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Ordentliches Gesetzgebungsverfahren | bpb.de

Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

A. Maurer

Das O. wurde im Vertrag von Maastricht (1993) als sog. Mitentscheidungsverfahren eingeführt. Mit ihm erhielt das Europäische Parlament (EP) erstmals legislative Kompetenzen, die ihm bis dahin nur im Rahmen des Haushaltsverfahrens zustanden. Das O. besteht aus 4 Schritten:

1. In erster Lesung werden die Vorschläge, die die Europäische Kommission zu neuen Gesetzesvorhaben macht, im EP beraten. Das EP kann den Vorschlägen zustimmen oder Änderungen vorschlagen. Die Entscheidung des EP wird dann dem Ministerrat übermittelt. Wenn das EP keine Änderungen fordert und der Rat den Kommissionsvorschlägen zustimmt oder wenn der Rat in seiner ersten Lesung sämtliche Änderungsanträge des Parlaments mit »qualifizierter Mehrheit« billigt, kann das Gesetzgebungsverfahren bereits in dieser Phase abgeschlossen werden. Billigt der Ministerrat dagegen den Entwurf des EP nicht, dann beschließt er Änderungsvorschläge und fasst diese in seinem Standpunkt zusammen.

2. Der Standpunkt des Ministerrates wird dem EP anschließend zur zweiten Lesung übermittelt. Billigt es den vom Ministerrat geänderten Text, so ist der Entwurf als Gesetz erlassen; lehnt es ihn aber mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder ab, ist er gescheitert. Ändert das EP den Standpunkt dagegen mit absoluter Mehrheit erneut, dann gibt die Kommission eine Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des EP ab.

3. Im Rat können die Minister anschließend mit qualifizierter Mehrheit den Gesetzentwurf in der Fassung des EP erlassen – damit wäre das Gesetz dann angenommen. Hat aber die Kommission die Änderungsvorschläge des EP abgelehnt, muss der Rat einstimmig entscheiden. Lehnt der Rat die Änderungen des Parlaments ab, muss ein Vermittlungsausschuss einberufen werden. Dieser Ausschuss setzt sich aus einer gleichen Zahl von Vertretern des Rats und des EP zusammen. Auf der Grundlage des vom Parlament geänderten Textes versucht er, binnen 6 Wochen einen gemeinsamen Gesetzentwurf auszuhandeln. Gelingt die Einigung nicht, ist das Gesetz gescheitert.

4. Einigt sich der Vermittlungsausschuss auf einen gemeinsamen Entwurf, so müssen EP und Rat in dritter Lesung zustimmen (EP mit absoluter Mehrheit, Rat mit qualifizierter Mehrheit). Lehnt eines der beiden Organe den gemeinsamen Entwurf ab, ist das Gesetz gescheitert.

Seit dem Vertrag von Maastricht (Art. 95 EGV) wurde der Anwendungsbereich des O. nach und nach erweitert. Der Vertrag von Lissabon (2009) führte das O. als Regelgesetzgebungsverfahren ein und weitete die Anwendung massiv auf 84 Bereiche aus, die im Vertrag einzeln benannt sind.

Literatur

  • Rat der EU: Leitfaden für das Ordentliche Gesetzgebungsverfahren, Brüssel 2016 (Download: https://www.consilium.europa.eu/media/29854/qc0415816den.pdf).

  • A. Maurer: (Co-)Governing after Maastricht: The European Parliament’s institutional performance 1994–1999, European Parliament, Political Series POLI 104, Brüssel/Luxemburg 1999.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: A. Maurer

Fussnoten

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