die "Brüdervölker" anziehen werde, wodurch auch eine friedliche Beerbung der Niederlande ins Blickfeld rückte.

Angesichts solcher weltpolitischer Ambitionen war der Wunsch nach einer deutschen Flotte zwangsläufig, zumal die dänische Seeblockade als Ausdruck einer akuten und unerträglichen maritimen Schwäche Deutschlands angesehen wurde. Folglich stellte sich die Paulskirche an die Spitze der Flottenbegeisterung, die sich in Deutschland ausbreitete, und gründete - mit bescheidenem Erfolg - eine deutsche Flotte. Für die Gegenwart sollte sie als reiner Küstenschutz fungieren, doch Fernziel war eine große deutsche Seemacht.

Vor diesem Hintergrund entfernte sich die Paulskirche von der Idee einer Staatenfamilie, die Platz für kleine wie große Staaten hatte, und bewegte sich wieder in Richtung auf ein Großmächte-Europa, zu dem nun neben Russland, Frankreich und England das Deutsche Reich gehören sollte. Italien und Polen mochten in nebulöser Zukunft dazustoßen, wenn sie - wie man es ausdrückte - die "Reife" hierzu erlangt haben würden. England und Frankreich galten als bündnisfähig. Mit Blick auf das absolutistische Russland bestand der Wunsch, dass dieses sich mittel- oder langfristig an ein liberal-demokratisches Europa anpassen würde. Deutschland selbst schrieben die Abgeordneten gern eine Mittlerrolle zwischen Ost und West zu.

Das nationale Konzept der Paulskirche stellte einen ambitionierten und schwer realisierbaren Plan für Europa dar, der ungeachtet der Preisgabe idealistischer Vorstellungen vom Frühjahr 1848 eine bedenkenswerte Fortentwicklung darstellte. Hier zeigte sich ein Erwartungshorizont, der den Zeittrends des imperialistischen Zeitalters entsprach und der sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein behaupten sollte.

Dennoch sind pauschale Verurteilungen nicht angemessen. Dies gilt in erster Linie, weil sich die Paulskirche im Laufe des Revolutionsjahres, wenn die Umstände es geboten, als lernfähig und konzessionsbereit erwies. Mit ihrem Umschwenken zu kleindeutschen Zielvorstellungen erledigte sich ein erheblicher Teil der weltpolitischen Ambitionen, auch wenn weiterhin auf eine enge Verbindung Deutschlands mit Österreich gehofft wurde. Nicht minder bedeutsam war, dass die Paulskirche nicht an ein chauvinistisches und säbelrasselndes Imperium dachte, vor allem die Liberalen konnten sich das Deutsche Reich nur als Hort von Frieden und Freiheit vorstellen. Ein freiheitliches Deutschland mit einem vorbildlichen Minderheitenschutz im Innern sollte zusammen mit Frankreich und mit England, das allerdings bisweilen schon als Gegenspieler gesehen wurde, für ein prosperierendes Europa sorgen.

Dieser Grundposition entsprach die Einstellung der Abgeordneten zu nationalen Einigungskriegen. Solche Unternehmungen wurden zwar nicht prinzipiell verworfen, doch anders als in späteren Epochen der deutschen Geschichte blieben Sorgen vor den ruinösen und unkontrollierbaren Folgen europaweiter Kriege vorherrschend. Man erinnerte sich an schmerzliche historische Erfahrungen, die über die napoleonische Zeit hinaus bis zum Dreißigjährigen Krieg zurück reichten. Entsprechend war die Entscheidung zum Krieg gegen das vermeintlich schwache Dänemark nur wegen der Annahme leicht gefallen, dass es sich um ein eng begrenztes Unternehmen in Analogie zu den Sturmpetitionen der Märzrevolution handele. Dänemark sollte durch eine kraftvolle Demonstration bewogen werden, eine vermeintliche Selbstverständlichkeit hinzunehmen.

Schließlich sind auch die vielfach markigen, nicht selten nationalistischen und martialisch klingenden Kernsprüche von Abgeordneten zu relativieren, die häufig als Redeabschluss gebraucht wurden. Vor dem Hintergrund ihrer Gewalt scheuenden und grundlegende Konzessionen nicht ausschließenden Politik waren sie in erster Linie als politische Strategie zu verstehen. Die deutsche Nationalversammlung entfaltete all ihren rhetorischen und intellektuellen Glanz, um mit missionarischem Eifer für ihre Herzenssache, die Verwirklichung der traditionellen Visionen der deutschen Nationalbewegung von einem freien und starken Deutschland, zu kämpfen. Dabei ließ die Paulskirche den Wunschvorstellungen nicht zuletzt deshalb freien Lauf, weil die deutsche Öffentlichkeit von diesen fasziniert werden und damit auf das Parlament als Baumeister Deutschlands eingeschworen werden sollte. Zudem galten außenpolitisch frühe Abstriche als problematisch, sollte doch den anderen Mächten demonstriert werden,dass das Zeitalter der Schwäche des Deutschen Bundes unwiderruflich der Vergangenheit angehöre.

Prestigeverlust in der Septemberkrise

Welche Probleme andererseits auf die Paulskirchenversammlung bei Anwendung von Gewalt lauerten, zeigte sich bei ihren Verstrickungen in den Krieg mit Dänemark. Diese führten schon im September, also zu einem Zeitpunkt, als das eigentliche Drama der Paulskirche durch die Gegenrevolutionen in Österreich und Preußen noch nicht eingesetzt hatte, zu einer von Unruhen begleiteten Parlaments- und Regierungskrise. In Schleswig hatte Preußen auf Druck Englands und Russlands die deutschen Truppen aus Jütland und Nordschleswig zurückgezogen, was eine Verhandlungslösung mit einer Teilung Schleswigs andeutete. Die Folge waren heftige Proteste der Paulskirche und vor allem ein problematischer Beschluss vom 9. Juni. In ihm beanspruchte die Nationalversammlung die Zuständigkeit in der "schleswigschen Sache" für sich und forderte einen Frieden, bei dem "die Rechte der Herzogtümer Schleswig und Holstein und die Ehre Deutschlands gewahrt" würden.

Alle Versuche der Frankfurter Regierung, in entsprechende Waffenstillstandsverhandlungen einbezogen zu werden, waren jedoch erfolglos, so dass das Parlament von dem am 26. August in Malmö vereinbarten Waffenstillstandsabkommen zwischen Dänemark und Preußen völlig überrascht wurde. Die angestrebte Einbeziehung ganz Schleswigs in das Deutsche Reich war fortan nicht mehr zu erwarten. Nach heftigen Debatten beschloss die Paulskirche daraufhin am 9. September, gegen die Vollziehung des Waffenstillstands ihr Veto einzulegen. Die Regierung Leiningen, die keine Chance sah, sich Preußen zu widersetzen, wurde aufgrund eines destruktiven Misstrauensvotums gestürzt. Da eine neue, den Krieg fortsetzende Regierung nicht zu finden war, vollzog das Parlament eine Woche später eine Kehrtwende und nahm nun auch seinerseits den Waffenstillstand hin.

Die politische Linke im Parlament und in der deutschen Öffentlichkeit wertete dies als nationalen Verrat und rief zu einem auf Schleswig konzentrierten nationalen Einigungskrieg auf. Nach dem Scheitern des Hecker-Zuges sammelten sich nun abermals radikaldemokratische Kräfte in den politischen Zentren Deutschlands, so auch im Rhein-Main-Raum, zum Widerstand gegen den Kurs der neuen liberalen Führung und suchten gleichzeitig das Projekt einer zweiten, zunehmend sozialrevolutionär verstandenen politischen Umwälzung voranzutreiben. Vom preußischen Rheinland bis Baden, aber auch in Hessen und Mitteldeutschland war ein Volksaufstand nicht ausgeschlossen. In Frankfurt forderten Radikale die Schaffung eines Gegenparlaments. Parlamentarisch orientierte demokratische Paulskirchen-Abgeordnete stoppten diese Initiative, dennoch kam es am 18. September zu einem Aufruhr und zur Ermordung zweier Abgeordneter. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, eine neuerliche republikanische Erhebung in Baden fand das gleiche Ende. Tatsächlich behaupteten sich Regierung, nunmehr unter Führung von Schmerling, und Parlament in dieser Septemberkrise, doch war ihr Prestigeverlust beträchtlich.

Zwischen Liberalen und Demokraten schien das Tischtuch zerschnitten. Für Teile des Bürgertums war der Weg hin zu den sich sammelnden gegenrevolutionären Kräften kürzer geworden, meinten diese doch immer schon gewusst zu haben, dass die Revolution in Anarchie und Mord enden würde.

Beratungen über die Grundrechte

Viel weniger dramatisch, wenn auch höchst kontrovers, verliefen die eigentlichen Verfassungsberatungen. Die Debatten über die Grundrechte zogen sich bis zu deren Verabschiedung am 27. Dezember über ein halbes Jahr lang hin. Sie wurden durch Publizierung am 28. Dezember geltendes Recht, das allerdings nur die meisten Mittel- und Kleinstaaten anerkannten. Schon die Entscheidung der Paulskirche, die Verfassungsberatungen mit dem Grundrechtsteil zu beginnen, stieß auf harte Kritik, mehr aber noch der akademische Stil und die lange Dauer der Beratungen. Der entsprechende Spott über das "Professorenparlament" drückte aber schon damals eine von der Rechten und Linken entwickelte und in Deutschland nicht mehr verstummende Parlamentarismuskritik aus. Während rückwärts orientierte Vertreter der alten Eliten von oben herab die Paulskirche als dilettantisch, realitätsfern und anmaßend verurteilten, untergruben radikale Republikaner deren Ansehen, indem sie diese als nicht tatkräftig genug schmähten. Deren Organ, die "Neue Rheinische Zeitung", diffamierte die Paulskirche als "Schwatzclub".

Richtig ist, dass die Beratungen über die Grundrechte auf dem Trugschluss beruhten, in diesem Bereich sei eine rasche Einigung möglich. Doch die Paulskirche wusste, dass sie in Fragen des Staatsaufbaus und der Staatsorgane, beispielsweise hinsichtlich der künftigen Rolle Österreichs und der Habsburger, weniger souverän handeln konnte und Entscheidungen vorbereiten und heranreifen lassen musste. Die freiheitlichen Grundrechte konnten hingegen in eigener Regie beraten und - wie man annahm - in Kraft gesetzt werden. Vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen Unterdrückungspolitik bestand zudem die Hoffnung, dass eine attraktive, auf diesen Grundrechten fußende innere Ausgestaltung Deutschlands das Ansehen des Parlaments und damit dessen Rückhalt in der Öffentlichkeit vergrößern und stabilisieren werde.

Die Reichsverfassung sprach von "Grundrechten"; Begriffe wie Menschen-, Freiheits- oder Bürgerrechte wurden seit den Tagen des Vorparlaments vermieden, um jedes revolutionäre, besonders egalitäre Pathos zu vermeiden, was aber dem Gehalt des glänzenden Katalogs von Rechtsverbürgungen keinen Abbruch tat. Deren Herzstück war die Sicherung unveräußerlicher Freiheitsrechte des Individuums, insbesondere die Unverletzlichkeit der Person, Meinungs- und Pressefreiheit, Demonstrationsrecht und Vereinigungsfreiheit. Unverkennbar waren dabei die Vorbilder der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der französischen Menschenrechtserklärung von 1789. Beeindruckend waren auch Klarheit und Rechtsverbindlichkeit, so dass hier noch die Mütter und Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland anknüpfen konnten. Unter Einfluss der deutschen "historischen Rechtsschule", die auf organisch Gewachsenes Wert legte, wurden zudem auch Korporationen wie Vereine, Genossenschaften, Kirchen und nationale Minderheiten geschützt. So konnten Kirchen bei Glaubensfreiheit im Lande ihre Ordnung und Verwaltung selbst bestimmen, waren aber nicht mehr als Staatskirchen denkbar.

Eine andere Gruppe von Grundrechten befasste sich mit der Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz, beispielsweise der Aufhebung des Adels als Stand, eine weitere mit der Freiheit des Eigentums, so der freien Veräußerlichkeit und Teilbarkeit des Grundbesitzes. Beide Komplexe in Verbindung mit den Freiheitsrechten zielten auf einen erheblichen politischen und sozialen Wandel in Deutschland, wobei vor allem die vielfach noch ständischen Strukturen fallen sollten. Ziel war eine umfassende Gesellschaftsreform, die eine neue homogene Bürgergesellschaft als harmonische Gemeinschaft anstrebte, während die Perspektive der sich herausbildenden Klassengesellschaft noch nicht in den Blick gefasst wurde.

Unberücksichtigt blieben Forderungen nach einem Recht auf Arbeit und einem Schutz sozial Schwacher, die von Sozialrevolutionären bzw. -reformern wie zum Beispiel Karl Marx (1818-1883) und Stephan Born (1824-1898) bereits erhoben worden waren. Dem lag die Annahme zugrunde, dass die neue Freiheit der Einzelnen und der Gesellschaft die wirtschaftliche Not und die sozialen Ungleichheiten so weit eindämmen würden, dass eine "klassenlose Bürgergesellschaft" (Lothar Gall) entstünde. Zugleich bestand die Befürchtung, dass sozialpolitische Regulierungen den alten Polizeistaat in neuem Gewande wiedererstehen lassen würden. Gleichsam als entscheidende Starthilfe für die Unterschichten wurde zunächst lediglich das Recht auf freien Unterricht für "Unbemittelte" festgeschrieben. Doch schon in einer späteren Debatte der Paulskirche vom Februar 1849 über das Recht auf Arbeit wurden zwar aufs Neue Bedenken der Parlamentarier bezüglich sozialpolitischer Vorschriften laut, doch das Parlament bekannte sich zu einer Sozialpflichtigkeit des Staates, etwa durch Förderung des Wirtschaftswachstums oder strukturpolitische Maßnahmen.

Grundrechte 1848 und heute

Grundrechte 1848 und heute

Ein besonderes Problem stellten das Niederlassungsrecht und die Gewerbefreiheit dar, die als Zielpunkt unumstritten waren und in den Grundrechten gewährleistet wurden. Da sich aber beispielsweise für Gemeinden mit noch stark eingeschränkten Bürgerrechten oder für eine Wirtschaft ohne jeden Schutz erhebliche Übergangsschwierigkeiten ergaben, sahen die entsprechenden Paragraphen für die Zukunft eine besondere gesetzliche Ausgleichsregelung vor. Insgesamt entwickelten diese Grundrechte die erwartete Zugkraft. Ihr freiheitliches Ideal und ihre politischen und sozialen Perspektiven trugen erheblich dazu bei, dass weite Kreise der Bevölkerung nach dem 28. März 1849 eine Inkraftsetzung der neuen Verfassung befürworteten und dass die Grundgesetzgebung des Revolutionsjahres bei den Neuschöpfungen der Verfassungen in Deutschland von 1919 und 1949 Pate stand.

Entscheidung über den Staatsaufbau

Der Staatsaufbau Deutschlands als konstitutionelle Monarchie und gewaltenteiliger Staat sollte sich als nicht weniger zugkräftig erweisen. Anknüpfend an die überkommenen Konturen, die bei der Schaffung einer Provisorischen Zentralgewalt vorgezeichnet waren, sollte Deutschland als Kaiserreich zu einem Bundesstaat werden, der auf gleichfalls konstitutionellen Einzelstaaten mit monarchischer Spitze fußte. Der Tradition der gewachsenen Länder wie der Bindung weiter Bevölkerungskreise an die jeweiligen Dynastien wurde somit Rechnung getragen; eine territoriale Neugliederung, etwa für die thüringischen Kleinstaaten, unterblieb.

Dennoch war die zentralistische Komponente des Staatsaufbaus stark. Da es einen Katalog über Gegenstände der Reichsgesetzgebung nicht gab, regelten Einzelbestimmungen die Zuständigkeiten. Die Außenpolitik fiel ganz in die Reichskompetenz, während den Ländern mit Blick auf ihre Heere eine nicht unerhebliche Verantwortung zugewiesen wurde. Starke zentralistische Faktoren stellten zudem die Institutionen Kaiser, Reichsregierung und Reichstag dar.

Der erbliche Kaiser als Staatsoberhaupt, der das Deutsche Reich auch völkerrechtlich vertrat, besaß Kompetenzen in allen Bereichen des staatlichen Lebens. Er nahm insbesondere in Verbindung mit der Reichsregierung die Regierungsgewalt wahr, besaß ein aufschiebendes Vetorecht gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze und hatte auch eine Funktion im Rechtswesen, wo ihm das Begnadigungsrecht zustand. Diese Bündelung von Macht erinnerte an die traditionellen Vorstellungen der Liberalen, die vor allem mit Blick auf Krisenzeiten einen starken Monarchen wollten. Für den Fall äußerer Krisen, aber auch bei Wiederkehr eines "Parlamentsabsolutismus" - hier erinnerte man sich an das von Jakobinern dominierte Parlament zur Zeit der Französischen Revolution - sollte der Monarch die Kraft zur "rettenden Tat" haben. Andererseits war der Titel des Reichsoberhaupts nationaldemokratisch. Der Monarch hieß "Kaiser der Deutschen", beiseite geschoben war somit das Denken in Kategorien eines Gottesgnadentums. Er besaß zwar das Recht, Reichsminister zu ernennen und zu entlassen, doch die Reichsregierungen waren nach Tradition der Provisorischen Regierung und allgemein vorherrschender Auffassung an das Vertrauen des Parlaments gebunden. Die Verfassung selbst schwieg sich über die Reichsregierung aus.

Das Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung

Im legislativen Bereich war die Dominanz des Reichstags unbestritten, da dem Kaiser nur ein aufschiebendes Einspruchsrecht zugestanden wurde. Dem Parlament stand damit der Weg offen, die dominierende Rolle, welche die Nationalversammlung bei der Schaffung der Verfassung gespielt hatte, zu bewahren. Dieser Reichstag bestand aus einem aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgehenden Volkshaus und aus einem Staatenhaus, das zur Hälfte von den einzelstaatlichen Regierungen, zur Hälfte von den entsprechenden Parlamenten beschickt werden sollte. Die Zuständigkeit des parlamentarischen, aus gleichen Wahlen hervorgehenden Volkshauses umfasste Gesetzgebung, Regierungskontrolle und das Recht auf eine Ministeranklage. Reichsoberhaupt, Minister, Beamte, Militär und Abgeordnete wurden durch Eid an die Verfassung gebunden.

Aus der Not geboren, hatte die Paulskirche mit diesem Staatsaufbau beeindruckende Kompromisse zwischen Liberalen und Demokraten geschlossen, die an deren gemeinsamen Aufbruch im März 1848 erinnerten. Die konstitutionelle Monarchie der Reichsverfassung besaß schon deutliche Züge einer parlamentarischen Monarchie, in der ungeachtet der unstrittigen Gewaltenteilung die politische Grundrichtung vorrangig vom Parlament bestimmt wurde.