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Land Sachsen-Anhalt | bpb.de

Land Sachsen-Anhalt

Kerstin Völkl

Historischer Hintergrund

Sachsen-Anhalt (ST) ist zwar ein Land mit einer kurzen Geschichte, dessen geographischer Raum jedoch einen bedeutenden Anteil an der deutschen Geschichte hat (vgl. Tullner 2001, S. 9 ff.). Im 8. Jh. wurden die u. a. im heutigen ST siedelnden Sachsen in den Sachsenkriegen durch Karl den Großen unterworfen, christianisiert und in das Fränkische Reich eingegliedert. Im Laufe des 9. Jh. wurde das Bistum Halberstadt gegründet und damit erstmals wichtige Teile des heutigen STs in einem Kirchenbezirk vereint. Ab dem 10. Jh. bestimmten die Liudolfinger (auch Ottonen genannt) die deutsche Geschichte. Heinrich I. wurde 919 durch fränkische und sächsische Adlige zum ersten dt. König erhoben. Das Zentrum von Heinrichs Machtbasis verlagerte sich vom Rhein nach Osten Richtung Harz, Elbe und untere Saale. Heinrichs Sohn Otto I. baute diese Macht aus und ließ sich 962 in Rom zum Kaiser krönen. 968 stiftete er das Erzbistum Magdeburg und machte es zur Kaiserresidenz. Zu den zahlreichen Stätten ottonischer Herrschaft in ST zählten außerdem Merseburg, Memleben (Heinrichs und Ottos Sterbeort), Zeitz und Gernrode (vgl. Tullner 2001, S. 23–29).

In der Folgezeit führten kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Sachsen- und Welfen-Herzögen sowie Salier- und Staufer-Kaisern zu einer territorialen Zersplitterung des Reiches. Ab dem 13. Jh. prägten das Herzogtum Sachsen-Wittenberg, das Fürstentum Anhalt und die Markgrafschaft Brandenburg die Geschichte des heutigen STs. Mit Friedrich III. begann 1486 die Blütezeit Wittenbergs. Er baute die Stadt zur Residenz aus und gründete 1502 eine Universität, die sich schnell zu einem Zentrum des Humanismus entwickelte. Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben, die eine reformatorische Bewegung auslösten. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Magdeburg zum Zentrum des Protestantismus. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt fast völlig zerstört. Ende des 16. Jh. verschwanden die geistlichen Fürstentümer. Magdeburg und Halberstadt sowie weite Teile der Elbe-Saale-Gebiete fielen unter brandenburgisch-preußische Herrschaft und erlebten einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Magdeburg wurde Handelsmetropole und in Halle 1694 eine Universität gegründet. Auch die anhaltischen Fürstentümer entwickelten sich in Anlehnung an die preußischen Modernisierungen positiv. In den südlichen Landesteilen um Weißenfels, Zeitz, Merseburg und Naumburg im Kurfürstentum Sachsen erblühten dank des humanistischen Einflusses Kultur und Künste (vgl. Tullner 2001, S. 31–88).

Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde die preußische Provinz Sachsen gegründet, die in etwa dem heutigen ST entsprach. Die Fürstentümer Anhalt blieben zwar politisch unabhängig, waren aber wirtschaftlich sowie verkehrs- und zolltechnisch schon Teil der Provinz. Für die Integration der heterogenen Landesteile war neben der protestantisch preußischen Staatskirche insbesondere die Industrialisierung im 19. Jh. relevant, die für einen immensen wirtschaftlichen Aufschwung und Bevölkerungswachstum in den Städten sorgte. Zudem bildete sich eine gut organisierte Arbeiterschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg endete eine rund tausendjährige Fürstenherrschaft. In Anhalt und der Provinz Sachsen dominierte die Sozialdemokratie. Die Jahre der Weimarer Republik waren in Mitteldeutschland von einem wirtschaftlichen und gesellschaftlich-kulturellen Aufschwung geprägt. Unter den Nationalsozialisten büßten alle Territorialstaaten des Deutschen Reiches ihre Eigenständigkeit ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Anhalt 1946 mit der ehemaligen preußischen Provinz Sachsen zur Provinz ST zusammengeschlossen und 1947 in Land ST umbenannt, das 1949 Bestandteil der DDR wurde. Durch die Gebietsreform 1952 wurde das Land aufgelöst und die Bezirke Halle und Magdeburg gebildet. Mit der Wiedervereinigung 1990 erfolgte die Neubildung des Landes ST aus den Bezirken Halle und Magdeburg mit leicht veränderten Grenzen (vgl. Tullner 2001, S. 89–178).

Bevölkerung – Gesellschaft – Wirtschaft

Bevölkerung und Gesellschaft

ST zählt mit 20.452 qkm (5,7 % von D) und ca. 2,25 Mio. Einwohnern (2,7 % der dt. Gesamtbevölkerung) zu den kleineren Bundesländern und ist mit 110 Einwohnern je qkm nach MV und BB das am dünnsten besiedelte Bundesland. Zwischen 1991 und 2013 ist ST stetig geschrumpft und hat jeden fünften Einwohner verloren. Dieser Trend konnte 2015 zwar kurzfristig aufgrund des Zuzugs von Migranten gestoppt werden, allerdings wurden bereits 2016 wieder mehr Fort- als Zuzüge verzeichnet. Besonders betroffen von Abwanderung sind viele ländliche Kreise. Der Landkreis Mansfeld-Südharz hat zwischen 2010 und 2016 so viele Einwohner verloren wie keine andere Region in Deutschland. Auch in Anhalt-Bitterfeld und im Salzlandkreis schrumpft die Bevölkerung stark. Eine positive Bilanz weisen in den letzten Jahren lediglich die Universitätsstädte Magdeburg und Halle auf. Bis 2008 sind vor allem junge Frauen weggezogen, mittlerweile wandern auch verstärkt Männer ab. Hauptgründe für die Abwanderung sind bessere Arbeitsmarktchancen und höhere Löhne in WestD. Die Folgen vor Ort sind fehlende Fachkräfte und Auszubildende für die Wirtschaft, Frauen- und Kindermangel sowie eine überalterte Bevölkerung. 2016 hatte kein anderes Bundesland eine so alte Bevölkerung wie ST. Das Durchschnittsalter betrug in ST 47,5 Jahre (in D 44,3 Jahre). Hinzu kommt, dass sich die Alterung in ST schneller vollzieht als anderswo. Eine Möglichkeit, die demographischen Probleme zu lösen, wäre mehr Zuwanderung. Zwar hat sich der Ausländeranteil in ST zwischen 2011 und 2018 nahezu verdoppelt, allerdings beträgt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund nur 4 % der Gesamtbevölkerung STs (in D 22 %). Der Großteil der Einwohner STs (ca. 80 %) gehört keiner Kirche an, 12,7 % sind protestantisch und 3,5 % katholisch (2015). Der Anteil von Muslimen beträgt schätzungsweise 0,4 %.

Wirtschaft

In der 1. H. des 20. Jh. glich das Volkseinkommen im heutigen ST ungefähr dem gesamtdeutschen Durchschnitt. Verantwortlich hierfür waren v. a. günstige naturräumliche Gegebenheiten, die heute allerdings so gut wie keine Rolle mehr spielen. Zwar sind die fruchtbaren Böden in der Magdeburger Börde und der Altmark äußerst produktiv, doch machten diese schon 1991 nur 4 % streichen der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung aus. Dennoch ist ST auch heute noch stärker von der Nahrungsmittelindustrie (z. B. Zuckerrüben-, Getreideanbau) geprägt als andere Bundesländer. Jahrhundertelang bis in die Gegenwart spielten auch die Kupfererzförderung im Mansfelder Land und um Sangerhausen sowie der Braunkohleabbau im Geiseltal und um Bitterfeld eine wichtige Rolle. Zu DDR-Zeiten waren Zehntausende von Arbeitern im Bergbau tätig. Der Kupferbergbau wurde jedoch Anfang der 1990er-Jahre als unwirtschaftlich eingestellt und der Braunkohletageabbau immer weiter reduziert. Der Bezirk Halle im südlichen ST wurde zu DDR-Zeiten zum Chemiestandort ausgebaut und war von Chemiefabriken in Leuna (Leunawerke), Schkopau (Buna-Werke) und Bitterfeld-Wolfen geprägt. Diese sind auch heute noch bedeutsam für das Land, ebenso wie der Maschinen- und Anlagebau, der v. a. aus den Schwermaschinenkombinaten in Magdeburg hervorging. Zudem zählt der Tourismus heute zu einem wichtigen Wirtschaftszweig. Positiv entwickelt sich auch die Ansiedlung mehrerer Logistikunternehmen zwischen Halle und Leipzig und die Erzeugung von erneuerbarem Strom durch Windenergieanlagen. Der Aufbau einer Photovoltaik-Industrie um Bitterfeld scheiterte jedoch an der internationalen Konkurrenz (vgl. Holtemöller und Lindner 2018, S. 1 ff.).

Mit dem Ende der DDR standen viele Betriebe vor dem wirtschaftlichen Aus. Technische Anlagen waren veraltet und verursachten schwere Umweltschäden, produzierte Waren und Dienstleistungen waren nicht wettbewerbsfähig. Die Transformation zu einer sozialen Marktwirtschaft war folglich zu Beginn von Rückschlägen geprägt. Die Arbeitslosenquote stieg in ST von 10,3 % 1991 auf 20,3 % 1997 und blieb bis 2005 auf diesem Niveau. Seitdem ging die Arbeitslosigkeit kontinuierlich zurück und lag 2017 bei 8,4 %, was dem 13. Platz im Ländervergleich entspricht. Dabei zeigen sich deutliche regionale Unterschiede innerhalb von ST. Während der Salzlandkreis und Mansfeld-Südharz eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote (>12 %) aufweisen, fällt sie im Harz, der Börde und im Altmarkkreis Salzwedel unterdurchschnittlich (<9 %) aus. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die Abwanderung die Arbeitslosigkeit über etliche Jahre abgeschwächt haben dürfte.

Anfang der 1990er-Jahre entwickelte sich der Aufholprozess der ostdt. Wirtschaft und der STs positiv. Durch Modernisierung und Erweiterung des Kapitalstocks holte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit STs schnell gegenüber WestD auf. Das BIP je Einwohner lag 1991 bei nur 31 % im Vergleich zu WestD, stieg 1996 auf 58 % und liegt derzeit (2018) bei 65 %. Aufgrund der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung in ST wird allerdings künftig kaum eine weitere Angleichung des BIP je Einwohner an das Westniveau zu erwarten sein (vgl. Holtemöller und Lindner 2018, S. 9). Auch andere Indikatoren wie die geringe Exportorientierung und Produktivität sowie das Fehlen großer Unternehmen verweisen auf die Strukturschwäche von ST und des Ostens allgemein. So ist das Armutsrisiko in ST bundesweit am zweithöchsten, wovon v. a. Erwerbslose und Alleinerziehende betroffen sind.

Positiv hervorzuheben ist, dass fast die Hälfte der Beschäftigten in den ostdeutschen Bundesländern Frauen sind und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Osten leichter realisierbar ist. So zählt ST zu den Bundesländern mit der höchsten Betreuungsquote bei Kindern im Alter unter 3 Jahren. Auch die Nettoeinkommen sind in den ostdt. Ländern weniger ungleich verteilt als in den westdeutschen Ländern.

Politisches System

Verfassung

Nach Beschluss der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR im Juli 1990 waren jeweils die Landtage in den fünf neuen Bundesländern für die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs zuständig. In ST wurden vier Entwürfe diskutiert: der der CDU-FDP-Regierungsfraktion, der SPD-Entwurf, der von den Grünen und der vom Runden Tisch ausgearbeitete Entwurf, der von der PDS unterstützt wurde. Während sich die einen (CDU) v. a. an den Vorbildern der alten Bundesländer und am Grundgesetz orientieren wollten, plädierten die anderen (SPD, PDS, Grüne) dafür, stärker eigene Erfahrungen und Wertvorstellungen einfließen zu lassen. Besonders umstritten waren die Aufnahme eigener Grundrechte und Staatsziele in die Landesverfassung, die Ausgestaltung der Beziehung zwischen Kirche und Staat, die parlamentarischen Kontrollmechanismen der Regierung und die Aufnahme direktdemokratischer Verfahren. Am 15. Juli 1992 stimmte der Landtag über die Verfassung ab. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde deutlich überschritten. Da der zur Abstimmung gestellte Verfassungsentwurf inhaltlich eine deutliche schwarz-rote Handschrift trug, überrascht nicht, dass die Abgeordneten von CDU und FDP geschlossen und die der SPD mehrheitlich dafür votierten, während er von Abgeordneten der PDS, der Grünen und der DSU abgelehnt wurde. Auf eine Legitimierung durch das Volk wurde verzichtet. Am 16. Juli 1992 trat die Verfassung in Kraft (vgl. Träger und Priebus 2017, S. 73 ff.).

Wie die Verfassungen der anderen ostdt. Bundesländer weist auch die von ST Spezifika auf, die auf die Erfahrungen in der DDR und die friedliche Revolution zurückzuführen sind. Hierzu zählen der umfangreiche Grundrechtskatalog mit 23 Artikeln, eine Reihe sozialer Grundrechte, wie die Verankerung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 17) und einige Staatszielbestimmungen, z. B. der Schutz der natürlichen Lebensgrundlage (Art. 35) und Minderheitenrechte (Art. 37 und 38). Der Streit um den von der CDU geforderten Bezug auf Gott in der Präambel wurde beigelegt, indem der Gottesbezug um eine laizistisch-säkulare Formulierung ergänzt wurde. Einen weiteren Kompromiss stellte die Gleichrangigkeit von Religions- und Ethikunterricht an Schulen dar (Art. 27). Auch bei der Aufnahme plebiszitärer Elemente fand sich ein Kompromiss, der mittlerweile jedoch modifiziert wurde: Für eine Volksinitiative (Art. 80) waren 35.000 (jetzt 30.000) Unterschriften und für ein Volksbegehren (Art. 81) 250.000 Unterschriften (jetzt 11 %) notwendig. Ein Volksentscheid (Art. 81) gilt als angenommen, wenn mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten zugestimmt hat. Um einem parlamentarischen Machtverlust wie im Westen vorzubeugen, wurde der Opposition das Recht auf Chancengleichheit eingeräumt (Art. 48).

Organisation des politischen Systems

Zu den obersten Verfassungsorganen des Landes zählen der Landtag, die Landesregierung und das Landesverfassungsgericht. Auch in ST hat sich die politische Praxis vom Prinzip der klassischen Gewaltenteilung in einem parlamentarischen Regierungssystem entfernt und die machtpolitischen Trennlinien verlaufen zwischen Regierungsmehrheit und Opposition im Parlament. Zudem hat die Tendenz zum Exekutivföderalismus und die europäische Integration die Handlungsspielräume v. a. der Opposition in den Landesparlamenten beschränkt. Zieht man verschiedene Indikatoren heran, um die Arbeit des „Parlaments“ bzw. seiner Abgeordneten in ST zu beurteilen, ergibt sich ein geteiltes Bild (vgl. Träger und Priebus 2017, S. 103 ff.): Zwar hat das Vertrauen der Bürger in den Landtag in den letzten Jahren etwas zugenommen, jedoch zweifeln viele Bürger daran, dass die Abgeordneten offen für ihre Anliegen sind. Untersuchungen bescheinigen den Abgeordneten zwar eine gute Vernetzung sowie kommunales und parteiliches Engagement, allerdings könnten Instrumente wie Mündliche oder Kleine Anfragen häufiger genutzt werden. Die Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen wiederum werden erfüllt, ebenso ist eine Reformbereitschaft gegeben.

Wie in anderen Bundesländern besteht die Landesregierung in ST aus dem Ministerpräsidenten sowie den von ihm ernannten Landesministern – ergänzt um Staatssekretäre im Falle STs – und übt die klassischen Funktionen der Regierungsleitung, der Politikformulierung und der Exekutivsteuerung aus. Das Landesverfassungsgericht mit Sitz in Dessau-Roßlau erfüllt für ST dieselben Funktionen wie das Bundesverfassungsgericht für den Bund. Es entscheidet z. B. über die Auslegung der Landesverfassung, die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit der Landesverfassung und Verfassungsbeschwerden.

Die Zahl der Landkreise in ST wurde nach mehreren umstrittenen Kommunalreformen mittels Auflösung, Eingliederung, Neubildung oder Vergrößerung von 37 (1990) über 21 (1991) auf 11 (2007) reduziert. Hinzu kommen die drei kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau.

Parteien und Wahlen

Die Wahlperiode des Landtags wurde 2006 von vier auf fünf Jahre verlängert. Wie bei Bundestagswahlen gilt das personalisierte Verhältniswahlrecht. Seit 2006 wird die Anzahl der Abgeordneten und der Wahlkreise stufenweise reduziert: von mind. 99 Abgeordnete bei 49 Wahlkreisen auf derzeit (2016) mind. 87 Abgeordnete bei 43 Wahlkreisen, wobei eine nochmalige Verkleinerung bereits beschlossen ist (vgl. Zicht 2016).

Im Längsschnitt gleicht die Wahlbeteiligung in ST einer Berg- und Talfahrt: Bei der ersten Landtagswahl 1990 lag sie bei 65,1 %. 1994 ging sie auf 54,8 % zurück, stieg 1998 sprunghaft auf 71,5 % an und fiel 2002 wieder auf 56,5 % zurück. 2006 folgte ein bundesweit historischer Tiefstand mit einer Wahlbeteiligung von 44,4 %. Bei den Landtagswahlen 2011 (51,2 %) und 2016 (61,1 %) nahm sie wieder zu.

Das Abschneiden der Parteien in ST ist ähnlichen Schwankungen unterworfen. Zudem ist es durch einige Besonderheiten gekennzeichnet. Über alle sieben Landtagswahlen betrachtet schneidet die CDU mit einem durchschnittlichen Stimmenanteil von 33 % am besten ab, gefolgt von der SPD (24,2 %) und den Linken (19,4 %). Allerdings schwanken die Stimmenanteile von Wahl zu Wahl zum Teil erheblich – am stärksten bei der SPD. Diese erzielte 1998 mit 35,9 % ihr bestes Wahlergebnis und 2016 ihr schlechtestes mit 10,6 %. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist die SPD damit in ST und BW bei einer Landtagswahl nur noch viertstärkste Kraft. Abgesehen von 1998, als die CDU auf 22 % abstürzte, erreichte sie in den anderen Wahlen meist deutlich über 30 % der Stimmen. Lediglich 2016 lag sie knapp darunter (29,8 %). Die Linken kamen bei den meisten Landtagswahlen auf ca. 20 % und etwas darüber. Ihre schlechtesten Ergebnisse erzielten sie 1990 (12 %) und 2016 (16,3 %). Der FDP gelang bei drei (1990, 2002, 2006) und den Grünen bei vier Wahlen (1990, 1994, 2011, 2016) der Einzug in den Landtag. In ST konnten rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wiederholt beachtliche Stimmengewinne bei Landtagswahlen erzielen, z. B. die DVU 1998 (12,9 %). Das Abschneiden der AfD 2016 stellt in seinem Ausmaß an Stimmenzuwachs jedoch eine neue Dimension dar. Mit 24,3 % erzielte sie das beste Resultat, das eine Partei auf Landesebene jemals aus dem Stand seit Gründung der Bundesrepublik erreichte.

Seit 1990 wurde ST von fünf unterschiedlichen Koalitionen regiert (vgl. Stöcker 2016, S. 269 ff.). Nach der ersten Landtagswahl schlossen CDU und FDP eine bürgerliche Koalition (1990–1994), die aufgrund landespolitischer Affären drei Ministerpräsidenten benötigte (Gerd Gies, Werner Münch, Christoph Bergner). Darauf folgte eine rot-grüne Minderheitsregierung (1994–1998) mit Duldung durch die PDS unter Reinhard Höppner. Da die Grünen 1998 aus dem Landtag ausschieden, bildete Höppner eine SPD-Minderheitsregierung (1998–2002) – abermals toleriert durch die PDS, das sogenannte Magdeburger Modell. In der vierten Legislaturperiode gingen CDU und FDP unter Ministerpräsident Wolfgang Böhmer erneut eine bürgerliche Koalition (2002–2006) ein, die von einer Großen Koalition (2006–2011) unter gleicher Führung abgelöst wurde. Nach der Landtagswahl 2011 kam es zu einer Neuauflage der Großen Koalition (2011–2016) unter Reiner Haseloff. Da CDU und SPD gemeinsam bei der Landtagswahl 2016 erstmals deutlich weniger als die Hälfte der Stimmen (40,4 %) erhielten, bildete Haseloff die bundesweit erste Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen.

Politische Rolle in Deutschland und Europa

ST ist im Bundesrat mit nur vier Stimmen vertreten und ist als kleines und strukturschwaches Bundesland auf die politische Kooperation und die finanzielle Solidarität des deutschen Bundesstaates und der Europäischen Union angewiesen. Anfang der 1990er-Jahre wurde ST wie die anderen neuen Bundesländer und Berlin aus dem Fonds Deutsche Einheit finanziert. Seit die neuen Länder 1995 in den Länderfinanzausgleich einbezogen wurden, zählt ST zu den Nehmerländern und erhält im Rahmen dessen besondere Finanzmittel, um die teilungsbedingten Sonderlasten abzubauen (Solidarpakt I und II). Auch nach der ab 2020 geltenden Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sind keine größeren Defizite für ST zu erwarten. Dies ist u. a. auf die gute Zusammenarbeit der ostdt. Länder und deren gemeinsamer Interessenvertretung auf Regierungs- und Parlamentsebene bei den Verhandlungen zurückzuführen (vgl. Träger und Priebus 2017, S. 16 ff.).

Auch von europäischer Ebene erhält ST zwischen 2014 und 2020 Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (1427 Mio. €) und dem Europäischen Sozialfonds (611 Mio. €). Damit profitiert ST neben SN und NW im bundesdeutschen Vergleich am meisten von den Finanzmitteln der EU. Über den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas, seine Landesvertretung in Brüssel, seine Europaabgeordneten und den Ausschuss der Regionen bemüht sich ST, dass seine Interessen frühzeitig im europäischen Entscheidungsprozess berücksichtigt werden. Insbesondere in den Ausschuss der Regionen konnte sich ST mit Stellungnahmen zur Kohäsionspolitik in jüngster Zeit erfolgreich einbringen (vgl. Träger und Priebus 2017, S. 241 ff.).

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Kerstin Völkl

Fussnoten