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New Educonomy Der schmale Grat zwischen wirtschaftlicher Einflussnahme und zeitgemäßer Schulentwicklung Pro & Contra: Digitale Nachhilfe auf Knopfdruck Mehr Medien, mehr Chancen, mehr Möglichkeiten Digitale Nachhilfe bietet nicht den Königsweg zu mehr Bildungsgerechtigkeit Vom Silicon Valley in die Schule? OER von Unternehmen Sollten Digitalwirtschaft und Schulen stärker zusammenarbeiten? Digitalwirtschaft und Schulen: Kompetenzvermittlung oder wirtschaftliche Abhängigkeit? Schülerfirmen – Ein Mittel zur wirtschaftlichen Mündigkeit? Sponsoring in der Schule: Ein Praxisbeispiel Meinung: Bildung ist ein öffentliches Gut und kein Geschäftsmodell Meinung: Ohne digitale Bildung werden persönliche Karrierechancen verspielt Calliope mini: Mikrocontroller für den Schulunterricht Digitale Bildung als Geschäftsmodell – eine Einführung Kleines 3x3 der New Educonomy Editorial: Die Digitalwirtschaft auf dem Bildungsmarkt

Kleines 3x3 der New Educonomy

Theresa Samuelis

/ 6 Minuten zu lesen

Wie geht wirtschaftliches Engagement im Bildungsbereich mit einem freien und demokratischen Bildungsideal zusammen? Wir haben einen Bildungsgewerkschafter, einen Lehrer und eine Vertreterin von SCHULEWIRTSCHAFT gefragt.

Was sind die Chancen und Risiken des Engagements der Digitalwirtschaft im Bildungsbereich (Wokandapix / bearbeitet / Externer Link: Lizenz CC0 / Externer Link: pixabay)

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft im Bereich Digitale Bildung?

Fredrik Dehnerdt: Der Erwerb von Medienkompetenz ist Teil des schulischen Bildungsauftrages. Daher ist eine Zusammenarbeit mit den Anbietern der notwendigen Hard- und Software unumgänglich. Fraglich ist, ob die Ziele von Schule – der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag – und Wirtschaftsunternehmen – Produktplacement und Produktverkauf – kompatibel sind. Schülerinnen und Schüler sind aus Sicht von Unternehmen in erster Linie eine Zielgruppe, deren Verbundenheit mit einer "Marke" viele Kaufentscheidungen beeinflussen kann. Die GEW beobachtet daher mit Sorge, dass Wirtschafts- und Finanzverbände, Privatunternehmen, Stiftungen und sonstige Lobbygruppen in den letzten Jahren immer stärker versuchen, die Lerninhalte in Schulen zu beeinflussen.

Sophia Madeleine Gaebler: Mit SCHULEWIRTSCHAFT blicken wir auf über 60 Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung von Schulen und Unternehmen zurück. Wichtig ist schulart- und branchenübergreifend für eine gute und fundierte Bildung zusammen zu arbeiten, die jungen Menschen den erfolgreichen Übergang von der Schule in die Arbeitswelt ermöglicht. Seit einiger Zeit steht hier auch die digitale Bildung zunehmend im Fokus. Denn mit der Digitalisierung der Gesellschaft verändert sich auch die Arbeitswelt. Die Industrie 4.0 stellt völlig neue Anforderungen an Fertigkeiten und Qualifikationen. Methodische Kompetenzen und anschlussfähiges Wissen sind gefragt, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können. Dafür müssen Kitas, Schulen und Hochschulen die Grundlagen legen. Die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft begrüße ich in diesem Bereich nicht nur, sondern halte sie sogar für zwingend erforderlich, damit jungen Menschen der Start ins Arbeitsleben gelingt.

Nico Tobias Wirtz: Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass sich der Lernprozess mit digitalen Hilfsmitteln effektiver und individualisierter fördern lässt, als mit herkömmlichen analogen Methoden. Anbieter bringen zunehmend – teils kostenlose, teils kostenpflichtige – Produkte auf den Markt, die für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrende immer interessanter und attraktiver werden. Ohne für "die deutschen Schulen an sich" sprechen zu wollen, habe ich den Eindruck, dass viele Schulen sich diesen gerade entstehenden Möglichkeiten nur sehr zögerlich öffnen. Zudem finde ich es interessant zu beobachten, wie schnell Neugier und Aufgeschlossenheit im Kollegium in rigorose Ablehnung umschlagen, sobald digitale Lernangebote etwas kosten sollen: Digitale Bildung, so denken viele, hat kostenfrei zu sein, allgemeinzugänglich, urdemokratisch. Das finde ich erstaunlich, denn für Bücher und andere analoge Medien oder etwa Nachhilfeunterricht wird ja auch ganz selbstverständlich Geld ausgegeben. Niemand stellt infrage, dass das Erstellen funktionaler Lehrmaterialien nur mithilfe – bezahlter – Fachleute gelingen kann. Dabei sind meiner Erfahrung nach viele junge Anbieter softwarebasierter Angebote durchaus aufgeschlossen, Kooperationen mit Schulen oder einzelnen Pilot-Klassen oder -Kursen einzugehen. Wenn die Schule dabei ein wenig Verhandlungsgeschick zeigt, kann dies für beide Parteien von Vorteil sein.

Worin liegen die größten Chancen und Risiken für die verschiedenen Beteiligten?

Fredrik Dehnerdt: Chancen aus Sicht der Schule liegen darin, Kindern und Jugendlichen einen kritischen und kompetenten Umgang mit den sogenannten Neuen Medien zu ermöglichen. Risiken liegen in einer unkritischen Übernahme insbesondere der zur Verfügung gestellten Hardware. Kritisch zu bewerten sind beispielsweise Fortbildungsangebote von Apple oder Microsoft, die Lehrkräften anbieten, ihre eigenen Produkte im Unterricht einzusetzen, um so eine Produktbindung herzustellen. Wenn IT an Schulen verankert wird, kann und soll dies unabhängig von bestehenden Software-Monopolen geschehen. Die Politik ist aufgefordert, Werbung, intransparente Finanzierung oder Kooperationen, die finanzielle Abhängigkeiten schaffen können, zu unterbinden. In der Lehramtsausbildung sollte ein kritischer Umgang mit externen Materialien und Angeboten gefördert werden. Zudem sollten sich Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrende mit der Einflussnahme an Schulen beschäftigen. Lobbyismus im Klassenzimmer wirksam einzudämmen, kann nur dann gelingen, wenn sich alle Betroffenen beteiligen.

Sophia Madeleine Gaebler: Wir stecken mittendrin im digitalen Umbruch. Von daher gilt es jetzt, die Chancen zu nutzen und frühzeitig ganzheitliche Konzepte für digitale Lehr- und Lernmethoden zu entwickeln. Wichtige Impulsgeber für den sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Unterricht sind die so genannten EdTech-Startups, also junge Unternehmen, die sich auf Produkte digitaler und Online-Bildung spezialisieren. Sie liefern zahlreiche Ansätze für die Integration digitaler Themen in die Bildung. Die Schulen stehen nun vor der Herausforderung, diese zu strukturieren und passgenau in den Unterricht einzubinden. Die Wirtschaft kann hier unterstützen, wenn es beispielsweise darum geht, Lehrkräften die neue Arbeitswelt und die hierfür erforderlichen Kompetenzen näher zu bringen. Denn das gemeinsame Ziel ist und bleibt es ja, Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten. Dafür gilt es die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen – von digitalen Infrastrukturen an Schulen über Weiterbildungsangebote bis hin zur Ausbildung von Lehrkräften. Das gelingt nur, wenn alle Beteiligten aus Bildung, Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten.

Nico Tobias Wirtz: Für die Lernenden sehe ich eigentlich nur Vorteile. Die Schule bietet ihnen attraktive, moderne Lernmöglichkeiten, die gleichzeitig die Medienkompetenz aller Beteiligten, auch die der Lehrkräfte, fördern, und oft auch ganz einfach Spaß machen. Die Anbieter hingegen bekommen die Möglichkeit, ihre Produkte unter realen Bedingungen zu testen und weiterzuentwickeln. Hier drängen viele innovative Unternehmen in einen Markt, der bisher vor allem von einer Handvoll großer Schulbuchverlage besetzt ist. In Schulbücher und Kopien investieren die Schulen jährlich enorme Geldbeträge. Was die Qualität betrifft, sollte Konkurrenz und Angebotsvielfalt der (digitalen) Bildungslandschaft guttun. Auch die großen Verlage arbeiten ja an digitalen Angeboten. Mir scheint hier aber, dass die jahrzehntelange Vormachtstellung die Platzhirsche etwas zu satt gemacht hat. Von den bisherigen Ideen der großen Verlage hat mich bisher jedenfalls noch keines wirklich überzeugen können. Bei den Hardware-Herstellern sieht die Sache hingegen anders aus. Hier gibt es meines Erachtens noch zu wenige Kooperationsinitiativen seitens der Industrie, die ja eigentlich ein gesteigertes Interesse haben sollte, Anwender in möglichst frühem Alter mit ihren Geräten vertraut zu machen. Digital organisiertes, individualisiertes Lernen ist nur möglich, wenn alle Schülerinnen und Schüler Zugang zu den entsprechenden Endgeräten haben, auch und gerade diejenigen mit einkommensschwachen Elternhäusern. Hier würde ich mir noch mehr Entgegenkommen seitens der Hersteller wünschen.

Wie gehen Kooperationen von Bildungsinstitutionen und Wirtschaftsunternehmen Ihrer Meinung nach mit einem unabhängigen, demokratischen Bildungsideal zusammen und in welcher neuen Verantwortung befinden sich dadurch die Lehrenden?

Fredrik Dehnerdt: Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen ist insbesondere dann gefährdet, wenn versucht hat wird, Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung von Unterricht zu nehmen, wenn die Gefahr einer Abhängigkeit des Unterrichtsbetriebs von einem bestimmten Sponsor (z.B. von Laptops oder Smartphones) besteht, oder wenn die Höhe einer Zuwendung zu einem Gefälle zwischen den Schulen führen würde. Lehrende stehen in der Verantwortung, die Interessen der Anbieter zu hinterfragen und das Thema des Lobbyismus und des Product-Placements im Unterricht zu behandeln.

Sophia Madeleine Gaebler: Die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft ist kein neues Phänomen. Bildungsinstitutionen sollen junge Menschen fit machen für den erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben. Das schaffen sie natürlich nur, wenn sie die Anforderungen der Wirtschaft auch kennen. Lehrkräfte müssen eine Vorstellung davon haben, was sie ihren Schülerinnen und Schülern beibringen müssen, damit der Bildungsauftrag erfüllt wird. Dafür ist die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft auf Augenhöhe grundlegend. Und genau das praktizieren wir mit unserem Netzwerk seit Jahrzehnten erfolgreich. Schulleitungen und Lehrkräfte müssen ja nicht nur im Rahmen der Digitalen Bildung eine zielgerichtete Auswahl treffen und Angebote einer kritischen Bewertung unterziehen. Diesen Herausforderungen müssen sie sich schon seit Jahren stellen. Mit jeder großen technologischen Revolution haben sich auch die Wertschöpfungsketten und Arbeitsweisen in der Industrie verändert. Diesen sich wandelnden Anforderungen musste die Bildung Rechnung tragen. In diesem Sinne ist die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft auch in Zukunft notwendig und richtig.

Nico Tobias Wirtz: Schule muss werbefreie Zone bleiben. Schüler und Schülerinnen sollten im Laufe ihrer Schulzeit eine Vielzahl unterschiedlicher Lehrmethoden, Ansichten und Werkzeuge kennenlernen, damit sie zunehmend reflektierte Entscheidungen fällen können – ob es nun um Informationsbeschaffung, politische Meinungsbildung oder Konsumentscheidungen geht. Sobald Schulen mit Wirtschaftsunternehmen kooperieren, kommt es hier naturgemäß zu Spannungen. Wenn etwa Samsung einer Schule einige Klassensätze Tablets zu Kooperations-Konditionen zur Verfügung stellt, dürfte das Unternehmen wenig Interesse daran haben, dass parallel ebenso viele Geräte von Apple oder Microsoft angeschafft werden. Diese Markenunabhängigkeit müssen Schulen aber unbedingt verteidigen und sich Exklusiv-Kooperationen verweigern. Ich glaube außerdem, dass es sich langfristig kaum ein Unternehmen leisten kann, den Markt Schule zu ignorieren, nur weil ihm dort keine Exklusivität eingeräumt werden kann. So wie an den meisten Schulen Schulbücher unterschiedlicher Verlage zum Einsatz kommen, sollten weiterhin Endgeräte unterschiedlicher Hersteller genutzt und eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen eingesetzt werden.

Über unsere Interviewpartner:

Dr. Fredrik Dehnerdt ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg. Davor promovierte und lehrte er an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg.

Sophia Madeleine Gaebler ist Referentin für Schulpolitik und Hochschulpolitik bei den Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg und Geschäftsführerin von SCHULEWIRTSCHAFT Berlin und Brandenburg.

Nico Tobias Wirtz ist Lehrer für Deutsch und Englisch am John-Lennon-Gymnasium in Berlin Mitte, wo er seit zwei Jahren zudem für die digitale Schulentwicklung zuständig ist.

Fussnoten

Theresa Samuelis ist seit Oktober 2016 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Sie studierte Theaterwissenschaft, Französische Philologie und Angewandte Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Université Laval Quebec in Kanada. Während des Studiums hospitierte und arbeitete sie unter anderem für die Pressestelle der Schaubühne Berlin sowie die Onlineredaktionen des ZDFtheaterkanals und des Suhrkamp Verlags. Neben ihrer Tätigkeit für die KOOPERATIVE BERLIN ist sie als freie Autorin für Online und Hörfunk tätig.