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Das Arbeiten mit Texten

Annegret Ehmann

/ 6 Minuten zu lesen

Literarische und nichtfiktionale Texte können Schülern historische Bezüge verdeutlichen. Dieser Text gibt Empfehlungen für die verschiedenen Altersstufen.

Seit Ende der 1960er Jahre ist, angestoßen durch Bürgerinitiativen (Geschichtswerkstätten / Suche nach Spuren verdrängter Geschichte), ein steigendes Interesse an Geschichte feststellbar. Es zeigt sich hier die Suche danach, was Geschichte mit dem individuellen Leben zu tun hat sowie die Suche nach Orientierung für die Gegenwart.

Leuchtender Lesestoff. (© M. Hauck / PIXELIO, www.pixelio.de)

Diesem Bedürfnis kommen außerwissenschaftliche Geschichtsliteratur und mediale Geschichtsaufbereitung mehr entgegen als Geschichtsunterricht oder die Fachwissenschaft. Die angebotenen Erzählungen werden als "sinnbildende Narration" mit eigenen imaginierten Geschichtsbildern und Projektionen verbunden.

Die als Hilfsmittel angewandte erlebnishaft ausgeschmückte "Geschichtserzählung" kann bei Schüler/innen der Grundschule und der Sekundarstufe I eher Interesse wecken und verständlicher sein als Schulbuchtexte. Diese sind oftmals im Schwierigkeitsgrad auf Schülerniveau verkürzte Sachtexte von Fachhistorikern, die weder Erzählqualität haben noch Zusammenhänge und Sinn für Schüler erkennen lassen.

Beispiele für Grundschule und Sekundarstufe I

Für die jüngeren Jahrgänge und die Sekundarstufe I kommen vor allem historische Jugendbücher, Biografien und Romane, in denen Tatsachen mit fiktionalen Elementen vermischt sind, als Lektüre in Frage. Jüngere Zielgruppen sind zudem mit dem Genre Comic vertraut und werden davon angesprochen.

Es geht dabei nicht darum, dass Schülerinnen und Schüler die fiktionalen Texte auf die Richtigkeit historischer Fakten hin untersuchen. Auch die Angst, Kinder und Jugendliche könnten Wahrheit von Erfindung nicht unterscheiden, ist unbegründet (Borries v./Pandel, 1994). Sie können beim Jugendbuch durchaus erkennen, dass die Protagonisten der Geschichten nicht einer realen Person, sondern einem Typus der damaligen Wirklichkeit entsprechen.

Problematisch ist eher, dass die mit pädagogischer Absicht geschriebenen Geschichten von Freundschaft, Hilfe für Verfolgte oder erfolgreichem Widerstand den Eindruck des Normalen erwecken, wohingegen diese in der Realität Ausnahmen waren. (Mayer/Pandel/Schneider 2004)

Der 27. Januar, seit 1996 öffentlicher Gedenktag zur Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz und alle Opfer des Nationalsozialismus, wird fast ausschließlich als Holocaust-Gedenktag für die jüdischen Opfer verstanden. Damit Schüler/innen auch die Geschichten vergessener oder in der offiziellen Erinnerungskultur selten thematisierter Opfergruppen kennen lernen, stehen statt der hinlänglich bekannten Texte wie "Damals war es Friedrich" oder das "Tagebuch der Anne Frank" unter anderem folgende Lektüren zur Verfügung.

InfoMethodensteckbrief

  • Teilnehmerzahl: Klassenverband oder Teil einer außerschulischen Lerngruppe

  • Altersstufe Sekundarstufen I/ II

  • Zeitbedarf: Je nach Komplexität und Lerntempo der Gruppe ab 3 Unterrichtsstunden bis zu mehrwöchigen/monatigen Unterrichtsprojekten

  • Preis (ohne Fahrten): Nicht ermittelbar

  • Benötigte Ausstattung: Moderationsmaterial, Flipchart/Overhead-Projektor/Folien, Internetfähiger Computer je Kleingruppe (2-6 Schüler), gängige Office-Software, Software zur Bildbearbeitung, Präsentationsprogramm

In dem Kinder- und Jugendbuch "Tanja" (Schulenburg 1981) wird die reale Geschichte eines russischen Mädchens erzählt, das während der neunhunderttägigen Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht (1941-1944) wie zahllose andere Kinder Leningrads damals verhungerte.

Die Erzählung "Abschied von Sidonie" (Hackl 1989) über das Schicksal des Sintimädchens Sidonie Adlersburg hat ebenfalls einen authentischen Hintergrund. Sidonie wurde im Alter von zehn Jahren ihrer Pflegefamilie weggenommen und in Auschwitz ermordet. Einige Editionen dieser Erzählung sind für den Schulgebrauch mit Zusatzmaterialien versehen.

"Elses Geschichte – Ein Mädchen überlebt Auschwitz" (Sauerländer 2007) von Michail Krausnick und mit Illustrationen von Lukas Ruegenberg ist die auf dem Zeitzeugenbericht der heute 71-jährigen Else Schmidt basierende, authentische Geschichte eines Sintimädchens aus Hamburg.

Die Kombination von Dokumenten und literarischen Texten ermöglicht die Sensibilisierung für Sprachstile und ihre verschiedenen Funktionen. Vielfältige Anregungen für die Einbeziehung und Bearbeitung literarischer und autobiografischer Texte in der Sekundarstufe I über "Holocaust" und "Auschwitz" bietet die Sammlung "Arbeitstexte für den Unterricht" (Feuchert 2000), die fächerübergreifend im Deutsch- und Geschichtsunterricht eingesetzt werden kann. Diese Sammlung hat den Vorteil, dass es sich dabei um Textauszüge handelt.

Ganzschriften können schon aus Zeitgründen im Geschichtsunterricht nicht behandelt werden, es sei denn, sie werden als Aufgabe für ein Referat oder eine Jahresarbeit von einzelnen Schülerinnen oder Schülern bearbeitet und vorgestellt.


Beispiele für die Kursphase

Mehr noch als in der Sekundarstufe I zielen in der Sekundarstufe II die Unterrichtsmethoden und die Arbeitsaufgaben in den Schulbüchern auf kognitive Wissenssicherung. Auch hier ist mit fiktionalen Texten neben den klassischen nichtfiktionalen eine motivierende Vergegenwärtigung von Geschichte zu erreichen.

Die Anthologie "Reisen ins Reich 1933 bis 1945 - Ausländische Autoren berichten aus Deutschland" (Lubrich 2004) bietet als Lese- und Quellenbuch eine Sammlung von Texten bekannter, vergessener und unbekannter Literaten aus aller Welt. Diese beschreiben Deutschland in den zwölf Jahren der Naziherrschaft mit einem Blick von außen. Die Autoren bereisten Deutschland damals aus unterschiedlichsten Gründen oder verbrachten einige Zeit dort.

Als Zeitzeugnisse sind diese Texte äußerst aufschlussreich und bisher wenig genutzt, einige auch erstmals veröffentlicht. Nicht die politische Analyse des Nazireichs, sondern die Erfahrungen des Alltags stehen im Vordergrund. Die verschiedenen Beobachtungen ergeben ein facettenreiches Bild des "Dritten Reiches" und lassen sich unter einer Reihe von Fragestellungen vertiefen:

  • Wie verhielten sich die Autoren zu dem, was sie beobachteten/ erlebten?

  • Wie war ihre Haltung zum Nationalsozialismus vor und nach dem Deutschlandbesuch?

  • Was wussten sie zu welchem Zeitpunkt?

Die Texte sind mit ausführlichen Anmerkungen versehen und folgen der Chronologie der wichtigsten Ereignisse, die im Anhang in einer Zeitleiste aufgelistet sind.

Der fremde Blick, wie ihn die Anthologie "Reisen ins Reich" auf die gesamte NS-Zeit ermöglicht, kann durch einen weiteren Band ergänzt werden: "Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939-1945" (Lubrich 2007) mit zum Teil erstmals ins Deutsche übersetzten Texten von ausländischen Journalisten, Kriegsgefangenen, Diplomaten und Bomberpiloten. Diese bieten weniger politische Analysen des Nazireichs, sondern Einblicke in die Alltagserfahrungen während des Krieges.

Exilliteratur

Exilliteratur dem Denken und der Sprache der Täter in den historischen NS-Quellen gegenüber zu stellen ist unverzichtbar. Neben bekannten Autorennamen wie Brecht, Feuchtwanger, Seghers und Mann sollte man auch weniger bekannte oder vergessene Autoren berücksichtigen.

Als Beispiel für ein Werk mit einer besonders zutreffenden psychologischen Deutung des der NS-Ideologie verfallenen Durchschnittsdeutschen ist der 1937 in Amsterdam erschienene Roman "Nach Mitternacht" von Irmgard Keun (1905-1982) zu nennen, der 1981 verfilmt wurde und unter medienkritischen Gesichtspunkten analysiert werden kann.

Irmgard Keun, die vor ihrer Emigration die ersten drei Herrschaftsjahre Hitlers noch miterlebte, zeichnet in der Diktion der 19-jährigen Ich-Erzählerin Susanne Moder ein kritisches und ironisches Bild des alltäglichen Faschismus. Ihrer Schilderung einer Kundgebung Hitlers auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main und des Verhaltens der Massen können z. B. die Tagebuchaufzeichnungen über die gleiche Veranstaltung von Denis de Rougemont (in Lubrich 2004) vergleichend gegenüber gestellt werden.

Autobiografische Erinnerungsliteratur von Opfern und Augenzeugen, in der ebenfalls reale und fiktive Elemente ineinander aufgehen, wird mit dem Ableben der Zeitzeugen unverzichtbar. Die Liste von Namen für die Tradierung des Opfer-Gedächtnisses ist umfangreich: Günther Anders, Primo Levi, Jorge Semprun, Imre Kertesz, Ruth Klüger, Victor Klemperer, Ida Fink, Roman Frister, Andrzej Szczypiorski oder Hanna Krall.

Literatur

Borries, Bodo v.: Imaginierte Geschichte. Die biografische Bedeutung historischer Fiktionen und Phantasien (Böhlau) Köln, Weimar, Wien 1996

Borries, Bodo v.,/ Pandel, Hans-Jürgen (Hrsg.): Zur Genese historischer Denkformen, (Centaurus) Pfaffenweiler 1994)

Feuchert, Sascha (Hrsg.): Arbeitstexte für den Unterricht. Holocaust-Literatur. Auschwitz. Für die Sekundarstufe. Stuttgart 2000

GRIPS Theater Textbuch: Ab heute heisst du Sara (1989), zu beziehen beim GRIPS-Theater auf: Externer Link: www.grips-theater.de

Hackl, Erich: Abschied von Sidonie. Erzählung (Diogenes) Zürich 1989

Keun, Irmgard: Nach Mitternacht. Roman (Erstveröffentlichung: Querido Amsterdam 1937) Textausgabe mit Materialien und Interpretationshilfen, 11.-13. Klasse, (Klett) Stuttgart 2003

Knigge, Volkhard: Triviales Geschichtsbewußtsein und verstehender Geschichtsunterricht. (Centaurus) Pfaffenweiler 1988

Krausnick, Michail: Elses Geschichte – Ein Mädchen überlebt Auschwitz. (Sauerländer) Oberentfelden 2007. Umfangreiche pädagogische Materialien gibt es auf: Externer Link: www.elses-geschichte.de

Lubrich, Oliver (Hrsg.): Reisen ins Reich 1933-1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland (Eichborn ) Frankfurt am Main 2004.

Lubrich, Oliver (Hrsg.): Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939-1945.(Eichborn) Frankfurt am Main 2007.

Pandel, Hans-Jürgen: Erzählen, in: Mayer, Ulrich/Pandel, Hans-Jürgen/ Schneider, Gerhard: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht; Reihe Forum Historisches Lernen (Wochenschau) Schwalbach /Ts, 2004.

Pasche, Wolfgang: Exilromane- Klaus Mann, Mephisto / Irmgard Keun, Nach Mitternacht/Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Informationen für Lehrer 11.-13. Klasse (Klett) Stuttgart 2. Aufl. 2000.

Schulenburg, Bodo: Tanja. Geschichte eines Mädchens aus Leningrad während der neunhunderttägigen Blockade (Elefanten Press EP 74) Berlin 1981.

Annegret Ehmann ist Historikerin und Pädagogin und seit 2001 freiberufliche Dozentin mit dem Schwerpunkt politische Bildung. Sie hat im Jahr 2000 an der Erstellung der CD-ROM "Lernen aus der Geschichte" mitgewirkt und ist Mitglied des Vereins Externer Link: Lernen aus der Geschichte e.V..