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Im Praxistest: Wohnungslosigkeit (APuZ 25-26/2018) | bpb.de

Im Praxistest: Wohnungslosigkeit (APuZ 25-26/2018)

Heiko Bohlen

/ 4 Minuten zu lesen

Das Phänomen der Wohnungslosigkeit in Deutschland gehört nicht gerade zu den zentralen Themen der schulischen Rahmenlehrpläne und Curricula. Angesichts von geschätzt über einer Million wohnungslosen Menschen 2018 in Deutschland trotz guter allgemeiner wirtschaftlicher Lage oder der zunehmenden Wohnungsknappheit in den Großstädten weist das Thema jedoch weiterhin eine hohe Relevanz auf. Es bietet sich zudem aus didaktischer Sicht aus verschiedenen Gründen für den Unterricht an. Die Ausgabe 25-26 (2018) der "Aus Politik und Zeitgeschichte" liefert grundlegendes Material zur schulischen Beschäftigung mit dieser Thematik.

Aufbau des Materials

Die Themen umfassen: Was bedeutet es, zu wohnen? / Ein Recht auf (menschenwürdiges) Wohnen? / Wohnungslosigkeit in Deutschland aus europäischer Perspektive / Eine Geschichte der Obdachlosigkeit im 19. und 20. Jahrhundert / Zur Ausgrenzung von wohnungslosen Menschen / Wohnungslosigkeit als heterogenes Phänomen / Interview

Einsatzmöglichkeiten im Unterricht

Die Straßenobdachlosigkeit stellt lediglich einen Aspekt der Wohnungslosigkeit dar. Dennoch lässt sich hierüber eine sinnvolle Anknüpfung mit der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler herstellen, denen alltäglich äußerlich erkennbare Obdachlose begegnen. Somit kann eine hohe Motivation gewährleistet werden – vom Verständnis für die Ursachen bis hin zur Diskussion von politischen Lösungen oder eigener politischer Aktivitäten. Die Komplexität dieses Themenfeldes ist vergleichsweise gering, wenngleich es eine hohe Exemplarität aufweist – beispielsweise bei der Frage nach sozialpolitischen Maßnahmen oder als Gegenstand eines internationalen (europäischen) Vergleichs. Der Umfang und teilweise auch die Schwierigkeit der Texte des vorliegenden Materials legt die Förderung der Analysekompetenz nahe. Thematisch gesehen eignet sich ebenfalls besonders die Förderung der politischen Handlungskompetenz, indem beispielsweise Projekte mit den Schülerinnen und Schülern geplant werden, um Wohnungslose im schulischen Umfeld zu unterstützen. Das Themenfeld bietet sich grundsätzlich für die Sekundarstufe eins und zwei an. Jedoch ist das Material im Umfang insbesondere für die jüngeren Jahrgänge deutlich zu reduzieren. Behandelt werden kann das Thema beispielsweise in einer Reihe zum Thema Armut oder des deutschen Sozialstaates, wobei auch eine eigene kurze Unterrichtssequenz sinnvoll erscheint. Je nach Umfang und Kompetenzniveau der Lerngruppe können einzelne Artikel oder direkt mehrere Artikel behandelt werden. Als einzelner Artikel könnte der Artikel von Michael Krennerich grundlegend sein für eine Unterrichtseinheit in der Sekundarstufe zwei unter der Leitfrage "Wohnen als Grundrecht?". Für die Sekundarstufe eins eignet sich eher der Artikel von Susanne Gerull mit der möglichen Frage nach dem Umgang mit Wohnungslosen. Eine gleichzeitige Nutzung mehrerer Artikel in mehr als einer Unterrichtseinheit erscheint ebenfalls sinnvoll. Hierzu passt beispielsweise die übergeordnete Leitfrage "Wohnungslosigkeit heute – Armutszeugnis deutscher Sozialpolitik?". Die genaue unterrichtliche Ausgestaltung variiert demnach abhängig von der Materialauswahl und vom Kompetenzschwerpunkt – folgende Überlegungen können als Anregung dienen.

Ein Einstieg sollte im Sinne der Schülerorientierung den hohen Lebensweltbezug der Thematik nutzen. So sollten die Schülerinnen und Schüler hier persönlichen Erfahrungen und Einstellungen einbringen können und es sollten Vorwissen aktiviert und Präkonzepte abgefragt werden (z.B. zu Gründen für Wohnungslosigkeit). Methodisch könnte beispielsweise eine Schätzfrage zur Anzahl der Wohnungslosen gestellt werden, die von den Schülerinnen und Schülern voraussichtlich unterschätzt wird und dadurch eine kognitive Aktivierung erzielt. Auch ein Rollenspiel kann in diesem Zusammenhang sinnvoll eingesetzt werden, um die Schülerinnen und Schüler für die Thematik zu sensibilisieren. So könnten die Schülerinnen und Schüler versuchen Alltagssituationen, in denen sie Wohnungslosen begegnen, wie im öffentlichen Nahverkehr bei Spendenaufrufen o.ä., darzustellen. Hierbei sollte vor allem reflektiert werden, wie sich die Beteiligten jeweils gefühlt haben und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können.

In der Erarbeitungsphase sollte insbesondere die Textarbeit im Vordergrund stehen. Aufgrund des hohen Umfangs der Texte sollte eine Binnendifferenzierung über die Reduktion des Materials erfolgen. Beim Einsatz mehrerer Artikel eignen sich besonders arbeitsteilige, kooperative Methoden, wie das Gruppenpuzzle. Auch eine Aufteilung der Themen auf verschiedene Gruppen, die auf Grundlage der jeweiligen Artikel Plakate erstellen und in der Sicherung ihre Ergebnisse z.B. in Form eines Gallery Walk präsentieren, ist praktikabel. So könnte anhand dieses Themas auch die Multiperspektivität gefördert werden.

Wird der arbeitsteilige Zugang gewählt, sollte ein weiteres Material hinzugenommen werden, da die zentrale Frage nach den Gründen für Wohnungslosigkeit nicht explizit in einem der Artikel behandelt wird, sondern lediglich von mehreren nebenbei angesprochen wird. Demgegenüber erscheint der Artikel von Claudia Steckelberg hier weniger geeignet, da er aufgrund der sehr allgemeinen und teilweise system-theoretischen Betrachtung eher eine übergeordnete Perspektive darstellt, während die übrigen Artikel sich in ihrer jeweiligen Perspektive für einen umfassenden Zugang zur Thematik sinnvoll ergänzen. Die historische Einordnung des Artikels von Britta-Marie Schenk sowie die philosophische Betrachtung von Jürgen Hasse legen dabei die Wahl eines fächerübergreifenden Zugangs nahe.

Insgesamt stellt das Material eine geeignete Grundlage dar, um das bisweilen vernachlässigte, aber aus verschiedenen Gründen sehr passende Thema der Wohnungslosigkeit im Unterricht umzusetzen.

Material

Unter Interner Link: http://www.bpb.de/apuz/270876/wohnungslosigkeit stehen die Materialien kostenlos bereit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (Prognose für 2018: 1,2 Millionen wohnungslose Menschen inklusive anerkannter wohnungsloser Flüchtlinge)

Heiko Bohlen, Mathe und Politik, Sophie-Scholl-Oberschule Berlin