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Vor 20 Jahren: Bericht der "Wahrheitskommission" zum Apartheidregime in Südafrika | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 20 Jahren: Bericht der "Wahrheitskommission" zum Apartheidregime in Südafrika

Redaktion

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Am 29.10.1998 wurde der Abschlussbericht der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission übergeben. Das Gremium sollte bei der Bewältigung der Folgen des Apartheidregimes helfen und wurde zum Vorbild für Wahrheitskommissionen auf der ganzen Welt. Doch es gibt auch kritische Stimmen.

Der Vorsitzende der südafrikanischen Wahrheitskommission, Erzbischof Desmond Tutu (r), überreicht am 29.10.1998 in Pretoria das Abschlußdokument der Wahrheitskommission an Südafrikas Präsident Nelson Mandela. Die südafrikanische Wahrheitskommission hat in ihrem Abschlußbericht die Verbrechen der Apartheid verurteilt, eine gerichtliche Verfolgung der Schuldigen empfohlen und sich gegen eine Generalamnestie ausgesprochen. (© picture-alliance/dpa)

Fünf dicke Bände hatte Erzbischof Desmond Tutu im Gepäck, als er am 29. Oktober 1998 vom südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela empfangen wurde. Auf mehr als 4.500 Seiten war darin die fast dreijährige Arbeit der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (engl. South African Truth and Reconciliation Commission, kurz SATRC) dokumentiert, darunter rund 1.000 Seiten mit den Namen von Opfern. Die SATRC war eingesetzt worden, um die Verbrechen unter dem Apartheidregime aufzuarbeiten. Gleichzeitig sollte sie jedoch auch dabei helfen, Südafrika als Nation zu einen. Weltweit wurde die Arbeit der Kommission zum Vorbild zur Aufarbeitung von Verbrechen in diktatorisch regierten Staaten. Erst kürzlich setzte beispielsweise Gambia eine 11-köpfige Wahrheitskommission ein, die Verbrechen an Oppositionellen unter ihrem 2017 abgewählten Präsidenten Yahya Jammeh untersuchen soll, der das Land 22 Jahre lang regierte.

Wahrheitskommissionen

Wahrheitskommissionen sind ein recht junges Instrument zur Aufarbeitung von politischem Unrecht. Ihren Ursprung hatte die Idee in Südamerika: Dort gab es bis Anfang der 1990er-Jahre zahlreiche Militärdiktaturen. Eine Kernforderung der Oppositionen in diesen Ländern war die Aufarbeitung der begangenen Verbrechen. Die "Wahrheit" sollte ans Licht kommen.

Als im Jahr 1990 in Chile eine Wahrheitskommission zur Aufklärung des Unrechts in der Regierungszeit von Präsident Augusto Pinochet eingesetzt wurde, kam noch ein weiterer Aspekt hinzu. Die Kommission sollte nicht nur die Wahrheit aufdecken, sondern auch die Gesellschaft versöhnen. Eine gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit war das Ziel - der Dialog zwischen einstigen politischen Gegnern sollte verhindern, dass Chile politisch dauerhaft gespalten bleibt. Der Unterschied zu südafrikanischen "Wahrheits- und Versöhnungskommission" ist der, dass keine kollektive, sondern eine überprüfbare Amnestie angestrebt wurde.

Weder Generalamnestie noch Tribunal

In Südafrika war die Einrichtung einer "Wahrheits- und Versöhnungskommission" als Kompromiss gedacht. Nachdem sich das Ende des Apartheidregimes abzeichnete, wollten die früheren Machthaber eine Generalamnestie für alle Verbrechen erwirken, die unter ihrer Herrschaft geschehen waren. Der African National Congress (ANC) dagegen plante Tribunale für die weißen Herrscher. Im Zuge der ersten freien Wahlen im Frühjahr 1994 war es der neue Justizminister Abdullah Omar, der sagte, dass es weder "Nürnberger Prozesse" noch eine Generalamnestie geben werde. Stattdessen kündigte er die Schaffung einer Wahrheitskommission an.

Es dauerte noch etwa ein Jahr, bis das südafrikanische Parlament ein entsprechendes Gesetz beschloss. Der "Promotion of National Unity and Reconciliation Act" (zu Deutsch "Gesetz zur Förderung der nationalen Einheit und Versöhnung") regelte im Detail die Ziele und den Aufbau der Kommission.

Ziel der Versöhnung und der nationalen Einheit

In Kapitel zwei des Gesetzes heißt es, dass die Wahrheits- und Versöhnungskommission der "nationalen Einheit" und der "Versöhnung" diene. Um dies zu erreichen, solle sie ein möglichst vollständiges Bild von den Menschenrechtsverletzungen in Südafrika ab dem 1. März 1960 erarbeiten. Das Datum wurde als Stichtag ausgehandelt: Es deckt ungefähr die Zeit ab, in der sich der Protest gegen das rassistische Apartheidregime radikalisierte und bezieht außerdem das Massaker von Sharpeville am 21. März 1960 ausdrücklich mit ein, bei dem 69 Schwarze vor einer Polizeistation von weißen Polizisten mit Maschinenpistolen erschossen wurden.

Angehörige von Opfern des Apartheidregimes sollten Gewissheit über das Schicksal ihrer Verwandten erhalten. Außerdem sah das Gesetz vor, dass die Kommission Maßgaben erarbeitet, mit denen zukünftige Menschenrechtsverletzungen verhindert werden können. Einen Unterschied zwischen den Menschenrechtsverletzungen des Regimes und den Gewalttaten des ANC machte das Gesetz dabei nicht.

Kommission mit weitreichenden Kompetenzen

Der wohl bedeutendste Passus besagte, dass jeder, der vollständig und wahrheitsgemäß über die ihm zur Last gelegten Anschuldigungen Rechenschaft ablegte, straffrei ausgehen sollte - sofern die Taten mit einem politischen Ziel verbunden waren. Dazu musste vorher ein Antrag auf Amnestie gestellt werden. Fälle von gewöhnlicher Kriminalität konnte die Wahrheits- und Versöhnungskommission jedoch an ordentliche Gerichte überweisen.

Überhaupt hatte das Gremium sehr weitgehende Rechte und faktisch ähnliche Befugnisse wie eine Strafverfolgungsbehörde. Wer sich weigerte den Anweisungen Folge zu leisten, musste mit einer Strafe von bis zu zwei Jahren Haft rechnen.

"Vergebung statt Vergeltung"

Offiziell wurde die Kommission im Januar 1996 vom damaligen südafrikanischen Staatspräsidenten Nelson Mandela eingesetzt. Zum Vorsitzenden wurde der Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, ernannt, der 1984 für sein Engagement gegen die Apartheidpolitik mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war. Tutu nannte als Leitmotiv seiner Arbeit "Vergebung statt Vergeltung".

Zu den Erfolgen gehört die Aufklärung von etwa 7.000 Verbrechen, darunter auch zahlreiche Mord- und Tötungsfälle, für die die Verantwortlichen, wenn ihnen die politische Motivation abgesprochen wurde, auch zur Rechenschaft gezogen wurden. Doch viele Straftaten blieben auch ungesühnt, weil den Tätern im Gegenzug für ihre Aussage, die zuvor beantragte Amnestie bewilligt wurde. Aus Sicht von Martin Coetzee, dem Generalsekretär der Wahrheitskommission, war dies ein sinnvoller Schritt: "Wenn Sie einen möglichen Täter anklagen, verteidigt er sich, versucht, sich zu rechtfertigen, bekennt nur, was offensichtlich ist", sagte Coetzee der Wochenzeitung "Freitag" im Jahr 2001. "Wir haben die Menschen eingeladen, die Möglichkeit einer Amnestie im Austausch für die volle Wahrheit zu nutzen. So hörten die Täter, was die Opfer zu sagen hatten, soweit sie noch lebten. Und die Gewalttäter mussten erklären, warum sie Verbrechen verübt hatten."

Versöhnung braucht noch viel Zeit

Doch auch über die politischen Grundlagen, auf denen in Südafrika ein rassistisches Regime entstehen konnte, wurde diskutiert. Eine Woche lang sprach die Kommission im September 1997 darüber, warum sich die Medien in Südafrika vom Apartheidregime hatten instrumentalisieren lassen.

Das Modell der Wahrheits- und Versöhnungskommission gilt insgesamt als Erfolg. Es wurde zum Vorbild für weitere Wahrheitskommissionen in afrikanischen Staaten, aber zum Beispiel auch in Ex-Jugoslawien (wo das Gremium allerdings schnell wieder die Arbeit einstellte und nie zu einem Abschlussbericht kam), in Sri Lanka oder in Osttimor und auch für den Irak war eine solche Kommission zeitweise im Gespräch.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Allgemein anerkannt wird, dass dem Auftrag gemäß sehr viel Wahrheit ans Tageslicht gefördert wurde. Unübersehbar sei jedoch auch, dass die angestrebte Versöhnung zwischen den ethnischen Gruppen Südafrikas bis heute nur schleppend vorangeht. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass nur 16.000 Opfern eine Entschädigung für ihre Leiden zugesprochen wurde, die Maximalsumme war auf 20.000 Euro beschränkt. Opferverbände sind überzeugt, dass mindestens 120.000 Menschen einen Anspruch auf Schadensersatz gehabt hätten.

Und obwohl von knapp 7.100 Amnestiegesuchen nur 849 gebilligt und 5.400 abgelehnt wurden, zieht sich das juristische Nachspiel bis heute hin. Zahlreiche Verbrechen sind bis heute nicht gesühnt und die eigentlich angestrebten Versöhnungsgespräche zwischen Angehörigen von Opfern und Tätern fanden kaum statt.

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