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Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert | Rechtsextremismus | bpb.de

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Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert

Harald Fischer-Tiné

/ 12 Minuten zu lesen

Auch wenn die biologistisch begründete Rassentheorie ihren Ursprung in Europa hat, sind ethnische oder kulturelle Ausgrenzung und Diskriminierung kein singuläres Phänomen der "alten Welt". Auch im asiatisch-pazifischen Raum gab es rassistische Ideologien, die zum Teil schon lange vor dem Aufeinandertreffen mit Europa existierten.

Teilnehmer einer Anti-Rassismus-Demonstration in Tokio im September 2013. (© picture-alliance/dpa)

Rassentheorien und rassistische Praktiken werden in der populären Wahrnehmung meist als genuin westliche Phänomene verstanden. Man assoziiert sie insbesondere mit dem europäischen Imperialismus des 19. und 20. Jahrhunderts, den verschiedenen Strömungen des Faschismus in den 1920er-1940er Jahren oder auch der US-amerikanischen Segregationspolitik gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung, die bis Mitte der 1960er Jahre praktiziert wurde. Als Beispiel für rassistische Politik außerhalb Euro-Amerikas fiele einem vermutlich noch das in den 1990er Jahren kollabierte Apartheid-Regime in Südafrika ein. Asien wird dagegen im Zusammenhang mit Debatten über Genese und Gestalt von Rassismen höchst selten thematisiert. Bedeutet dies, dass die Kategorisierung und Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen aufgrund tatsächlicher oder imaginierter "Rassenmerkmale" dort keine Rolle spielte und spielt? Ist man in Asien womöglich gegen rassistische Ideologien gefeit, weil ein nicht unbeträchtlicher Teil des Kontinents jahrzehntelang unter der – zumindest teilweise – rassentheoretisch legitimierten Herrschaft westlicher Kolonialmächte stand? Oder fand vielleicht gerade durch die dominante Präsenz des euro-amerikanischen Imperialismus in der Region ein intensiver Wissenstransfer statt, durch den auch die lange Zeit akademisch salonfähige‚ sogenannte "race science", also der pseudowissenschaftlichen Rassenkunde, von lokalen Eliten in Kalkutta, Tokio oder Shanghai rezipiert wurde?

Jeder, der versucht, solche Fragen zu beantworten, sieht sich mit dem Problem der gigantischen Größe und Heterogenität des Raumes "Asien" konfrontiert, der es praktisch unmöglich macht, für die gesamte Region gültige Aussagen zu treffen. Ich möchte meine Ausführungen daher exemplarisch auf drei, für die Region äußerst prägnante asiatische Länder fokussieren: Japan, China und Indien. Die drei Beispiele sind insofern repräsentativ, als sie die gesamte Bandbreite historischer Entwicklungen der Kontakte Asiens mit dem Westen umfassen: Japan war eines der wenigen asiatischen Länder, das nicht nur niemals unter westlicher Kolonialherrschaft stand, sondern sogar selbst ein eigenes Kolonialreich schuf; China galt dagegen als "Semi-Kolonie", in der sich die Dominanz Euro-Amerikas indirekt im Aufzwingen ungleicher Handelsverträge und der Errichtung kleiner Stützpunktkolonien (wie etwa Hongkong) manifestierte; Indien schließlich, das "Juwel in der Krone" des britischen Empire, ist ein klassisches Beispiel für eine Beherrschungs- und Ausbeutungskolonie. Es wurde von den fast 200 Jahren, die es unter britischer Verwaltung stand, tiefgreifend geprägt.

Japan

In der sogenannten Meiji-Ära, die mit der Regentschaft des Tenno Mutsuhito 1868 begann, öffnete sich Japan zunehmend gegenüber dem Westen. Bis zum Tod des Kaisers 1912 vollzog das Land eine rapide Modernisierung. Entscheidend für den Erfolg des radikalen Umbauprogramms war die Ausbildung der intellektuellen Eliten an den besten Universitäten des Westens sowie die Übersetzung der wichtigsten Werke aus Natur-, Geistes und Staatswissenschaften ins Japanische. Auf diese Weise wurde 1877 auch erstmals Darwin’s Origins of Species einer japanischen Leserschaft zugänglich. Weitaus populärer noch war das Werk Herbert Spencers, dessen Formel vom "survival of the fittest" in Japan um 1900 häufig in ihrer sozialdarwinistischen Lesart gedeutet und auf die Aufholjagd gegenüber dem Westen bzw. den Aufstieg des Landes zur bedeutenden Regionalmacht in Asien bezogen wurde.

Nachdem Japan seine neue Rolle als militärische und politische Großmacht mit dem Sieg im Russisch-Japanischen Krieg von 1905 eindrucksvoll untermauert hatte, wurde außenpolitisch vor allem darauf hingearbeitet, das Rassendenken aus der internationalen Politik zu verbannen. Zum einen wollte Japan damit seine volle Gleichbehandlung auf der diplomatischen Weltbühne erreichen. Zum anderen sollte auch die Lage japanischer Migranten verbessert werden, die vor allem in Nordamerika häufig rassistischer Diskriminierung ausgesetzt waren. Das eindrucksvollste Beispiel dieses politischen Einsatzes gegen die Persistenz von Rassenhierarchien in internationalen Beziehungen war der japanische Vorstoß im Jahre 1919, eine "racial equality clause" in der Satzung des Völkerbundes zu verankern. Diese Initiative wurde allerdings von einer Mehrheit der westlichen Mächte blockiert.

Diesem ostentativen "Anti-Rassismus" auf dem internationalen politischen Parkett stand jedoch eine gleichzeitig stattfindende selektive Aneignung rassistischer Ideologien und Praktiken in Japan selbst und seinem Kolonialreich gegenüber. Dies lässt sich anhand einiger Beispiele illustrieren. So verbreiteten sich die Methoden der deutschen Rassenkunde (oder: "Physischen Anthropologie") bereits in den 1880er Jahren in Japan. Der Anthropologe Koganei Yoshikiyo beispielsweise, der in Berlin u.a. bei Rudolf Virchow studiert hatte, lancierte 1888 die erste von mehreren Expeditionen nach Hokkaido und den Kurilen im Norden des japanischen Inselreiches, um die Ainu, die dortigen "Ureinwohner", rassenkundlich zu erfassen. Nachdem er tausende Schädel, Skelette und lebende Menschen vermessen hatte, kam er zu dem Ergebnis, es handele sich um primitive Stämme, die gleichsam lebende Fossilien aus der Prähistorie darstellten. Auf der Grundlage solcher Deutungen wurden die Ainu immer wieder als eine biologisch andersartige ethnische Minderheit angesehen und deshalb aus der japanischen Nation ausgegrenzt. Gelegentlich wurden sie sogar – ganz im Stile der in Europa populären "Völkerschauen" – im Rahmenprogramm großer Industrieausstellungen vorgeführt.

Rassistische Grundannahmen beeinflussten auch die Praxis sowie die Rechtsordnungen in Japan und seinen Kolonien. Das besonders grausame Vorgehen gegen die als "Chinks" verunglimpften Chinesen während des zweiten Sino-Japanischen Krieges (1937-1945), wie es unter anderem im berüchtigten Nanjing-Massaker manifest wurde, stellt nur die Spitze des Eisberges dar. Ebenso aussagekräftig ist auch die auf den ersten Blick unspektakuläre Tatsache, dass zwischen 1904 und 1921 in Japans Kolonialreich die im Mutterland längst als barbarisch abgeschaffte Prügelstrafe mit der Begründung praktiziert wurde, es ließe sich wissenschaftlich nachweisen, dass diese Form der Bestrafung für die kulturell und körperlich andersartige Bevölkerung Taiwans und Koreas am besten geeignet sei. Ein weiteres Beispiel ist die Hetzjagd auf Koreaner nach dem Kantō-Erdbeben von 1923, die als vermeintliche Brandstifter, Plünderer und Brunnenvergifter diffamiert wurden und deren Verfolgung die Behörden duldeten und teilweise sogar förderten; zur gleichen Zeit propagierte die japanische Kolonialverwaltung in Korea eine Assimilierungspolitik, die Korea näher an Japan anbinden sollte – kulturell wie "rassisch". Man kann somit eine deutliche Spannung zwischen offizieller anti-rassistischer politischer Rhetorik und der von Ressentiments und herrschaftspragmatischem Kalkül geprägten Realität konstatieren.

Dass rassistische Denkmuster auch in der populären Wahrnehmung eine große Rolle spielen, lässt sich schließlich an der differierenden Behandlung weißer und afro-amerikanischer US-Soldaten während der Besatzungszeit 1945-53 aufzeigen, als schwarzen GIs der Zugang zu bestimmten Restaurants, Bars und Nachtclubs verwehrt blieb und japanische Frauen, die sexuelle Kontakte mit ihnen pflegten, die völlige soziale Ächtung riskierten. Die verbreitete Abwertung von Menschen dunkler Hautfarbe fand einige Jahrzehnte später auch ein Echo in dem Skandal um die kontroversen Äußerungen des japanischen Premierminister Yasuhiro Nakasone im Jahr 1986. Dieser musste sich auf Druck der US-Regierung in Washington entschuldigen, nachdem er in einer öffentlichen Rede behauptet hatte, Bildungsniveau und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in den USA sänken rapide durch das stete Wachstum der Bevölkerungsanteile von Latinos und Afro-Amerikanern. Hält man sich diese tiefe Verwurzelung von farbkodierten Rassenstereotypen vor Augen, vermag es auch nicht zu überraschen, dass die Wahl einer "halfu" (="Halbblut"), also der dunkelhäutigen Tochter einer Japanerin und eines Afroamerikaners zu Japans Miss-Universe-Kandidatin im Sommer 2015 landesweite Unmutsäußerungen und Diffamierungen ausgelöst hat.

China

Mit noch größerer Berechtigung als das heutige Japan darf China als Musterbeispiel für einen "kulturellen Ethnozentrismus" gelten. Traditionellerweise betrachtete man sich im "Reich der Mitte" als anderen Völkern überlegen. Hierarchisierungen zwischen Ländern und Bevölkerungsgruppen wurden jedoch jahrhundertelang weniger auf der Grundlage äußerer "Rassemerkmale", sondern auf Basis der Unterscheidung zwischen "Zivilisierten" und "Barbaren", also den mutmaßlichen kulturellen Leistungen und der Nähe der jeweiligen Ethnie zu China vorgenommen. Das biologistische Rassenverständnis westlicher Prägung erreichte das Reich der Mitte erst in den 1890er Jahren und wirkte sich auch auf die bestehenden Differenzkategorien aus. Die chinesischen Intellektuellen jener Zeit reagierten höchst unterschiedlich auf die Konfrontation mit den gängigen Rassentaxonomien und auf die Tatsache, dass sie dort ausnahmslos als "Gelbe Rasse" etikettiert und den "kaukasischen" oder "weißen Rassen" untergeordnet wurden. Einige verwarfen zwar die westliche Zuschreibung als "Gelbe", andere übernahmen die neue Kategorie jedoch mit Begeisterung und zeigten sich stolz darauf, dass man über den "barbarischen" schwarzen, braunen und roten Rassen eingeordnet worden war. Die kolonisierte und vermeintlich "degenerierte" schwarze und braune Bevölkerung Afrikas wurde von chinesischen Reformern im frühen 20. Jahrhundert zudem häufig als abschreckendes Beispiel dargestellt, aus deren evolutionären Fehlern und Versäumnissen man in China lernen müsse. Wiederum andere Intellektuelle deuteten die Rede von der "gelben Rasse" gänzlich ins Positive um, indem sie eine Verbindung zum mythischen "Gelben Kaiser" herstellten, der einer konfuzianischen Legende zufolge das chinesische Imperium begründet haben soll.

Eine strittige Frage blieb indes, wer zur "gelben Rasse" gezählt werden sollte. Aufgrund der Rivalität mit Japan entwickelten sich einerseits in eindeutig rassistischer Rhetorik artikulierte Bestrebungen, sich von den "Zwergen" und "Affen" der nordpazifischen Inselgruppe abzugrenzen. Reformer wie der Journalist Liang Qichao betonten dagegen nach der verheerenden Niederlage im Ersten Sino-Japanischen Krieg 1896 umgekehrt die vermeintliche Blutsverwandtschaft mit den ungeliebten Japanern: Wenn Japanern, als Vertretern der "Gelben Rassen", die Modernisierung gelingen konnte, so sein Argument, seien auch deren nächste Vettern in China dazu fähig, den Rückstand zum Westen aufzuholen. Spätestens im Zuge der Verhärtung des Konfliktes mit Japan in den 1930er Jahren waren solche Stimmen aber praktisch nicht mehr zu vernehmen, und krude anti-japanische Rassenstereotype erfreuten sich wieder großer Beliebtheit.

Auch für innenpolitische Debatten zeitigte die kreative Aneignung des (pseudo-) wissenschaftlichen Rassendiskurses schon sehr bald folgenschwere Konsequenzen. Nach 1900 entbrannte eine Kontroverse über die "race-relations" zwischen den Han-Chinesen und ethnischen Minderheiten wie den Miao und den Manchu. Da die Herrscher der Qing-Dynastie Manchu waren, postulierten einige anti-monarchistisch eingestellte Reformer und Revolutionäre, bei den Manchu-Kaisern handele es sich um "rassenfremde" Usurpatoren. Die nationale Erneuerung müsse demzufolge allein von den Han-Chinesen als den einzig wirklichen Nachkommen des Gelben Kaisers vorangetrieben werden. Nationalrevolutionäre wie Tschiang Kai-shek erkannten in der Zwischenkriegszeit das politische Spaltpotential eines solchen engen Han-Nationalismus und versuchten die nationale Einheit zu retten, indem sie umgekehrt die enge Rassenverwandtschaft aller in China vertretenen Ethnien betonten und sich dabei einmal mehr auf die Erkenntnisse der Wissenschaft beriefen.

Nach dem Sieg Maos 1949 wurden zunächst "Physische Anthropologie" und "Rassenkunde" als Werkzeuge des Imperialismus an Chinas Universitäten verbannt. Klasse löste Rasse als wichtigste Differenzkategorie ab. Erst in den 1980er Jahren, nach dem Ende der Mao-Ära, wurde anthropologische und biologische "Rassenforschung" in der Volksrepublik China wieder akademisch salonfähig. Teilweise erfuhren sie sogar großzügige staatliche Unterstützung, weil sich die neue Parteiführung "wissenschaftliche" Belege für die enge biologische Beziehung von Chinas ethnischen Minoritäten zur nach wie vor dominanten Gruppe der Han-Chinesen erhoffte. Fast zeitgleich zum akademischen Revival der Rassenkunde, zeigten sich im liberaleren Klima der späten 1980er erstmals auch populärere Varianten des Rassendiskurses: Seit 1988 kommt es in der Volksrepublik immer wieder zu rassistisch motivierten Übergriffen gegen als minderwertig und barbarisch diffamierte afrikanische Studenten und Arbeiter, und auch in der aktuellen öffentlichen Debatte um die andauernden internen Konflikte mit Uiguren und Tibetern lassen sich immer wieder rassistische Diskurselemente erkennen.

Indien

Die Frage, ob es in Indien bereits vor der Ankunft der Europäer Formen von "Rassismus" gegeben hat, wird bereits seit langem akademisch diskutiert, in den letzten Jahrzehnten hat sie auch eine brisante politische Dimension gewonnen. Anlässlich der 2001 im südafrikanischen Durban abgehaltenen World Conference against Racism haben Vertreter der "Unberührbaren" (= Kastenlose oder Dalits) aus Indien gefordert, Kastendiskriminierung als eine rassistische Praxis anzuerkennen und zu verurteilen. Dass es auf dem indischen Subkontinent bereits in vorkolonialer Zeit Formen extremer sozialer Ungleichheit gegeben hat, steht außer Frage. Frühneuzeitliche Quellen lassen auch keinen Zweifel daran, dass durchaus auch vor der Intensivierung der Begegnung mit Europa im 18. Jahrhundert ein Bewusstsein für äußerliche Unterscheidungsmerkmale (etwa die Hautfarbe) verschiedener Gruppen existierte. Texte aus der Hindutradition legen zudem nahe, dass zumindest unter den hochkastigen Brahmanen eine ausgeprägte Xenophobie gegen "mlecchas" (unreine Fremde) existierte. Daraus jedoch abzuleiten, dass es bereits flächendeckend funktionierende "Systeme" rassisch motivierter Ausgrenzung gegeben habe, scheint fraglich. Unstrittig ist dagegen, dass sich die Rassenterminologie fest im Land verankerte, als im Zuge der Kolonialisierung Indiens allmählich auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit indischen Sprachen sowie den lokalen religiösen und sozialen Praktiken einsetzte.

Der Siegeszug der Ariertheorie ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Die folgenschwere Entdeckung des Orientalisten William Jones im späten 18. Jahrhundert, dass die klassische indische Sprache Sanskrit eine eindeutige Verwandtschaft mit Latein und Altgriechisch aufweise, provozierte schon bald Spekulationen über die Existenz einer "arischen Ur-Rasse", welche sich vom Gebiet des heutigen Iran durch Migration in verschiedene Richtungen in einen europäischen und einen indischen Zweig ausdifferenziert habe. Analog zur Instrumentalisierung des Sozialdarwinismus in China eigneten sich indische Intellektuelle und Reformer den indo-europäischen Arierdiskurs auf verschiedene Weise an. Religiöse Reformer bedienten sich dieser neuen kulturellen Ressource, um angebliche "soziale Degenerationserscheinungen" im Hinduismus anzuprangern. Auch führende Figuren der Nationalbewegung wie B. G. Tilak (1856-1920) griffen auf den arischen Rassendiskurs zurück, um die herrschenden politischen Machtverhältnisse zu kritisieren und – natürlich primär für die oberen Kasten – Partizipationsforderungen zu stellen – man war ja schließlich Teil der großen arischen Familie, der auch die Briten angehörten.

Die linguistische Rassentheorie barg somit zwar einerseits das Potenzial, die "Rassenunterschiede" einzuebnen und somit auch den vermeintlichen zivilisatorischen Abstand zwischen Kolonialherren und Kolonisierten aufzuheben, gleichzeitig verstärkte sie jedoch die Spannungen zwischen verschiedenen Segmenten der indischen Bevölkerung: War William Jones 1790 noch der Überzeugung, Sanskrit sei die Mutter aller indischen Sprachen, zeigten die Studien eines Kolonialbeamten im südindischen Madras etwa 60 Jahre später, dass eine Gruppe südindischer, so genannter "Dravidischer" Sprachen sich stark von den nordindischen Idiomen unterschied, aber offenbar untereinander eng verwandt war. Dieser sogenannte "Dravidian proof" leistete Spekulationen über die ungleiche ethnische Zusammensetzung der indischen Bevölkerung Vorschub. Innerhalb dieser ließen sich, so die Hypothese, die Nachfahren arischer Einwanderer im Norden sowie dravidischer "Ureinwohner" im Süden unterscheiden. Dabei gingen die britischen Orientalisten davon aus, dass es sich bei den Ureinwohnern um primitive Stämme gehandelt habe, die von den arischen Kulturträgern aus dem Norden "zivilisiert" worden seien. Als die linguistische Beweisführung um 1900 von einer auf anthropometrischen Messungen basierenden kolonialen "race science" abgelöst worden war, wurde diese rassentheoretische Deutung auch herangezogen, um das Kastensystem zu erklären: Die (oft dunkelhäutigen) dravidischen Ureinwohner seien von den rassenbewussten Ariern sozial ausgegrenzt und zur Ausführung niederer Tätigkeiten gezwungen worden. Die (ebenfalls oft dunkelhäutigen) Unberührbarengruppen in Nord- und Zentralindien stellten gewissermassen Relikte dieses historischen Exklusionsprozesses dar.

Es kann als Ironie der Geschichte gelesen werden, dass sowohl die Führer der aus der Hindugesellschaft ausgeschlossenen Dalits als auch dravidische Subnationalisten aus Südindien sich in der Folge eine eigene Fassung des arischen Rassenmythos schufen, in dem die hellhäutigen Einwanderer aus dem Nordwesten nicht die Rolle der edlen Zivilisationsbringer spielen, sondern als brutale, kulturell andersartige Aggressoren angeprangert wurden. Die Rassenrhetorik in ihren zahlreichen Ausprägungen befeuert somit auch im 21. Jahrhundert noch immer soziale Konflikte und politische Verteilungskämpfe.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich eine Reihe von gemeinsamen fallübergreifenden Beobachtungen und Schlussfolgerungen anstellen. Erstens: In allen untersuchten Ländern bzw. Großregionen Asiens existierten lange vor dem Kontakt mit dem Westen Ausgrenzungsideologien und -praktiken, die sowohl auf externe als auch interne Gruppen angewandt wurden. Zweitens: Europäische Rassendiskurse wurden im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in ganz Asien besonders wirkmächtig: Ihre rasche Rezeption war allgemein bedingt durch die imperiale Weltordnung und verlief dabei weitgehend unabhängig von der Frage, ob das jeweilige Land konkret unter kolonialer Herrschaft stand oder nicht. Die neuen "wissenschaftlichen" Rassentheorien beeinflussten in allen Fällen sowohl die jeweilige lokale Selbstwahrnehmung als auch die Fremdwahrnehmung und Einordnung anderer Gruppen. Es kam dabei aber, drittens, nicht zu einer simplen "Diffusion" rassistischer Theorien und Praktiken, sondern vielmehr zu einem komplexen Prozess lokal spezifischer Aneignungs- und Modifikationsprozesse. Durch die Überlagerung mit lokalen, meist auf kultureller Differenz basierenden Praktiken und Diskursen unterschieden sich die Resultate dieses Prozesses nicht nur deutlich von der europäischen Blaupause, sie wurden auch zur Verfolgung ganz unterschiedlicher Agenden instrumentalisiert. Angesichts der vielen Abstufungen und Mischformen von Gruppenhierarchien und Diskriminierungspraktiken in Asien lässt sich somit eine Grenze zwischen extremen Formen eines kulturbasierten Ethnozentrismus und biologischem Rassismus westlicher Prägung kaum noch ziehen. Viertens, schließlich, muss man festhalten, dass sich Alltagsformen von Rassismus und Diskriminierung im globalisierten Asien des 21. Jahrhunderts offenbar ebenso hartnäckig halten, wie dies in den Ländern des Westens der Fall ist. Auf einer trivialeren Alltagsebene lässt sich zudem beobachten, dass noch Jahrzehnte nach dem Ende der europäischen Kolonialherrschaft über weite Teile Asiens, die von einem indischen Intellektuellen der 1920er Jahre zynisch als Albinokratie (= Herrschaft der Weißen) bezeichnet wurde, Marktwert und Prestige heller Haut in der Region ungebrochen sind. Während einerseits afrikanische Studierende oder Touristen gerade in den letzten Jahren immer öfter Opfer von Diskriminierung oder offenen Attacken wurden, blüht in vielen asiatischen Ländern – Indien und Japan wären besonders markante Beispiele – eine Kosmetikindustrie, die ihren Kundinnen und Kunden verspricht, sie könnten mit diversen bleaching creams dem Ideal einer attraktiven hellen Haut näher kommen.

Prof. Harald Fischer-Tiné ist Professor für die Geschichte der modernen Welt an der ETH Zürich.