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Völkermord an Herero und Nama: Abkommen zwischen Deutschland und Namibia | Hintergrund aktuell | bpb.de

Völkermord an Herero und Nama: Abkommen zwischen Deutschland und Namibia

Redaktion

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Die deutsche und die namibische Regierung haben nach insgesamt sechs Jahre dauernden Gesprächen um eine Wiedergutmachung für den deutschen Völkermord an den Herero und Nama eine erste Einigung erzielt: Deutschland erkennt den Völkermord an, entschuldigt sich und will 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe leisten. Es gibt jedoch auch Kritik an dem Abkommen.

Demonstranten, die ihre Interessen von der namibischen und der deutschen Regierung nicht hinreichend berücksichtigt finden, am 28. Mai 2021 in Windhoek. (© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Sonja Smith)

Hinweis

Korrekturhinweis (25.03.2024): In der früheren Version des Artikels wurden absolute Zahlen der geschätzten Todesopfer unter den Herero aufgeführt. Diese wurden gegen prozentualen Schätzungen ausgetauscht, da keine belastbaren Zahlen zur ursprünglichen Bevölkerungsgröße vorliegen.

Zudem wurden weitere sprachliche Anpassungen vorgenommen und im Artikel entsprechend markiert.

Von 1884 bis 1915 war das Deutsche Reich Kolonialmacht im heutigen Interner Link: Namibia. Seit der Gründung der Interner Link: Kolonien bekämpfte es die lokale Bevölkerung, die sich gegen die Fremdherrschaft und Menschenrechtsverletzungen zur Wehr setzten, immer wieder mit militärischer Gewalt, um Herrschaftsbereiche auszudehnen. Einen Höhepunkt der Gewalt stellte der Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 dar. Generalleutnant Lothar von Trotha befahl die völlige Vernichtung der Herero im Oktober 1904 und der Nama im April 1905. Schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen wurden durch die deutschen Truppen ermordet, verdursteten in der Omaheke-Wüste oder starben in Konzentrationslagern. Der Interner Link: Genozid gilt als der erste des 20. Jahrhunderts.

Mit dem Ende des Interner Link: Ersten Weltkriegs gingen alle Kolonien gemäß des Versailler Vertrags als Mandatsgebiete an den neu gegründeten Völkerbund, so auch „Deutsch-Südwestafrika“, wie das Deutsche Reich das heutige Namibia genannt hatte. Südafrika, das größere Nachbarland, erhielt ein Mandat des Völkerbundes zu dessen Verwaltung.Interner Link: Am 21. März 1990 wurde Namibia ein souveräner Staat.

Jahrzehntelang weder Anerkennung noch Aufarbeitung

Jahrzehntelang erkannte Deutschland den Interner Link: Völkermord an den Herero und Nama weder an, noch bemühte es sich um dessen Aufarbeitung. In Beschlüssen von 1989 und 2004 begründete der Bundestag entwicklungspolitische Sonderbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Namibia mit der aus einem „Vernichtungsfeldzug“ erwachsenen „besonderen historischen und moralischen Verantwortung“. Deutschland zahlte Namibia seit den 1990er-Jahren umfangreiche Interner Link: Entwicklungshilfegelder, die jedoch formell nicht der Entschädigung dienten. 2002 reichten Hereroführer Kuaima Riruako und weitere Herero vor einem US-Gericht gegen die Bundesrepublik Deutschland Klagen in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar ein, ohne Erfolg.

Als erster deutscher Kanzler nach dem Völkermord besuchte Helmut Kohl Namibia im Jahr 1995, noch ohne Verantwortung für die Verbrechen des Interner Link: Deutschen Reichs zu übernehmen. Im Jahr 2004 nahm die damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul an einer Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag der Niederschlagung des Interner Link: Hereroaufstandes teil. Sie sprach eine Entschuldigung für die Verbrechen aus, die Bundesregierung distanzierte sich jedoch davon.

Gespräche begannen 2015

2006 forderte die namibische Nationalversammlung ihre Regierung auf, sich gegenüber Deutschland für die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama einzusetzen. Es dauerte jedoch noch weitere neun Jahre, bis Regierungsgespräche um den Völkermord begannen. Noch 2012 betonte die Bundesregierung, dass die Niederschlagung des Aufstandes der Volksgruppen der Herero und Nama durch deutsche Kolonialtruppen „nicht nach den heute geltenden Regeln des humanitären Völkerrechts bewertet und daher auch nicht als Völkermord eingestuft werden“ könne.

Im Juli 2015 kamen zwei Ereignisse zusammen, die den Wiedergutmachungsprozess prägten: Zum einen reiste eine Gesandtschaft unter dem traditionellen Führer der Herero, Vekuii Rukoro, mit einer Petition zum Bundespräsidenten. In der Petition wurden eine umfassende Entschädigung und Wiedergutmachung gefordert und der Bundesregierung dafür bis Oktober Zeit eingeräumt. Zum anderen bezeichnete der damalige Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert – als er den osmanischen Völkermord an den Armeniern kritisierte – auch die Verbrechen des Deutschen Reiches in Namibia in einer Zeitung als Völkermord, einige Wochen später gefolgt vom Auswärtigen Amt. Zum Ablauf der Frist für die Forderungen kritisierte Hereroführer Rukoro im Oktober die deutsche Regierung scharf und beklagte dabei unter anderem, dass Opferorganisationen bisher gar nicht in Gespräche einbezogen wurden. Die Debatte um die Anerkennung des Genozids wurde in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend lauter geführt.

Ende 2015 begann schließlich der offizielle Dialog zwischen Deutschland und Namibia zur Aufarbeitung der deutschen Verbrechen in der Kolonialzeit. Beide Staaten ernannten dafür Sonderbeauftragte. Der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, vertrat Deutschland. Namibia wurde durch den früheren Diplomaten Zedekia Ngavirue repräsentiert. An den Gesprächen waren auch beratende Gremien beteiligt, die von der namibischen Regierung eingesetzt wurden und nach offiziellen Angaben für alle Nachkommen der Opfer offenstanden. Tatsächlich wurden die Vertreter/-innen aber von der namibischen Regierung ausgewählt.

Kritik von Opferorganisationen

Manche Volksgruppenvertreter/-innen lehnten die Verhandlungen ab. Andere fühlten sich im Laufe des Dialogprozesses zurückgestoßen oder ignoriert. Auch deswegen haben Vertreter von Herero und Nama im Januar 2017 an einem Bundesbezirksgericht in New York eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht – und berufen sich dabei auf eine Interner Link: UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker. Diese sieht für indigene Gruppen das Recht vor, an Entscheidungsprozessen, die ihre Rechte berühren, beteiligt zu werden. Die Bundesregierung hielt den Prozess für unzulässig und beruft sich auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität, wonach ein Land nicht über ein anderes richten darf. Die Klage wurde Anfang März 2019 abgewiesen, Anfang Juni 2021 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten auch eine Wiederaufnahme des Prozesses abgelehnt.

Interner Link: Reparationszahlungen waren immer wieder ein zentrales Thema der Gespräche. Noch im Sommer 2020 sorgte die in namibischen Medien kursierende Meldung für Empörung, dass die Bundesregierung zehn Millionen Euro als Entschädigungssumme angeboten habe. Polenz dementierte dies. Auch die Terminologien spielten eine große Rolle. Während der Verhandlungen wurde debattiert, ob Deutschland "Reparationen", "Entschädigungen" oder "Zahlungen zur Heilung der Wunden" leisten solle.

Einigung auf Seiten der Regierungen

Am 28. Mai 2021 gab das Auswärtige Amt schließlich bekannt, dass eine Einigung in den Gesprächen erzielt worden sei. Außenminister Heiko Maas sagte, dass Deutschland die Ereignisse von damals nunmehr als Völkermord bezeichnen werde. "Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten", sagte Maas.

Zudem will Deutschland, so wörtlich, als "Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde", insgesamt 1,1 Milliarden Euro für ein Programm "zum Wiederaufbau und zur Entwicklung" zahlen. "Bei dessen Gestaltung und Umsetzung werden die vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften eine entscheidende Rolle einnehmen", hieß es von Seiten des Auswärtigen Amtes. Gleichzeitig leite sich daraus jedoch kein Entschädigungsanspruch ab.

Die von den Regierungen ausgehandelte Einigung stieß in Teilen der namibischen Zivilgesellschaft auf Kritik. Teile der Herero und der Stammesführerverband der Nama beharrten darauf, dass Deutschland Reparationszahlungen leisten sollte. Zudem wollen Herero und Nama die Rückgabe ihrer Ländereien erreichen. Ein Vertreter der Herero kündigte Massenproteste bei dem geplanten Besuch von Steinmeier in Namibia an.

Herero und Nama

Herero und Nama sind zwei Völker, die heute in Südwestafrika beheimatet sind.

Die Herero stammen aus Zentralafrika und wanderten im 16. Jahrhundert in ihr heutiges Siedlungsgebiet aus, das sich über Namibia, aber auch über Botswana und Angola erstreckt. Den Herero gehören heute 120.000 Menschen an, das sind etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung.

Die Nama sind mit 100.000 Angehörigen das größte indigene Volk Namibias. Insgesamt werden etwa 200.000 Menschen zu den indigenen Völkern in Namibia gezählt, sie machen damit knapp acht Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Sowohl Herero als auch Nama sind im heutigen Namibia kleinere Minderheiten. Das war früher anders. Als die Deutschen sich 1884 die Kontrolle über das Gebiet des heutigen Namibias verschafften, stellten Herero und Nama etwa 80.000 bis 100.000 der gut 200.000 Bewohner/-innen des Gebiets, sie bildeten damit zusammengenommen etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung.

Rückblick auf 1904

Der Herero-Aufstand begann im Januar 1904 (Interner Link: weitere Details zum Kriegsbeginn und -verlauf sind hier nachzulesen), nachdem deutsche Siedler immer größere Teile des Landes aufkauften und die angestammte Bevölkerung vertrieben. Ein weiterer Grund, der zu dem Aufstand führte, waren Menschenrechtsverletzungen seitens der deutschen Kolonialherren: Etwa durch Misshandlungen, aber auch die von der Kolonialverwaltung eingeführte „Rassentrennung“.

Im Mai 1904 übernahm General Lothar von Trotha das Kommando über die Schutztruppe. Bei der Schlacht am Waterberg am 11. und 12. August 1904 versuchte von Trotha, die gegnerischen Herero einzukesseln. Der Plan schlug zwar fehl, aber die überlebenden Herero-Soldaten mussten mit ihren Familien in die Omaheke-Wüste fliehen. Von Trotha erließ Anfang Oktober den so genannten "Vernichtungsbefehl": "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu Ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen." (Quelle: Externer Link: BArch R 1001/2089) Der deutsche General ließ die Omahekee-Wüste zudem monatelang abriegeln und die wenigen Wasserstellen bewachen, sodass zehntausende verdursteten.

Die Nama erhoben sich Ende 1904. Insgesamt zogen sich die Guerilla-Gefechte mit der deutschen Schutztruppe über vier Jahre. Gegen die Nama folgte am 22. April 1905 ein zweiter Vernichtungsbefehl.

Für gefangene Hereros und Nama ließ die Kolonialverwaltung Konzentrationslager bauen. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 80 Prozent der ursprünglich 60.000 bis 80.000 Herero starben, genaue Opferzahlen sind jedoch umstritten. Von der rund 20.000 Menschen zählenden Bevölkerungsgruppe der Nama, überlebte etwa die Hälfte. Selbst im imperial-nationalistisch gesinnten Kaiserreich stießen die Verbrechen der Truppe von Trothas auf scharfe Kritik.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Satz wurde am 05.04.2024 von der Redaktion sprachlich angepasst. Zuvor lautete dieser wie folgt: „Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs gingen alle Kolonien gemäß des Versailler Vertrags als Mandatsgebiete an den neu gegründeten Völkerbund, so auch „Deutsch-Südwestafrika“, wie das Deutsche Reich Namibia genannt hatte.“

  2. Dieser Satz wurde am 05.04.2024 von der Redaktion ergänzt.

  3. Diese Verlinkung wurde am 05.04.2024 von der Redaktion ergänzt.

  4. Korrekturhinweis (25.03.2024): In der früheren Version des Artikels wurden absolute Zahlen der geschätzten Todesopfer unter den Herero aufgeführt. Diese wurden gegen prozentualen Schätzungen ausgetauscht, da keine belastbaren Zahlen zur ursprünglichen Bevölkerungsgröße vorliegen.

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