Baustein 2: Bedeutung und Funktionen von Wahlen
Der Baustein beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Bedeutung von Wahlen in der repräsentativen Demokratie. Der Stellenwert dieses Themas der Unterrichtseinheit rechtfertigt eine intensive Aufarbeitung, die sicherlich mit einigem Aufwand verbunden ist. In Baustein 2.1 untersuchen die Schülerinnen und Schüler die Frage "Wie souverän ist der Wahler?" und in Baustein 2.2 vergleichen sie Wahlsysteme miteinander.Baustein 2.1: Wie souverän ist der Wähler?
Der Baustein 2.1 beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Bedeutung von Wahlen in der repräsentativen Demokratie. Dieses Thema (u.a. Diskrepanz zwischen Verfassungsnorm und -wirklichkeit) dürfte die Jugendlichen besonders interessieren und ist auch systematisch gesehen wichtig. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, bei Zeitknappheit eher an einer anderen Stelle der Unterrichtsreihe den Stoff zu reduzieren, anstatt hier die Problematik nur oberflächlich anzureißen. Folgende Lernziele sollen mittels dieses Bausteins erreicht werden:Die Schülerinnen und Schüler...
- erarbeiten die Funktionen und Voraussetzungen von Wahlen.
- erschließen anhand eines Negativbeispiels Merkmale für eine faire Wahl.
- erarbeiten die Wahlrechtsgrundsätze und wenden ihre Kenntnisse an, indem sie Verstöße gegen die Grundsätze an Fallbeispielen identifizieren.
- diskutieren das Spannungsverhältnis zwischen normativem Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit.

Die Karikatur MW 02.01 zum Einstieg in die Unterrichtseinheit besitzt eine wichtige Motivationsfunktion und dient als Hinführung zum Thema der Unterrichtseinheit. Zugleich bildet sie eine Art „Klammer“, die den gesamten Verlauf der Einheit umspannt und den Anstoß zu einer Problematisierung der Spannung zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit provoziert. Um diese Funktion zu gewährleisten, ist es unbedingt notwendig, dass die Karikatur zu Beginn der Unterrichtseinheit den Schülerinnen und Schülern zunächst mit abgedeckter Unterzeile präsentiert wird. Erst am Ende dieser Unterrichtseinheit wird den Schülerinnen und Schülern die Karikatur mit aufgedeckter Unterzeile gezeigt, sodass sich dann ein „Aha“-Effekt einstellt.
Der Wähler, gekennzeichnet durch einen Bleistift als Zepter und eine Schärpe mit Wahlkreuz, erscheint in der Rolle des Herrschers, ausgestattet mit Krone, Reichsapfel und Mantel als Insignien der Macht. Die Parteien sind ihm als "Schleppenträger" zu Diensten; sie unterhalten sich hinter seinem Rücken – ob freundlich oder spöttisch bleibt zunächst offen –, da die Unterzeile abgedeckt ist. Somit versinnbildlicht die Karikatur gewissermaßen überspitzt die verfassungsrechtliche Stellung des Wählers als Souverän in einer Demokratie – entsprechend dem Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Sie verweist damit auf den Wahlakt als einen Vorgang, in dem das Volk seine ihm zugeschriebene Staatsgewalt ausübt. Die Unterzeile indes macht deutlich, dass die Volkssouveränität eine Norm ausdrückt, die nicht ohne Weiteres mit der Realität übereinstimmt. Diese „Brechung“ der Aussage bleibt für die Jugendlichen anfangs noch verborgen. Zunächst wirft die Karikatur die Frage auf, in welchem Sinne die Stellung des Wählers als Souverän zu verstehen ist, d.h. in welcher Weise Volkssouveränität mittels Wahlen verwirklicht werden soll (Karikatur interpretieren).
Funktion von Wahlen
In einem zweiten Schritt soll die mittels der Karikatur entwickelte Problemfrage anhand verschiedener Texte näher untersucht werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, in welcher Weise Volkssouveränität durch Wahlen verwirklicht werden kann oder grundsätzlich formuliert: "Welche Funktionen haben Wahlen in einer „repräsentativen“ Demokratie?" Diese Fragestellung wird als Überschrift an der Tafel festgehalten. Eventuell kann dabei die Kennzeichnung „repräsentativ“ zunächst offen gelassen und später in die Überschrift eingefügt werden. Wichtig ist ferner der Hinweis für die Jugendlichen zum Tafelbild (MW 02.03), dass diese nach der Überschrift reichlich Platz lassen sollten, da das Tafelbild von unten nach oben aufgebaut wird. Die jeweilig erarbeiteten Ergebnisse können dabei in einem sich stetig weiterentwickelnden Tafel- oder Folienbild visualisiert und strukturiert werden.
Daher seien an dieser Stelle einige Bemerkungen zum Aufbau dieses recht komplexen Tafelbildes erlaubt: Im Mittelteil wird der Grundgedanke der Repräsentation dargestellt, sozusagen als erster Arbeitsschritt auf der Basis der Arbeit in Baustein 1. Anschließend sind dann aus MW 02.02 die Voraussetzungen und Funktionen der Wahl zu ermitteln (Mindmap erstellen), wobei die Stichwörter zu den Voraussetzungen am unteren Rand des Tafelbildes angefügt werden. Die Wahlfunktionen wiederum sind nach zwei Gesichtspunkten zu gliedern und rechts bzw. links vom Mittelteil aufzulisten.
Die entsprechenden Leitfragen lauten dabei:
- Was soll durch Wahlen für die Bürger erreicht werden?
- Welche Aufgaben sollen die Parteien im Wahlprozess erfüllen?
Wahlrechtsgrundsätze
Anschließend wird der Fokus auf die Erarbeitung der Wahlrechtsgrundsätze gelegt. Hierbei schlüpfen die Jugendlichen in die Rolle von Wahlbeobachtern (MW 02.04). Sie erarbeiten anhand eines Negativbeispiels - einem Bericht über die Wahlen in Russland (MW 02.05) - zunächst grundlegende Merkmale einer fairen Wahl. Aus den beobachteten Negativaspekten der Wahl formulieren sie positive Sollenssätze und damit Grundvoraussetzungen für eine faire Wahl. Die so gefundenen Merkmale einer fairen Wahl gleichen sie im Anschluss mit den Wahlrechtsgrundsätzen gemäß Artikel 28 GG (MW 02.06 und MW 02.07) ab. Des Weiteren geht es darum, dass die Lerngruppe erkennt, dass die Anerkennung der Wahlrechtsgrundsätze sich in einer langen historischen Entwicklung vollzogen hat und dass auch heute noch in einigen Staaten diese Grundsätze verletzt werden. Anhand der in MW 02.08 aufgeführten Beispiele überprüfen die Jugendlichen beispielhaft, gegen welche der in der Bundesrepublik als selbstverständlich erscheinenden Grundsätze hier verstoßen wurde. Zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der Wahlen in Deutschland kann ergänzend Baustein 3 dieses Kapitels herangezogen werden. Zur Komplettierung des Tafelbildes werden die erarbeiteten Wahlrechtsgrundsätze von der Lehrerin / dem Lehrer ergänzt.
Im Anschluss an die Fertigstellung des Tafelbildes sollte eine Reflexion erfolgen, in der sich die Jugendlichen kritisch mit dem Spannungsverhältnis zwischen normativem Verfassungsanspruch der Wahlfunktionen und tatsächlicher Verfassungswirklichkeit auseinandersetzen. Die zutage tretenden Repräsentations- und Partizipationsdefizite sollen dabei nicht zuletzt als mögliche Ursachen der allgemeinen Parteienverdrossenheit kontrovers diskutiert werden.
Baustein 2.2 Stabile Mehrheiten oder exakte Repräsentation des Wählerwillens? - Wahlsysteme im Vergleich
Thema dieses Bausteins sind die zwei Grundformen moderner Wahlsysteme: das Mehrheitswahlsystem und das Verhältniswahlsystem. Folgende Ziele können mithilfe dieses Bausteins erreicht werden:Die Schülerinnen und Schüler…
- erarbeiten die Systeme der relativen Mehrheitswahl und der Verhältniswahl und erläutern die selbst erstellten Schemata.
- benennen Beurteilungskriterien und Leistungsanforderungen an Wahlsysteme.
- gelangen zu einer differenzierten Beurteilung der beiden Wahlsystem-Grundtypen.

Mehrheitswahlrechts- und Verhältniswahlrechtsystem
Zum Einstieg in den Baustein legt die Lehrperson eine Folie mit einem Zitat des spanischen Philosophen und Soziologen José Ortega y Gasset auf den OHP (MW 02.09). Das Zitat lautet: „Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär.“ Das Zitat dient dazu, den Blick auf die große Bedeutung des Wahlrechts zu lenken. Die Frage, die vermutlich im anschließenden Gespräch zwischen Schülerinnen, Schülern und Lehrperson aufkommt, lautet: Warum ist das Wahlrecht so bedeutsam? Um zur Erarbeitungsphase überzuleiten, erklärt die Lehrerin / der Lehrer, dass sich im Laufe der Geschichte zwei unterschiedliche Grundformen von Wahlsystemen entwickelt haben: das Mehrheitswahlsystem und das Verhältniswahlsystem. Diese werden im Folgenden von den Schülerinnen und Schülern in Grundzügen arbeitsteilig erarbeitet. Dazu wird die Lerngruppe in zwei Hälften geteilt. Die eine Hälfte erhält Materialien zur relativen Mehrheitswahl als eine exemplarische Form des Mehrheitswahlsystems (MW 02.10 – MW 02.13), die andere Hälfte zum System der Verhältniswahl (MW 02.14 – MW 02.17). In den Materialien werden jeweils die Grundidee des betreffenden Wahlsystems erläutert sowie die Auswirkungen geschildert. Anhand konkreter Zahlenbeispiele auf den Arbeitsblättern MW 02.13 und MW 02.17 kann die Bestimmung der Parlamentssitze im System der relativen Mehrheitswahl bzw. durch das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers für das System der Verhältniswahl von den Schülerinnen und Schülern selbst durchgerechnet werden. Der Lehrer/die Lehrerin kann die Auswahl der Materialien in Abhängigkeit von den Voraussetzungen der Lerngruppe im Vorfeld eingrenzen oder erweitern (siehe hierzu Kapitel 2, Baustein 1). Weiterhin kann den Schülerinnen und Schülern eine Strukturierungshilfe vorgegeben werden, die den Fokus auf folgende Punkte lenkt:
- Grundzüge des Verhältnis-/ Mehrheitswahlrechts
- Besonderheiten (z.B. Berechnungsverfahren, Sperrklauseln, …)
- Vorzüge
- Schwierigkeiten
- Beispiele