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Militär und Zivilgesellschaft - ein schwieriges Verhältnis | Deutsche Verteidigungspolitik | bpb.de

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Militär und Zivilgesellschaft - ein schwieriges Verhältnis Essay

Ute Frevert

/ 10 Minuten zu lesen

Militärische Gewalt ist aus unserem zivilen Alltag weitgehend ausgeschlossen. Mit dem Wehrdienst bricht sie jedoch unweigerlich wieder darin ein. Was bedeutet die Aussetzung der Wehrpflicht für das Verhältnis von Militär und Zivilgesellschaft?

Mit dem Wehrdienst bricht die Gewalt in das eigene Leben ein: Wehrpflichtige in der Grundausbildung laden auf einem Truppenübungsplatz die Magazine ihrer Waffen mit Übungsmunition auf. (© picture-alliance/dpa)

Die Wehrpflicht ist nicht mehr. Am 15. Dezember 2010 beschloss das Bundeskabinett ihre Aussetzung zum 1. Juli 2011. Damit wurde eine der langlebigsten Institutionen der modernen Gesellschaft, die zugleich ein wichtiges Scharnier im Verhältnis zwischen Militär und Zivilgesellschaft war, für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt.

Funktional sah sich die Wehrpflicht schon länger außer Dienst gestellt. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts hatte sich die Idee der Landesverteidigung durch große Wehrpflichtarmeen überlebt. Das neue Konzept des Krieges als Auslandseinsatz mit kleinen, hochtechnisierten Kampftruppen braucht gut trainierte und qualifizierte Spezialisten, deren Ausbildung länger dauert als ein paar Monate. Mit Wehrpflichtigen lassen sich solche Kriege nicht mehr führen.

Wehrpflicht und demokratische Gesellschaft

Dass man trotzdem so lange an der Wehrpflicht festhielt und um ihre Abschaffung bzw. Aussetzung heftig stritt, liegt daran, dass mit ihr vier für unsere Gesellschaft grundlegende Probleme und Selbstverständnisse verhandelt wurden:

  1. Das demokratische Selbstverständnis, wonach Bürger ihre wohlerworbenen Rechte und ihre staatliche Verfassung selber verteidigen dürfen, sollen und müssen. In diesem Zusammenhang sprach der erste Bundespräsident Theodor Heuss 1949 von der Wehrpflicht als einem "legitime[n] Kind der Demokratie". Für ihn war sie eine demokratische Errungenschaft erster Güte.
     

  2. Mit diesem Selbstverständnis geht die Vorstellung einher, dass zum Bürger-Sein auch Bürgerpflichten und Bürgerdienste gehören. Für die Aufforderung, sich für das eigene Gemeinwesen aktiv zu engagieren, steht der seit den 1990er Jahren so beliebte Begriff der Zivilgesellschaft. In ihm schwingen Partizipation, Selbstverpflichtung und Selbstorganisation mit, die Bürger-Sein (citizenship) nicht auf die Verfolgung individueller Zwecke und das Einklagen persönlicher Rechte reduzieren. Wehr- und Zivildienst gelten hier als Ausdruck von bürgerschaftlichem Engagement und damit zugleich als Ausweis und Medium sozialer Integration und Zugehörigkeit.
     

  3. Im Streit um die Wehrpflicht bündeln sich zudem geschlechterpolitische Konfliktlinien. Das Militär ist traditionell eine weitgehend frauenfreie Institution. Das Grundgesetz schrieb seit 1956 erneut fest, dass Frauen keinen "Dienst an der Waffe" leisten dürften. Seit 1975 konnten Frauen allerdings ins Sanitäts- und Musikkorps der Bundeswehr eintreten, zunächst nur auf Offiziersebene, seit 1991 auch als Mannschaften und Unteroffiziere. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes befand 2000, dass der Ausschluss vom Waffendienst gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz verstoße; seit 2001 musste die Bundeswehr alle Berufslaufbahnen für Frauen öffnen. Nicht gerüttelt wurde dagegen am Prinzip, dass die Wehrpflicht nur für Männer gilt, wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen immer wieder bestätigt hat. Dagegen liefen manche Feministinnen Sturm, eine radikale Forderung nach Gleichberechtigung in der Wehrpflicht fand jedoch gesamtgesellschaftlich kaum Resonanz. Das Spannungsfeld freilich blieb: Die nur für Männer geltende Wehrpflicht passte nicht mehr ins Gehäuse der modernen Staats- und Gesellschaftsarchitektur, aus der Geschlechterstereotypen allmählich hinausgedrängt werden.
     

  4. Ein weiteres Dilemma, das die Diskussionen um die Wehrpflicht durchzog, war das Verhältnis zur Gewalt. Wer von Zivilgesellschaft spricht, betont das Zivile, den diskursfähigen, gewaltfreien Umgang der Bürger miteinander. Dass es daneben mit dem Militär eine Institution gibt, deren Mitglieder auf den militärischen Ernstfall vorbereitet werden, stellt die Zivilgesellschaft noch nicht in Frage. Wenn aber alle Bürger qua Wehrpflicht in jene gewaltsame Institution einbezogen werden, wirft das Probleme auf: Die Wehrpflicht erinnerte jede Familie mit Söhnen daran, dass Krieg und Gewalt eine reale Größe waren. Sich mitten im Frieden auf den Krieg vorzubereiten, hieß auch, das Töten und Getötetwerden mitzudenken, selbst wenn es im normalen Alltag weitgehend ausgeschlossen und tabuisiert war. Die Wehrpflicht riss die Grenze zwischen ziviler Gesellschaft und der vom Staat monopolisierten Gewaltausübung ein, trug also die Gewalt in die Gesellschaft zurück.

Die Vergesellschaftung des Krieges

Jahrhundertelang war diese Grenze stabil gewesen. Die stehenden Heere der Frühen Neuzeit hatten sich vorwiegend aus Söldnern und gedungenen Soldaten rekrutiert. Das änderte sich seit dem späten 18. Jahrhundert, als mit der levée en masse (Masseneinberufung), wie sie 1793 in Frankreich anbefohlen wurde, eine neue Epoche der Kriegführung anbrach. Dabei ging es zum einen darum, die gesamte Bevölkerung einzubeziehen – die wehrfähigen jungen Männer wurden zum Kriegsdienst und die nicht-wehrfähige Bevölkerung zur Versorgung und moralischen Unterstützung herangezogen. Um diese gesamtgesellschaftliche Mobilisierung zu erreichen, mussten Kriege politisch popularisiert und gerechtfertigt werden. Die Kriegspropaganda wurde zum zentralen Mobilisierungsinstrument und entwarf scharf konturierte Feindbilder, die nach innen Gemeinschaft schufen und nach außen klare Fronten markierten.

Zum anderen waren die Kriegsziele und auch die militärische Taktik so definiert, dass sie die Aufstellung von Massenarmeen notwendig machten. Die europäische Geopolitik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verfolgte territoriale Expansionsinteressen, die sich nicht mehr mit den relativ kleinen Truppenverbänden des 17. und 18. Jahrhunderts durchsetzen ließen. Sie erforderten große, flexibel einsetzbare Heere, deren Soldaten man aus der eigenen Bevölkerung rekrutierte. Massenarmee und Wehrpflicht waren zwei Seiten derselben Münze.

Das wusste bereits Napoleon, der mit einem bis zu 600.000 Mann starken, multinationalen Massenheer fast den gesamten europäischen Kontinent eroberte und das hatten auch die preußischen Militärpolitiker und Reformer erkannt, die 1813 erfolgreich den nationalen Widerstand gegen Frankreich organisierten.

Standesdünkel und politische Widerstände

Nach dem Ende der Befreiungskriege behielt man die eingeführte allgemeine Wehrpflicht in Preußen bei, trotz massiver Widerstände aus der Bevölkerung. Im Kampf gegen Napoleon hatten sich junge Kaufmannssöhne und angehende Staatsdiener zwar durchaus aus patriotischer Begeisterung zur Armee gemeldet; einen dauerhaften Kriegsdienst in Friedenszeiten aber lehnten sie ab. "Adieu Kultur, Adieu Finanzen", kommentierte der Finanzexperte und Althistoriker Barthold Georg Niebuhr bereits 1808 die preußischen Wehrpflichtpläne. Auch die Zumutung, Seite an Seite mit "dummen Bauernsöhnen" auf dem Exerzierplatz stehen zu müssen, empfanden bürgerliche Schichten als unerträglich. Die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit, und "Bauernsöhne" nutzten gleichfalls jedes Mittel – Simulation von Krankheit, Selbstverstümmelung, Reklamationen -, um dem ungeliebten Militärdienst zu entgehen.

Ungeliebt war der Wehrdienst auch bei seinen frühliberalen und sozialistischen Kritikern. Ihnen missfiel nicht die Idee des waffenfähigen Bürgers und der Wehrpflicht als solche. Friedrich Engels lobte sie 1865 gar als "notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts". Wohl aber stießen sich viele Kritiker an der Organisation der Wehrpflicht in stehenden Heeren. Ihnen wären Bürgermilizen mit zivilen Strukturen lieber gewesen, und sie wurden nicht müde, die "Zivilisierung" des Militärs zu fordern, durch parlamentarische Kontrolle, Beschwerderechte und die Abschaffung des Militärstrafrechts. Von einer Abschaffung des Militärs aber war nirgendwo die Rede; radikalpazifistische Strömungen tauchten in nennenswertem Umfang erst in der Hochrüstungsphase des frühen 20. Jahrhunderts auf.

Militarismus und sozialer Status

Obwohl die Beschwerden über Soldatenmisshandlungen und Offiziersdünkel im 19. Jahrhundert nicht abebbten, lernten die Rekruten mit der Zeit, dem Militärdienst auch positive Seiten abzugewinnen. Viele junge Bürgersöhne bemühten sich um das Privileg, bei freiwilliger Meldung nur ein Jahr dienen zu müssen – obwohl sie selbst für Unterhalt und Ausrüstung aufkommen mussten. Als Einjährig-Freiwillige durften sie sich das Regiment selber aussuchen und konnten sich zum Reserveoffizier qualifizieren. Damit verband sich ein nicht unbeträchtliches soziales Prestige, das in dem Maße wuchs, wie das Militär an Strahlkraft gewann. Vor allem nach den Kriegen in den 1860er und Anfang der 1870er Jahre, die zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs führten, erhob das Militär den Anspruch, die "Schule der Nation" zu sein und in der Gesellschaft den Ton anzugeben. Der preußische Leutnant ging damals, wie sich der Historiker Friedrich Meinecke erinnerte, "als junger Gott, der bürgerliche Reserveleutnant wenigstens als Halbgott durch die Welt".

Allerdings darf der Nutz- und Attraktionswert des Militärischen auch nicht überschätzt werden. Selbst im Kaiserreich drängten sich längst nicht alle jungen Männer von Besitz und Bildung nach einer militärischen Nebenkarriere. Weniger als ein Drittel der zum einjährigen Dienst Berechtigten trat tatsächlich in die Armee ein, die meisten wurden als dienstunfähig ausgemustert. Von denjenigen, die ihr Militärjahr ableisteten, erwarb nur jeder zweite die Qualifikation zum Reserveoffizier. Solche Zahlen wecken Skepsis an der landläufigen Vorstellung, dass dem wilhelminischen Bürger nichts so wichtig gewesen sei wie sein Rang als Reserveoffizier. Die große Mehrheit bürgerlicher Männer kam ohne diesen Rang aus.

Gleichwohl besaß er einen sozialen Markierungswert, und das vor allem aus der Sicht jener, die ihn nicht erwerben konnten. Der Wunsch zahlreicher jüdischer Männer, wenn nicht Berufsoffizier, so doch wenigstens Reserveoffizier zu werden, scheiterte regelmäßig am Antisemitismus des preußischen Offizierskorps. In gleicher Weise hatten in den 1830er und 1840er Jahren jüdische Gemeinden in Preußen gegen Pläne mobil gemacht, Juden vom Militärdienst freizustellen. Aus der Position der Ausgeschlossenen erschien der Militärdienst als gesellschaftliches Eintrittsticket und als staatsbürgerliche Ehre.

Dies wiederholte sich, ungleich dramatischer, nach 1935. Als die Nationalsozialisten die nach dem Ersten Weltkrieg auf Druck der Siegermächte abgeschaffte Wehrpflicht wieder einführten, schlossen sie Juden davon aus. Die Proteste des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten gegen die aus seiner Sicht besonders schmerzhafte Entrechtung und Entpflichtung verhallten ungehört.

Missbrauch und Wiederbewaffnung

Demgegenüber begrüßten besonders konservative Kreise das neue Wehrgesetz der Nationalsozialisten als Ausdruck von politischer Stärke und Ordnungswillen. In der ländlichen Bevölkerung, aber auch unter Arbeitern wurde Zufriedenheit laut, dass nun auch die "jungen Leute richtig in Zucht" kämen und "Disziplin und Ordnung" lernten. Zugleich aber fürchteten viele Ältere zu Recht, dass die Wehrpflicht mit Aufrüstung einhergehen und einen neuen Krieg nach sich ziehen würde. Eben das war das Kalkül der nationalsozialistischen Reichsführung. Um die Ergebnisse des letzten Krieges zu revidieren, politische Macht zurückzugewinnen und für territoriale Eroberungen zu nutzen, bedurfte es einer starken, schlagkräftigen Armee. Ein Freiwilligenheer hätte nie die Größenordnungen erreicht, die Hitler für die Umsetzung seiner gigantischen Expansionspläne brauchte, die schließlich in den Zweiten Weltkrieg mündeten. Interner Link: Zwischen 1939 und 1945 dienten in der Wehrmacht insgesamt mehr als 17 Millionen Soldaten.

Größenordnungen spielten auch zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Auflösung der Wehrmacht wieder eine Rolle: Ermuntert und unterstützt von den jeweiligen Siegermächten in Ost und West stellten die beiden deutschen Nachfolgestaaten des ‚Dritten Reichs‘ wieder jeweils eigene nationale Streitkräfte auf. Die Bundesrepublik wollte möglichst rasch ein bis zu 500.000 Mann starkes Heer schaffen, um damit das eigene außenpolitische Gewicht zu erhöhen. Deshalb stellte die konservative Parlamentsmehrheit 1956 erneut die Weichen für eine Wehrpflichtarmee. Die DDR folgte sechs Jahre später, nach dem Mauerbau, machte den zeitlichen Rückstand aber sogleich durch eine stärkere Einberufungsquote wett. Beide Staaten beriefen sich dabei auf die gleichen politischen Traditionen: die preußischen Heeresreformen des frühen 19. Jahrhunderts. Die autoritäre Geschichte der Wehrpflicht und ihre Instrumentalisierung in zwei Weltkriegen wurden von den Regierenden in beiden Staaten ausgeblendet.

Institution einer demokratischen Gesellschaft?

Vor dem Hintergrund der autoritären Geschichte der Wehrpflicht mutet die anfangs zitierte These von Theodor Heuss, die Wehrpflicht sei demokratischen Ursprungs, abwegig an. Aus historischer Perspektive war sie falsch. Als politischer Appell und Vorgriff auf die Zukunft hingegen ermunterte sie zu einem für Deutschland innovativen Experiment: dem Auf- und Umbau des Militärs zu einer Institution der demokratischen Gesellschaft. Eben damit wurde die Remilitarisierung in den 1950er Jahren begründet: Um die Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen und die weit verbreiteten politischen Widerstände zu überwinden, verwies die Bundesregierung einerseits auf die akute Bedrohungssituation im Kalten Krieg und die Notwendigkeit einer starken Landesverteidigung. Zum anderen betonte sie das Ziel, Militär und Zivilgesellschaft miteinander zu versöhnen. Diesem Zweck dient das bis heute in der Bundeswehr geltende Konzept der Inneren Führung, das alte Vorstellungen von der "Zivilisierung" des Militärs aufnahm und sich dem Leitbild des "Bürgers in Uniform" verpflichtet sieht.

Zweifellos wurden bei der Umsetzung des Konzepts große Fortschritte erzielt. Die Bundeswehr war von Anfang an eine Parlamentsarmee und gilt heute keineswegs mehr als "Schule der Nation" oder "der Männlichkeit". Dennoch lassen sich militärische Umgangsformen nur bedingt "zivilisieren". Das gilt nicht nur für das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sondern auch und vor allem für den Umgang mit Gewalt. Gewalt, die aus den zivilen Verhältnissen der Bürger ausgeschlossen ist, findet im Militär ihren legitimen Ort. Im Militär bündelt sich das Gewaltmonopol des Staates, und an dieser frühneuzeitlichen Konstruktion wurde auch in der Moderne nicht gerüttelt. Die Erfahrungen mit Paramilitarismus in der Weimarer Republik, nicht zuletzt auch die aktuellen Entgrenzungen kriegerischer Gewalt durch selbsternannte Warlords und andere nicht-staatliche Akteure in Kriegs- und Krisengebieten weltweit zeigen, welche Gefahren eine Aufkündigung des staatlichen Gewaltmonopols birgt.

Trennung von Militär und Zivilgesellschaft

So wenig auf das staatliche Gewaltmonopol und seine Institutionalisierung verzichtet werden kann, so problematisch ist die Vergesellschaftung der Gewalt in Form der Wehrpflicht. Dass das dahinterstehende Denkmodell in Deutschland nicht mehr mehrheitsfähig war, zeigte die zunehmende Zahl jener jungen Männer, die, statt im Militär zu dienen, lieber einen (längeren) zivilen Ersatzdienst leisteten. Der Schritt zur Berufs- bzw. Freiwilligenarmee löste den Konflikt zwischen einer zivilen Gesellschaft, die ihre Bürger zu gewaltloser Aktivität anhält, und dem Militär mit einem klaren Schnitt. Auch die neue Bundeswehr ist ein notwendiger Teil unserer Gesellschaft, ebenso wie andere staatliche Institutionen. Polizei, Justiz und Verwaltung zwingen den Bürger nicht zur aktiven Mitwirkung. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht hat auch das Militär aufgehört, diesen Zwang auszuüben.

Damit ist unsere Gesellschaft endgültig modern geworden – modern im Sinne einer Ausdifferenzierung von Teilsystemen und Institutionen, die parallel zueinander bestehen und sich nicht hierarchisch zueinander verhalten. Am Anfang der Moderne stand demgemäß ein folgenschweres Missverständnis: die revolutionäre Neuerung, die Sphären des Krieges und des Friedens, der Gewalt und der Deliberation, des Soldaten und des Bürgers miteinander zu vermischen. Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht nach zweihundert Jahren bereitete diesem Missverständnis vorläufig ein Ende. Das heißt nicht, dass unsere Gesellschaft damit tatsächlich ziviler, verhandlungsbereiter und friedfertiger würde. Aber kategorial und vom Prinzip her ist es sauberer und folgerichtig, die Trennung von Militär und Zivilgesellschaft zu markieren. Und politisch eröffnet es die Chance, Gewalt in zivilen Beziehungen umso schärfer und kompromissloser zu ächten und zu bekämpfen.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Ute Frevert ist Historikerin und Direktorin des Forschungsbereichs "Geschichte der Gefühle" am Externer Link: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie forscht, lehrt und veröffentlicht u.a. zur Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte der Moderne.