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Konjunkturen der Zivilgesellschaft | Rechtsextremismus | bpb.de

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Konjunkturen der Zivilgesellschaft Das Beispiel Halberstadt

Rainer O. Neugebauer Von Rainer O. Neugebauer

/ 10 Minuten zu lesen

Die Kleinstadt Halberstadt in Sachsen-Anhalt geriet in den letzten Jahren wiederholt wegen rechtsextremer Gewalttäter in die Schlagzeilen. Exemplarisch lassen sich hier Möglichkeiten und Grenzen ehrenamtlichen Bürgerengagements verdeutlichen.

Nach dem Überfall auf die Theaterkünstler

Hakenkreuz in Halberstadt. (© H. Kulick)

Am 9. Juni 2007 wurden in Halberstadt mehrere Künstler des Nordharzer Städtebundtheaters auf dem Heimweg von einer Premierenfeier überfallen und schwer verletzt. Die mutmaßlichen Täter sind zum Teil als Rechtsextreme bekannt und nach Aussagen der Polizei einschlägig vorbelastet. Vier von ihnen sind, allerdings erst sehr spät, verhaftetet worden. Die Anklageerhebung erfolgte zügig, die Gerichtsverhandlung findet jedoch frühestens im Oktober statt.

Im Folgenden soll es aber nicht um die, teilweise eingestandenen, Fehler der Polizei bei der Täterverfolgung und der Opferbetreuung, nicht um den häufig kaum nachvollziehbaren Umgang der Justiz mit rechtsextremistischen Straftaten und auch nicht um die gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen auf der Bundes- und Landesebene gehen, sondern um die Möglichkeiten und Schranken des ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagement gegen Neo-Nazis und Rechtsextremismus vor Ort, am Beispiel einer Kleinstadt mit knapp 40.000 Einwohnern im Westen des Ostens.

Noch am Tag des Überfalls wurde durch Mitglieder des "Bürger-Bündnis für ein gewaltfreies Halberstadt" der Kontakt zur "Mobilen Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt" vermittelt. Auch die Stellungnahmen der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung bekundeten als erstes den Opfern ihr Mitgefühl. Aber bereits die folgenden Äußerungen beklagten den Ruf, den diese Stadt nicht verdient habe oder stellten zumindest den Schaden, den die Kommune in ihrem Ansehen hinnehmen müsse, auf die gleiche Stufe wie die gebrochenen Kiefer und zertretenen Nasen der Opfer. Mitstreiter des "Bürger-Bündnisses" haben seit Jahren und immer wieder, darauf hingewiesen, daß es zu einfach und gleichzeitig gefährlich sei, in erster Linie über den Image-Schaden für die Stadt empört zu sein. Leider bestätigen sich die Befürchtungen, dass vor allem die negativen Schlagzeilen der überregionalen Medien beklagt werden, immer wieder.

Der dauernde Kampf gegen Verharmlosung und Relativierung

Mit solchen relativierenden Einstellungen und Positionen des Abwiegelns haben sich die Aktiven des "Bürger-Bündnis für ein gewaltfreies Halberstadt" seit dessen Gründung Anfang der 90er Jahre auseinanderzusetzen. Schon Johann-Peter Hinz, der Hauptinitiator und bis zu seiner schweren Krankheit die treibende wie vermittelnde Kraft des Bündnisses, hat immer wieder das Leugnen wie das Verharmlosen extremistischer Gewalt, und das hieß und heißt in Halberstadt in erster Linie rechtsextremistischer und neonazistischer Gewalt, öffentlich kritisiert. Das Bündnis ist als informeller Zusammenschluss von engagierten Bürger und einzelnen Beteiligten aus verschiedenen Vereinen, Gewerkschaften, Kirchen, Schulen und der Verwaltung ins Leben gerufen worden, um rassistische Übergriffe auf Migranten und Migrantinnen und Flüchtlinge der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber, aber auch um schwere Schlägereien zwischen "rechten" und "linken" Jugendlichen einzudämmen.

Nach relativ erfolgreichem Wirken ruhte die praktische Arbeit des Bündnisses einige Zeit, um dann immer wieder zu bestimmten Anlässen reaktiviert zu werden. So etwa 2001 als sich in Halberstadt viele Gaststätten, Geschäfte, Banken, Behörden und Bildungseinrichtungen nach langwieriger Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit der "Aktion Noteingang" angeschlossen haben. 2003 reagierte das Bündnis auf den Überfall von Neo-Nazis auf das soziokulturelle Jugendzentrum ZORA, bei dem ein junger Halberstädter durch Tritte an den Kopf lebensgefährlich verletzt wurde. Die Arbeit des Bürger-Bündnisses wurde Anfang 2006 wieder aktiviert im Zusammenhang mit dem Konstantin-Wecker-Konzert und dem ersten großen Aufmarsch von Neo-Nazis in Halberstadt.

Naziaufmarsch Halberstadt 2006. (© H. Kulick)

Gerade die weitgehend erfolgreichen Aktionen gegen die NPD-Demonstration am 22. April 2006 zeigen deutlich die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlichen Engagements gegen den Rechtsextremismus. Zunächst ist festzuhalten: ohne die kritische Berichterstattung der überregionalen Medien zum Wecker-Konzert hätte es keine große Anti-Nazi-Demonstration und auch kein Bürgerfest gegeben. Die Hinweise auf die Drohung der NPD gegen das Weckerk-Konzert seitens einzelner Bürger sind im damaligen Landtagswahlkampf nicht zur Kenntnis genommen worden und erst die Pressemitteilung des Wecker-Managements am Vortag des ursprünglichen Konzerttermins, der damals schon in den Sommer verschoben war, sorgte für Empörung.

Als dann die NPD zum Marsch auf Halberstadt aufrief, bedurfte es des nachdrücklichen Beharrens seitens einzelner Stadträte und Bürger und diffiziler Formulierungskompromisse, um den damaligen Oberbürgermeister und den Landrat zum Aufruf für eine erste Vorbereitungsveranstaltung über Gegenmaßnahmen zu bewegen. Über 200 Bürger kamen ins Rathaus und diskutierten geplante Aktionen. Die vielfach und vehement geforderte Verhinderung/Blockade des NPD-Aufmarschs scheiterte an der geringen Bereitschaft, sich auf einen kalkulierten und bei großer und prominenter Beteiligung auch kalkulierbaren Rechtsbruch einzulassen. Der Vorschlag, die wichtigsten Plätze der Stadt und alle sensiblen Orte zu besetzen und die Neo-Nazis an den Rand zu drängen, wurde zwar gutgeheißen, aber schon bei den Formen der Gegenveranstaltungen und den Mottos, unter denen diese stattfinden sollten, gab es starke Zurückhaltung.

Die einen wollten überhaupt nicht demonstrieren, ein Bürgerfest "Halberstadt ist bunt" würde ausreichen, schon der Zusatz "nicht braun" wurde als unzulässig zurückgewiesen. Andere wollten nur gegen "Rechts" und "Links" gleichzeitig mahnen. Ein Kirchenvertreter verurteilte die Formulierung "gegen Neo-Nazis", da man als Christ nicht gegen Menschen demonstrieren dürfe. Schließlich setzen sich faktisch diejenigen durch, die auch die Verantwortung übernahmen, die Stadtverantwortlichen hielten sich zurück: Der DGB meldete als politische Versammlung das große Bürgerfest "Halberstadt ist bunt, nicht braun" an, ein Mitglied des Bürger-Bündnisses die Demonstration "Gesicht zeigen – Zivilcourage gegen Neo-Nazis & Rechtsextremismus". In den nächsten vier Wochen haben knapp ein Dutzend Leute, die meisten ehrenamtlich, die hauptsächliche Planungs- und Organisationsarbeit geleistet. Verlässliche Unterstützung bei dieser Vorbereitungsarbeit kam in erster Linie von den Gewerkschaften, dem Jugendclub ZORA, einzelnen Mitarbeitern der Stadt, der Kirchen, einzelnen Mitgliedern politischer Parteien, einzelnen Schüler und Schülerinnen.

"Nazi-Kehraus" - Bürgerprotestaktion im Anschluss an einen NPD-Aufmarsch in Halberstadt 2006. (© H.Kulick)

Bei der Werbung für das Bürgerfest, zeigte sich, dass sich viele Geschäftsleute aus Angst, aus Desinteresse oder aus einer ablehnenden Haltung heraus weigerten, den Aufruf, der in einer Sonderausgabe des städtischen Amtsblattes auch vom Oberbürgermeister unterstütz wurde, auszuhängen. Angst – vor An- und Übergriffen seitens der Neo-Nazis – hatten auch viele Halberstädter Bürger. Durch die gute Unterstützung der lokalen Presse gelang es hier teilweise entgegenzuwirken. Beteiligt haben sich schließlich die Kirchen mit einem Friedensgebet, viele Vereine, Kindergärten, das Theater und andere Kultureinrichtungen. Auch die Landeszentrale für politische Bildung war mit einem bunten Programm vertreten. All dies gelang nur durch einen überaus großen, weitgehend ehrenamtlichen Arbeitsaufwand, der so nicht allzuhäufig wiederholt werden kann.

Zur Demonstration gegen Neo-Nazis und Rechtsextremismus kamen dann 4500 Teilnehmer. Die Abschlusskundgebung endete mit der Aufforderung, daß die Halberstädter sich nach den symbolischen Aktionen des 22. April 2006 nicht einfach zurücklehnen dürften: ´"Ab morgen müssen wir alle weiter daran mitwirken, dass Neo-Nazis und rechtsextremistisches Gedankengut weder in Halberstadt noch anderswo eine Chance haben. Wir müssen das Bürger-Bündnis für ein gewaltfreies Halberstadt stärken, wir müssen uns auch mit Gewalt in Form von Chancen- und Perspektivlosigkeit und mit Gewalt in Form krasser sozialer Ungerechtigkeit auseinandersetzen, wir müssen uns um die Jugend und die Schulen kümmern, wir müssen kontinuierliche Projekte unterstützen und entwickeln, wir müssen aufklären und informieren, wir müssen uns mehr um die Opfer rechter Gewalt kümmern..."

Die Mühen der zivilgesellschaftlichen Ebene

Dieser Aufforderung sind seitdem nur noch wenige Halberstädter gefolgt. Zwar arbeitet das Bürger-Bündnis seit dem April 2006 kontinuierlich und bemüht sich um Nachhaltigkeit, aber das Interesse der Bürger aber auch der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung war bis zum Überfall auf die Theaterkünstler ähnlich gering wie vor den Meldungen über das nicht stattgefundene Wecker-Konzert. Eine öffentliche Veranstaltung über Opfer rechter Gewalt in Zusammenarbeit mit der Mobilen Opferberatung, der Moses-Mendelssohn-Akademie und dem Republikanischen Anwaltsverein in der Hochschule Harz kurz nach dem Aktionstag im April 2006 war nur mäßig besucht. Das gleiche galt für ein Seminar des DGB über den Umgang mit Rechtsextremen auf öffentlichen Veranstaltungen und für einen Informationsabend über das Pirnaer Modell zu Bekämpfung des Rechtsextremismus, der speziell für Stadträte und Dezernenten der Stadtverwaltung angeboten wurde (b.w.).

''Gebt den Nazis keinen Raum - Sondern Konstantin Wecker" - Bürgerprotest in Halberstadt, nachdem Anfang 2006 ein Konzert des Liedermachers gegen Nazis an Halberstadt Verwaltung scheiterte - aus Furcht vor der NPD. (© H. Kulick)

Etwas besser sah es aus bei einer Einladung an Multiplikatoren in Behörden, Schulen und Vereinen zu einer Aufklärungs- veranstaltung über rechtsextremistische Symbole, rechtsextremistische Strukturen in Halberstadt und über Nazi-Läden. Dies lag sicherlich auch daran, dass neben Wissenschaftlern der Universität Potsdam der stellvertretende Polizeipräsident von Halberstadt referiert hat.

Die Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion hat sich nach der Überwindung des anfänglich gegenseitigen Misstrauens positiv entwickelt. Viele Verantwortliche in Politik, Verwaltung, Schule und in den Vereinen akzeptieren Aussagen über die Gefahren des Rechtsextremismus eher von einem Uniformträger mit vier Sternen. Wie mühsam das Alltagsgeschäft der Aufklärung und Prävention in Sachen Rechtsextremismus ist, haben die Mitglieder des Bürger-Bündnisses erfahren, die Kontakte zu den Schulleitern zunächst in Gymnasien und in Sekundarschulen aufgenommen haben. Auch als es zur Kreistagswahl im April 2007 darum ging, den Wahlkampfaktivitäten der NPD Paroli zu bieten, war die Bereitschaft zur Flugblattverteilung oder zur Unterstützung der Schülertheatergruppe recht gering.

Konjunkturen in der Akzeptanz zivilgesellschaftlichen Engagements

In Zeiten hoher medialer Aufmerksamkeit sind die Aktivitäten bürgerschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus und Neo-Nazis sehr willkommen und die Bereitschaft zu zumindest verbaler Unterstützung seitens der Verantwortlichen in der Stadt und im Landkreis groß. Sobald die Stadt und der Kreis nicht mehr mit rechtsextremen Übergriffen in den Schlagzeilen auftauchen, verringerte sich die Unterstützung schnell.

So hat der Kreistag nach der Diskussion um das Wecker-Konzert einstimmig die Unterstützung der Aktivitäten des Bürger-Bündnisses beschlossen. Knapp drei Monate später scheiterte dann ein Antrag, die Kreisverwaltung mit der Entwicklung eines konkreten Aktionsprogramms gegen extremistische Tendenzen zu beauftragen, an der Kreistagsmehrheit. Zur Begründung wurde angeführt, es gäbe doch in Halberstadt schon das Bürger-Bündnis.

Auch an dem Umgang der Stadt Halberstadt mit dem "Ragnarök"-Laden kann man die Konjunkturen in der Akzeptanz zivilgesellschaftlichen Engagements deutlich erkennen. Bereits im November 2003, kurz nach der Eröffnung des Nazidevotionalien-Ladens, wurde von einem Mitglied des Bürger-Bündnisses in einem Kommentar in der Halberstädter Volksstimme auf ihn als rechten Szenetreff hingewiesen, wie auch auf die Verantwortung der Stadt, die über die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft das Ladenlokal vermietet hat. Mehrmalige Aufforderungen, den Mietvertrag zu kündigen, wurden mit dem Hinweis auf angebliche rechtliche Hindernisse abgewiesen. Nachdem der damalige Oberbürgermeister, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Wohnungsbaugesellschaft, in einer Briefaktion im Mai 2006 erneut zum Handeln aufgefordert wurde, erschien der vorgeschobene Grund für das Nichthandeln sogar in dem städtischen Antwortbrief.

Erst das nachdrückliche Beharren eines städtischen Aufsichtsratsmitgliedes auf einer Abstimmung über den – mit vierteljährlicher Kündigungsfrist versehenen – Mietvertrag und nur dank der Unterstützung der Polizeipräsidentin wurde die Kündigung des Ladens ‚Ragnarök´ im April 2006 beschlossen, und nach dem Überfall auf die Theaterkünstler auch zugestellt.

Die Grenzen des Ehrenamtes oder "business as usual"?

Für die Trockenlegung oder zumindest die radikale Eindämmung des braunen Sumpfes muss erstens ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, in dem sich rechtsradikale Schläger nicht mehr sicher fühlen können. Zweitens müssen den geistigen Anstiftern des braunen Mobs, der NPD und der DVU, durch eine vernünftige Politik und durch eine überzeugende argumentative Auseinandersetzung die Mitläufer und Wähler abspenstig gemacht werden. Drittens, und das ist wahrscheinlich die wichtigste und schwierigste Aufgabe der Zivilgesellschaft, müssen wir uns mit dem bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreiteten rechtsextremen, fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Gedankengut auseinandersetzen.

Zu erreichen ist dies nur durch eine Vielzahl abgestimmter Aktivitäten und Maßnahmen aller gesellschaftlicher Gruppen, der Politik und der Verwaltung, der Polizei und der Justiz, der Wirtschaft und der Verbände, der Schulen und der Hochschulen, der Kirchen und der Vereine, der Kultureinrichtungen und vieler Initiativen und schließlich vieler Bürgerinnen und Bürger. Die hierzu erforderliche Kommunikationsstruktur und die inhaltliche und organisatorische Vernetzung ist nicht allein auf der Ebene ehrenamtlicher Bürgerbündnisse leistbar.

Wenn der Kampf gegen den Rechtsextremismus nachhaltigen Erfolg erzielen will, muss er strukturell und organisatorisch auch in der Politik und der Verwaltung verankert sein. Deshalb fordert das Bürger-Bündnis für ein gewaltfreies Halberstadt von den politisch Verantwortlichen eine derartige Verankerung in Form eines Kooperationsrates gegen Rechtsextremismus oder eines Präventionsrates auf der Ebene der Stadt und des Landkreises. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die politisch und in der Verwaltung Verantwortlichen die Gefahren des Rechtsextremismus erkennen, sich dazu bekennen, dass der Rechtsextremismus und die Neo-Nazis auch in Halberstadt ein zentrales Problem darstellen und das wohlfeile Lippenbekenntnisse, man sei doch gar nicht braun, bei weitem nicht ausreichen.

In Halberstadt griffen Neonazis am 9. Juni 2007 Theaterschauspieler nach einer Premierenfeier tätlich an. Die betroffenen Künstler rufen jetzt die Halberstädter Bevölkerung auf, am Abend des 14. September im Rahmen von Kunstaktionen mit ihnen symbolisch Gesicht gegen Intoleranz zu zeigen - auf allen Plätzen der Stadt, die sonst Treffpunkte von Rechtsextremen sind.

Nachdem ein knapper Monat seit dem Neonazi-Überfall auf die Theaterkünstler vergangen ist, gab es eine gute Möglichkeit für die Halberstädter Kommunalpolitiker, eine erste konkrete und auch nachhaltige Maßnahme zur Trockenlegung des braunen Sumpfes auf den Weg zu bringen. Zum wiederholten Male wurde der Antrag gestellt, die fast 50-prozentige Kürzung bei der sozialen und kulturellen Vereinsförderung zurückzunehmen und die Mittel für zu beantragende Projekte in den Bereichen Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit wieder auf den Stand des Jahres 2004 anzuheben. Die bürgerliche Stadtratsmehrheit lehnte dies kommentarlos ab, auch der Oberbürgermeister enthielt sich wortlos.

Dieser Skandal, der allerdings auch den Journalisten, die ausführlich über den Theater-Überfall berichtet haben, keine Meldung wert war, wird auch dadurch nicht kleiner, dass die unverantwortliche Verweigerung dringend benötigter Mittel für die Jugend und Sozialarbeit einhergeht mit der aufrichtigen Unterstützung der für die am 14. September geplante Theater- und Kulturaktion "Auf die Plätze!", mit der die Halberstädter Bürger und Bürgerinnen den Neo-Nazis und Gewalttätern zeigen sollen, dass sie nicht gewollt sind.

Bei öffentlichkeitswirksamer und positiver Selbstdarstellung hat die Zivilgesellschaft und das bürgerschaftliches Engagement Konjunktur. Wenn es allerdings um politischen Mut fordernde Entscheidungen, wie die Rücknahme einer Konsolidierungsmaßnahme mit zusätzlichen finanziellen Belastungen, geht, wird man zögerlich und macht leider weiter wie bisher. Schließlich hat sich das beschämende Rauschen im Blätterwald ja inzwischen gelegt.

Fussnoten

Rainer O. Neugebauer ist Professor für Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Politikwissenschaft und Staatsrecht an der FH Harz. Seine Veröffentlichungen behandeln hauptsächlich Themen zur Geschichts- und Politikdidaktik, zum National- sozialismus, zum Rechtsextremismus, und zur Studien- und Hochschulreform. Er ist Stadtrat für das FORUM und Mitglied im Bürger-Bündnis für ein gewaltfreies Halberstadt.