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Litauen – 30 Jahre Unabhängigkeit von der Sowjetunion | Hintergrund aktuell | bpb.de

Litauen – 30 Jahre Unabhängigkeit von der Sowjetunion

Redaktion

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Vor 30 Jahren erklärte Litauen einseitig seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Estland und Lettland folgten kurze Zeit später. Mit diesem Schritt trugen sie zum Zerfall der Sowjetunion bei. Das Verhältnis zwischen Russland und den baltischen Staaten ist angesichts der Krim-Annexion und der militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine stark belastet.

Menschenkette in der estnischen Hauptstadt Tallinn am 23. August 1989, dem 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes (© picture-alliance/dpa)

Am 11. März 1990 erklärte Interner Link: Litauen seine Unabhängigkeit von der Interner Link: Sowjetunion. Dazu setzte das im Februar 1990 gewählte litauische Parlament die sowjetische Verfassung formell außer Kraft, rief die eigenständige "Republik Litauen" aus und stellte sich damit ausdrücklich gegen die Moskauer Führung. Am 4. Mai 1990 folgten Interner Link: Lettland und am 8. Mai 1990 Interner Link: Estland mit eigenen Unabhängigkeitserklärungen und erreichten nach 50 Jahren Besatzung de facto ihre Eigenständigkeit zurück. Doch erst anderthalb Jahre später, am 6. September 1991, gab die machtpolitisch geschwächte sowjetische Führung nach und erkannte die Unabhängigkeit Litauens sowie der anderen baltischen Staaten an.

Mit Menschenkette und Gesang für die Unabhängigkeit

Der Beginn der Unabhängigkeits- und Demokratiebestrebungen von Lettland, Estland und Litauen hängt mit dem von Michael Gorbatschow 1985 ausgerufenen Reformkurs, Interner Link: Glasnost (Offenheit) und Interner Link: Perestroika (Umbau), zusammen. Dieser wurde in Litauen, Estland und Lettland besonders begrüßt, Dissidenten gründeten in den drei Interner Link: baltischen Staaten eine Oppositionsbewegung. Ab 1987 protestierten sie zu historischen Gedenktagen und gegen Großbauprojekte, zum Beispiel gegen einen in Estland geplanten Phosphoritabbau. 1988 gründeten sich so genannte Volksfronten, die als Dachorganisation fungierten und die zahlreichen informellen Gruppierungen und Reformbewegungen bündelten.

Moskau tolerierte die Demokratisierungsbestrebungen und Föderalisierungsbemühungen der Volksfronten im Sinne der Perestroika. Im Sommer 1988 kamen 300.000 Menschen zu einem Sängerfest ins estnische Tallinn, um für Einigkeit und Unabhängigkeit zu demonstrieren. Am 23. August 1989, dem 50. Jahrestag des Interner Link: Hitler-Stalin-Paktes, bildeten mehr als zwei Millionen Menschen eine 650 Kilometer lange Menschenkette durch die drei baltischen Staaten: von Vilnius in Litauen durch Riga in Lettland bis nach Tallinn in Estland. Diese Aktion, der Interner Link: "baltische Weg", machte die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Welt bekannt. Die Macht der kommunistischen Parteien in den baltischen Staaten war zunehmend gefährdet.

Volksfronten gewinnen erste freie Wahlen

Anfang 1990, die Interner Link: Berliner Mauer war gefallen, fanden in den baltischen Staaten die ersten freien Wahlen zu Mehrparteien-Parlamenten statt. In allen drei Ländern gewannen die Volksfronten als Befürworter der Unabhängigkeit die Wahlen. Daraufhin erklärte Litauen am 11. März 1990 einseitig seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion, die beiden anderen Länder folgten im Mai. Moskau forderte die baltischen Staaten zur Umkehr auf, verhängte Wirtschaftsblockaden und drohte mit einer militärischen Intervention. Am 13. Januar 1991 stürmten sowjetische Truppen in Vilnius, Litauen, die Zentrale des litauischen Fernsehsenders, doch die Bevölkerung schützte mit Blockaden strategisch wichtige Gebäude. 14 Menschen kamen dabei ums Leben. Eine Woche später stürmte im lettischen Riga die sowjetische Spezialeinheit Omon das Innenministerium, wobei fünf Menschen starben. Auch hier schützte die Bevölkerung die lettische Regierung mit Blockaden.

Als es vom 19. bis 21. August 1991 zum erfolglosen Putsch in Moskau gegen Gorbatschow kam, nutzten die drei baltischen Staaten die Lage und setzten ihre bereits 1990 verkündete Unabhängigkeit durch. In der Folge erkannten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die Unabhängigkeit der baltischen Staaten noch im August des gleichen Jahres an. Am 6. September 1991 folgte auch die Anerkennung durch den Staatsrat der UdSSR. 2004 wurden Lettland, Estland und Litauen Interner Link: in die EU und in die Nato aufgenommen. 2011 kam die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU hinzu. Seit der Euroeinführung am 1. Januar 2015 in Lettland sind zudem alle drei Länder Teil der Eurozone.

Fakten: Chronologie der Unabhängigkeit

1985 – Beginn des Reformkurses von Michael Gorbatschow, Glasnost und Perestroika

1987 – Proteste und öffentliche Demonstrationen in den baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen.

1988 – Gründung der "Volksfronten" in den baltischen Staaten.

23. August 1989 – Zum 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes versammeln sich mehr als zwei Millionen Menschen und formen eine Menschenkette von über 650 Kilometern, die die Hauptstädte, Riga, Vilnius und Tallinn verbinden.

Februar 1990 – In den baltischen Ländern finden die ersten freien Wahlen zu einem Mehrparteien-Parlament statt.

11. März 1990 – Litauen erklärt formell seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion, am 4. Mai folgt Lettland und am 8. Mai Estland.

19.-21. August 1991 – Putsch in Moskau, die baltischen Staaten nutzen die Situation und setzen Unabhängigkeit durch.

6. September 1991 – Anerkennung der Unabhängigkeit von Estland, Litauen und Lettland durch den Staatsrat der UdSSR.

17. September 1991 – Aufnahme in die Vereinten Nationen.

2004 – Die baltischen Staaten werden Mitglieder der Nato und der Europäischen Union.

1. Januar 2015 – Mit der Einführung des Euros in Litauen sind alle drei baltischen Staaten in der Euro-Zone.

Gespanntes Verhältnis zu Russland

Bis heute ist das Verhältnis der baltischen Staaten zu Russland gespannt. Beide Seiten streiten sich seit der Unabhängigkeit immer wieder über Themen wie den Nato-Beitritt, Energiefragen, Grenzprobleme und die Interner Link: russischen Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen. Seit der Interner Link: Annexion der Krim 2014 und den Interner Link: militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine nehmen die baltischen Staaten die russische Außenpolitik zunehmend als Bedrohung für ihre Sicherheit und territoriale Autonomie wahr. Befürchtet wird, dass Putin die Situation der russischen Minderheiten zum Vorwand nehmen und ähnlich der Krim territoriale Ansprüche erheben könnte. Schließlich sind 25,6 Prozent der lettischen Bevölkerung ethnische Russen, in Estland sind es 24,9 Prozent und in Litauen 4,8 Prozent.

Auch die Nato hat in Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine ihre Bündnisaktivitäten in den baltischen Staaten intensiviert, indem beispielsweise die Nato-Präsenz vor Ort erhöht, die bilaterale Kooperation mit US-Streitkräften verstärkt und die Zusammenarbeit mit neutralen Ländern wie Schweden und Finnland ausgeweitet wurde. Als Teil eines unter deutscher Führung stehenden multinationalen Kampfverbandes sind seit Januar 2017 auch Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Litauen stationiert.

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