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Völkische Enklaven nach NS-Vorbild mitten in Deutschland | Rechtsextremismus | bpb.de

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Völkische Enklaven nach NS-Vorbild mitten in Deutschland Interview mit Elisabeth Siebert

Johannes Radke

/ 9 Minuten zu lesen

Elisabeth Siebert von der Evangelischen Akademie der Nordkirche ist Leiterin des Regionalzentrums für demokratische Kultur in Rostock. Ihr Team unterstützt seit Jahren die Zivilgesellschaft bei der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Herausforderungen. Seit 2007 gilt ein besonderes Augenmerk den "Völkischen Siedlern", die in der Region versuchen, unbemerkt eine rechtsextreme Alltagskultur zu etablieren. Auf den ersten Blick wirken sie harmlos, tatsächlich pflegen sie aber eine rassistische Blut- und Boden-Ideologie.

Frau Siebert, woran erkennt man denn jemanden, der zu den Völkischen Siedlern zählt?

Es sind einerseits ganz normale Personen, die an ihrem Äußeren kaum zu erkennen sind. Es hilft nicht, nach "bösartigen Fratzen" Ausschau zu halten. Der erste Eindruck kann aber trügerisch sein, denn trotz eines zunächst durchaus freundlichen Auftretens vertreten und verbreiten sie eine umfassende völkisch-nationalistische Ideologie. Sie kategorisieren Menschen anhand ihrer Abstammung in mehr oder weniger wertvolle Gruppen. Die rechtsextreme Ideologie zeigt sich in unterschiedlichsten Situationen. Da passiert es plötzlich in der Kita, dass ein Siedler-Kind Puppen mit dunkler Haut übel tituliert und es ablehnt, mit ihnen zu spielen. Oder Menschen mit körperlichem oder geistigem Handicap werden als "lebensunwert" bezeichnet. Die sozialen Verbindungen der Siedler untereinander und ihr Umgang mit anderen Positionen, Sichtweisen und Meinungen ähneln teilweise denen von Sekten.

Was war ausschlaggebend dafür, dass sie mit anderen Projekten die AG Völkische Siedler gegründet haben?

Unser Regionalzentrum ist unter anderem für den Bereich rund um Güstrow zuständig. Ab etwa 2005/2006 mehrten sich bei uns dann Anfragen zu einer Gruppe, die dort in den 1990er Jahren zugezogen war und nun vermehrt durch völkisch-nationalistische Äußerungen auffiel. Unter anderem stellten sie sich in die Tradition der Artamanen ...

… die Vorzeige-Arier des Nationalsozialismus.

Ja, dieser Bund Artam war eine radikal-völkische Siedlungsbewegung, die Anfang des letzten Jahrhunderts in unserer Region einen Schwerpunkt hatte und 1934 in die Hitlerjugend eingegliedert wurde. Zu den Artamanen zählten unter anderem der Reichsführer-SS Heinrich Himmler und Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. In einem ziemlich eindeutigen Interview für die "Junge Freiheit" kündigten diese neuen Siedler 2005 öffentlich an, der Region "ihren Stempel aufdrücken" zu wollen. Parallel begannen sie, sich in Elternbeiräten und bei anderen ehrenamtlichen Aufgaben zu engagieren und fielen auch dort durch nationalistische, rassistische, antisemitische oder homophobe Äußerungen auf. Um die Auseinandersetzung mit dieser neuen Strategie einer völkischen Siedlungsbewegung auf eine möglichst breite fachliche Basis zu stellen, luden wir ab 2009 zu einer Arbeitsgruppe "Völkische Siedler" ein, die dann bis 2013 regelmäßig unter unserer Leitung tagte. Innerhalb unserer Regionalzentren geht diese Arbeit seither weiter.

Der breiten Öffentlichkeit ist das Phänomen aber noch weitgehend unbekannt.

Das stimmt nicht ganz. Vor Ort wurde bereits viel Aufklärungsarbeit geleistet, zum Beispiel bei Politik und Medien. Überregional erhielt das Thema massive Aufmerksamkeit im Jahr 2010, als der Bürgermeister einer Gemeinde aus der Region sich weigerte, in einem feierlichen Akt die Ehrenpatenschaft des Bundespräsidenten für das siebte Kind aus einer dieser Familien zu verleihen.

Was war für Sie bei den Recherchen am überraschendsten?

Einerseits hat uns die Wirksamkeit der Strategie immer wieder überrascht. Es handelt sich hier um einen relativ kleinen Kreis von Personen, der aber trotzdem in der Region deutlich spürbar ist. Ihre Strategie ist eine fein austarierte Mischung: Einerseits kapseln sie sich von der Gesellschaft ab, andererseits infiltrieren sie sie. Durch eigene Netzwerke und Nischen schafft sich die Gruppe eine immer stabilere Ausgangsbasis. Damit macht sie die Region leider auch immer attraktiver für weitere Zuzüge von Gleichgesinnten. Mit hiesigen Akteuren der extremen Rechten, etwa aus der NPD oder von Neonazi-Kameradschaften, haben sich diese Neusiedler inzwischen zu festen völkischen Netzwerken verbunden. Gleichzeitig werden Wege gesucht, um im Gemeinwesen Einfluss zu nehmen, etwa bei der Feuerwehr, im Sportverein oder im Kindergarten.

Die zweite Überraschung war, dass diese Leute offenbar wirklich der Überzeugung sind, für gute und wichtige Dinge einzutreten. Mit echter Opferbereitschaft und fast schon religiösem Eifer setzen sie sich für ihre Ziele ein. Sie haben in der Mehrheit tatsächlich kein Unrechtsbewusstsein, wenn sie andere Menschen aufgrund einer angeblichen Rassenzugehörigkeit, wegen einer Religion, einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder einer besonderen Art der Lebensführung abwerten und ausgrenzen.

Wie sieht die tägliche Arbeit Ihres Regionalzentrums aus?

Wir unterstützen Menschen bei der Entwicklung einer guten demokratischen Kultur und Praxis. Unsere Angebote entsprechen dabei immer dem Bedarf derjenigen, die anfragen: das sind konkret Fortbildungen zu rechtsextremen Strukturen und Strategien, Beratung zum Umgang mit rechtsextremen Orientierungen im beruflichen Umfeld oder in der eigenen Familie. Wir unterstützen Kommunen und Initiativen im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen, geben Schulungen zum Thema Hasspropaganda in Sozialen Netzwerken, helfen beim Umgang mit rechtsextremen Bedrohungen und so weiter. Immer wieder geht es um rechtsextreme Präsenz im sozialen Umfeld, in der Schule oder Kita, in der Nachbarschaft oder im Gesangs- und Sportverein – und dann automatisch auch oft um die Völkischen Siedler. Rund ein Viertel aller Anfragen beziehen sich inzwischen darauf.

Wie reagierten die Völkischen Siedler auf Ihre Arbeit?

Zunächst recht aggressiv, es gab einige unangenehme "Hausbesuche", Drohanrufe und auch mal ein anwaltliches Schreiben oder Beschwerden bei Vorgesetzten. Das sollte einschüchtern, war aber gleichzeitig auch ein deutlicher Beleg für den organisierten und aggressiven Charakter der Netzwerke. Das sorgte bei Vielen für Klarheit, die bis dato nicht recht glauben wollten oder konnten, es tatsächlich mit einer koordinierten Bewegung zu tun zu haben, die durchaus auch ein Gewaltpotential hat.

Wie waren die Reaktionen in den Dörfern, in denen sich die Siedler niedergelassen haben?

Die Betroffenen vor Ort wollen vor allem, dass ihre Problemlagen bekannt werden und sie nicht allein gelassen werden. Für sie war es deshalb ganz wichtig, dass mehr Öffentlichkeit für das Problem geschaffen wurde.

Arbeiten die Völkischen Siedler alle als Bauern?

Nein, sie sind in ganz unterschiedlichen Berufen aktiv. Natürlich gibt es Landwirte, aber auch Biogärtner und -händler, Baumpfleger, Architekten, Cafébesitzer, Hebammen, Buchbinderinnen, Imker, Schmiede, Ingenieure, Tagesmütter, Heilpraktikerinnen, Lehrer, Erzieherinnen oder Abgeordnete. In ihrer Freizeit bieten sie dann vielleicht eine Theater-AG in der Schule ihrer Kinder an, engagieren sich in der Freiwilligen Feuerwehr oder im Sportverein, arbeiten in Naturschutzinitiativen mit, helfen bei kommunalen Projekten und so weiter.

Ist diese Strategie für Laien, Nachbarn, Polizei und Bürgermeister überhaupt durchschaubar?

Es ist sicherlich nicht einfach, aber das Wissen über Hintergründe und Strukturen der völkischen Netzwerke sowie ihre Ziele und ihre Strategien ist in der betroffenen Region, aber auch überregional, inzwischen relativ hoch. Außerdem gibt es mittlerweile eine Reihe seriöser wissenschaftlicher Publikationen und gute mediale Berichterstattungen. Es gibt die Broschüre Externer Link: "Braune Ökologen", die wir zusammen mit der Böll-Stiftung und der Universität Rostock herausgegeben haben und der Artikel Externer Link: "Wenn der völkische Nebel sich lichtet" in der Dokumentation einer Tagungsreihe, die wir mit dem Bundesamt für Naturschutz und der Universität Rostock durchgeführt haben. Vor Kurzem hat zudem die Amadeu Antonio Stiftung den aktuellen Wissenstand in einer Externer Link: Broschüre veröffentlicht. Durch das zunehmende Wissen und durch direkte Erfahrungen mit den Siedlern sinkt die Zahl der Leute, die diese Netzwerke für eher harmlos halten.

Wieso sollte man nicht sagen: "Die tun doch niemandem etwas?"

Diese Netzwerke haben deutlich erkennbar ein Sendungsbewusstsein und versuchen, Einfluss zu nehmen. Einerseits geben sie vor, aus unserem komplexen Gesellschaftssystem "aussteigen" zu wollen – aber das ist ja nicht alles. Sie wollen eben auch in unsere kommunalen und sozialen Gemeinwesen "einsteigen" und sie in ihrem völkischen Sinne verändern. Besonders schwierig ist dabei, dass sie sehr strategisch vorgehen: Häufig bestreiten sie ihren rechtsextremen Hintergrund. Sie versuchen, dadurch negative Reaktionen und Sanktionen zu vermeiden und sich somit möglichst viele Handlungsspielräume zu erhalten. Sie geben sich politisch harmlos, um beispielsweise den Sitz im Elternrat oder die Mitwirkung bei der Feuerwehr nicht zu gefährden. Mit dieser Mimikry gelingt es ihnen, in nahezu sämtlichen Lebensbereichen Einflussmöglichkeiten zu gewinnen und damit ihr völkisch-biologistisches Weltbild unmerklich weiter zu verbreiten.

Gibt es ein übergeordnetes Ziel, das die Siedler verfolgen? In welche historische Tradition stellen sie sich?

In dem Artikel in der "Jungen Freiheit" von 2005 beschreiben sie, dass sie zunächst anstreben, eine völkische Enklave zu etablieren, in der sie ihren Überzeugungen entsprechend leben können. Diese soll dann als Ausgangsbasis dienen, die eigene Einflusssphäre schrittweise zu vergrößern. Die Eckpunkte ihrer Ideologie werden beispielsweise durch die positive Bezugnahme auf die historischen Artamanen klar. Für einige Akteure kann auch eine Beteiligung an den verbotenen rechtsextremen Jugendbünden Wiking-Jugend und Heimattreue Deutsche Jugend oder eine Mitgliedschaft oder Nähe zur NPD nachgewiesen werden. Eine wichtige Bezugsgröße stellt auch die Artgemeinschaft dar...

… die von 1989 bis 2009 von dem inzwischen verstorbenen Neonazi-Anwalt und NPD-Politiker Jürgen Rieger geleitet wurde.

Ja, das ist eine rechtsextreme Vereinigung mit neuheidnischer Weltanschauung, die unter anderem eine "gleichgeartete Gattenwahl" und eine strikte ideologische Erziehung der Kinder vorgibt.

Wie viele Völkische Siedler gibt es ihrer Einschätzung nach in Deutschland?

Das können wir nicht seriös einschätzen. Auch eine Schätzung nur für Mecklenburg-Vorpommern ist schwierig. Aber allein im Landkreis Rostock gehen wir von mindestens 14, teils sehr vielköpfigen Familien aus.

In welchen anderen Bundesländern findet man sie noch?

Wir haben Hinweise auf vergleichbare Netzwerke in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern, aber auch in der Schweiz und in Österreich. Verbindungen gibt es auch in den skandinavischen Raum, insbesondere nach Schweden.

Warum ist ausgerechnet Mecklenburg-Vorpommern eine Hochburg?

Für die Siedlungsprojekte empfehlen sich Regionen, in denen es viele "unbeobachtete" Ecken und Winkel gibt – also viel Fläche mit geringer Besiedelung. Davon bietet Mecklenburg-Vorpommern reichlich. Gleichzeitig sind die Immobilienpreise hier außerordentlich günstig. Vermutlich spielte auch die Erwartung eine Rolle, in Mecklenburg-Vorpommern nicht auf eine allzu lebhafte Bürgergesellschaft zu treffen, die diesen Bestrebungen öffentlich entgegentreten würde. Darin haben sich die Siedlerinnen und Siedler aber zumindest teilweise geirrt. Und schließlich stellen sich völkische Gruppierungen bekanntlich gern in mehr oder minder geeignete Traditionslinien – und die bot Mecklenburg-Vorpommern mit den historisch hier ansässigen Artamanen.

Haben die Völkischen Siedler Kontakt zur NPD oder anderen rechtsextremen Parteien?

Bis etwa 2007 war es noch relativ leicht, den Netzwerkakteuren Mitgliedschaften in rechtsextremen Strukturen wie der NPD oder der Heimattreuen Deutschen Jugend nachzuweisen. Es gab einige Interviews und Zeitschriftenartikel, die die Nähe zu diesen Strukturen belegten. Inzwischen ist es aber ein zentraler Teil der Strategie der neuen völkischen Netzwerke, möglichst wenig greifbare Nachweise für den eigenen rechtsextremen Hintergrund zu liefern. Seither finden sich viel weniger öffentlich zugängliche Informationen über ihre Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen.

Wie sollte man als Nachbar reagieren, wenn Völkische Siedler ins Dorf ziehen?

Es gibt kein Patentrezept dafür. Man sollte die Problematik – auch eigene Unsicherheit – offen in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis, im Elternrat oder Kollegenkreis ansprechen. Die kostenfreie und vertrauliche Beratung der Regionalzentren für demokratische Kultur oder anderer Anlaufstellen kann auch helfen.

Was sollten Politik und Behörden tun?

Die Problemlage sollte weder dramatisiert noch verharmlost werden. Die betroffenen Regionen stehen ganz sicher nicht vor einer "Übernahme" durch rechtsextreme Strukturen. Aber leider ist die Wirkung dieser völkischen Präsenz in den Gemeinwesen spürbar. Sie sorgt für eine Reihe von Problemen, bei deren Bewältigung die Menschen vor Ort Unterstützung erwarten. Die Siedler versuchen zum Beispiel gezielt, mit mehreren Familien ihre Kinder alle an derselben Schule anzumelden, um dann dort Einfluss auf den Lehrplan zu nehmen. Einige Schulen haben daraufhin eine Art "Demokratieparagrafen" in ihre Schulverträge aufgenommen, um sich vor rechtsextremen Einflüssen zu schützen. Auch wer Mitglied eines Schulvereins werden oder im Elternrat mitarbeiten will, muss sich dann den Grundsätzen von Toleranz, Demokratie und Menschenrechten verpflichten. "Jegliche Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens oder seiner Behinderung" wird darin ausgeschlossen. Das hat natürlich eine starke Signalwirkung. Wichtig ist es, die Hinweise aus der Bevölkerung ernst zu nehmen und konkrete Hilfe zu geben, beispielsweise in Form von Fortbildungen für Schulen und Kitas, Vereine oder Feuerwehren. Auch eine Förderung von Maßnahmen zur Demokratiebildung im Rahmen von Bundes- und Landesprojekten ist eine wirksame Form der Unterstützung.

Was glauben Sie, wie die Entwicklung dieses Teils der Szene die nächsten Jahre weitergehen wird?

Wir erleben zurzeit insgesamt eine gewisse Konjunktur von vereinfachenden Mustern der Weltdeutung. Unsere komplexe Realität kann nicht nur bei jungen Menschen leicht zu einem Gefühl der Überforderung führen und die Angst auslösen, den vielfältigen Anforderungen jetzt oder irgendwann nicht mehr gewachsen zu sein.

Und für diese Menschen ist die rechtsextreme Ideologie dann attraktiv?

Ja, eine Reaktion darauf kann es sein, Zuflucht bei vereinfachten Systemen der Weltdeutung zu suchen, in denen "Gut" und "Böse" klar und übersichtlich definiert sind. Völkisch-nationalistische Weltdeutungsmuster profitieren leider von dieser Entwicklung und es ist zu erwarten, dass die entsprechenden Gruppen weiter Zulauf haben werden.

ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Jugendkultur. Er betreut für ZEIT-Online seit Juli 2009 den Störungsmelder. Gemeinsam mit Toralf Staud hat er das ZEIT-Portal "Netz gegen Nazis" gestartet und an dem "Buch gegen Nazis" mitgeschrieben.