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Info 02.01 Entwicklungsaufgaben | Wie bin ich geworden, wer ich bin? - Seinen Weg finden nach Flucht, Vertreibung und Krisen | bpb.de

Wie bin ich geworden, wer ich bin? Didaktische Konzeption Sachanalyse Die Rollentheorie Der Symbolische Interaktionismus Sozialisation und Subjekt Sozialisation als Beziehungspraxis Strukturierte Urteilsbildung Hinweise zur Analyse Baustein 1: "Alles Zufall, oder was?" - Befragung zu Lebensverlauf und Einflussfaktoren Einstieg & Befragung (B1) M 01.01 Lebensspiel M 01.02 Empirische Sozialforschung M 01.03 Schriftliche Befragung M 01.04 Fragebogen erstellen M 01.05 Musterfragebogen M 01.06 Leitfaden-Interview M 01.07 Interview-Leitfragen M 01.08 Hypothesen & Auswertung M 01.09 Sechs-Punkte-Schema M 01.10 Auswertungshilfen M 01.11 Daten: „Ängste“ (1) M 01.12 Daten: „Ängste“ (2) M 01.13 Daten: "Krisen" M 01.14 Daten: „Benachteiligung“ M 01.15 Daten: „Diskriminierung“ M 01.16 Vergleichsdaten: „Verhältnis zu den Eltern“ M 01.17 Daten: „Wohlbefinden“ M 01.18 Daten: „Angestrebte Werte“ M 01.19 Daten: „Freizeit“ (1) M 01.20 Daten: „Freizeit“ (2) Info 01.01 Leitfaden-Interview Info 01.02 Infos zu Vergleichsdaten Baustein 2: Sozialisation im Kontext von Krise, Flucht und Vertreibung Einführung ins Thema M 02.01 Einstiegsfilm M 02.02 Definition Sozialisation M 02.03 Sozialisationsvideo M 02.04 Definition Krisen M 02.05 Definition Krieg M 02.06 Kinderzeichnung Flucht M 02.07 Kinderzeichnung Flucht M 02.08 Kinderzeichnung Flucht M 02.09 Kinderzeichnung Flucht M 02.10 Kinderzeichnung Flucht M 02.11 Krieg und Flucht M 02.12 Kriegsauswirkungen M 02.13 Flüchtlingslager M 02.14 Flüchtlingszahlen 2014/15 M 02.15 Psychische Auswirkungen M 02.16 Interview Grundmann (1) M 02.17 Interview Grundmann (2) Info 02.01 Entwicklungsaufgaben Info 02.02 Kinderzeichnung Flucht Info 02.03 Fish-Bowl Info 02.04 Flüchtlingslager Info 02.05 Migrationsgeschichte Baustein 3: Wie das Leben so spielt - Fallstudien Baustein 3: Didaktische Einführung M 03.01 Auswertungsplakat 03.01 Der Fall Erol (Credibil) M 03.01.00 Zur Person von Erol M 03.01.01 Erols Familie (1) M 03.01.02 Erols Familie (2) M 03.01.03 Erols Peer Group M 03.01.04 Erols Schulzeit M 03.01.05 Erols Sozialer Raum M 03.01.06 Erol: Lieder/Texte/Videos Info 03.01.01 Lösung Erols Kindheit Info 03.01.02 Lösung Erols Väter Info 03.01.03 Lösung Erols Freunde Info 03.01.04 Lösung Erols Schule Info 03.01.05 Lösung Erols Sozialer Raum 03.02 Der Fall Panić M 03.02.00 Zur Person von Dejan M 03.02.01 Dejans Familie M 03.02.02 Dejan Fußball M 03.02.03 Dejans Schulzeit M 03.02.04 Dejans Peer Group M 03.02.05 Dejans Sozialer Raum Info 03.02.01 Lösung Dejans Familie Info 03.02.02 Lösung Dejans Verein Info 03.02.03 Lösung Dejans Schule Info 03.02.04 Lösung Dejans Feunde Info 03.02.05 Lösung Dejans Sozialer Raum 03.03. Der Fall Dazer M 03.03.00 Zur Person von Dazer M 03.03.01 Dazers Familie M 03.03.02 Dazers Schulzeit M 03.03.03 Dazer und der Staat M 03.03.04 Dazers Freundeskreis M 03.03.05 Dazers Sozialer Raum M 03.03.06 Videos: Leben in der DDR Info 03.03.01 Lösung Dazers Familie Info 03.03.02 Lösung Dazers Schule Info 03.03.03 Lösung Dazer Staat Info 03.03.04 Lösung Dazers Freunde Info 03.03.05 Dazers Sozialer Raum 03.04 Der Fall Grün M 03.04.00 Zur Person von Grün M 03.04.01 Grüns Kindheit M 03.04.02 Grüns Vertreibung M 03.04.03 Grüns Neuanfang M 03.04.04. Grüns Berufswechsel M 03.04.05 Karte Vertreibung M 03.04.06 Grün Auswertung AG1 M 03.04.07 Grün Auswertung AG 2 M 03.04.08 Grün Auswertung AG 3 M 03.04.09 Grün Auswertung AG 4 Info 03.04.01 Grün Lösung AG 1 Info 03.04.02 Grün Lösung AG 2 Info 03.04.03 Grün Lösung AG 3 Info 03.04.04 Grün Lösung AG 4 Info 03.04.05 Literaturhinweise Info 03.06 Links zu Zusatzinfos Resilienz & Handlungsstrategien (B4) M 04.01 Resilienz M 04.02 Wortwolken M 04.03 Internetrecherche (GA) Redaktion

Info 02.01 Entwicklungsaufgaben

Wolfgang Sander

/ 9 Minuten zu lesen

Frage: Warum ist es in unserer Gesellschaft wichtig, beim Nachdenken über Krisen und Krisenbewältigung im Jugendalter besonders darauf zu achten, dass Jugendliche Entwicklungsaufgaben zu lösen haben?

In statischen (traditionalen) Gesellschaften funktionierte die Sozialisation der nachwachsenden Generation nach einem einfachen, aber stabilen Modell: Der Sohn erlernt vom Vater (Meister) seine zukünftige Rolle (den Beruf) durch Nachmachen, Abgucken, learning by doing. Ebenso die Tochter von der Mutter. Das konnte klappen, da es kaum Veränderungen in den Rollen gab und die funktionalen Anforderungen in den Rollen durch dichte Interaktion sicher tradiert werden konnten. Dem lag ein einfaches Sozialisationsmodell zugrunde, um normkonformes Verhalten zu erzeugen und abweichendes Verhalten zu minimieren: Im Alltagshandeln gab es klare Normen (weitgehend mündlich überliefert). Direkte Teilnahme an der Interaktion erlaubte es den Sozialisationsagenten, Lob bei Erfolg und Tadel bei Abweichungen sofort und direkt einzusetzen. Norm, Abweichendes Verhalten und Sanktionen bildeten eine mechanische Einheit.

Volkstümliche Märchen unterstützten (in Zeiten ohne Radio, TV, Film und Internet) dieses holzschnittartige Denken in vielfacher Weise und dann oft recht drastisch: Rotkäppchen, das vom Pfad der Tugend abweicht, wird vom Wolf gefressen. Wilhelm Busch (1832 – 1908) hat mit „Max und Moritz“ zwar genüsslich und unterhaltsam Bubenstreiche dargestellt und insofern abweichendes Verhalten beschrieben und bebildert, aber die Abweichungen richten sich gegen eher kleine Autoritäten des Alltags (Witwe Bolte, Lehrer Lämpel) und stellten Normen und Autoritäten keineswegs in Frage. Seine Geschichten stellen vielmehr die Verlockungen von Normüberschreitungen aus der Sicht der jungen Akteure gekonnt dar, vielleicht zu unterhaltsam, denn in der Bismarckzeit kritisierten Pädagogen sie als frivoles Werk mit jugendgefährdender Wirkung und dies obwohl – um jeden Zweifel an der Gesinnung des Autors auszuschließen - schon im Vorwort mit aller Deutlichkeit auf die fatalen Folgen dieses Fehlverhaltens hingewiesen wird: „Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!! Ach, das war ein schlimmes Ding, wies es Max und Moritz ging. Drum ist hier, was sie getrieben, abgemalt und aufgeschrieben.“ (Externer Link: Vorwort).

Das hier dominante Grundmuster von Sozialisation, dass jeder noch so kleinen Übeltat die Strafe auf dem Fuße zu folgen habe (das „Null Toleranz“-Denken modern gesprochen), hat der Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann in seinem Kinderbuch „Der Struwwelpeter“ (1845) in zehn Kindergeschichten anschaulich und für Kinder auch sehr eindrücklich bis beängstigend dargestellt. Das Werk gehört mit zu den erfolgreichsten deutschen Kinderbüchern. Die simple Botschaft lautet: Wer gegen klare Normen (Vorschriften) verstößt, hat unmittelbar mit scharfen Sanktionen zu rechnen. In einer dynamischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft lässt sich die Sozialisation der Jugend nicht mehr so einfach nach dem Motto gestalten: Wie kann man abweichendes Verhalten verhindern? - weil das mechanistische Denkmodell nicht mehr in allen Fällen trägt. Drei Punkte zeigen das:

  1. Viele Normen/ Vorschriften/ Gewohnheiten ändern sich sehr schnell, werden unklar, neue kommen hinzu oder es bestehen normative Lücken (Regelungsbedarf infolge von Innovationen, mit vorerst vielen Lösungsvorschlägen, bis sich neue Standards durchsetzen).

  2. Selbst in den Bereichen, in denen die Normen und Ziele noch hinreichend klar sind, ergibt sich häufig die Frage, wie die Vorgaben und Vorschriften erreicht werden können. Viele Wege führen zum Ziel. Eine zu straffe Standardisierung der Mittel (Ritualisierung) verhindert kreative Lösungen.

  3. Es stellt sich die Frage, was angemessene Sanktionen sind. Welche Sanktionen sind geeignet, das Ziel auch tatsächlich zu erreichen? Historische Beispiele zeigen das: Die Prohibition hat das Alkoholproblem in den USA nicht gelöst, sondern verschoben und verschärft. Auch die Ideologie der Null-Toleranz („Nur scharfe und schnelle Sanktionen brächten den Abweichler zur Vernunft.“), die den polizeilichen Vollzug in einigen Staaten der USA bestimmte, erwies sich als Irrtum. Letztlich ist sie ein Armutszeugnis und Eingeständnis der eigenen Ohnmacht (oder der finanziellen Nöte).

In vielen Bereichen unserer Gesellschaft funktioniert das statische Norm–Abweichung–Sanktions-Modell zwar teilweise recht gut (Strafrecht, Straßenverkehr, Militär, Industrielle Produktion, Verwaltung), aber in der zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation wohl kaum, schon gar nicht in innovativen und künstlerischen Bereichen. Aber: Alles freigeben und der Beliebigkeit überlassen ist auch keine Lösung, das würde Chaos verursachen und Auflösungstendenzen in der Gesellschaft verstärken, was keiner wollen kann. Stattdessen wird ein anderes Sozialisationsmodell gefordert, das die Mitwirkung und Eigenverantwortung der jugendlichen Akteure stärker in den Vordergrund stellt. Kennzeichnend für die neue Rolle der Jugend ist daher nicht mehr, Führerscheinprüfung ablegen und wie Erwachsene Auto fahren dürfen, sondern auch und immer mehr der Gedanke, dass sie für bestimmte Bereiche eigene Ideen, Vorstellungen und Lösungen entwickeln, selbstständig über Mittel verfügen können und für ihre Bereiche Verantwortung übernehmen. Auch wenn dabei manches schief gehen sollte und Lehrgeld bezahlt werden muss, lohnt sich dieses alternative Sozialisationsmodell, weil es einen alternativen Umgang mit Fehlern zulässt: Fehler bedeuten nicht mehr nur abweichendes Verhalten, sondern sind bei entsprechender Fehlerkultur die Quelle (Herausforderung, Ansporn, Wille) für Qualitätsverbesserungen – eine permanente gemeinsame Entwicklungsaufgabe für Jung (und Alt). Wer also die hohe Eigenständigkeit der Jugend als Notwendigkeit (nicht nur als Zugeständnis) vor Augen hat, als Potential und als Gestaltungsgesichtspunkt ernstnimmt und in sein Nachdenken über Sozialisation und Krisenbewältigung im Jugendalter einbaut, der fragt danach, welche typischen Entwicklungsaufgaben Jugendliche in ihrem Alter zu erledigen haben und wie sie dabei unterstützt werden können. Bei der Analyse und Gestaltung des Sozialisationsprozesses stärker auf die Entwicklungsaufgaben zu achten lohnt sich, weil so einerseits der sozialen Dynamik hochentwickelter Gesellschaften Rechnung getragen wird und andererseits der Freiheitsdrang und das Gestaltungspotential der Jugendlichen zur Geltung kommen können.

Frage: Was wird in der Jugendforschung unter Entwicklungsaufgaben verstanden?

Der an praktischen Fördermöglichkeiten interessierte Pädagoge und Bildungsforscher R. J. Havighurst (1900 -1991) hat in seinem Buch mit dem Titel „Developmental tasks and education“ (1948) als erster den Blick von den normativen Vorgaben der Erziehung verstärkt auf die vom Menschen im Laufe seines Lebens zu lösenden Aufgaben gelenkt, die er schematisch sechs Zeitetappen zuordnete: frühe Kindheit, mittlere Kindheit, Jugend (13 -18 Jahre), frühes Erwachsenenalter (19- 30 J), Mittelalter (30 – 60 J.) Alter (61 Jahre und älter). Er gab folgende Definition, die auch heute noch den begrifflichen Rahmen bildet: „Unter einer Entwicklungsaufgabe werden in der psychologischen Diskussion die kulturell und gesellschaftlich vorgegebenen Erwartungen und Anforderungen verstanden, die an Personen einer bestimmten Altersgruppe gestellt sind. Sie definieren für jedes Individuum in bestimmten situativen Lebenslagen objektiv vorgegebene Handlungsprobleme, denen es sich stellen muss.“ (Havighurst, hier zitiert nach K. Hurrelmann u.a. 1985, S. 12)

Die jeweiligen Entwicklungsaufgaben stehen nicht als natürliche oder soziale Tatsachen fest, sondern werden durch physiologische Veränderungen (z.B. Pubertät) beeinflusst, durch sozial und kulturell vorgegebene Anforderungen definiert und durch eigene Vorstellungen der Person interpretiert. Diese Perspektive hat die Jugendforschung übernommen. Besonderes Kennzeichen der Lebenssituation eines jungen Menschen ist es aus dieser Sicht, dass er eine Reihe von typischen Problemen bearbeiten und Entscheidungen treffen muss, wenn er sich entwickeln, d.h. „erwachsen werden“ will. Dazu gehören Berufswahl, Partnerwahl, Freundeskreis, Familiengründung, Kinderwunsch, aber auch Entwicklung eines Konsum- und Lebensstils, Umgang mit Alkohol, Drogen u.a. Die Anzahl der Entwicklungsaufgaben und die Art der Lösung stehen nicht fest. Jungsein bedeutet in dieser Perspektive nicht nur „frei werden“ (von Konventionen), sondern zugleich auch typische Entwicklungsaufgaben bearbeiten und lösen können.

Frage: Welche typischen Entwicklungsaufgaben lassen sich unterscheiden?

Die Entwicklungsaufgaben, die Jugendliche während der Adoleszenz zu lösen haben, lassen sich nicht abschließend benennen, sie können aber zur besseren Orientierung (nach Dekovic u.a. 1997) in drei Aufgabentypen eingeteilt werden:

1. Entwicklungsaufgaben, die die eigene Person betreffen

Die Aufgabe des Jugendlichen besteht darin,

  • sich der eigenen Person bewusst zu werden und Selbstbewusstsein zu entwickeln (z.B. sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst werden; Differenzen zwischen Selbst- und Fremdbild wahrnehmen und verarbeiten),

  • mit physiologischen und emotionalen Veränderungen der Pubertät klarzukommen (z.B. Veränderungen des eigenen Körpers wahrnehmen, akzeptieren und besprechen; Rolle der Emotionen im Selbstwertgefühl akzeptieren und kontrollieren),

  • eine gewisse Selbstständigkeit in eigenen wichtigen Entscheidungen zu erwerben (z.B. Kleidung, Konsum, Lebensstil finden; eigene Rechte und Ansprüche sozial verträglich geltend machen; Zeitpunkt des Nachhausekommens mit den Eltern aushandeln),

  • erfolgreich Alltagssituationen zu gestalten (z.B. Schul- und Freizeit vereinbaren; Freunde treffen, mit ihnen ausgehen; eigenes Geld verdienen und benutzen; auf Gesundheit und Ernährung achten, zum Arzt gehen),

  • eigenständig Wertmaßstäbe des Handelns zu suchen, zu finden und anzuwenden (z.B. Entscheidungsfragen im Alltag verantwortlich entscheiden; politische Diskussion und Meinungsbildung; eigene „Lebensphilosophie“ entwickeln oder sich religiös orientieren (Sinn des Lebens); eigene Meinung und eigenes Urteil bilden und vertreten).

2. Entwicklungsaufgaben, die die Beziehungen zu anderen betreffen

Die Aufgabe des Jugendlichen besteht darin,

  • Kontakte zu Gleichaltrigen (Peers) aufzubauen und zu pflegen (z.B. im Sportverein, in Jugendtreffs, über Neue Medien),

  • einen festen Freundeskreis zu haben (z.B. beste Freundin, bester Freund),

  • eine intime Beziehung anzubahnen und aufzubauen,

  • die Beziehungen zur Familie (den Eltern, Geschwistern, Großeltern etc.) zu verändern, abzulösen und zu pflegen,

  • soziale Kompetenz aufzubauen (verbale und nonverbale Kommunikation, Interaktion, Selbstdarstellung, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Zuhören),

  • Regeln des fairen Miteinanderumgehens (z.B. Goldene Regel) kennen zu lernen und anzuwenden.

3. Entwicklungsaufgaben, die die Beziehungen zu sozialen Institutionen betreffen

Die Aufgabe des Jugendlichen besteht darin,

  • die Schulkarriere (mehr oder weniger erfolgreich) zu beenden (z.B. durch regelmäßigen Schulbesuch, sozialverträglichen Umgang, Erwerb von Fähigkeiten und Kompetenzen, Bestehen von Tests/ Klassenarbeiten etc.),

  • sich mit der Berufswahl auseinanderzusetzen und ein Berufsfeld (einen Beruf) in die Auswahl zu nehmen,

  • sich um ökonomische Unabhängigkeit zu bemühen (z.B. durch Lehrstelle, Job, Förderung etc.),

  • zu klären, wie ein angemessener (u.a. finanzierbarer) Wohn- und Lebensstil aussehen kann,

  • sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und wie man Verantwortung für eine eigene Familie übernehmen will/ kann,

  • Urteile zu sozialen, kulturellen und sozioökonomischen Fragen zu bilden, miteinander zu diskutieren und öffentlich zu vertreten.

Für die Lösung der zentralen Entwicklungsaufgaben gibt es sensitive Zeitfenster. Wenn diese verpasst werden, ist es zwar nicht unmöglich, aber doch schwierig, die Lösung der Aufgabe (z.B. Schulabschluss) später nachzuholen. Wer mit 40 Jahren keinen Schulabschluss, keinen Beruf, keinen Partner, keine Freunde gefunden hat und immer noch zu Hause wohnt, hat große Schwierigkeiten, erwachsen, d.h. in unserer Gesellschaft selbstständig zu werden. Er kann ein kluger, belesener, künstlerisch begabter, unterhaltsamer und sympathischer Mensch mit gepflegten Umfangsformen sein, aber er ist ein Exot und entspricht nicht den Standardvorstellungen von Erwachsensein in unserer Gesellschaft.

Frage: Welche Bedingungen und Maßnahmen tragen dazu bei, dass Jugendliche Entwicklungsaufgaben erfolgreich lösen bzw. nicht lösen?

Pädagogisch von großem Interesse ist die Frage: Welche Bedingungen und Maßnahmen tragen dazu bei, dass Jugendliche Entwicklungsaufgaben erfolgreich lösen bzw. nicht lösen? Dies wird besonders virulent, wenn die Entwicklungsaufgaben in extremer Weise nicht oder „anders“ gelöst werden, wie dies bei Phänomenen wie Jugendprotest und jugendlicher Identitätskrise zu Tage tritt, aber auch bei Verhaltensproblemen von Jugendlichen, die Selbst- und Fremdgefährdung beinhalten (z.B. bei Rauschmittelkonsum, Ernährungsproblemen, Delinquenz und Gewaltanwendung).

Der Coping-Ansatz ist ein zentrales Konzept der Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Er fragt nach dem Problemlöseverhalten, insbesondere nach dem Gelingen bzw. Misslingen von erfolgsorientiertem Handeln und richtet das Augenmerk darauf, wie jugendliche Akteure mit Belastungen und Herausforderungen umgehen (vgl. Olbrich 1984). Zwei Ergebnisse seien genannt, um den Denkansatz deutlich zu machen, zumal er nicht auf die Vermittlung von Rezeptwissen hinausläuft. Zieht sich die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben über mehrere Lebensabschnitte hin (z.B. Bildung und Ausbildung), so ist eine erfolgreiche Bewältigung in einer früheren Phase eine gute Basis für den Erfolg auf diesem Gebiet in einer späteren Phase (z.B. Hochschule). Umgekehrt gilt: Schlechte Erfahrungen in der Schule tragen dazu bei, dass weitere Ausbildungsschritte als Belastung empfunden werden. Die Jugendlichen verlieren den Glauben an sich und „lernen“ sich zu immunisieren und anderen den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben („blöde Lehrer, blöde Schule“). Dieser Befund stimmt überein mit Erkenntnissen der sozialkognitiven Lerntheorie von A. Bandura (1976): Personen, die sich für kompetent halten, sind stärker motiviert, Belastungen konstruktiv zu bewältigen, und greifen seltener auf Vermeidungs- und Rückzugsstrategien zurück als die „Selbstzweifler“. Ein zweiter Befund thematisiert den Zusammenhang zwischen Ausmaß der Problembelastung und Wahl geeigneter Bewältigungsstrategien: Jugendliche, die mit großen Problemen bei der Lösung von Entwicklungsaufgaben belastet sind, neigen dazu, wenig effektive Problemlösungs- oder gar Vermeidungsstrategien zu wählen (Seiffge-Krenke 1984). Wer in der Patsche sitzt, verliert die Übersicht, macht die falschen Bewegungen und gerät noch tiefer in den Sumpf. Dadurch kann sich bei diesen Jugendlichen eine gefährliche „Abwärtsspirale“ in Gang setzten, die es gilt, durch gekonnte pädagogische Intervention zu verhindern, die an den persönlichen und sozialen Ressourcen des Jugendlichen anknüpft („Stärken stärken“). Gut funktionierende soziale Beziehungen (z.B. Peers, Freunde und Freundinnen in der Klasse oder beim Sport) können - geschickt genutzt - helfen, (Einstellungen zur) Problembewältigung bei Jugendlichen schrittweise zu verbessern. (Zum Aufbau und zur Festigung von Bewältigungsstrategien, die an das Selbstkonzept und an Selbstwirksamkeitsüberzeugen ansetzen vgl. Lohaus 1993; Larisch & Lohaus 1997; Petermann & Petermann 1996 entwickelten ein Interventionsprogramm zur Förderung des Arbeits- und Sozialverhaltens von Jugendlichen mit dem Schwerpunkt, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken und selbstsicheres Verhalten zu unterstützen.)

Das Infomaterial Interner Link: Info 02.01 Entwicklungsaufgaben ist als PDF-Dokument abrufbar.

Quellen / Literatur

Literaturhinweise

  • Bandura, A. (1976): Lernen am Modell. Stuttgart



  • Decovic, M, / Noom, M. J. / Meeus, W. (1997): Expectations regarding development during adolescence, in: Journal of Youth and Adolescence 26, S. 253 – 272.



  • Havighurst, R. J. (1948/1982): Developmental tasks and education, New York.



  • Hurrelman, K. / Rosewitz, B. /Wolf, H. K. (1985): Lebensphase Jugend, Weinheim/München.



  • Lohaus, A. (1990): Gesundheit und Krankheit aus der Sicht von Kindern, Göttingen.



  • Lohaus, A. / Larisch, H. (1993): Altersbezogene Veränderungen der Personenwahrnehmung im Kinder- und Jugendalter, in: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie 25, S. 253 – 266.



  • Olbrich, E. (1984): Jugendalter – Zeit der Krise oder der produktiven Anpassung?, in: Olbrich, E. / Todt, E. (1984): Probleme des Jugendalters, Berlin S. 1 – 48.



  • Petermann, F. / Petermann, U (1996): Training mit Jugendlichen. Förderung von Arbeits- und Sozialverhalten, Weinheim.



  • Seiffge-Krenke, I. (1984): Formen der Problembewältigung bei besonders belasteten Jugendlichen, in: Olbrich E. / Todt, E. (Hrsg.): Probleme des Jugendalters, Berlin S. 353 – 386.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. phil., geb. 1944; Erziehungswissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Anschrift: Westfälische Wilhelms-Universität, Institut für Erziehungswissenschaft, Georgskommende 33, 48143 Münster.
E-Mail: E-Mail Link: sander@uni-muenster.de