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M 04.06 Nadia (Kopftuchdebatte) | Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Integration | bpb.de

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M 04.06 Nadia (Kopftuchdebatte)

/ 3 Minuten zu lesen

Der Text stellt anschaulich den Fall der Referendarin Nadia Mourad Osman, dar, für die es schwierig werden wird, nach dem Referendariat eine Anstellung als Lehrerin zu bekommen, weil sie ein Kopftuch trägt.

"Sie brauchen die Schuhe nicht auszuziehen. Wir sind da nicht so..." Nadia Mourad Osman spricht den Satz nicht zu Ende. So was? So orientalisch? So muslimisch? Nadia gibt sich alle Mühe, nach außen den Anschein zu vermitteln, ganz normal zu sein. Normal heißt in diesem Fall, nichtmuslimisch und nichtorientalisch.
Die 25-Jährige, deren Vater aus dem Libanon und deren Mutter aus Berlin stammt, winkt ihren Besuch ins Wohnzimmer. Auf dem niedrigen Couchtisch steht liebevoll arrangiert ein Weihnachtsgesteck. Es duftet nach Zimtsternen. Dazu gibt es Filterkaffee. Sie erzählt als Allererstes, dass sie gerade mit den Schülern ihrer Englischklasse Weihnachten durchnimmt. "Wieso ich das mache?" fragt sie, "na, ganz klar: wegen der Jahreszeit". Sie grinst. Nadia ist eine ganz normale Referendarin an einer ganz normalen Hauptschule im Odenwald.

Das Einzige, was sie heraushebt: Sie braucht gar nicht darüber nachzudenken, ob sie nach ihrem zweiten Staatsexamen einen Job als Lehrerin bekommt. Nadia trägt Kopftuch, und das dürfen Lehrerinnen in Hessen nicht. Da helfen auch die verschiedenen Sorten selbstgebackener Plätzchen auf dem Weihnachtsteller nicht und nicht die entwaffnende Fröhlichkeit, mit der sie anderen Menschen begegnet. Nadia erzählt ihre Geschichte und grinst dabei, lacht, als wäre es alles ein großer Witz.

"Wenn ich fertig bin, dann brauche ich mich in Hessen gar nicht erst zu bewerben. Ich probiere es in Rheinland-Pfalz, wo es ja im Moment noch erlaubt ist. Dann muss man mal schauen. Einerseits ist die ganze Situation sehr traurig, auf der anderen Seite ist es auch so lächerlich. Die Begründung für das Verbot ist, dass ich durch mein Kopftuch zeige, dass ich Muslima bin, und dann nicht mehr neutral sein kann. Aber die Schüler sind nicht so dumm. Die merken doch ganz schnell, wie jemand ist, egal was der Lehrer anhat. Da geht es darum, ob der Lehrer gerecht ist, ob er einem hilft, ob man im Lehrer eine Bezugsperson hat.

Ein wichtiger Wert, den wir vermitteln wollen, ich sage einmal wir, der deutsche Staat, ist doch Toleranz bei den Kindern. Ein anderer Aspekt ist die Integration. Das sind zwei Punkte, die man als Lehrerin mit Kopftuch sehr viel besser repräsentieren kann, als wenn man - ich sag' mal - Prototyp deutsche Lehrerin ist. Die Schüler lernen Toleranz, denn sie müssen die Lehrerin als anders Aussehende respektieren. Genauso wie sie feststellen, dass die Lehrerin mit ihnen ganz normal Themen wie Weihnachten behandelt, ohne immer herauszustellen: Ich glaube aber nicht daran. Das gehört zu den Fähigkeiten eines Lehrers, seine eigene Position zurückzunehmen. Das ist doch eine gute Chance zu vermitteln: Ein Lehrer ist ein Lehrer, egal, wie er aussieht.

Ich könnte ja als muslimische Mutter auch etwas dagegen haben, wenn meine Kinder von einer Lehrerin unterrichtet werden, die einen Ausschnitt trägt, bei dem man das Gefühl hat, da fliegt gleich alles heraus. Jetzt mal krass ausgedrückt. Und dann zu der Sache mit der Integration: Wie will denn der Staat glaubhaft machen, dass er die Menschen integrieren will, wenn er gleichzeitig den Frauen mit Kopftuch jegliche Chance nimmt?

Es ist schon ein Druck auf mir, normal zu sein, aber ich bemühe mich lustig damit umzugehen. Ich versuche oft, den Leuten zu zeigen, wie lächerlich diese ganzen Ideen sind. Früher war das Kopftuch was Fremdes, aber nicht unbedingt etwas Schlechtes. [...]

Aus: Gerlach, Julia: Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jungendliche in Deutschland, bpb, Bonn 2006, S. 172-173.

Aufgaben:

  • Beschreibe die Lehrerin Nadia Mourad Osman. Inwieweit ist sie eine "normale" Lehrerin und inwieweit ist sie anders?

  • Warum wird es für Nadia schwierig, nach dem Abschluss ihres Referendariats (praktischer Teil der Lehrerausbildung) eine Stelle zu bekommen?

  • Welche Werte, findet Nadia, sollen Lehrerinnen und Lehrer vermitteln und warum kann sie, ihrer Meinung nach, als Kopftuch tragende Lehrerin dies besonders gut vermitteln?

  • Welche Argumente sprechen für ein Kopftuchverbot von Lehrerinnen, welche dagegen? (Ergänzende Argumente findest du unter:

  • Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen gibt es nur in einigen Bundesländern, in anderen nicht. Welche Meinung hast du selbst dazu? Bist du dafür oder dagegen? Nimm begründet Stellung.

Fussnoten