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Barrierearmes Gaming: Fenster zur Welt

Birgit Frost

/ 7 Minuten zu lesen

Computer- und Videospiele sind heute ein wichtiger Bestandteil des soziokulturellen Lebens und gehören zum Alltag dazu. Damit Menschen mit einer Behinderung auch in diesem Bereich an der Gesellschaft teilhaben können, müssen die Computerspiele an die verschiedenen Fähigkeiten der Spieler angepasst werden können. Welche Möglichkeiten und Beispiele es gibt, erzählt Medieninformatikerin Sandra Uhling im Interview.

Barrierefreies Gaming berücksichtigt die Vielfalt der Spielerinnen und Spieler (Michel Arriens / bearbeitet / Externer Link: Gesellschaftsbilder / Externer Link: Lizenz CC BY-NC 4.0).

Computer- und Videospiele basieren auf Interaktivität und sollen eine Herausforderung für die Spielerinnen und Spieler darstellen. Die oft hohen Anforderungen an die Fähigkeiten und Sinneswahrnehmungen können die Nutzung für viele Menschen erschweren oder unmöglich machen. Für Menschen mit einer visuellen, auditiven, kognitiven, motorischen und/oder sprachlichen Einschränkung sind die Hürden oft noch viel größer. Es gibt viele Externer Link: Möglichkeiten und Hilfsmittel, diese Hindernisse zu umgehen. Besonders wichtig ist dies natürlich bei den sogenannten Interner Link: Serious Games im Bildungsbereich, die für möglichst viele Menschen zugänglich sein sollten. Projekte und Initiativen gibt es, jedoch fehlt es vor allem an einem einheitlichen und praxistauglichen Empfehlungskatalog, wie Barrieren vermieden werden können.

Medieninformatikerin Sandra Uhling setzt sich seit 2007 ehrenamtlich für die Themen Computerspiele und Gesundheit sowie für barrierearme Spiele ein, unter anderem im Rahmen der Präsentation von Beispielen zur Zugänglichkeit von Games u. a. auf Computerspiele-Veranstaltungen. Aktiv ist sie vor allem, indem sie durch Sammeln und Weitergabe von Informationen und Kontakten für eine Vernetzung der Szene sorgt, etwa via thematischer Mailing-Listen oder auf Messen. Sandra Uhling ist Mitglied der Game Accessibility Special Interest Group der International Game Developers Association (IGDA GA-SIG). Externer Link: werkstatt.bpb.de hat mit ihr darüber gesprochen, welche Bedeutung inklusive Computerspiele haben, welche Lösungen es in Computerspielen für verschiedene Einschränkungen gibt und wie es aktuell um die Umsetzung barrierearmer Spiele bestellt ist.

werkstatt.bpb.de: Welche Bedeutung haben Computerspiele für Menschen mit Einschränkungen?

Sandra Uhling: Zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben eine Behinderung. Gerade für diese Benutzergruppe haben Computerspiele oft eine besondere Bedeutung. Für manche sind sie das Fenster zur Welt. In der virtuellen Welt können viele Spielerinnen und Spieler mit einer Behinderung Dinge tun, die sie in der realen Welt nicht machen können. Für viele ist es auch eine gute Möglichkeit, ihren Alltag zu vergessen, soziale Kontakte zu pflegen oder einfach eine oder einer unter vielen Anderen zu sein. Ob andere Spielerinnen und Spieler von der Behinderung erfahren sollen, kann jeder selbst entscheiden. Mittlerweile werden Computerspiele nicht nur für die Unterhaltung, sondern auch für Themen wie Bildung, Arbeit und Gesundheit eingesetzt. Gerade in diesen Bereichen müssen Computerspiele barrierearm sein.

Was sind barrierearme Computerspiele?

Computer- und Videospiele sind dann barrierearm, wenn sie keine vermeidbaren Barrieren enthalten und sie somit von möglichst vielen Spielerinnen und Spielern, mit und ohne Behinderung, in der für sie üblichen Weise gespielt werden können. Da dieses neue Medium sehr komplex und interaktiv ist, lässt sich eine Barrierefreiheit kaum realisieren. Deswegen wird die Bezeichnung barrierearm statt barrierefrei verwendet.

Um welche Einschränkungen geht es und wie können Computerspiele daran angepasst werden?

Es wird zwischen visuellen, auditiven, motorischen, kognitiven und sprachlichen Einschränkungen unterschieden. Zu visuellen Einschränkungen beispielsweise gehören Blindheit, Sehschwächen und Farbenblindheit. Blinde Spielerinnen und Spieler können auch einige Computerspiele sehr gut spielen, wenn die wichtigen Informationen über Sound und/oder Text vermittelt werden und sie mit Tastatur oder Controller spielen können. Für Gamerinnen und Gamer mit einer Sehschwäche ist es zum Beispiel wichtig, dass der Kontrast angepasst werden kann und dass wichtige Spielelemente vergrößert werden können. Bei auditiven Einschränkungen wie bei Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit oder in lauter Umgebung ist es notwendig, dass alle wichtigen akustischen Informationen alternativ dargestellt werden können. Für die Kommunikation mit anderen Spielern können Textchats verwendet werden. Motorische Einschränkungen können sehr vielfältig sein. Es gibt Spielerinnen und Spieler, die nur einen oder wenige Knöpfe auf der Steuerung bedienen können. Andere können nur die Maus verwenden. Hilfreich sind alternative Steuermöglichkeiten, individuell konfigurierbare Steuerung, anpassbare Geschwindigkeitsgrade und eine feine Abstufung der Schwierigkeitsgrade.

Wichtig ist, dass es sich bei den Einschränkungen nicht nur um typische Behinderungen handelt. Es werden auch temporäre und technische Einschränkungen bei Spielerinnen und Spielern ohne Behinderung berücksichtigt. Dies können zum Beispiel ein Display in der Sonne oder ein sehr kleiner Bildschirm, kaputte Lautsprecher oder fremdsprachliche Gamerinnen und Gamer sein. Ebenso benötigen auch Anfängerinnen und Anfänger besondere Unterstützungen wie etwa ein Tutorial und einen leichten Einstieg in das Spiel. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es bei barrierearmem Gaming darum geht, die Vielfalt der Spielerinnen und Spieler zu unterstützen. Barrierearme Computer- und Videospiele berücksichtigen die unterschiedlichen Fähigkeiten der Nutzerinnen und Nutzer. Es wird überlegt, welche Unterstützungen und Alternativen optional angeboten werden können, damit möglichst viele Menschen die Möglichkeit haben, an der Computerspielkultur aktiv teilzuhaben. Das ursprüngliche Spiel wird durch diese Hilfen nicht geändert, es sei denn, die oder der Spielende möchte es.

Wie wird die Games-Branche für das Thema Barrierearmut sensibilisiert? Welche Initiativen gibt es?

In der International Game Developers Association (Internationale Computerspielentwickler-Vereinigung) gibt es eine spezielle Interessensgruppe für das Thema barrierearme Computerspiele, die Externer Link: Game Accessibility Special Interest Group (IGDA GA-SIG). Hier können Game-Designerinnen bzw. -Entwickler sich kostenfrei beraten lassen. Die IGDA GA-SIG besteht seit 2003 und ist eine Gruppe, die sich auf freiwilliger und informeller Basis für das Thema Barrierearmut einsetzt. Ihre Mitglieder stammen aus unterschiedlichen Organisationen und tauschen sich über relevante Themen und Lösungsansätze aus.

Es gibt international auch zahlreiche Projekte und Spielerinitiativen, die sich für Barrierearmut in Computerspielen einsetzen. Leider fehlt es hier an einer fruchtbaren Zusammenarbeit. So gibt es zum Beispiel mehr als zehn Externer Link: parallele Empfehlungen, wie Computerspiele möglichst barrierefrei gestaltet werden können. Schön wäre ein Projekt, bei dem erfahrene Game-Designer und -Entwicklerinnen aus den vorhandenen Empfehlungen eine einzige, sichtbarere und gezielt kommunizierbare praxisorientierte Empfehlung erstellen würden. Das Vermeiden von Barrieren muss praxistauglich sein und einen Mehrwert bieten. Hier müssen quasi die Barrieren für die Games-Branche abgebaut werden. Mein Eindruck ist, dass die Branche eigentlich sehr offen für das Thema Barrierearmut in Computerspielen ist. Insgesamt fehlt es leider an Initiativen und finanziellen Mitteln, um das Thema mehr zu etablieren.

Wünschenswert wäre, wenn der Zusatzaufwand, Barrieren zu vermeiden, finanziell gefördert werden würde. Soweit mir bekannt ist, ist dies bisher nicht der Fall. Eine Anlaufstelle hierfür könnte zum Beispiel das Externer Link: Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit sein. Für besonders wichtig halte ich Förderungen im Bereich der Serious Games. Hierbei geht es um die Nutzung von Computerspielen und/oder deren Technologien für einen definierten Nutzen, wie zum Beispiel Bildung. Es wird viel über Inklusion geredet. Hierzu gehören für mich auch barrierearme Lernmittel.

Leider gibt es Vorbehalte und Ängste von Nutzerinnen und Nutzern ohne Einschränkungen gegenüber barrierearmen Spielen, die sich in Kommentaren im Internet zu Beiträgen über das Thema zeigen: Viele Spielerinnen und Spieler befürchten, dass die Games durch Barrierearmut langweilig oder zu teuer werden. Oder sie können sich nicht vorstellen, dass es möglich ist, Barrieren zu vermeiden. Hier fehlt oft die Sensibilität für Menschen mit Behinderungen.

Wie sieht es mit der Umsetzung barrierearmer Computerspiele aus?

Es gibt zahlreiche Computerspiele, die von Anfang an barrierearm entwickelt werden. Häufig findet man diese im Bereich der Sonderpädagogik, im Rahmen von Hochschulprojekten oder bei Hobby-Entwicklerinnen und -Entwicklern. Teilweise gibt es auch größere Projekte, die barrierearm sind. Leider ist es oft schwer, solche Spiele zu finden, da es keine zentrale Internetseite oder entsprechende Suchkriterien in den entsprechenden Online-Shops gibt.

Beispiel für ein Angebot barrierearmer Computerspiele ist Externer Link: Genesis, ein Lern-, Therapie- und Spielesystem für barrierefreies Spielen. Ziel ist die integrative Förderung von Menschen mit und ohne Behinderung durch Games. Dahinter steckt ein interdisziplinäres Projekt mit Professoren, Studierenden, Soft- und Hardwareentwicklerinnen und Designern in Zusammenarbeit mit Pädagoginnen, Therapeuten, Psychologinnen und den Nutzern. Die Genesis-Spiele sind mit (fast) jeder Behinderung spielbar, indem sie auf jede Person maßgeschneidert angepasst werden können.

Vereinzelt gibt es Entwicklerinnen und Entwickler, die ihre Spiele barrierearm umsetzen. So gibt es zum Beispiel Externer Link: Audiogames, die ohne Grafik gespielt werden können. Da auf die visuelle Komponente verzichtet wird, kann man sie sich wie interaktive Hörspiele vorstellen. Beispiel ist das Adventure Externer Link: Der Tag wird zur Nacht, entwickelt von Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien.

Manchmal werden auch bei Computerspielen für den Massenmarkt einzelne Barrieren vermieden, zum Beispiel werden gehörlose Gamerinnen und Gamer mit der Integration hochwertiger Untertitel adressiert. Es gibt auch Entwicklungen, die sich mit der Benutzerfreundlichkeit überschneiden. So gibt es immer mehr Computerspiele, bei denen die Steuerung frei belegt werden kann.

Welche Grenzen gibt es für die Barrierearmut bei Computerspielen?

Wichtig ist zunächst, dass mehr möglich ist, als viele denken. So können blinde Spielerinnen und Spieler ohne Probleme auch grafische Spiele wie Fußball-Games zocken, wenn diese entsprechend gestaltet werden. Eine Grenze könnten hier Angebote sein, bei denen eine Figur gesteuert wird, die exakt ausgerichtet werden muss und die nicht im Sinne von Barrierearmut optimiert sind. Die größte Herausforderung sehe ich bei taubblinden Spielern. Alle Informationen müssen in diesem Fall über die Haptik vermittelt werden. Es können nur wenige Informationen nacheinander vermittelt werden.

Empfehlungen: Gestaltung barrierearmer Computerspiele

Es gibt mehrere parallele Empfehlungen, wie Computerspiele barrierearm gestaltet werden können. Die Externer Link: Game Accessibility Special Interest Group der International Game Developers Association (IGDA GA-SIG) hat eine Top-Ten-Liste erstellt:

  1. Rekonfigurierbare Steuerung

  2. Unterstützung einer alternativen Steuerung

  3. Alternativen zu Sound wie Untertitel zu Dialogen und wichtigen Sound-Informationen

  4. Möglichkeit der separaten Einstellung der Lautstärke von Musik, Effekten und Dialogen

  5. Gut erkennbare Grafiken und Schriften

  6. Farbenblindfreundliches Design

  7. Größere Bandbreite von Schwierigkeitslevels, Anpassung der Geschwindigkeit

  8. Trainings-, Übungslevels und/oder Tutorial-Modus

  9. Barrierefreie Menüs

  10. Auflistung der Game Accessibility Features und der Mindestanforderungen

Links

Externer Link: Ablegamers

Externer Link: AudioGames.net

Externer Link: Blind Computer Games

Externer Link: GameAccessibility.de

Externer Link: GameAccessibility.com

Externer Link: International Game Developers Association, Game Accessibility Special Interest Group (IGDA GA-SIG)

Externer Link: Stiftung barrierefrei kommunizieren!

Birgit Frost ist seit Oktober 2016 Redakteurin bei der werkstatt.bpb. Sie studierte Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaft und Spanische Philologie in Berlin und Amsterdam. Von 2010 bis 2016 war sie Projektreferentin am Goethe-Institut für ein weltweites Webportal im Alumni-Bereich, wo sie schwerpunktmäßig für Online-/E-Mail-Marketing und für Redaktion zu sprachlichen und kulturellen Themen zuständig war.