Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Rechtssystem | Deutsche Demokratie | bpb.de

Deutsche Demokratie Grundlagen Demokratie Grundgesetz Grundrechte Bundesstaat Rechtsstaat Sozialstaat Politische Beteiligung Einleitung Wahlen Parteien Interessenverbände Kirchen Bürgerinitiativen Massenmedien Parlament Bundestag Aufgaben des Bundestages Arbeitwoche eines MdB Bundesrat Ein Gesetz entsteht Landesparlamente Kompetenzverteilung Bundespräsident, Regierung und Verwaltung Bundespräsident Bundesregierung Landesregierungen Verwaltung: Organisation und Grundsätze Verwaltung des Bundes Verwaltung der Länder Gemeinden Rechtsprechung Funktionen des Rechts Grundsätze der Rechtsprechung Rechtssystem Bundesverfassungsgericht und Verfassungsgerichte der Länder Deutschland in Europa und der Welt Europa Von der EG zur EU NATO Vereinte Nationen Deutsche Nationalsymbole Einleitung Wappen, Flagge und Hymne Europaflagge Quiz: Deutsche Demokratie für Einsteiger Quiz: Deutsche Demokratie für Profis Redaktion

Rechtssystem

Horst Pötzsch

/ 11 Minuten zu lesen

Das Rechtssystem ist in Privatrecht und öffentliches Recht unterteilt. Mit Rechtsmitteln - wie Berufung und Revision - kann man eine gerichtliche Entscheidung anfechten und ihre Nachprüfung durch ein höheres Gericht verlangen.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (© AP)

Öffentliches Recht und Privatrecht

Man teilt das Recht ein in die beiden großen Rechtsgebiete Privatrecht und öffentliches Recht. Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der einzelnen Bürger zueinander.

Sein Kern ist das bürgerliche Recht, das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) niedergelegt ist. Es enthält Regelungen für den bürgerlichen Alltag, zum Beispiel für Kauf und Verkauf, für Pacht, Leihe und Schenkung, für Eheschließung und Ehescheidung, für Unterhaltsansprüche und Vormundschaft, für Erbschaft.

Zum Privatrecht gehören auch das Handelsrecht, das nur unter Kaufleuten gilt, und das Arbeitsrecht, soweit es die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern (mit Ausnahme der Beamten) umfasst, sowie das Urheber- und Patentrecht.

Das öffentliche Recht regelt die Beziehungen des Einzelnen zur öffentlichen Gewalt (Staat, Land, Gemeinde, öffentliche Körperschaft) und die Beziehungen der öffentlichen Gewalten zueinander, zum Beispiel zwischen Bund und Ländern. Zum öffentlichen Recht gehören das Verwaltungsrecht, das Straf- und Prozessrecht sowie das Verfassungsrecht, das Staatsrecht und das Völkerrecht.

Zweige der Gerichtsbarkeit

Die Recht sprechende Gewalt ist in der Bundesrepublik Deutschland in fünf selbstständige Gerichtszweige gegliedert, die mit den Begriffen "ordentliche" und "besondere Gerichtsbarkeit" unterschieden werden.

Die "ordentliche Gerichtsbarkeit" umfasst die Zivil- und Strafgerichte, zur "besonderen Gerichtsbarkeit" zählen Verwaltungsgerichte, Arbeitsgerichte, Sozialgerichte und Finanzgerichte.

Die Bezeichnung "ordentliche Gerichtsbarkeit" erklärt sich historisch daraus, dass früher nur die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit mit unabhängigen Richtern besetzt war. Dagegen wurde die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit von weisungsgebundenen Beamten ausgeübt. Dies änderte sich mit dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877. Die Artikel 92 und 97 GG geben der richterlichen Unabhängigkeit Verfassungsrang.

Bundes- und Landesgerichte

In allen Gerichtszweigen gibt es jeweils Gerichte der Länder und des Bundes. Innerhalb der einzelnen Gerichtszweige bestehen mehrere Instanzen, das sind Stufen des gerichtlichen Verfahrens, die einander übergeordnet sind. In der Regel gibt es drei Instanzen, die ersten beiden sind Gerichte der Länder, die oberste Instanz ist ein Bundesgericht.

Die Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind Amtsgerichte, Landgerichte, die je nach Bedeutung eines Falles erste oder zweite Instanz sein können, Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof.

Die Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ist dreistufig, die Finanzgerichtsbarkeit zweistufig. Die obersten Instanzen sind das Bundesverwaltungsgericht, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht und der Bundesfinanzhof.

Für Streitigkeiten bei der gewerblichen Nutzung von Patenten, die für Erfindungen beim Bundespatentamt beantragt und erteilt werden können, ist ein Bundesgericht, das Bundespatentgericht, eingerichtet.

Eine Sonderstellung nimmt die Verfassungsgerichtsbarkeit ein.

Zivilgerichte

Zivilgerichte sind für bürgerliche (zivile) Rechtsstreitigkeiten zuständig, das sind Streitigkeiten, die zum Bereich des Privatrechts gehören.

Sie werden angerufen, wenn es etwa Streit um einen Kaufvertrag gibt, wenn ein Schuldner seiner Zahlungspflicht nicht nachkommt, wenn ein Mieter eine Mieterhöhung für ungerechtfertigt hält. Sie scheiden Ehen und legen die Unterhaltszahlungen und das Sorgerecht für die Kinder fest. Sie entscheiden über Haftung und Schadensersatz, wenn jemand einem anderen einen Schaden zugefügt, ihn verletzt oder bestohlen hat, sie fällen aber auch ein Urteil, wenn ein öffentlicher Bediensteter seine Amtspflicht verletzt hat. Alle diese Streitigkeiten gehören zur "streitigen Gerichtsbarkeit".

Zur Zivilgerichtsbarkeit gehört auch die "freiwillige Gerichtsbarkeit". Sie ist vor allem für Vormundschaftssachen und Nachlassangelegenheiten zuständig (Vormundschafts- und Nachlassgerichte).

Zivilprozess

Ein Zivilprozess beginnt mit der Erhebung einer Klage. Kläger und Beklagter heißen Parteien. Die Parteien stehen sich gleichberechtigt gegenüber. Der Kläger begründet seinen Antrag, der Beklagte bestreitet die Behauptungen insgesamt oder teilweise. Beide Parteien können Beweismittel vorlegen und Zeugen beibringen. Das Gericht prüft nur, was die Parteien vorbringen, es ermittelt nicht selbst von Amts wegen. Man spricht deshalb im Zivilprozess von Parteiherrschaft.

Instanzen
Das Amtsgericht ist die erste Instanz bei einem Streitwert bis einschließlich 5000 Euro. Der Streitwert ist der Wert des Streitgegenstandes. Wenn nicht ohnehin eine bestimmte Geldsumme eingeklagt wird, setzt das Gericht ihn fest. Nach dem Streitwert bestimmen sich die Gerichtskosten und Anwaltsgebühren. Außerdem werden vom Amtsgericht Mietstreitigkeiten, Ehescheidungen und die sich daraus ergebenden Streitigkeiten verhandelt. Für alle übrigen Rechtsstreitigkeiten ist das Landgericht zuständig.

Das Verfahren in der ersten Instanz endet mit einem Urteil, soweit es nicht auf andere Weise abgeschlossen wurde, etwa durch Rücknahme der Klage oder durch gütliche Einigung, einen Vergleich. Das Urteil ist rechtskräftig, wenn die Parteien keine Rechtsmittel einlegen oder wenn die Einlegung von Rechtsmitteln nicht mehr zulässig ist. Unter Rechtsmitteln versteht man die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung anzufechten und ihre Nachprüfung durch ein höheres Gericht (höhere Instanz) zu verlangen.

Berufung und Revision
Die wichtigsten Rechtsmittel sind Berufung und Revision. Bei einer Berufung überprüft die höhere Instanz sowohl den Sachverhalt als auch die rechtliche Seite des Falles, der Prozess wird neu aufgerollt. Die Berufung gegen Urteile des Amtsgerichts wird vom Landgericht verhandelt, gegen Urteile des Landgerichts vom Oberlandesgericht. Berufung kann nur eingelegt werden, wenn der Beschwerdewert (der vom Streitwert abweichen kann) 600 Euro überschreitet.

Bei der Revision wird nur geprüft, ob die Vorinstanz das Recht richtig angewandt hat. Revision kann nur gegen Berufungsurteile des Oberlandesgerichts beim Bundesgerichtshof beantragt werden.

Die Revision ist im Allgemeinen nur zulässig, wenn der Fall grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn ein Urteil von der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in einem ähnlich gelagerten Fall abweicht. Auf diese Weise soll die einheitliche Auslegung der Gesetze gesichert werden.

Strafgerichte

Strafgerichte sind für die Anwendung des Strafrechts zuständig, das im Strafgesetzbuch (StGB) niedergelegt ist. Strafrechtsvorschriften enthalten aber auch viele andere Gesetze, zum Beispiel das Betäubungsmittelgesetz, das Versammlungsgesetz, das das "Vermummungsverbot" enthält, und das Außenwirtschaftsgesetz, das Waffenexporte in bestimmte Länder verbietet.

Strafprozess

Ein Strafverfahren beginnt mit der Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Vorausgegangen ist gewöhnlich eine Strafanzeige bei der Polizei, beim Amtsgericht oder bei der Staatsanwaltschaft. In dem nun einsetzenden Ermittlungsverfahren stellt die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit der Polizei fest, ob ein hinreichender Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegt. Ist das der Fall, so muss Anklage erhoben werden. Die Staatsanwaltschaft handelt nach dem Legalitätsprinzip, sie ist zur Verfolgung einer Straftat verpflichtet. Ausgenommen sind so genannte Antragsdelikte (Beleidigung, leichte oder fahrlässige Körperverletzung, Hausfriedensbruch und andere). Ist das Antragsdelikt zugleich ein Privatklagedelikt, wird nur dann Anklage erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt; andernfalls bleibt dem Verletzten nur die Möglichkeit einer Privatklage.

Ablauf des Strafverfahrens
Bei Verdacht auf eine Straftat wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ist der Beschuldigte hinreichend verdächtig, wird das Hauptverfahren eröffnet.

Mit dem Eröffnungsbeschluss wird der Beschuldigte zum Angeklagten. Das Gericht hat den Sachverhalt zu ermitteln und dem Angeklagten seine Schuld nachzuweisen. Es ist dabei nicht an die vom Staatsanwalt vorgelegten Beweise gebunden, sondern kann selbst Beweise erheben, Zeugen vernehmen, Sachverständige heranziehen.

Der Angeklagte hat das Recht auf Verteidigung. Er kann sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, bei schweren Straftaten ist dies vorgeschrieben. Kann er den Verteidiger nicht bezahlen, bestellt das Gericht auf Staatskosten einen Pflichtverteidiger.

Das Strafverfahren endet mit einem Urteil. Sofern keine Rechtsmittel eingelegt werden, wird es rechtskräftig und wird vollstreckt.

Instanzen der Strafjustiz
In erster Instanz entscheidet

  • der Strafrichter als Einzelrichter bei Vergehen, wenn eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe zu erwarten ist;

  • das Schöffengericht beim Amtsgericht (ein oder zwei Richter, zwei Schöffen) bei Verbrechen und Vergehen mit Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren;

  • die Große Strafkammer beim Landgericht (zwei oder drei Richter, zwei Schöffen) bei schweren Verbrechen, als Schwurgericht bei Tötungsverbrechen;

  • der Große Strafsenat beim Oberlandesgericht (fünf Richter) bei Staatsschutzsachen (Landesverrat, terroristische Gewalttaten).

Schöffen sind ehrenamtliche Richter, die nicht juristisch vorgebildet sind. Sie haben in der Verhandlung und bei der Beratung über das Urteil dieselben Rechte und Pflichten wie Berufsrichter. Durch ihre Mitwirkung soll die Lebens- und Berufserfahrung der Bürger bei der Rechtsprechung genutzt werden.

Rechtsmittel
Gegen das Urteil kann der Verurteilte Rechtsmittel einlegen. Berufung ist nur bei Urteilen der Amtsgerichte zulässig. Gegen erstinstanzliche Urteile der Landgerichte ist nur Revision beim Bundesgerichtshof zugelassen.

Ordnungswidrigkeiten
Von Straftaten zu unterscheiden sind Ordnungswidrigkeiten. Das sind Verstöße gegen staatliche Gebote und Verbote, die nicht so schwerwiegend sind, dass eine Strafe verhängt werden müsste. Sie werden von Verwaltungsbehörden geahndet, die per Bußgeldbescheid ein Bußgeld auferlegen. Geringfügige Ordnungswidrigkeiten, deren häufigste die Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr und das Falscheparken sind, werden mit einem Verwarnungsgeld belegt.

Jugendgerichte
Für Straftaten Jugendlicher (14–18 Jahre) gilt das Jugendstrafrecht. Es wird häufig auch bei Heranwachsenden (18–21 Jahre) angewandt. Das Jugendstrafrecht sieht Erziehungsmaßregeln vor, zum Beispiel die Weisung, eine gemeinnützige Arbeit zu verrichten, oder das Verbot, Gast- und Vergnügungsstätten zu besuchen, bis hin zur Anordnung der Fürsorgeerziehung. Reicht das nicht aus, können Zuchtmittel verhängt werden, zum Beispiel die Auflage, den Schaden wieder gutzumachen, oder Jugendarrest. Wegen besonders schweren oder wiederholten Straftaten wird Jugendstrafe verhängt. Sie wird in einer Jugendstrafanstalt verbüßt und beträgt mindestens sechs Monate, höchstens zehn Jahre.

Über straffällige Jugendliche entscheiden Jugendgerichte, und zwar je nach Schwere des Falles der Jugendrichter als Einzelrichter, das Jugendschöffengericht (ein Jugendrichter, zwei Jugendschöffen) oder die Jugendkammer beim Landgericht (drei Jugendrichter, zwei Jugendschöffen).

Verwaltungsgerichte

Verwaltungsgerichte sind zuständig für Streitigkeiten zwischen den Bürgern und der Staatsgewalt. Sie bieten dem Bürger Rechtsschutz, wenn er sich durch eine Maßnahme der Verwaltung in seinen Rechten verletzt glaubt. Verwaltungsgerichte entscheiden beispielsweise, wenn gegen die Versagung einer Baugenehmigung geklagt wird.

Sie können gegen die als ungerecht empfundene Benotung eines Schülers ebenso angerufen werden wie etwa bei Auseinandersetzungen über den Bau eines neuen Flughafens, einer Autobahn oder eines Hochtemperaturreaktors.

Gegen einen als rechtswidrig empfundenen Verwaltungsakt muss der Betroffene zunächst Widerspruch einlegen. Im Widerspruchsverfahren soll die Behörde noch einmal prüfen, ob ihre Entscheidung rechtmäßig und zweckmäßig ist. Wird der Widerspruch abgelehnt, kann das Verwaltungsgericht angerufen werden.

Erste Instanz ist das Verwaltungsgericht, Berufungsinstanz das Oberverwaltungsgericht, in einigen Bundesländern Verwaltungsgerichtshof genannt, Revisionsinstanz das Bundesverwaltungsgericht. Bei Streitigkeiten über technische Großprojekte und bei Vereinsverboten ist das Oberverwaltungsgericht die erste Instanz.

Themengrafik Rechtsprechung: Die Rechtsprechung gewährleistet den inneren Frieden und die Freiheit der Bürger, auch gegenüber dem Staat. Zum Öffnen der PDF-Version (303 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Arbeitsgerichte

Arbeitsrechtliche Streitigkeiten ergeben sich in der Regel aus Verträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und sind somit eigentlich zivilrechtliche Konflikte. Allerdings sind die Arbeitsgerichte auch für entsprechende Streitigkeiten im öffentlichen Dienst zuständig. Die Einrichtung einer besonderen Arbeitsgerichtsbarkeit, erstmals 1926 in Deutschland, trägt der besonderen Bedeutung des Arbeitslebens in der Industriegesellschaft Rechnung.

Außer für Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen – zum Beispiel wegen Gehalts- bzw. Lohnzahlungen, Kündigung, Arbeitsschutz – sind Arbeitsgerichte für Auseinandersetzungen über Mitbestimmung zuständig. Diese betreffen sowohl die Rechte des Betriebsrates als auch die Konflikte zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden um Tarifverträge und um die Rechtmäßigkeit eines Streiks.

Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist dreistufig. Erste Instanz ist das Arbeitsgericht, zweite das Landesarbeitsgericht und höchste das Bundesarbeitsgericht. Arbeitsgerichte sind mit Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern besetzt. Die ehrenamtlichen Richter kommen je zur Hälfte aus den Kreisen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Arbeitsgerichtsverfahren sind kostengünstiger als andere Gerichtsverfahren. Die Parteien können den Rechtsstreit selbst führen oder sich, für Mitglieder kostenlos, durch Prozessvertreter der Gewerkschaft bzw. des Arbeitgeberverbandes vertreten lassen. Vorab wird eine gütliche Einigung versucht. Einige Sondervorschriften dienen der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens.

Sozialgerichte

Sozialgerichte entscheiden über Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosen- und Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und des Kindergeldes. Beispielsweise kann das Sozialgericht angerufen werden, damit es feststellt, dass eine Arbeitsunfähigkeit Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist, sodass Anspruch auf eine Unfallrente besteht. Das Gericht muss den Sachverhalt von Amts wegen erforschen.

Die drei Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit sind die Sozialgerichte, die Landessozialgerichte als Berufungs- und das Bundessozialgericht als Revisionsinstanz. In allen Instanzen wirken neben Berufsrichtern ehrenamtliche Richter mit, sie werden aus dem mit der speziellen Materie vertrauten Personenkreis berufen. Vor Sozialgerichten, außer vor dem Bundessozialgericht, kann sich jeder selbst vertreten oder sich durch Experten einschlägiger Verbände vertreten lassen. Bei Sozialgerichtsverfahren entstehen keine Gerichtskosten.

Finanzgerichte

Finanzgerichte sind bei Streitigkeiten von Bürgerinnen und Bürgern mit den Finanzbehörden zuständig. Das sind in der überwiegenden Zahl der Fälle Klagen gegen Steuerbescheide. Zuvor muss gegen einen Bescheid des Finanzamtes Einspruch eingelegt werden. Bleibt dieser erfolglos, kann Klage beim Finanzgericht erhoben werden.

Gegen Urteile der Finanzgerichte ist Revision an den Bundesfinanzhof zulässig. Es gibt nur diese beiden Instanzen. Finanzgerichte sind mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt, der Bundesfinanzhof mit fünf Berufsrichtern.

Kritik an der Rechtsprechung

Die Recht sprechende Gewalt genießt in Deutschland hohes Ansehen. Es wird allgemein anerkannt, dass die Richter und die anderen Justizorgane nach besten Kräften die Gesetze anwenden und Recht sprechen. Dennoch gibt es vielfältige Kritik an der Rechtsprechung.

Sie richtet sich meist nicht gegen die Justizorgane, sondern gegen Missstände, die sich im Laufe der Zeit herausgestellt haben und die letztlich der Gesetzgeber zu verantworten hat.

Unter den Missständen leiden die Bürger, die in irgendeiner Weise mit den Gerichten in Berührung kommen, ebenso wie die Bediensteten der Justiz. Kritik wird gerade auch von Juristen geübt.

Dabei stehen folgende Kritikpunkte im Vordergrund:

  • Es gibt zu viele Gesetze:
    Ständig werden neue Gesetze verabschiedet, wird vorhandenes Recht geändert oder außer Kraft gesetzt. Immer mehr Lebensbereiche unterliegen immer komplizierteren Regelungen. Die Fachleute sprechen von einer "Normenflut".

  • Die Gesetze sind zu kompliziert:
    Ihr Inhalt ist abstrakt, sie sind in einer künstlichen Sprache abgefasst und enthalten Begriffe, die im täglichen Leben nicht verwendet werden. Das Zivilrecht, das Recht des Alltagslebens, ist für den Laien kaum noch durchschaubar. Im "Paragrafendschungel" des Steuer- und Sozialrechts finden sich selbst Spezialisten nicht mehr zurecht.

  • Die Gerichtsverfahren dauern zu lange:
    Privatrechtliche Streitigkeiten, in denen es auf schnelle Entscheidung ankommt, werden oft erst nach langwierigen Verfahren abgeschlossen, in allzu vielen Fällen erst nach Ausschöpfung des Rechtsweges. Kritiker sprechen vom "Rechtswegestaat". Strafprozesse werden vielfach über alle zulässigen Instanzen geführt. Manche Prozesse werden regelrecht verschleppt, durch immer neue Beweisanträge, durch zahlreiche Befangenheitsanträge, durch endloses Vorlesen von Urkunden. Es gibt Prozesse, die drei Jahre und länger dauern, enorme Kosten verursachen und dann womöglich ohne Urteil enden.

  • Gerichte entscheiden über politische Fragen:
    Sie greifen immer mehr in Bereiche ein, die in die Kompetenz der Legislative und der Exekutive fallen. Politische Konflikte werden zu Rechtsstreitigkeiten. Verwaltungsgerichte werden in steigendem Maße angerufen, um Maßnahmen der demokratisch legitimierten Organe, von der Anlage eines Kinderspielplatzes bis zum Bau eines Großflughafens, zu verzögern oder zu verhindern.

Gegen diese Kritikpunkte wird eingewandt:

  • Die Klage über die große Zahl von Gesetzen gibt es bereits seit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches, das die Rechtsverhältnisse der Industriegesellschaft regeln soll. Die Gesetze sind so kompliziert, weil unsere Lebenswelt kompliziert ist. Den Gerichten ist im politischen System auch eine politische Rolle zugewiesen.

  • In der modernen Gesellschaft wird ständig neu geplant und geregelt; daher wächst die Zahl der Eingriffe in die Sphäre des Einzelnen. Vor dem Hintergrund einer sich wandelnden politischen Kultur nimmt die Bereitschaft der Bürger zu, gegen solche Eingriffe den Schutz der Gerichte anzurufen.

Justizreform

Reformen des Gerichtswesens zielen darauf ab, die Dauer der Verfahren zu verkürzen und die Gerichte zu entlasten. Um in Zivilverfahren die Zuständigkeit des Amtsgerichts zu erweitern, wurden die Streitwertgrenzen immer wieder heraufgesetzt, von 1000 DM im Jahre 1950 bis auf 5000 Euro heute. Ebenso wurde die Berufungssumme auf 600 Euro erhöht.

Vorschläge, die darauf abzielen, die Rechtsmittel einzuschränken, etwa Amtsgerichte und Landgerichte zu einem einheitlichen Eingangsgericht zusammenzulegen, sind bisher nicht realisiert worden.

Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 137-143.

Fussnoten

Der Historiker und Politologe Horst Pötzsch war bis 1992 Leiter der Abteilung "Politische Bildung in der Schule" der Bundeszentrale für politische Bildung.