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10 Jahre Ost-Erweiterung des Schengen-Raumes | Hintergrund aktuell | bpb.de

10 Jahre Ost-Erweiterung des Schengen-Raumes Reisefreiheit und starke Außengrenzen

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Am 21. Dezember 2007 traten acht Staaten Osteuropas und Malta dem Schengener Abkommen bei. Damit fielen die Personenkontrollen an weiteren Binnengrenzen der EU weg. Im Gegenzug wurde der Schutz der neuen Schengen-Außengrenzen verstärkt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek (links) und seinem polnischen Amtskollegen Donald Tusk (rechts) im Dezember 2007 am gemeinsamen Grenzübergang im sächsischen Zittau. (© picture-alliance/dpa)

In der Nacht zum 21. Dezember 2007 wurde gefeiert: An der einstigen Trennlinie Europas während des Kalten Krieges hatten sich Zehntausende an Grenzübergängen versammelt. Der Anlass: Der Schengen-Raum wurde um neun EU-Staaten erweitert: dazu gehörten die ehemaligen Ostblock-Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn sowie der südeuropäische Inselstaat Malta.

Der Schengen-Raum umfasst nun 24 Mitgliedstaaten, von denen 22 zugleich EU-Staaten sind – die Ausnahmen sind Island und Norwegen, die bereits seit 2001 auch ohne EU-Mitgliedschaft Mitglieder im Schengen-Raum sind. Mehr als 400 Millionen Menschen können jetzt ohne Passkontrolle durch viele Länder Europas reisen.

Interner Link: Frontex sichert Außengrenzen

Die neue Außengrenze im Osten der Schengen-Zone ist 4.278 Kilometer lang und verläuft vom Finnischen Meerbusen bis zur Adria. Diese neue lange Außengrenze erforderte auch eine Intensivierung des Grenzschutzes: Bereits 2004, mit der Osterweiterung der EU, wurde die Gründung der Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) beschlossen.

2005 nahm sie in Warschau ihre Arbeit auf. Sie koordiniert EU-weit das Vorgehen gegen illegale Einwanderung, grenzüberschreitende Kriminalität und Terrorismus . Von Mai bis Dezember 2005 verfügte Frontex über ein Externer Link: Budget von ca. 6,2 Millionen Euro, 2007 waren es bereits über 22 Millionen Euro.

Symbole: Saarbrücken und Schengen

Die Entstehung des Schengen-Raumes ging auf eine Initiative von Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand zurück. Bei einem symbolischen Treffen an einem Grenzübergang bei Saarbrücken beschlossen die beiden Staatsmänner 1984 Erleichterungen bei den Kontrollen an der gemeinsamen Grenze. Der Absichtserklärung schlossen sich die drei Benelux-Staaten Belgien, Niederlande und Luxemburg an. Diese hatten untereinander bereits die Grenzkontrollen abgeschafft, noch bevor 1960 der Vertrag zur Gründung der Benelux in Kraft trat. Das Ergebnis: Bei Schengen – einem Dorf in Luxemburg, das unmittelbar an Frankreich und die Bundesrepublik grenzt – wurde am 14. Juni 1985 das Schengener Abkommen beschlossen. Die Vertreter der fünf Länder bekräftigten mit dem Abkommen ihr Ziel: "Die Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden."

Schengener Durchführungsabkommen

Zur Konkretisierung der Schengener Absichtserklärung von 1985 (Schengen I) beschlossen die beteiligten Länder am 19. Juni 1990 das Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ, auch Schengen II). Darin wurden nicht nur die Aufhebung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten geregelt, sondern auch entsprechende Ausgleichsmaßnahmen, um die Sicherheit trotz offener Grenzen zu gewährleisten. Zum sogenannten Schengen-Standard zählten unter anderem:

  • die Verstärkung des Außengrenzschutzes,

  • die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit,

  • das Interner Link: Schengener Informationssystem (SIS), ein automatisiertes Personen- und Sachfahndungssystem,

  • die gemeinsame Visa- und Asylpolitik, zum Beispiel die Einführung des Schengen-Visums für Touristen und Geschäftsreisende sowie die Entwicklung des Interner Link: Dublin-Verfahrens, das sicherstellen sollte, dass jeder Geflüchtete den Asylantrag in dem Land stellt, in das er zuerst eingereist ist.

Inkraftsetzung nach zehn Jahren Vorbereitung

Der Fall der Berliner Mauer 1989 verzögerte die beabsichtigte Öffnung der Grenzen. Zudem musste Deutschland für die asylrechtlichen Bestimmungen des Schengener Durchführungsabkommens 1993 das Grundgesetz (Art. 16a GG) ändern. Während offiziell von Harmonisierung europäischer Flüchtlingspolitik die Rede war, sprachen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen von Abschottung der "Festung Europa" und dem Ausstieg aus einem humanen Asylrecht.

Das Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ) trat schließlich am 26. März 1995 in Kraft - fast zehn Jahre nach der eigentlichen Absichtserklärung. Fortan konnte man ohne Grenzkontrollen bereits durch sieben Länder reisen, da sich auch die neuen Schengen-Vertragsstaaten Spanien und Portugal beteiligten. Italien und Österreich folgten 1997.

Bislang 26 "Vollanwender"-Staaten

Mit dem Vertrag von Amsterdam, der im Mai 1999 in Kraft trat, wurde das Schengener Abkommen in EU-Recht integriert, das heißt alle Mitgliedstaaten der EU wurden zur Übernahme der Schengen-Regelungen verpflichtet. Großbritannien und Irland setzten eine Ausnahmeregelung durch und halten weiterhin an Grenzkontrollen fest. Schrittweise sollte ein gemeinsamer "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" umgesetzt werden.

Mittlerweile haben 33 europäische Staaten das Abkommen unterzeichnet. Vollständig angewendet werden die Schengen-Bestimmungen allerdings bisher lediglich von 26 Ländern, den sogenannten Schengen-Vollanwender-Staaten. Das sind 22 der 28 EU-Mitglieder sowie die nicht-EU-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.

Keine kontrollfreie Zone

Das Schengener Abkommen schließt Grenzkontrollen an Binnengrenzen nicht gänzlich aus. Stichproben und Kontrollen zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sind laut Artikel 21 des Externer Link: Schengener Grenzkodexes jederzeit möglich. Zudem ist es nach Artikel 23 möglich, bei "einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" auch systematische Grenzkontrollen vorübergehend wiedereinzuführen. Diese dürfen gemäß Schengenkodex allerdings nur 30 Tage dauern. Wenn weiterhin Gefahr besteht, kann der entsprechende Mitgliedstaat sie mehrmals um 30 Tage verlängern, maximal jedoch sechs Monate lang. Vorübergehende Grenzkontrollen wurden bereits mehrfach genutzt – beispielsweise bei der Fußball-WM 2006, während des NATO-Gipfels 2009, dem G7-Gipfel 2015 und dem G20-Gipfel 2017.

Seit 2013 können nationale Grenzen in Ausnahmesituationen für eine Dauer von zwei Jahren kontrolliert werden. Auslöser für die Ausweitung der Ausnahmeregelungen war unter anderem der Zuzug vieler Flüchtlinge aus Nordafrika während des Interner Link: Arabischen Frühlings.

Auch seit September 2015 führten einzelne Länder wieder Kontrollen an Binnengrenzen des Schengen-Raums ein, etwa Deutschland an der Grenze zu Österreich. Ein Grund war auch hier die stark gestiegene Ankunftszahl von u.a. syrischen Flüchtlingen über die Balkanstaaten. Im Herbst 2017 kündigte Deutschland an, die Kontrollen aufgrund von Terrorismusgefahr bis Mai 2018 aufrecht zu erhalten. Auch Österreich, Frankreich, Schweden, Norwegen und Dänemark setzen die Grenzkontrollen weiter fort.

Reise-Freiheit weiter unter Druck

Im September 2017 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, dass die Kontrollen der Binnengrenzen in Zukunft aus Sicherheitsgründen zwei Mal um jeweils ein Jahr verlängert werden dürfen, so dass eine Gesamtdauer von drei Jahren möglich ist.

Damit ist die Kommission unter der Forderung Deutschlands und Frankreichs geblieben. Diese hatten mögliche Kontrollen von bis zu vier Jahren gefordert. Die EU-Staaten und das Europaparlament müssen der Änderung des Schengener Grenzkodexes noch zustimmen.

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